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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Weltspiegel

Schon während des Krieges fiel in einer Versammlung führender Männer
Deutschlands das aufregende Wort: Die jetzige Generation ist doch schon verpfuscht.
Dann kam nach dem unheilvollen Telegramm der Obersten Heeresleitung die erste
Abdankung an Amerika, an ein Ideal, das nicht auf deutschem Boden gewachsen
war und darum deutschem Leben niemals gerecht werden konnte. Und dann
zerschlagen sich die Deutschen die Köpfe untereinander und die letzten Chancen für
ein freies Weiterbestehen der Nation, um Grundsätzen Geltung zu schaffen, die auf
russischem Boden gewachsen oder in Köpfen von wurzellosen, anationalen, also vom
Politischen abstrahierenden Theoretikern konstruiert worden waren. Und dann
entdeckte der Graf Keyserling, daß das ganze politische Leben Deutschlands in
den letzten fünfzig Jahren überhaupt ein grundsätzlicher Irrtum gewesen war
("Deutschlands wahre Politische Mission". Otto Reicht Verlag Darmstadt).

Dieses sehr ernste und an sich vieles Wahre enthaltende Schriftchen begegnet
sich vielfach mit anderen Gedankengängen, die man schon vor dem Kriege äußern
hören konnte. Wozu dies Streben nach Weltpolitik, es entspricht nicht dem
deutschen Wesen, dessen wahre Aufgabe eine viel höhere ist. Ins Banausische über¬
setzt, heißt das: Warum lassen wir uns nicht einfach von den Engländern (aber
selbst die gleichgültigsten wagen bezeichnenderweise nicht hinzuzufügen: und von den
Franzosen) kolonisieren? Wir hätten augenblicklich ganz andere Aufgaben, als
unser staatspolitisches Bestehen zu erhalten.

Graf Keyserlings Denken ist bekanntlich stark von chinesischen und indischen
Gedankengängen beeinflußt worden. Gerade aber die Fälle Chinas und Indiens
lassen sich insofern mit Deutschland vergleichen, als auch dort nicht kulturell tiefer
stehende Völker wie Neger oder Indianer kolonisiert wurden, sondern kulturell
mindestens ebenbürtige, nach Meinung der kolonisierten Völker selbst aber über¬
legene. Und bekanntlich gibt es sowohl in China wie in Indien kluge führende
Männer, die Widerstand gegen das siegreiche Herrschervolk für unnütz und zerstörerisch
halten und es sogar begrüßen, daß die Engländer ihnen gewisse unangenehme
Dinge wie Polizei und Steuerwesen abnehmen. Aber wie glücklich die Chinesen
mit dieser Auffassung geworden sind, lehrt ihre Geschichte im 19. Jahrhundert, wie
glücklich die Inder, die Zitate, die diesen Aufsatz einleiten und dem sehr lesenswerten
und gerade jetzt für Deutsche lehrreichen Buche des Engländes Hyndmcm "Der
Aufstieg des Morgenlandes" (deutsch erschienen bei K. F. Koester, Leipzig 1921)
entnommen sind. Daß die kolonisatorischen Fähigkeiten der Engländer vielfach über¬
schätzt wurden, konnte, wer es nicht aus eigener Beobachtung wußte, bereits aus den
indischen Erzählungen des Imperialisten Kipling entnehmen. Welches Glück, auch
in unseren so zivilisierten Zeiten, die Kolonisierung selbst durch die angeblich
zivilisierteste Nation, die die Franzosen ganz gewiß nicht sind, bedeutet, beweist eben
das Buch von Hyndmcm, das das Erweichen der Asiaten schildert, beweisen auch
die erschütternden Zahlen für Irland, der ältesten Kolonie der Briten. Irland
zählte -- immer wieder muß es gesagt werden -- im Jahre 1840 8 287 848 Ein¬
wohner, im Jahre 1911 4 379 076, während die Bevölkerung Großbritanniens in
der gleichen Zeit von 18 534 332 auf 40 831 396 stieg. Kein Sophisma) keine
Militaristische Überlegung kann über diese Tatsachen hinwegkommen. Ein Volk,
das sich selbst aufgibt, ist verloren und kann auch idealen Aufgaben nicht mehr
genügen.

Aber freilich, es muß auch ein Volk sein, es muß sich auch als Volk fühlen.
Ist es dazu wirklich nötig, daß ihm die Fremden, Engländer, Amerikaner,
Franzosen, Polen, Tschechen handgreiflich zu verstehen geben, daß es ein Volk
ist? Deutsche sind es gewesen, die ihrem Volke nach der Katastrophe das Schicksal
der Juden prophezeit haben. Wollten doch Deutsche wenigstens das von den
Vielgeschmähten lernen, daß der eine Volksgenosse dem andern in allen Lebens¬
lagen hilfreich beisprang, unter allen Umständen den Volksgenossen höher stellte
als den Fremden. Wo immer ich im Auslande Deutschen begegnet bin, ob es
Kaufleute waren, Politiker oder Künstler, immer zeterten sie gegeneinander oder
setzten zu allererst einmal den Konkurrenten oder Mitstrebenden vor den Ohren


