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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Das neue und seine Vorzüge

Volk des Altertums als unentbehrliche Requisiten betrachtet. Heute würde i"ein
vielleicht besser sagen: Zigaretten und Kino.

Die alte Armee arbeitete hierin leichter. Die Idee, der sie diente, war
zugkräftiger. Auf die Person eines Monarchen vereidigt, stand sie diesem persönlich
nahe, fast wie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis. Der Monarch stand,
auch wenn er manchem ein Dorn im Auge war, doch immer über den Parteien.

Der Reichspräsident ist und bleibt ein Parteimann, er mag noch so loyal
seines Amtes walten. Denn so bestimmt es die Verfassung, das papierne Etwas,
auf das der Soldat schwört, ohne es genau zu kennen, geschweige denn wirklich
zu verstehen. Auch wenn das Heer verfassungsmäßig noch so sehr entpolitisiert
wird, der Reichspräsident wird' bei jedem einzelnen Angehörigen des Heeres
verschiedene politische Empfindungen auslösen, je nachdem er Liebknecht oder
Scheidemann, Payer oder Gröner oder Hindenburg heißt.

Wir haben bald nach der Revolution, aber auch noch erheblich später
Neichswehrtruppen gesehen, zu denen auch der größte Optimist nicht das Ver¬
trauen haben konnte, daß sie bis zum letzten Atemzuge für Verfassung, Ruhe
und Ordnung kämpfen würden. Wir hätten sonst niemals der Einwohner-
wehren bedurft, die ja anch nur dadurch der äußersten Linken im Lande und
damit unseren äußeren Feinden verdächtig werden konnten, daß sie den spartakistisch
angehauchten Teilen innerhalb der Reichswehr feindlich gegenüberstanden. Das
Reichsheer stammt nun einmal von der Reichswehr, und diese wiederum aus den
demobilisierten Trümmern der Armee von 19.18, die vielfach geradezu die Träger
des Umsturzes gewesen sind. Wir hoffen daher, daß die Vorgesetzten ein wachsames
Auge haben werden, ob die EntPolitisierung des neuen Heeres wirklich stattfindet.
Das ist nicht leicht, weil die Offiziere bei Beginn der Revolution sich allzusehr
an das Gegenteil gewöhnen mußten.

Und wenn das junge Reichsheer im Gegensatz zu seiner wirklichen
Abstammungsgeschichte sich als die Fortsetzung unserer alten glänzenden Friedens---
armee fühlt, so kann das im Interesse von Ruhe und Ordnung im Lande nur
erwünscht sein. Aber man muß sich klar darüber bleiben, daß dies eine geschicht¬
lich? Fiktion ist, wie z. B. die nachträgliche Übertragung der Überlieferungen der
hannoverischen Regimenter auf preußische. Wer Träger von Überlieferungen ist,
sei des Wortes eingedenk: ^odlesso ">>UM! Das ist nützlich, denn es ist schwieriger,
"sür Verfassung und Reichspräsident" zu sterben, als "mit Gott, für König und
Vaterland".

Erfreulich ist, daß endlich auch in weiten Kreisen des Volkes die Erkenntnis
aufgedämmert ist, daß eine Regierung, hinter der keine bewaffnete Macht steht,
nichts anderes ist als eine Marionette, daß auch die harmlosesten Verfügungen
einer niederen Verwaltungsbehörde nur dann Aussicht auf Durchführung haben,
wenn hinter dem ganzen Beamten- und Verfügnngsapparat eine Regierung steht,
die sowohl den Wik l en als die M n es t hat, Gehorsam zu erzwingen.
Für die Festigung der Reichswehr darf deshalb kein Geldopfer zu schwer sein.
Der Irrtum der ersten Revolutionstage, wonach in freiwilligem Gehorsam "alles
durch das Volk für das Volk" geschehen würde und wonach es jetzt "eine Lust
wäre zu leben, nachdem die Geister erwacht wären", ist ja glücklicherweise über¬
wunden.-


Das neue und seine Vorzüge

Volk des Altertums als unentbehrliche Requisiten betrachtet. Heute würde i»ein
vielleicht besser sagen: Zigaretten und Kino.

