Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Line ZVinterrcise nach dem Westen cholischer lilafarbener Hauch wie die Farbe der Herbstzeitlosen, weite Strecken, Am Himmel dämmerte langsam der Morgen auf, fahl und verödet dehnt Hier und dort sind einige Häuserreihen erhalten geblieben, Cas6s mit Line ZVinterrcise nach dem Westen cholischer lilafarbener Hauch wie die Farbe der Herbstzeitlosen, weite Strecken, Am Himmel dämmerte langsam der Morgen auf, fahl und verödet dehnt Hier und dort sind einige Häuserreihen erhalten geblieben, Cas6s mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338788"/> <fw type="header" place="top"> Line ZVinterrcise nach dem Westen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1317" prev="#ID_1316"> cholischer lilafarbener Hauch wie die Farbe der Herbstzeitlosen, weite Strecken,<lb/> Bombenfelder, Granattrichter an Granattrichter. Hier und dort stehen Baracken, die<lb/> man an Stelle der verschwundenen Dörfer hingesetzt hat. Um ein ödes verlorenes<lb/> Bahnhöfchen gruppiert sich das ehemalige Dorf, zehn Hütten aus Holz oder<lb/> Leinwandzelte, deren Dach im Winde flattert, das unvermeidliche ,0»k6 as äsux<lb/> S-irss^ die bouliMMris, das Stationsgebäude, das ist alles. Dahinter tut sich die<lb/> Wüste auf, schweigend und kahl, wie von einem Sturm leergefegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1318"> Am Himmel dämmerte langsam der Morgen auf, fahl und verödet dehnt<lb/> sich die Ebene, und die fernen Hügel, die Verdun wie eine natürliche Festung um¬<lb/> schließen, tauchen auf. Nackt, kahl im Morgengrauen, erinnern sie an die un¬<lb/> fruchtbare Meeresküste des hohen Nordens, Ruinen erscheinen im Tal dahingestreut<lb/> wie durch Zufall, die beiden charakteristischen Türme der Kathedrale erheben sich<lb/> vor uns^ aber was sich da im grauen Dunst aufreckt, ist nur noch ein Gerippe<lb/> des einstigen Doms. Unter dächerlosen Ruinen hier und dort ein leuchtend rotes<lb/> Ziegeldach, ein rauchender vereinzelter Schornstein unter verschütteten Geröll,<lb/> Verdun liegt vor mir. Die blaugrauen Stauweiher vor der Stadt glänzen wie<lb/> Opale in der Sonne. Totenstill liegt der Kanal, leblos wie vergessen liegen ein<lb/> paar Schiffe auf der Maas, deren erbsengelbes Wasser traurig dahinfließt. Auf<lb/> dem kleinen Bahnhof ein paar Bauern, ein paar Soldaten und wir. Das Denkmal<lb/> hinter dem Stationsgebäude stellt die Verteidiger Verbums aus einer früheren<lb/> Kriegszeit darstellt, macht einen verwahrlosten Eindruck, das Gitter ist umgefallen,<lb/> niemand kümmert sich darum, die Kühe trampeln drüber, die Soldaten. Rechts<lb/> und links davon Buden, in denen alles feilgehalten wird, was der Soldat braucht:<lb/> Postkarten, Kämme, Spiegel und Süßigkeiten. Eine lehmige schmutzige Straße führt<lb/> nach der Stadt, unter steinernen alten Torbogen betritt man die Geschäftsstraße.<lb/> Zusammengestürzte Stadtviertel liegen noch so da, wie die Kanonade sie zugerichtet<lb/> hat, die Steine sind zur Seite geschoben, aus den Trümmern ragt zuweilen ein<lb/> Fensterbogen, eine tapetenbeklebte Wand, ein verbogener Kronleuchter, auf den<lb/> Dächern wächst Gras und sogar ein Bäumchen.. . Andere Häuser stehen noch,<lb/> mühsam aufgerichtet, durch schwere Balken gestützt, neigen sie sich müde einander<lb/> zu, als wollten sie jede Minute zusammenbrechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1319"> Hier und dort sind einige Häuserreihen erhalten geblieben, Cas6s mit<lb/> lockenden, Konzertprogramm laden ein, vor einem Restaurant stehen Körbe mit<lb/> frischen Austern, an einer Ecke röstet ein Maronenverkäufer seine Früchte, auf<lb/> dem Markt werden Fische geschuppt, der Franzose kennt keinen Feiertag in<lb/> unserem Sinne. Die Glocken läuten, einige Kirchgänger begegnen uns in den<lb/> leeren stillen Straßen. Die Kuh Ug?«zi besteht fast nur aus Mauern, in der<lb/> Kuh <ig» IIauts-?of scheinen alle Häuser am Zusammenbrechen, unbewohnt und<lb/> zerschossen bis in die Keller, lehnen sie sich traurig aneinander. Wo sind alle die<lb/> Menschen, die einst hier wohnten, geblieben? Die Franzosen zucken die Achseln,<lb/> irgendwo, in Baracken draußen oder in Paris untergekrochen, „wo Platz lst".<lb/> Sie nehmen es ergeben auf, man begegnet keiner lauten Klage, keinem Schöpfen<lb/> auf die Negierung, das Schicksal ihres Landes ist traurig, aber sie sind Sieger.<lb/> Sie sind so leidenschaftliche Patrioten, daß der Ruhm, über Deutschland den Sieg<lb/> davongetragen zu haben, sie alles ertragen läßt. Zwölf Provinzen sind zerstört,<lb/> elf Dörfer rings um Verdun hat die Erde verschlungen...</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Line ZVinterrcise nach dem Westen
cholischer lilafarbener Hauch wie die Farbe der Herbstzeitlosen, weite Strecken,
Bombenfelder, Granattrichter an Granattrichter. Hier und dort stehen Baracken, die
man an Stelle der verschwundenen Dörfer hingesetzt hat. Um ein ödes verlorenes
Bahnhöfchen gruppiert sich das ehemalige Dorf, zehn Hütten aus Holz oder
Leinwandzelte, deren Dach im Winde flattert, das unvermeidliche ,0»k6 as äsux
S-irss^ die bouliMMris, das Stationsgebäude, das ist alles. Dahinter tut sich die
Wüste auf, schweigend und kahl, wie von einem Sturm leergefegt.