Weltspiegel

Schon während des Krieges fiel in einer Versammlung führender Männer
Deutschlands das aufregende Wort: Die jetzige Generation ist doch schon verpfuscht.
Dann kam nach dem unheilvollen Telegramm der Obersten Heeresleitung die erste
Abdankung an Amerika, an ein Ideal, das nicht auf deutschem Boden gewachsen
war und darum deutschem Leben niemals gerecht werden konnte. Und dann
zerschlagen sich die Deutschen die Köpfe untereinander und die letzten Chancen für
ein freies Weiterbestehen der Nation, um Grundsätzen Geltung zu schaffen, die auf
russischem Boden gewachsen oder in Köpfen von wurzellosen, anationalen, also vom
Politischen abstrahierenden Theoretikern konstruiert worden waren. Und dann
entdeckte der Graf Keyserling, daß das ganze politische Leben Deutschlands in
den letzten fünfzig Jahren überhaupt ein grundsätzlicher Irrtum gewesen war
(„Deutschlands wahre Politische Mission". Otto Reicht Verlag Darmstadt).

Dieses sehr ernste und an sich vieles Wahre enthaltende Schriftchen begegnet
sich vielfach mit anderen Gedankengängen, die man schon vor dem Kriege äußern
hören konnte. Wozu dies Streben nach Weltpolitik, es entspricht nicht dem
deutschen Wesen, dessen wahre Aufgabe eine viel höhere ist. Ins Banausische über¬
setzt, heißt das: Warum lassen wir uns nicht einfach von den Engländern (aber
selbst die gleichgültigsten wagen bezeichnenderweise nicht hinzuzufügen: und von den
Franzosen) kolonisieren? Wir hätten augenblicklich ganz andere Aufgaben, als
unser staatspolitisches Bestehen zu erhalten.

Graf Keyserlings Denken ist bekanntlich stark von chinesischen und indischen
Gedankengängen beeinflußt worden. Gerade aber die Fälle Chinas und Indiens
lassen sich insofern mit Deutschland vergleichen, als auch dort nicht kulturell tiefer
stehende Völker wie Neger oder Indianer kolonisiert wurden, sondern kulturell
mindestens ebenbürtige, nach Meinung der kolonisierten Völker selbst aber über¬
legene. Und bekanntlich gibt es sowohl in China wie in Indien kluge führende
Männer, die Widerstand gegen das siegreiche Herrschervolk für unnütz und zerstörerisch
halten und es sogar begrüßen, daß die Engländer ihnen gewisse unangenehme
Dinge wie Polizei und Steuerwesen abnehmen. Aber wie glücklich die Chinesen
mit dieser Auffassung geworden sind, lehrt ihre Geschichte im 19. Jahrhundert, wie
glücklich die Inder, die Zitate, die diesen Aufsatz einleiten und dem sehr lesenswerten
und gerade jetzt für Deutsche lehrreichen Buche des Engländes Hyndmcm „Der
Aufstieg des Morgenlandes" (deutsch erschienen bei K. F. Koester, Leipzig 1921)
entnommen sind. Daß die kolonisatorischen Fähigkeiten der Engländer vielfach über¬
schätzt wurden, konnte, wer es nicht aus eigener Beobachtung wußte, bereits aus den
indischen Erzählungen des Imperialisten Kipling entnehmen. Welches Glück, auch
in unseren so zivilisierten Zeiten, die Kolonisierung selbst durch die angeblich
zivilisierteste Nation, die die Franzosen ganz gewiß nicht sind, bedeutet, beweist eben
das Buch von Hyndmcm, das das Erweichen der Asiaten schildert, beweisen auch
die erschütternden Zahlen für Irland, der ältesten Kolonie der Briten. Irland
zählte — immer wieder muß es gesagt werden — im Jahre 1840 8 287 848 Ein¬
wohner, im Jahre 1911 4 379 076, während die Bevölkerung Großbritanniens in
der gleichen Zeit von 18 534 332 auf 40 831 396 stieg. Kein Sophisma) keine
Militaristische Überlegung kann über diese Tatsachen hinwegkommen. Ein Volk,
das sich selbst aufgibt, ist verloren und kann auch idealen Aufgaben nicht mehr
genügen.

Aber freilich, es muß auch ein Volk sein, es muß sich auch als Volk fühlen.
Ist es dazu wirklich nötig, daß ihm die Fremden, Engländer, Amerikaner,
Franzosen, Polen, Tschechen handgreiflich zu verstehen geben, daß es ein Volk
ist? Deutsche sind es gewesen, die ihrem Volke nach der Katastrophe das Schicksal
der Juden prophezeit haben. Wollten doch Deutsche wenigstens das von den
Vielgeschmähten lernen, daß der eine Volksgenosse dem andern in allen Lebens¬
lagen hilfreich beisprang, unter allen Umständen den Volksgenossen höher stellte
als den Fremden. Wo immer ich im Auslande Deutschen begegnet bin, ob es
Kaufleute waren, Politiker oder Künstler, immer zeterten sie gegeneinander oder
setzten zu allererst einmal den Konkurrenten oder Mitstrebenden vor den Ohren


