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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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an dieser Stelle bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Verschiedene
Male schon, zuletzt noch Ende Oktober hat Lloyd George den immer wieder am
Widerstande namentlich der Franzosen gescheiterten Versuch gemacht, die
Souveränität des Obersten Alliierten-Rates dem Völkerbund zu übertragen, das
heißt, sür England innerhalb des Völkerbundes die hervorragende und vor allem
führende Stellung zu erringen, die es im Alliierten-Rat hat und Lloyd George
selber war es, der zur Beunruhigung der Franzosen die Absicht geäußert hätte,
an den letzten Verhandlungen der Genfer Tagung (als unbeauftragter Präses)
persönlich teilzunehmen. Daß dies trotz Balfours Gegensätze versöhnender
Geschicklichkeit nicht geschehen ist und nicht geschehen konnte, beweist, daß die
Situation für England nicht reif war, daß auch für spezifisch englische Ziele der
Völkerbund sich nicht verwenden läßt.

Aber, das wurde schon im vorigen Heft erörtert, es ist die Frage, ob man
in Deutschland dies Ergebnis begrüßen soll. Kommt unter englischer Führung
ein mindestens europäischer Völkerbund, der keine agressive Spitze gegen Amerika
zu haben brauchte, nur zur Abwehr gegen sonst mit Sicherheit drohende amerikanische
Kolonisierung dienen könnte, nicht zustande, so ist die Entente England-Frankreich-
Polen-Rumänien unvermeidlich, und ob Deutschland von Amerika irgendwelche
reale Stütze erwarten könnte -- Rußland ist, solange der augenblickliche Zustand
im Innern fortdauert, ein wirtschaftspolitisch durchaus unberechenbarer Faktor -- ist
mindestens zweifelhaft. Man vergißt bei uns gar zu leicht, daß Deutschland für
den Nordamerikaner keineswegs die Wichtigkeit hat, wie Nordamerika für uns.

Aus diesem Grunde darf die Möglichkeit eines Beitritts Deutschlands zum
Völkerbund nicht so glatt abgewiesen werden, wie das bei uns heute vielfach von
feiten Mißtrauischer, Verärgerter, Enttäuschter oder grundsätzlicher Skeptiker
geschieht. Auf alle Fälle sollte man es sich angelegen sein lassen, in der Öffent¬
lichkeit eine Disposition für den Eintritt, der ja mit allen Vorbehalten und mit
offenen, durch pazifistischen Dusel nicht eingeschläferten Augen geschehen könnte, zu
schaffen. Ein reiner Feindverband ist der Völkerbund wie gesagt nicht mehr.
Tritt aber Deutschland ihm bei, so wird es innerhalb seiner seine begründeten
und berechtigten Ansprüche viel wirksamer vertreten können als außerhalb. Daß
diese Auffassung richtig ist, beweist, daß gerade auch Deutschlands schlimmste
Feinde, französische Nationalisten, sie teilen und sich gerade deshalb gegen die
"vorzeitige" Aufnahme Deutschlands sträuben. Deutschland aber verfügt augen¬
blicklich nicht über soviel Machtmittel, als daß es eine derartige Chance, Einfluß
auf die Weltpolitik zu gewinnen außer acht lassen könnte. Auch das Argument,
es sei vor endgültiger Stellungnahme der Vereinigten Staaten eine Erklärung
für oder wider die Beitrutsbereüschaft Deutschlands nicht opportun, ist hinfällig,
denn eben hinter dies Argument verschanzen sich auch alle gegen England gerichteten
Widerstände wiederum Frankreichs. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß wir das
Beispiel Bulgariens oder Österreichs nachahmen und mehr oder weniger würde¬
los um unsere Aufnahme flehen sollten. Nichts würde törichter sein und die Er¬
klärung des deutschen Außenministers, daß Deutschland sich nicht aufdrängt, ist
durchaus zu billigen. Ein Aufnahmegesuch Deutschlands darf nur als bloße
Formalität und nur dann gestellt werden, wenn über die Aufnahme Deutschlands
keinerlei Diskussion mehr entstehen kann. Aber bis dahin muß in der deutschen
Öffentlichkeit eine entsprechende Disposition geschaffen sein, aus der heraus die
politische (nicht die chiliastische) Bedeutung dieses Schrittes gewürdigt und verstanden
werden kann. Durch bloßes bettelstolzes Beiseitestehen erreichen wir gar nichts.