Die alte Armee arbeitete hierin leichter. Die Idee, der sie diente, war
zugkräftiger. Auf die Person eines Monarchen vereidigt, stand sie diesem persönlich
nahe, fast wie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis. Der Monarch stand,
auch wenn er manchem ein Dorn im Auge war, doch immer über den Parteien.

Der Reichspräsident ist und bleibt ein Parteimann, er mag noch so loyal
seines Amtes walten. Denn so bestimmt es die Verfassung, das papierne Etwas,
auf das der Soldat schwört, ohne es genau zu kennen, geschweige denn wirklich
zu verstehen. Auch wenn das Heer verfassungsmäßig noch so sehr entpolitisiert
wird, der Reichspräsident wird' bei jedem einzelnen Angehörigen des Heeres
verschiedene politische Empfindungen auslösen, je nachdem er Liebknecht oder
Scheidemann, Payer oder Gröner oder Hindenburg heißt.

Wir haben bald nach der Revolution, aber auch noch erheblich später
Neichswehrtruppen gesehen, zu denen auch der größte Optimist nicht das Ver¬
trauen haben konnte, daß sie bis zum letzten Atemzuge für Verfassung, Ruhe
und Ordnung kämpfen würden. Wir hätten sonst niemals der Einwohner-
wehren bedurft, die ja anch nur dadurch der äußersten Linken im Lande und
damit unseren äußeren Feinden verdächtig werden konnten, daß sie den spartakistisch
angehauchten Teilen innerhalb der Reichswehr feindlich gegenüberstanden. Das
Reichsheer stammt nun einmal von der Reichswehr, und diese wiederum aus den
demobilisierten Trümmern der Armee von 19.18, die vielfach geradezu die Träger
des Umsturzes gewesen sind. Wir hoffen daher, daß die Vorgesetzten ein wachsames
Auge haben werden, ob die EntPolitisierung des neuen Heeres wirklich stattfindet.
Das ist nicht leicht, weil die Offiziere bei Beginn der Revolution sich allzusehr
an das Gegenteil gewöhnen mußten.

Und wenn das junge Reichsheer im Gegensatz zu seiner wirklichen
Abstammungsgeschichte sich als die Fortsetzung unserer alten glänzenden Friedens---
armee fühlt, so kann das im Interesse von Ruhe und Ordnung im Lande nur
erwünscht sein. Aber man muß sich klar darüber bleiben, daß dies eine geschicht¬
lich? Fiktion ist, wie z. B. die nachträgliche Übertragung der Überlieferungen der
hannoverischen Regimenter auf preußische. Wer Träger von Überlieferungen ist,
sei des Wortes eingedenk: ^odlesso »>>UM! Das ist nützlich, denn es ist schwieriger,
„sür Verfassung und Reichspräsident" zu sterben, als „mit Gott, für König und
Vaterland".

Erfreulich ist, daß endlich auch in weiten Kreisen des Volkes die Erkenntnis
aufgedämmert ist, daß eine Regierung, hinter der keine bewaffnete Macht steht,
nichts anderes ist als eine Marionette, daß auch die harmlosesten Verfügungen
einer niederen Verwaltungsbehörde nur dann Aussicht auf Durchführung haben,
wenn hinter dem ganzen Beamten- und Verfügnngsapparat eine Regierung steht,
die sowohl den Wik l en als die M n es t hat, Gehorsam zu erzwingen.
Für die Festigung der Reichswehr darf deshalb kein Geldopfer zu schwer sein.
Der Irrtum der ersten Revolutionstage, wonach in freiwilligem Gehorsam „alles
durch das Volk für das Volk" geschehen würde und wonach es jetzt „eine Lust
wäre zu leben, nachdem die Geister erwacht wären", ist ja glücklicherweise über¬
wunden.-


