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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Der neue Aricgszustand

Der neue Ariegszustand
Rhenanus von
1. Die vier Phasen des Arieges.

ter Krieg vor dem Kriege begann, als Deleassö nach Faschoda
(1898) die Lntsuts ooräials zwischen dem 1870 beleidigten französi¬
schen Vormachtstreben und der seit Mitte der neunziger Jahre
entfalteten britischen Handelseifersucht gegen Deutschland wob.
Dieser Krieg vor dem Kriege dauerte bis 1914. Die Geschichte
hat ihr Urteil darüber gesprochen, daß die Offensive in diesen: grundlegenden
Kriegsabschnitt nicht bei dein Tugendbund Dentschland-Osterreich-Jtalien war.
Sie lag bei den die geographische äußere Linie und die Blockiernugsmöglichkeit
benutzenden "einkreisenden" Mächten, die Deutschland vor die Alternative militäri¬
scher oder "friedlicher", d. h. diplomatisch-merkantiler Erdrosselung stellen konnten
und gestellt haben, seit es ihnen gelungen war, den "dummen Russen" als starken
Kerl vorzuspannen. In der zweiten Kriegsphase, die von? Juli 1914 bis zum
Oktober 1918 dauerte, waren die Kriegsmittel des feindlichen Bundes auch nicht
ausschließlich, nicht einmal vorwiegend militärischer Natur. Doch gehen Nur
heute darüber hinweg, um nicht zu komplizieren.

Der Krieg nach dem Kriege, um mit Clemeueeau zu sprechen, begann
im Oktober 1918, die dritte Phase, die man als die der Vertrngsschraube bezeichnen
kann. Sie endigte erst im März 1921 in London. Dort begann die bisher letzte
Phase, in welcher sich die offene Gewalt des Feindes von dem Schein des
Vertrags abgelöst hat. Diesen Einschnitt richtig zu verstehen, bedingt für uns
die einzige Möglichkeit, unsere Taktik in diesem vierten Kriegsabschnitt vielleicht
treffender zu gestalten als in den drei früheren, in denen wir stets an falscher
Einschätzung des Willens und der Mittel des Feindes gescheitert sind.

Wie kam es beim Feind zu diesem Wechsel der Methode?


2. Größe und Untergang des Vertrags von Versailles.

Als Deutschland im Oktober 1918 sein erstes parlamentarisches Kabinett
erhielt und einige Monate später Professor Wilson den Ozean in umgekehrter
Richtung wie Columbus überfuhr, war die Methode der französischen und eng¬
lischen Staatskunst gegeben: einen Narren durch den anderen zu leimen. Wir
schlössen zuerst einen Vierzehn-Punkte-Vorvertrag, dann einen Waffenstillstcmdö-
vertrag, dann verschiedene Verlängerungsverträge, dann einen Friedensvertrag,
dann einen Spavertrag. Der Inhalt dieser Verträge war, verschieden. Gleich¬
bleibend war, daß wir jedesmal ein Stück Papier empfingen, worin wir auf die
im vorigen Papier behauptete Position verzichteten, und daß wir jedesmal in
kaum glaublichen Vertrauen auf die Endgültigkeit solcher Verträge glaubten, von
nun an ginge es nicht mehr weiter abwärts, vielmehr aufwärts, denn eigenes
Interesse des Feindes, Einsicht seiner demokratischen Volksmassen oder irgendeine
andere transzendentale Idee würde die "Revision" unerfüllbarer, aber von uns
unterschriebener Diktate bringen.

Die Methode, wie diese Verträge geschlossen wurden, stabilisierte neue
Verkehrsarmen. In der einen Hand den Revolver, in der anderen die Peitsche,


Der neue Aricgszustand

Der neue Ariegszustand
Rhenanus von
1. Die vier Phasen des Arieges.

ter Krieg vor dem Kriege begann, als Deleassö nach Faschoda
(1898) die Lntsuts ooräials zwischen dem 1870 beleidigten französi¬
schen Vormachtstreben und der seit Mitte der neunziger Jahre
entfalteten britischen Handelseifersucht gegen Deutschland wob.
Dieser Krieg vor dem Kriege dauerte bis 1914. Die Geschichte
hat ihr Urteil darüber gesprochen, daß die Offensive in diesen: grundlegenden
Kriegsabschnitt nicht bei dein Tugendbund Dentschland-Osterreich-Jtalien war.
Sie lag bei den die geographische äußere Linie und die Blockiernugsmöglichkeit
benutzenden „einkreisenden" Mächten, die Deutschland vor die Alternative militäri¬
scher oder „friedlicher", d. h. diplomatisch-merkantiler Erdrosselung stellen konnten
und gestellt haben, seit es ihnen gelungen war, den „dummen Russen" als starken
Kerl vorzuspannen. In der zweiten Kriegsphase, die von? Juli 1914 bis zum
Oktober 1918 dauerte, waren die Kriegsmittel des feindlichen Bundes auch nicht
ausschließlich, nicht einmal vorwiegend militärischer Natur. Doch gehen Nur
heute darüber hinweg, um nicht zu komplizieren.

Der Krieg nach dem Kriege, um mit Clemeueeau zu sprechen, begann
im Oktober 1918, die dritte Phase, die man als die der Vertrngsschraube bezeichnen
kann. Sie endigte erst im März 1921 in London. Dort begann die bisher letzte
Phase, in welcher sich die offene Gewalt des Feindes von dem Schein des
Vertrags abgelöst hat. Diesen Einschnitt richtig zu verstehen, bedingt für uns
die einzige Möglichkeit, unsere Taktik in diesem vierten Kriegsabschnitt vielleicht
treffender zu gestalten als in den drei früheren, in denen wir stets an falscher
Einschätzung des Willens und der Mittel des Feindes gescheitert sind.

Wie kam es beim Feind zu diesem Wechsel der Methode?


2. Größe und Untergang des Vertrags von Versailles.

Als Deutschland im Oktober 1918 sein erstes parlamentarisches Kabinett
erhielt und einige Monate später Professor Wilson den Ozean in umgekehrter
Richtung wie Columbus überfuhr, war die Methode der französischen und eng¬
lischen Staatskunst gegeben: einen Narren durch den anderen zu leimen. Wir
schlössen zuerst einen Vierzehn-Punkte-Vorvertrag, dann einen Waffenstillstcmdö-
vertrag, dann verschiedene Verlängerungsverträge, dann einen Friedensvertrag,
dann einen Spavertrag. Der Inhalt dieser Verträge war, verschieden. Gleich¬
bleibend war, daß wir jedesmal ein Stück Papier empfingen, worin wir auf die
im vorigen Papier behauptete Position verzichteten, und daß wir jedesmal in
kaum glaublichen Vertrauen auf die Endgültigkeit solcher Verträge glaubten, von
nun an ginge es nicht mehr weiter abwärts, vielmehr aufwärts, denn eigenes
Interesse des Feindes, Einsicht seiner demokratischen Volksmassen oder irgendeine
andere transzendentale Idee würde die „Revision" unerfüllbarer, aber von uns
unterschriebener Diktate bringen.

Die Methode, wie diese Verträge geschlossen wurden, stabilisierte neue
Verkehrsarmen. In der einen Hand den Revolver, in der anderen die Peitsche,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/12>, abgerufen am 23.11.2024.