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[0160] Weltspiegel Schon während des Krieges fiel in einer Versammlung führender Männer Deutschlands das aufregende Wort: Die jetzige Generation ist doch schon verpfuscht. Dann kam nach dem unheilvollen Telegramm der Obersten Heeresleitung die erste Abdankung an Amerika, an ein Ideal, das nicht auf deutschem Boden gewachsen war und darum deutschem Leben niemals gerecht werden konnte. Und dann zerschlagen sich die Deutschen die Köpfe untereinander und die letzten Chancen für ein freies Weiterbestehen der Nation, um Grundsätzen Geltung zu schaffen, die auf russischem Boden gewachsen oder in Köpfen von wurzellosen, anationalen, also vom Politischen abstrahierenden Theoretikern konstruiert worden waren. Und dann entdeckte der Graf Keyserling, daß das ganze politische Leben Deutschlands in den letzten fünfzig Jahren überhaupt ein grundsätzlicher Irrtum gewesen war („Deutschlands wahre Politische Mission". Otto Reicht Verlag Darmstadt). Dieses sehr ernste und an sich vieles Wahre enthaltende Schriftchen begegnet sich vielfach mit anderen Gedankengängen, die man schon vor dem Kriege äußern hören konnte. Wozu dies Streben nach Weltpolitik, es entspricht nicht dem deutschen Wesen, dessen wahre Aufgabe eine viel höhere ist. Ins Banausische über¬ setzt, heißt das: Warum lassen wir uns nicht einfach von den Engländern (aber selbst die gleichgültigsten wagen bezeichnenderweise nicht hinzuzufügen: und von den Franzosen) kolonisieren? Wir hätten augenblicklich ganz andere Aufgaben, als unser staatspolitisches Bestehen zu erhalten. Graf Keyserlings Denken ist bekanntlich stark von chinesischen und indischen Gedankengängen beeinflußt worden. Gerade aber die Fälle Chinas und Indiens lassen sich insofern mit Deutschland vergleichen, als auch dort nicht kulturell tiefer stehende Völker wie Neger oder Indianer kolonisiert wurden, sondern kulturell mindestens ebenbürtige, nach Meinung der kolonisierten Völker selbst aber über¬ legene. Und bekanntlich gibt es sowohl in China wie in Indien kluge führende Männer, die Widerstand gegen das siegreiche Herrschervolk für unnütz und zerstörerisch halten und es sogar begrüßen, daß die Engländer ihnen gewisse unangenehme Dinge wie Polizei und Steuerwesen abnehmen. Aber wie glücklich die Chinesen mit dieser Auffassung geworden sind, lehrt ihre Geschichte im 19. Jahrhundert, wie glücklich die Inder, die Zitate, die diesen Aufsatz einleiten und dem sehr lesenswerten und gerade jetzt für Deutsche lehrreichen Buche des Engländes Hyndmcm „Der Aufstieg des Morgenlandes" (deutsch erschienen bei K. F. Koester, Leipzig 1921) entnommen sind. Daß die kolonisatorischen Fähigkeiten der Engländer vielfach über¬ schätzt wurden, konnte, wer es nicht aus eigener Beobachtung wußte, bereits aus den indischen Erzählungen des Imperialisten Kipling entnehmen. Welches Glück, auch in unseren so zivilisierten Zeiten, die Kolonisierung selbst durch die angeblich zivilisierteste Nation, die die Franzosen ganz gewiß nicht sind, bedeutet, beweist eben das Buch von Hyndmcm, das das Erweichen der Asiaten schildert, beweisen auch die erschütternden Zahlen für Irland, der ältesten Kolonie der Briten. Irland zählte — immer wieder muß es gesagt werden — im Jahre 1840 8 287 848 Ein¬ wohner, im Jahre 1911 4 379 076, während die Bevölkerung Großbritanniens in der gleichen Zeit von 18 534 332 auf 40 831 396 stieg. Kein Sophisma) keine Militaristische Überlegung kann über diese Tatsachen hinwegkommen. Ein Volk, das sich selbst aufgibt, ist verloren und kann auch idealen Aufgaben nicht mehr genügen. Aber freilich, es muß auch ein Volk sein, es muß sich auch als Volk fühlen. Ist es dazu wirklich nötig, daß ihm die Fremden, Engländer, Amerikaner, Franzosen, Polen, Tschechen handgreiflich zu verstehen geben, daß es ein Volk ist? Deutsche sind es gewesen, die ihrem Volke nach der Katastrophe das Schicksal der Juden prophezeit haben. Wollten doch Deutsche wenigstens das von den Vielgeschmähten lernen, daß der eine Volksgenosse dem andern in allen Lebens¬ lagen hilfreich beisprang, unter allen Umständen den Volksgenossen höher stellte als den Fremden. Wo immer ich im Auslande Deutschen begegnet bin, ob es Kaufleute waren, Politiker oder Künstler, immer zeterten sie gegeneinander oder setzten zu allererst einmal den Konkurrenten oder Mitstrebenden vor den Ohren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/160>, abgerufen am 25.06.2024.