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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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auf und ab". Der spirituale Typ wächst el-e?l-ouato (Aufstreben, Sehnen, Aktivität,
Mühe, Sichverklären), der erste Pantheistische Typ fällt mühelos "wie ein gesättigter
Tropfen", geht "mit dem Atem", der zweite "wühlt".

Der spirituale Typ straffe die körperlichen Begleitsunktionen, bevorzugt in
der Dichtung das fortschreitende, energische Tätigkeitswort vor dem zuständlichen
Eigenschaftswort, in der Musik den Rhythmus vor der Harmonie, zielt auf die
Zukunft, nicht auf die Vergangenheit. Dem ersten Pantheistischen Typ ist die
Harmonie und die Vergangenheit, dem zweiten die Dissonanz, die Ewigkeit und
das Symbol konform.

Es ist unmöglich, in einem Referat die Fülle der Gedanken und Beob¬
achtungen wiederzugeben, welche das Nohlsche Buch zu einem der beziehungs-
rcichsten Lichtpunkte der zeitgenössischen geistesqcschichtlichen - Forschung machen.
Schade, daß Rost, der heute schon wieder erheblich weitergekommen ist als 1915,
die beiden alten Arbeiten unverändert zusammen gedruckt hat, so daß er weder
den naturalistischen Typ in Dichtung und Musik, noch andererseits den zweiten
pantheistischen, den "wühlenden" Typ in der Malerei entwickelt hat.

Überläßt er das dem Fortgang der Wissenschaft, die sich durch solche
Forschungen in der Tat zu neuen Entdeckungen angeregt fühlen darf, oder wird
ihm Eugen Diederichs für die Wohl bald benötigte Neuauflage auch eine wirkliche
Neuschöpfung seiner im Fluß befindlichen Systematik abringen?

Mit wenigen Stichworten sei noch angedeutet, wie eine solche Verbindung
und Ergänzung der Rostschen Gedanken vielleicht aussehen könnte:

Im Stil eines Künstlers mischt sich der Typus seiner Gefühlsweise mit dem
Typus seines Milieus. Die drei typischen Gefühlsweisen (der zweiten Rostschen
Abhandlung) könnte man als strebend (gotisch im Sinne Schefflers), harmonisch
(griechisch im Sinne Schefflers) und barock bezeichnen. Die strebende Gefühlsweise
steht in innerem Zusammenhang mit einer spiritualistischen Weltauffassung, oder
umgekehrt gesprochen, die letztere Prägt die Ausdrucksformeii der strebenden Gefühls¬
weise auch Kimstlerpersönlichkeitcn von anderer Art um so stärker und einheitlicher
auf, je stärker und einheitlicher die spirituale Weltanschauung das ganze Zeitalter
ergreift. Deshalb im Mittelalter die einheitliche Einbeziehung der mannigfaltigsten
Künstlertemperamente, sowie aller Kunstzweige in den strebenden Stil.

Mit der Auflösung der spiritualistischen Weltauffassung des Mittelalters und
der "Befreiung" des Individuums beginnen, die harmonische und die barocke Gefühls-
weise sich selbständig gemäß den Individualitäten der Künstler zu entfalten, und
auch die strebende Gefühlsweise nimmt infolgedessen ein individuelles Gepräge an.
Die vorwiegend gefühlte Einheit von Mensch und Welt begünstigt den harmonischen
(Gleichgewichts-) Stil, das vorwiegende Gefühl der Dissonanz entwickelt im Rück¬
schlag auf den Gleichgewichtsstil den barocken Ungleichgewichtsstil, der wieder in,
große Nähe zu dem strebenden Stil und in einen starken Gegensatz zu dem Gleich¬
gewichtsstil tritt.

Von den verschiedenen Künsten ist dem strebenden Stil das Drama, dem
Gleichgcwichtsstil die Lyrik, dem barocken Stil die Architektur besonders angemessen.
Die Musik als die Persönlichkeitsnächste und vvraussetzungsloseste .Kunst fügt sich
allen Stilen am flüssigsten. Es ist deshalb kein Zufall, daß in der Moderne,
welche die großen, geschlossenen, objektiven Stile mehr und mehr auflöst und den,
subjektiven Stil des Individuums begünstigt, die Musik die am reichsten entfaltete
"ut ausgeprägteste Artenfülle von Stilen aufweist.

Vom barocken Stil aus erscheint sowohl der zielklare, aktiv vorauschrcitcnde
strebende Stil wie der Gleichgewichtsstil als klassisch und unerreichbar. Andererseits
hat der barocke Stil mit seiner Fülle wirklichkeitsnaher Dissonanzen und Auf¬
lösungen, Antithesen und Synthesen etwas Kosmisches, das ihn in seinen bedeutendsten
Ausprägungen doch auch wieder als Zusammenfassung der beiden früheren Stile
erscheinen läßt.


