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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Anthroposophie, Biologie und Christentum

steigere, so kann ich die erhöhte Leistungsfähigkeit nachher beim Turnen oder
Fechten oder Ringen oder was sonst betätigen, die Art der Anwendung ist durch
die vorausgegangene Stärkung in keiner Weise mitbedingt.

Entsprechend wendet der Jesuit seine gesteigerte Psychische Kraft zu einer
aktiven Weltbetätigung im Willen der streitenden Kirche, der Buddhist wendet sie
gegen die Welt, zur Überwindung des geschöpflichen Willens zum Leben, der Beter
nutzt sie zur Steigerung der Demut vor Gott und der Liebeswirksamkeit unter
den Brüdern. Der Theosoph allein behauptet, daß mit der -- zweifellos
gegebenen -- Steigerung der psychischen Kräfte zugleich auch radikal neue
Erkenntnissphären erschlossen würden, neue Erkenntnisse zugleich miterworben
würden. '

Lassen Sie mich noch einen Vergleich anstellen! '

Wenn ich meine Augen schließe, so verbessere ich dadurch meine Konzentrations¬
fähigkeit auf meine Gedanken. Jeder hat dieses Experiment oft gemacht, jeder
wendet es unwillkürlich an. Wenn ich aber meine Augen fest zupresse, so habe
ich im Gegensatz dazu starke Lichtempfindungen, Blitze, farbige Kreise, ein kaleidoskop¬
artiges Spiel, das meine Aufmerksamkeit, mag ich wollen oder nicht, ganz auf sich,
zieht. -- Der Buddhist, der Mystiker usw. scheint mir im ersten, der Theosoph im
zweiten Falle sich zu befinden. -- Der erste ist rein kontemplativ, gelassen, uninteressiert,
der andere ist höchst aktiv, neugierig, erwartungsvoll. --

Ich vermeide es, von Bisionen, Halluzinationen, Träumen oder irgend-,
welchem Krankhaften zu sprechen, mit diesen Worten wird viel Mißbrauch ge¬
trieben, sie haben an sich nur statistischen Wert, sie erklären nichts. Für ganz
verfehlt aber halte ich es, den guten Glauben der Führer wie der Geführten an¬
zuzweifeln, er steht mir außer Frage. -- Wer will, kann ja von AutoHypnose
reden, ich glaube, in jenem Vergleich mit dem Augenschluß wird der Tatbestand
besser erfaßt. --

Wie sieht denn nun dieser anthroposophische Mensch mit seinen GeisteS-
organen als Ganzes aus?

Da zählt uns der Anthroposoph sieben Wesenheiten auf, die zusammen den
ganzen Menschen ausmachen:

1. Physischer Leib,
2. Lebensleib,
3. Astralleib,
4. Ich als Seelenkern,
5. Geistselbst als verwandelter Astralleib,
6. Lebensgeist als verwandelter Lebensleib,
7. Geistesmensch als verwandelter physischer Leib.

Diese sieben braucht er, um die drei: Leib, Seele, Geist in eine Verbindung
mit fließenden Grenzen zu bringen. Wiederum kann nicht versucht werden, hier
die Bewandtnisse dieser verschiedenen Gebilde auseinanderzusetzen, Steiner glaubt
zwar, sie auch unabhängig von der hellsichtigen Erkenntnis durch das gewöhnliche
Denken erweisen zu können, mir ist es nicht gelungen, ihm darin zu folgen. Ich
habe mich aber gefragt, welche Anschauung oder welches Bedürfnis dieser Auf¬
spaltung der Wesenseinheit des Menschen zugrunde liegen möchte. Warum kommt


Anthroposophie, Biologie und Christentum

steigere, so kann ich die erhöhte Leistungsfähigkeit nachher beim Turnen oder
Fechten oder Ringen oder was sonst betätigen, die Art der Anwendung ist durch
die vorausgegangene Stärkung in keiner Weise mitbedingt.

Entsprechend wendet der Jesuit seine gesteigerte Psychische Kraft zu einer
aktiven Weltbetätigung im Willen der streitenden Kirche, der Buddhist wendet sie
gegen die Welt, zur Überwindung des geschöpflichen Willens zum Leben, der Beter
nutzt sie zur Steigerung der Demut vor Gott und der Liebeswirksamkeit unter
den Brüdern. Der Theosoph allein behauptet, daß mit der — zweifellos
gegebenen — Steigerung der psychischen Kräfte zugleich auch radikal neue
Erkenntnissphären erschlossen würden, neue Erkenntnisse zugleich miterworben
würden. '

Lassen Sie mich noch einen Vergleich anstellen! '

Wenn ich meine Augen schließe, so verbessere ich dadurch meine Konzentrations¬
fähigkeit auf meine Gedanken. Jeder hat dieses Experiment oft gemacht, jeder
wendet es unwillkürlich an. Wenn ich aber meine Augen fest zupresse, so habe
ich im Gegensatz dazu starke Lichtempfindungen, Blitze, farbige Kreise, ein kaleidoskop¬
artiges Spiel, das meine Aufmerksamkeit, mag ich wollen oder nicht, ganz auf sich,
zieht. — Der Buddhist, der Mystiker usw. scheint mir im ersten, der Theosoph im
zweiten Falle sich zu befinden. — Der erste ist rein kontemplativ, gelassen, uninteressiert,
der andere ist höchst aktiv, neugierig, erwartungsvoll. —

Ich vermeide es, von Bisionen, Halluzinationen, Träumen oder irgend-,
welchem Krankhaften zu sprechen, mit diesen Worten wird viel Mißbrauch ge¬
trieben, sie haben an sich nur statistischen Wert, sie erklären nichts. Für ganz
verfehlt aber halte ich es, den guten Glauben der Führer wie der Geführten an¬
zuzweifeln, er steht mir außer Frage. — Wer will, kann ja von AutoHypnose
reden, ich glaube, in jenem Vergleich mit dem Augenschluß wird der Tatbestand
besser erfaßt. —

Wie sieht denn nun dieser anthroposophische Mensch mit seinen GeisteS-
organen als Ganzes aus?