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[0348] Das neue und seine Vorzüge Volk des Altertums als unentbehrliche Requisiten betrachtet. Heute würde i»ein vielleicht besser sagen: Zigaretten und Kino. Die alte Armee arbeitete hierin leichter. Die Idee, der sie diente, war zugkräftiger. Auf die Person eines Monarchen vereidigt, stand sie diesem persönlich nahe, fast wie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis. Der Monarch stand, auch wenn er manchem ein Dorn im Auge war, doch immer über den Parteien. Der Reichspräsident ist und bleibt ein Parteimann, er mag noch so loyal seines Amtes walten. Denn so bestimmt es die Verfassung, das papierne Etwas, auf das der Soldat schwört, ohne es genau zu kennen, geschweige denn wirklich zu verstehen. Auch wenn das Heer verfassungsmäßig noch so sehr entpolitisiert wird, der Reichspräsident wird' bei jedem einzelnen Angehörigen des Heeres verschiedene politische Empfindungen auslösen, je nachdem er Liebknecht oder Scheidemann, Payer oder Gröner oder Hindenburg heißt. Wir haben bald nach der Revolution, aber auch noch erheblich später Neichswehrtruppen gesehen, zu denen auch der größte Optimist nicht das Ver¬ trauen haben konnte, daß sie bis zum letzten Atemzuge für Verfassung, Ruhe und Ordnung kämpfen würden. Wir hätten sonst niemals der Einwohner- wehren bedurft, die ja anch nur dadurch der äußersten Linken im Lande und damit unseren äußeren Feinden verdächtig werden konnten, daß sie den spartakistisch angehauchten Teilen innerhalb der Reichswehr feindlich gegenüberstanden. Das Reichsheer stammt nun einmal von der Reichswehr, und diese wiederum aus den demobilisierten Trümmern der Armee von 19.18, die vielfach geradezu die Träger des Umsturzes gewesen sind. Wir hoffen daher, daß die Vorgesetzten ein wachsames Auge haben werden, ob die EntPolitisierung des neuen Heeres wirklich stattfindet. Das ist nicht leicht, weil die Offiziere bei Beginn der Revolution sich allzusehr an das Gegenteil gewöhnen mußten. Und wenn das junge Reichsheer im Gegensatz zu seiner wirklichen Abstammungsgeschichte sich als die Fortsetzung unserer alten glänzenden Friedens--- armee fühlt, so kann das im Interesse von Ruhe und Ordnung im Lande nur erwünscht sein. Aber man muß sich klar darüber bleiben, daß dies eine geschicht¬ lich? Fiktion ist, wie z. B. die nachträgliche Übertragung der Überlieferungen der hannoverischen Regimenter auf preußische. Wer Träger von Überlieferungen ist, sei des Wortes eingedenk: ^odlesso »>>UM! Das ist nützlich, denn es ist schwieriger, „sür Verfassung und Reichspräsident" zu sterben, als „mit Gott, für König und Vaterland". Erfreulich ist, daß endlich auch in weiten Kreisen des Volkes die Erkenntnis aufgedämmert ist, daß eine Regierung, hinter der keine bewaffnete Macht steht, nichts anderes ist als eine Marionette, daß auch die harmlosesten Verfügungen einer niederen Verwaltungsbehörde nur dann Aussicht auf Durchführung haben, wenn hinter dem ganzen Beamten- und Verfügnngsapparat eine Regierung steht, die sowohl den Wik l en als die M n es t hat, Gehorsam zu erzwingen. Für die Festigung der Reichswehr darf deshalb kein Geldopfer zu schwer sein. Der Irrtum der ersten Revolutionstage, wonach in freiwilligem Gehorsam „alles durch das Volk für das Volk" geschehen würde und wonach es jetzt „eine Lust wäre zu leben, nachdem die Geister erwacht wären", ist ja glücklicherweise über¬ wunden.-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/348>, abgerufen am 29.12.2024.