Schon deshalb nicht, weil wir es unter allen Umständen vermeiden müßten,
daß andre Länder die Völkerbundidee als ihr ausschließliches ge feiges Eigentum
monopolisieren, und daß diese Idee beispielsweise französische Prägung bekommt.
Daß diese Gefahr besteht, beweisen nicht nur die Reden Vivianis in Genf, sondern
die garne Art, wie in Frankreich selbst die Völkerbundidee systematisch propagiert
wird. Schon zu Beginn des Jahres veranstaltete der französische Völkerbunds¬
verband in der Sorbonne eine Kundgebung, bei der nicht nur die Spitzen saur-


Weltspiegel

an dieser Stelle bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Verschiedene
Male schon, zuletzt noch Ende Oktober hat Lloyd George den immer wieder am
Widerstande namentlich der Franzosen gescheiterten Versuch gemacht, die
Souveränität des Obersten Alliierten-Rates dem Völkerbund zu übertragen, das
heißt, sür England innerhalb des Völkerbundes die hervorragende und vor allem
führende Stellung zu erringen, die es im Alliierten-Rat hat und Lloyd George
selber war es, der zur Beunruhigung der Franzosen die Absicht geäußert hätte,
an den letzten Verhandlungen der Genfer Tagung (als unbeauftragter Präses)
persönlich teilzunehmen. Daß dies trotz Balfours Gegensätze versöhnender
Geschicklichkeit nicht geschehen ist und nicht geschehen konnte, beweist, daß die
Situation für England nicht reif war, daß auch für spezifisch englische Ziele der
Völkerbund sich nicht verwenden läßt.

Aber, das wurde schon im vorigen Heft erörtert, es ist die Frage, ob man
in Deutschland dies Ergebnis begrüßen soll. Kommt unter englischer Führung
ein mindestens europäischer Völkerbund, der keine agressive Spitze gegen Amerika
zu haben brauchte, nur zur Abwehr gegen sonst mit Sicherheit drohende amerikanische
Kolonisierung dienen könnte, nicht zustande, so ist die Entente England-Frankreich-
Polen-Rumänien unvermeidlich, und ob Deutschland von Amerika irgendwelche
reale Stütze erwarten könnte — Rußland ist, solange der augenblickliche Zustand
im Innern fortdauert, ein wirtschaftspolitisch durchaus unberechenbarer Faktor — ist
mindestens zweifelhaft. Man vergißt bei uns gar zu leicht, daß Deutschland für
den Nordamerikaner keineswegs die Wichtigkeit hat, wie Nordamerika für uns.

Aus diesem Grunde darf die Möglichkeit eines Beitritts Deutschlands zum
Völkerbund nicht so glatt abgewiesen werden, wie das bei uns heute vielfach von
feiten Mißtrauischer, Verärgerter, Enttäuschter oder grundsätzlicher Skeptiker
geschieht. Auf alle Fälle sollte man es sich angelegen sein lassen, in der Öffent¬
lichkeit eine Disposition für den Eintritt, der ja mit allen Vorbehalten und mit
offenen, durch pazifistischen Dusel nicht eingeschläferten Augen geschehen könnte, zu
schaffen. Ein reiner Feindverband ist der Völkerbund wie gesagt nicht mehr.
Tritt aber Deutschland ihm bei, so wird es innerhalb seiner seine begründeten
und berechtigten Ansprüche viel wirksamer vertreten können als außerhalb. Daß
diese Auffassung richtig ist, beweist, daß gerade auch Deutschlands schlimmste
Feinde, französische Nationalisten, sie teilen und sich gerade deshalb gegen die
„vorzeitige" Aufnahme Deutschlands sträuben. Deutschland aber verfügt augen¬
blicklich nicht über soviel Machtmittel, als daß es eine derartige Chance, Einfluß
auf die Weltpolitik zu gewinnen außer acht lassen könnte. Auch das Argument,
es sei vor endgültiger Stellungnahme der Vereinigten Staaten eine Erklärung
für oder wider die Beitrutsbereüschaft Deutschlands nicht opportun, ist hinfällig,
denn eben hinter dies Argument verschanzen sich auch alle gegen England gerichteten
Widerstände wiederum Frankreichs. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß wir das
Beispiel Bulgariens oder Österreichs nachahmen und mehr oder weniger würde¬
los um unsere Aufnahme flehen sollten. Nichts würde törichter sein und die Er¬
klärung des deutschen Außenministers, daß Deutschland sich nicht aufdrängt, ist
durchaus zu billigen. Ein Aufnahmegesuch Deutschlands darf nur als bloße
Formalität und nur dann gestellt werden, wenn über die Aufnahme Deutschlands
keinerlei Diskussion mehr entstehen kann. Aber bis dahin muß in der deutschen
Öffentlichkeit eine entsprechende Disposition geschaffen sein, aus der heraus die
politische (nicht die chiliastische) Bedeutung dieses Schrittes gewürdigt und verstanden
werden kann. Durch bloßes bettelstolzes Beiseitestehen erreichen wir gar nichts.

