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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Ägypten und Englands Iveltpolitik

zustimmend gegenübersteht. "Morning Post" lehnt sie am 19. Februar ab,
"Manchester Guardian" stimmt ihnen zu unter der Voraussetzung, daß Englands
Interessen in Ägypten gewahrt bleiben.

Bestimmend für Englands Haltung gegenüber den Forderungen der
ägyptischen Nationalisten ist vor allem die Rücksicht auf die Weltlage.
Das von England während des Krieges immer wieder gepredigte Schlagwort
vom Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde von Sowjetrußland aufgegriffen
und ist zum leitenden Gedanken aller asiatischen Völker geworden, die unter dein
Joch des englischen Imperialismus seufzen oder von ihm bedroht sind. Hatte die
französische Revolution einst Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
als Ideale aufgestellt und damit ihre Greuel gerechtfertigt, so verkündet jetzt die
russische Revolution nicht mehr in erster Linie die Rechte der Menschen, die sie
rücksichtslos im Kommunismus unterjocht, sondern die Rechte der Völker, ihre
Freiheit und ihr Selbstbestimmungsrecht. In diesem Gedanken schloß sich das
vom westlichen Imperialismus in seiner Unabhängigkeit bedrohte Osmanentum
an Sowjetrußland an. Dem Kampfruf folgten die arabischen Stämme, denen
gegenüber England und Frankreich rin rücksichtsloser Waffengewalt ihr Mandat
durchsetzen. Die von Moskau ausgehende Propaganda drang bis Persien, Ägypten
und Indien, überall England an seinen Lebensnerven bedrohend. Im Zusammen¬
schluß des Russentums und des Islam gegen die Vorherrschaft Europas, besonders
Englands, auf dem asiatisch-europäischen Erdteil, sah sich England einer neuen
asiatischen Bewegung gegenüber, die es zunächst durch Ausschaltung Sowjet¬
rußlands unschädlich zu machen suchte. Zuerst militärisch, dann durch wirtschaft¬
liche Verhandlungen, oft schwankend zwischen wohlwollender Stellung zu Sowjct-
rußland und schärfster Gegnerschaft. Noch ist nicht zu erkennen, ob und auf
welchem Wege Großbritannien das für seine Zukunft bestimmende asiatische
Problem lösen wird. Daß dieses Englands Haltung gegenüber den ägyptischen
Unabhängigkeitsbestrebungen entscheidend beeinflußt, ist nicht zweifelhaft.

England versucht die Gefahr rechtzeitig zu bannen, die, besonders beim
Eintritt künftiger Kriege, aus dem Bestehen einer revolutionären und nationalistischen
Bewegung in dem Lande entstehen kann, das die wichtigste Seestraße Englands,
den Suezkanal, beherrscht. Denn der Suezkanal ist das Ausgangstor des
Indischen Ozeans, der, umschlossen von englischen oder englisch beeinflußten
Gebieten, ein ausgesprochen britisches Meer und der Träger der Lebensinteressen
und des Schwerpunktes des britischen Reiches geworden ist.




Ägypten und Englands Iveltpolitik

zustimmend gegenübersteht. „Morning Post" lehnt sie am 19. Februar ab,
„Manchester Guardian" stimmt ihnen zu unter der Voraussetzung, daß Englands
Interessen in Ägypten gewahrt bleiben.