Da zählt uns der Anthroposoph sieben Wesenheiten auf, die zusammen den
ganzen Menschen ausmachen:

1. Physischer Leib,
2. Lebensleib,
3. Astralleib,
4. Ich als Seelenkern,
5. Geistselbst als verwandelter Astralleib,
6. Lebensgeist als verwandelter Lebensleib,
7. Geistesmensch als verwandelter physischer Leib.

Diese sieben braucht er, um die drei: Leib, Seele, Geist in eine Verbindung
mit fließenden Grenzen zu bringen. Wiederum kann nicht versucht werden, hier
die Bewandtnisse dieser verschiedenen Gebilde auseinanderzusetzen, Steiner glaubt
zwar, sie auch unabhängig von der hellsichtigen Erkenntnis durch das gewöhnliche
Denken erweisen zu können, mir ist es nicht gelungen, ihm darin zu folgen. Ich
habe mich aber gefragt, welche Anschauung oder welches Bedürfnis dieser Auf¬
spaltung der Wesenseinheit des Menschen zugrunde liegen möchte. Warum kommt


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[0282] Anthroposophie, Biologie und Christentum steigere, so kann ich die erhöhte Leistungsfähigkeit nachher beim Turnen oder Fechten oder Ringen oder was sonst betätigen, die Art der Anwendung ist durch die vorausgegangene Stärkung in keiner Weise mitbedingt. Entsprechend wendet der Jesuit seine gesteigerte Psychische Kraft zu einer aktiven Weltbetätigung im Willen der streitenden Kirche, der Buddhist wendet sie gegen die Welt, zur Überwindung des geschöpflichen Willens zum Leben, der Beter nutzt sie zur Steigerung der Demut vor Gott und der Liebeswirksamkeit unter den Brüdern. Der Theosoph allein behauptet, daß mit der — zweifellos gegebenen — Steigerung der psychischen Kräfte zugleich auch radikal neue Erkenntnissphären erschlossen würden, neue Erkenntnisse zugleich miterworben würden. ' Lassen Sie mich noch einen Vergleich anstellen! ' Wenn ich meine Augen schließe, so verbessere ich dadurch meine Konzentrations¬ fähigkeit auf meine Gedanken. Jeder hat dieses Experiment oft gemacht, jeder wendet es unwillkürlich an. Wenn ich aber meine Augen fest zupresse, so habe ich im Gegensatz dazu starke Lichtempfindungen, Blitze, farbige Kreise, ein kaleidoskop¬ artiges Spiel, das meine Aufmerksamkeit, mag ich wollen oder nicht, ganz auf sich, zieht. — Der Buddhist, der Mystiker usw. scheint mir im ersten, der Theosoph im zweiten Falle sich zu befinden. — Der erste ist rein kontemplativ, gelassen, uninteressiert, der andere ist höchst aktiv, neugierig, erwartungsvoll. — Ich vermeide es, von Bisionen, Halluzinationen, Träumen oder irgend-, welchem Krankhaften zu sprechen, mit diesen Worten wird viel Mißbrauch ge¬ trieben, sie haben an sich nur statistischen Wert, sie erklären nichts. Für ganz verfehlt aber halte ich es, den guten Glauben der Führer wie der Geführten an¬ zuzweifeln, er steht mir außer Frage. — Wer will, kann ja von AutoHypnose reden, ich glaube, in jenem Vergleich mit dem Augenschluß wird der Tatbestand besser erfaßt. — Wie sieht denn nun dieser anthroposophische Mensch mit seinen GeisteS- organen als Ganzes aus? Da zählt uns der Anthroposoph sieben Wesenheiten auf, die zusammen den ganzen Menschen ausmachen: 1. Physischer Leib, 2. Lebensleib, 3. Astralleib, 4. Ich als Seelenkern, 5. Geistselbst als verwandelter Astralleib, 6. Lebensgeist als verwandelter Lebensleib, 7. Geistesmensch als verwandelter physischer Leib. Diese sieben braucht er, um die drei: Leib, Seele, Geist in eine Verbindung mit fließenden Grenzen zu bringen. Wiederum kann nicht versucht werden, hier die Bewandtnisse dieser verschiedenen Gebilde auseinanderzusetzen, Steiner glaubt zwar, sie auch unabhängig von der hellsichtigen Erkenntnis durch das gewöhnliche Denken erweisen zu können, mir ist es nicht gelungen, ihm darin zu folgen. Ich habe mich aber gefragt, welche Anschauung oder welches Bedürfnis dieser Auf¬ spaltung der Wesenseinheit des Menschen zugrunde liegen möchte. Warum kommt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/282>, abgerufen am 02.07.2024.