Schon deshalb nicht, weil wir es unter allen Umständen vermeiden müßten,
daß andre Länder die Völkerbundidee als ihr ausschließliches ge feiges Eigentum
monopolisieren, und daß diese Idee beispielsweise französische Prägung bekommt.
Daß diese Gefahr besteht, beweisen nicht nur die Reden Vivianis in Genf, sondern
die garne Art, wie in Frankreich selbst die Völkerbundidee systematisch propagiert
wird. Schon zu Beginn des Jahres veranstaltete der französische Völkerbunds¬
verband in der Sorbonne eine Kundgebung, bei der nicht nur die Spitzen saur-


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[0040] Weltspiegel an dieser Stelle bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. Verschiedene Male schon, zuletzt noch Ende Oktober hat Lloyd George den immer wieder am Widerstande namentlich der Franzosen gescheiterten Versuch gemacht, die Souveränität des Obersten Alliierten-Rates dem Völkerbund zu übertragen, das heißt, sür England innerhalb des Völkerbundes die hervorragende und vor allem führende Stellung zu erringen, die es im Alliierten-Rat hat und Lloyd George selber war es, der zur Beunruhigung der Franzosen die Absicht geäußert hätte, an den letzten Verhandlungen der Genfer Tagung (als unbeauftragter Präses) persönlich teilzunehmen. Daß dies trotz Balfours Gegensätze versöhnender Geschicklichkeit nicht geschehen ist und nicht geschehen konnte, beweist, daß die Situation für England nicht reif war, daß auch für spezifisch englische Ziele der Völkerbund sich nicht verwenden läßt. Aber, das wurde schon im vorigen Heft erörtert, es ist die Frage, ob man in Deutschland dies Ergebnis begrüßen soll. Kommt unter englischer Führung ein mindestens europäischer Völkerbund, der keine agressive Spitze gegen Amerika zu haben brauchte, nur zur Abwehr gegen sonst mit Sicherheit drohende amerikanische Kolonisierung dienen könnte, nicht zustande, so ist die Entente England-Frankreich- Polen-Rumänien unvermeidlich, und ob Deutschland von Amerika irgendwelche reale Stütze erwarten könnte — Rußland ist, solange der augenblickliche Zustand im Innern fortdauert, ein wirtschaftspolitisch durchaus unberechenbarer Faktor — ist mindestens zweifelhaft. Man vergißt bei uns gar zu leicht, daß Deutschland für den Nordamerikaner keineswegs die Wichtigkeit hat, wie Nordamerika für uns. Aus diesem Grunde darf die Möglichkeit eines Beitritts Deutschlands zum Völkerbund nicht so glatt abgewiesen werden, wie das bei uns heute vielfach von feiten Mißtrauischer, Verärgerter, Enttäuschter oder grundsätzlicher Skeptiker geschieht. Auf alle Fälle sollte man es sich angelegen sein lassen, in der Öffent¬ lichkeit eine Disposition für den Eintritt, der ja mit allen Vorbehalten und mit offenen, durch pazifistischen Dusel nicht eingeschläferten Augen geschehen könnte, zu schaffen. Ein reiner Feindverband ist der Völkerbund wie gesagt nicht mehr. Tritt aber Deutschland ihm bei, so wird es innerhalb seiner seine begründeten und berechtigten Ansprüche viel wirksamer vertreten können als außerhalb. Daß diese Auffassung richtig ist, beweist, daß gerade auch Deutschlands schlimmste Feinde, französische Nationalisten, sie teilen und sich gerade deshalb gegen die „vorzeitige" Aufnahme Deutschlands sträuben. Deutschland aber verfügt augen¬ blicklich nicht über soviel Machtmittel, als daß es eine derartige Chance, Einfluß auf die Weltpolitik zu gewinnen außer acht lassen könnte. Auch das Argument, es sei vor endgültiger Stellungnahme der Vereinigten Staaten eine Erklärung für oder wider die Beitrutsbereüschaft Deutschlands nicht opportun, ist hinfällig, denn eben hinter dies Argument verschanzen sich auch alle gegen England gerichteten Widerstände wiederum Frankreichs. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß wir das Beispiel Bulgariens oder Österreichs nachahmen und mehr oder weniger würde¬ los um unsere Aufnahme flehen sollten. Nichts würde törichter sein und die Er¬ klärung des deutschen Außenministers, daß Deutschland sich nicht aufdrängt, ist durchaus zu billigen. Ein Aufnahmegesuch Deutschlands darf nur als bloße Formalität und nur dann gestellt werden, wenn über die Aufnahme Deutschlands keinerlei Diskussion mehr entstehen kann. Aber bis dahin muß in der deutschen Öffentlichkeit eine entsprechende Disposition geschaffen sein, aus der heraus die politische (nicht die chiliastische) Bedeutung dieses Schrittes gewürdigt und verstanden werden kann. Durch bloßes bettelstolzes Beiseitestehen erreichen wir gar nichts. Schon deshalb nicht, weil wir es unter allen Umständen vermeiden müßten, daß andre Länder die Völkerbundidee als ihr ausschließliches ge feiges Eigentum monopolisieren, und daß diese Idee beispielsweise französische Prägung bekommt. Daß diese Gefahr besteht, beweisen nicht nur die Reden Vivianis in Genf, sondern die garne Art, wie in Frankreich selbst die Völkerbundidee systematisch propagiert wird. Schon zu Beginn des Jahres veranstaltete der französische Völkerbunds¬ verband in der Sorbonne eine Kundgebung, bei der nicht nur die Spitzen saur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/40>, abgerufen am 28.12.2024.