Am Himmel dämmerte langsam der Morgen auf, fahl und verödet dehnt
sich die Ebene, und die fernen Hügel, die Verdun wie eine natürliche Festung um¬
schließen, tauchen auf. Nackt, kahl im Morgengrauen, erinnern sie an die un¬
fruchtbare Meeresküste des hohen Nordens, Ruinen erscheinen im Tal dahingestreut
wie durch Zufall, die beiden charakteristischen Türme der Kathedrale erheben sich
vor uns^ aber was sich da im grauen Dunst aufreckt, ist nur noch ein Gerippe
des einstigen Doms. Unter dächerlosen Ruinen hier und dort ein leuchtend rotes
Ziegeldach, ein rauchender vereinzelter Schornstein unter verschütteten Geröll,
Verdun liegt vor mir. Die blaugrauen Stauweiher vor der Stadt glänzen wie
Opale in der Sonne. Totenstill liegt der Kanal, leblos wie vergessen liegen ein
paar Schiffe auf der Maas, deren erbsengelbes Wasser traurig dahinfließt. Auf
dem kleinen Bahnhof ein paar Bauern, ein paar Soldaten und wir. Das Denkmal
hinter dem Stationsgebäude stellt die Verteidiger Verbums aus einer früheren
Kriegszeit darstellt, macht einen verwahrlosten Eindruck, das Gitter ist umgefallen,
niemand kümmert sich darum, die Kühe trampeln drüber, die Soldaten. Rechts
und links davon Buden, in denen alles feilgehalten wird, was der Soldat braucht:
Postkarten, Kämme, Spiegel und Süßigkeiten. Eine lehmige schmutzige Straße führt
nach der Stadt, unter steinernen alten Torbogen betritt man die Geschäftsstraße.
Zusammengestürzte Stadtviertel liegen noch so da, wie die Kanonade sie zugerichtet
hat, die Steine sind zur Seite geschoben, aus den Trümmern ragt zuweilen ein
Fensterbogen, eine tapetenbeklebte Wand, ein verbogener Kronleuchter, auf den
Dächern wächst Gras und sogar ein Bäumchen.. . Andere Häuser stehen noch,
mühsam aufgerichtet, durch schwere Balken gestützt, neigen sie sich müde einander
zu, als wollten sie jede Minute zusammenbrechen.
Hier und dort sind einige Häuserreihen erhalten geblieben, Cas6s mit
lockenden, Konzertprogramm laden ein, vor einem Restaurant stehen Körbe mit
frischen Austern, an einer Ecke röstet ein Maronenverkäufer seine Früchte, auf
dem Markt werden Fische geschuppt, der Franzose kennt keinen Feiertag in
unserem Sinne. Die Glocken läuten, einige Kirchgänger begegnen uns in den
leeren stillen Straßen. Die Kuh Ug?«zi besteht fast nur aus Mauern, in der
Kuh <ig» IIauts-?of scheinen alle Häuser am Zusammenbrechen, unbewohnt und
zerschossen bis in die Keller, lehnen sie sich traurig aneinander. Wo sind alle die
Menschen, die einst hier wohnten, geblieben? Die Franzosen zucken die Achseln,
irgendwo, in Baracken draußen oder in Paris untergekrochen, „wo Platz lst".
Sie nehmen es ergeben auf, man begegnet keiner lauten Klage, keinem Schöpfen
auf die Negierung, das Schicksal ihres Landes ist traurig, aber sie sind Sieger.
Sie sind so leidenschaftliche Patrioten, daß der Ruhm, über Deutschland den Sieg
davongetragen zu haben, sie alles ertragen läßt. Zwölf Provinzen sind zerstört,
elf Dörfer rings um Verdun hat die Erde verschlungen...
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