Aus neuen Büchern

auf und ab". Der spirituale Typ wächst el-e?l-ouato (Aufstreben, Sehnen, Aktivität,
Mühe, Sichverklären), der erste Pantheistische Typ fällt mühelos „wie ein gesättigter
Tropfen", geht „mit dem Atem", der zweite „wühlt".

Der spirituale Typ straffe die körperlichen Begleitsunktionen, bevorzugt in
der Dichtung das fortschreitende, energische Tätigkeitswort vor dem zuständlichen
Eigenschaftswort, in der Musik den Rhythmus vor der Harmonie, zielt auf die
Zukunft, nicht auf die Vergangenheit. Dem ersten Pantheistischen Typ ist die
Harmonie und die Vergangenheit, dem zweiten die Dissonanz, die Ewigkeit und
das Symbol konform.

Es ist unmöglich, in einem Referat die Fülle der Gedanken und Beob¬
achtungen wiederzugeben, welche das Nohlsche Buch zu einem der beziehungs-
rcichsten Lichtpunkte der zeitgenössischen geistesqcschichtlichen - Forschung machen.
Schade, daß Rost, der heute schon wieder erheblich weitergekommen ist als 1915,
die beiden alten Arbeiten unverändert zusammen gedruckt hat, so daß er weder
den naturalistischen Typ in Dichtung und Musik, noch andererseits den zweiten
pantheistischen, den „wühlenden" Typ in der Malerei entwickelt hat.

Überläßt er das dem Fortgang der Wissenschaft, die sich durch solche
Forschungen in der Tat zu neuen Entdeckungen angeregt fühlen darf, oder wird
ihm Eugen Diederichs für die Wohl bald benötigte Neuauflage auch eine wirkliche
Neuschöpfung seiner im Fluß befindlichen Systematik abringen?

Mit wenigen Stichworten sei noch angedeutet, wie eine solche Verbindung
und Ergänzung der Rostschen Gedanken vielleicht aussehen könnte:

Im Stil eines Künstlers mischt sich der Typus seiner Gefühlsweise mit dem
Typus seines Milieus. Die drei typischen Gefühlsweisen (der zweiten Rostschen
Abhandlung) könnte man als strebend (gotisch im Sinne Schefflers), harmonisch
(griechisch im Sinne Schefflers) und barock bezeichnen. Die strebende Gefühlsweise
steht in innerem Zusammenhang mit einer spiritualistischen Weltauffassung, oder
umgekehrt gesprochen, die letztere Prägt die Ausdrucksformeii der strebenden Gefühls¬
weise auch Kimstlerpersönlichkeitcn von anderer Art um so stärker und einheitlicher
auf, je stärker und einheitlicher die spirituale Weltanschauung das ganze Zeitalter
ergreift. Deshalb im Mittelalter die einheitliche Einbeziehung der mannigfaltigsten
Künstlertemperamente, sowie aller Kunstzweige in den strebenden Stil.

Mit der Auflösung der spiritualistischen Weltauffassung des Mittelalters und
der „Befreiung" des Individuums beginnen, die harmonische und die barocke Gefühls-
weise sich selbständig gemäß den Individualitäten der Künstler zu entfalten, und
auch die strebende Gefühlsweise nimmt infolgedessen ein individuelles Gepräge an.
Die vorwiegend gefühlte Einheit von Mensch und Welt begünstigt den harmonischen
(Gleichgewichts-) Stil, das vorwiegende Gefühl der Dissonanz entwickelt im Rück¬
schlag auf den Gleichgewichtsstil den barocken Ungleichgewichtsstil, der wieder in,
große Nähe zu dem strebenden Stil und in einen starken Gegensatz zu dem Gleich¬
gewichtsstil tritt.

Von den verschiedenen Künsten ist dem strebenden Stil das Drama, dem
Gleichgcwichtsstil die Lyrik, dem barocken Stil die Architektur besonders angemessen.
Die Musik als die Persönlichkeitsnächste und vvraussetzungsloseste .Kunst fügt sich
allen Stilen am flüssigsten. Es ist deshalb kein Zufall, daß in der Moderne,
welche die großen, geschlossenen, objektiven Stile mehr und mehr auflöst und den,
subjektiven Stil des Individuums begünstigt, die Musik die am reichsten entfaltete
»ut ausgeprägteste Artenfülle von Stilen aufweist.

Vom barocken Stil aus erscheint sowohl der zielklare, aktiv vorauschrcitcnde
strebende Stil wie der Gleichgewichtsstil als klassisch und unerreichbar. Andererseits
hat der barocke Stil mit seiner Fülle wirklichkeitsnaher Dissonanzen und Auf¬
lösungen, Antithesen und Synthesen etwas Kosmisches, das ihn in seinen bedeutendsten
Ausprägungen doch auch wieder als Zusammenfassung der beiden früheren Stile
erscheinen läßt.


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[0298] Aus neuen Büchern auf und ab". Der spirituale Typ wächst el-e?l-ouato (Aufstreben, Sehnen, Aktivität, Mühe, Sichverklären), der erste Pantheistische Typ fällt mühelos „wie ein gesättigter Tropfen", geht „mit dem Atem", der zweite „wühlt". Der spirituale Typ straffe die körperlichen Begleitsunktionen, bevorzugt in der Dichtung das fortschreitende, energische Tätigkeitswort vor dem zuständlichen Eigenschaftswort, in der Musik den Rhythmus vor der Harmonie, zielt auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit. Dem ersten Pantheistischen Typ ist die Harmonie und die Vergangenheit, dem zweiten die Dissonanz, die Ewigkeit und das Symbol konform. Es ist unmöglich, in einem Referat die Fülle der Gedanken und Beob¬ achtungen wiederzugeben, welche das Nohlsche Buch zu einem der beziehungs- rcichsten Lichtpunkte der zeitgenössischen geistesqcschichtlichen - Forschung machen. Schade, daß Rost, der heute schon wieder erheblich weitergekommen ist als 1915, die beiden alten Arbeiten unverändert zusammen gedruckt hat, so daß er weder den naturalistischen Typ in Dichtung und Musik, noch andererseits den zweiten pantheistischen, den „wühlenden" Typ in der Malerei entwickelt hat. Überläßt er das dem Fortgang der Wissenschaft, die sich durch solche Forschungen in der Tat zu neuen Entdeckungen angeregt fühlen darf, oder wird ihm Eugen Diederichs für die Wohl bald benötigte Neuauflage auch eine wirkliche Neuschöpfung seiner im Fluß befindlichen Systematik abringen? Mit wenigen Stichworten sei noch angedeutet, wie eine solche Verbindung und Ergänzung der Rostschen Gedanken vielleicht aussehen könnte: Im Stil eines Künstlers mischt sich der Typus seiner Gefühlsweise mit dem Typus seines Milieus. Die drei typischen Gefühlsweisen (der zweiten Rostschen Abhandlung) könnte man als strebend (gotisch im Sinne Schefflers), harmonisch (griechisch im Sinne Schefflers) und barock bezeichnen. Die strebende Gefühlsweise steht in innerem Zusammenhang mit einer spiritualistischen Weltauffassung, oder umgekehrt gesprochen, die letztere Prägt die Ausdrucksformeii der strebenden Gefühls¬ weise auch Kimstlerpersönlichkeitcn von anderer Art um so stärker und einheitlicher auf, je stärker und einheitlicher die spirituale Weltanschauung das ganze Zeitalter ergreift. Deshalb im Mittelalter die einheitliche Einbeziehung der mannigfaltigsten Künstlertemperamente, sowie aller Kunstzweige in den strebenden Stil. Mit der Auflösung der spiritualistischen Weltauffassung des Mittelalters und der „Befreiung" des Individuums beginnen, die harmonische und die barocke Gefühls- weise sich selbständig gemäß den Individualitäten der Künstler zu entfalten, und auch die strebende Gefühlsweise nimmt infolgedessen ein individuelles Gepräge an. Die vorwiegend gefühlte Einheit von Mensch und Welt begünstigt den harmonischen (Gleichgewichts-) Stil, das vorwiegende Gefühl der Dissonanz entwickelt im Rück¬ schlag auf den Gleichgewichtsstil den barocken Ungleichgewichtsstil, der wieder in, große Nähe zu dem strebenden Stil und in einen starken Gegensatz zu dem Gleich¬ gewichtsstil tritt. Von den verschiedenen Künsten ist dem strebenden Stil das Drama, dem Gleichgcwichtsstil die Lyrik, dem barocken Stil die Architektur besonders angemessen. Die Musik als die Persönlichkeitsnächste und vvraussetzungsloseste .Kunst fügt sich allen Stilen am flüssigsten. Es ist deshalb kein Zufall, daß in der Moderne, welche die großen, geschlossenen, objektiven Stile mehr und mehr auflöst und den, subjektiven Stil des Individuums begünstigt, die Musik die am reichsten entfaltete »ut ausgeprägteste Artenfülle von Stilen aufweist. Vom barocken Stil aus erscheint sowohl der zielklare, aktiv vorauschrcitcnde strebende Stil wie der Gleichgewichtsstil als klassisch und unerreichbar. Andererseits hat der barocke Stil mit seiner Fülle wirklichkeitsnaher Dissonanzen und Auf¬ lösungen, Antithesen und Synthesen etwas Kosmisches, das ihn in seinen bedeutendsten Ausprägungen doch auch wieder als Zusammenfassung der beiden früheren Stile erscheinen läßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/298>, abgerufen am 03.07.2024.