Bestimmend für Englands Haltung gegenüber den Forderungen der
ägyptischen Nationalisten ist vor allem die Rücksicht auf die Weltlage.
Das von England während des Krieges immer wieder gepredigte Schlagwort
vom Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde von Sowjetrußland aufgegriffen
und ist zum leitenden Gedanken aller asiatischen Völker geworden, die unter dein
Joch des englischen Imperialismus seufzen oder von ihm bedroht sind. Hatte die
französische Revolution einst Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
als Ideale aufgestellt und damit ihre Greuel gerechtfertigt, so verkündet jetzt die
russische Revolution nicht mehr in erster Linie die Rechte der Menschen, die sie
rücksichtslos im Kommunismus unterjocht, sondern die Rechte der Völker, ihre
Freiheit und ihr Selbstbestimmungsrecht. In diesem Gedanken schloß sich das
vom westlichen Imperialismus in seiner Unabhängigkeit bedrohte Osmanentum
an Sowjetrußland an. Dem Kampfruf folgten die arabischen Stämme, denen
gegenüber England und Frankreich rin rücksichtsloser Waffengewalt ihr Mandat
durchsetzen. Die von Moskau ausgehende Propaganda drang bis Persien, Ägypten
und Indien, überall England an seinen Lebensnerven bedrohend. Im Zusammen¬
schluß des Russentums und des Islam gegen die Vorherrschaft Europas, besonders
Englands, auf dem asiatisch-europäischen Erdteil, sah sich England einer neuen
asiatischen Bewegung gegenüber, die es zunächst durch Ausschaltung Sowjet¬
rußlands unschädlich zu machen suchte. Zuerst militärisch, dann durch wirtschaft¬
liche Verhandlungen, oft schwankend zwischen wohlwollender Stellung zu Sowjct-
rußland und schärfster Gegnerschaft. Noch ist nicht zu erkennen, ob und auf
welchem Wege Großbritannien das für seine Zukunft bestimmende asiatische
Problem lösen wird. Daß dieses Englands Haltung gegenüber den ägyptischen
Unabhängigkeitsbestrebungen entscheidend beeinflußt, ist nicht zweifelhaft.

England versucht die Gefahr rechtzeitig zu bannen, die, besonders beim
Eintritt künftiger Kriege, aus dem Bestehen einer revolutionären und nationalistischen
Bewegung in dem Lande entstehen kann, das die wichtigste Seestraße Englands,
den Suezkanal, beherrscht. Denn der Suezkanal ist das Ausgangstor des
Indischen Ozeans, der, umschlossen von englischen oder englisch beeinflußten
Gebieten, ein ausgesprochen britisches Meer und der Träger der Lebensinteressen
und des Schwerpunktes des britischen Reiches geworden ist.




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[0268] Ägypten und Englands Iveltpolitik zustimmend gegenübersteht. „Morning Post" lehnt sie am 19. Februar ab, „Manchester Guardian" stimmt ihnen zu unter der Voraussetzung, daß Englands Interessen in Ägypten gewahrt bleiben. Bestimmend für Englands Haltung gegenüber den Forderungen der ägyptischen Nationalisten ist vor allem die Rücksicht auf die Weltlage. Das von England während des Krieges immer wieder gepredigte Schlagwort vom Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde von Sowjetrußland aufgegriffen und ist zum leitenden Gedanken aller asiatischen Völker geworden, die unter dein Joch des englischen Imperialismus seufzen oder von ihm bedroht sind. Hatte die französische Revolution einst Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Ideale aufgestellt und damit ihre Greuel gerechtfertigt, so verkündet jetzt die russische Revolution nicht mehr in erster Linie die Rechte der Menschen, die sie rücksichtslos im Kommunismus unterjocht, sondern die Rechte der Völker, ihre Freiheit und ihr Selbstbestimmungsrecht. In diesem Gedanken schloß sich das vom westlichen Imperialismus in seiner Unabhängigkeit bedrohte Osmanentum an Sowjetrußland an. Dem Kampfruf folgten die arabischen Stämme, denen gegenüber England und Frankreich rin rücksichtsloser Waffengewalt ihr Mandat durchsetzen. Die von Moskau ausgehende Propaganda drang bis Persien, Ägypten und Indien, überall England an seinen Lebensnerven bedrohend. Im Zusammen¬ schluß des Russentums und des Islam gegen die Vorherrschaft Europas, besonders Englands, auf dem asiatisch-europäischen Erdteil, sah sich England einer neuen asiatischen Bewegung gegenüber, die es zunächst durch Ausschaltung Sowjet¬ rußlands unschädlich zu machen suchte. Zuerst militärisch, dann durch wirtschaft¬ liche Verhandlungen, oft schwankend zwischen wohlwollender Stellung zu Sowjct- rußland und schärfster Gegnerschaft. Noch ist nicht zu erkennen, ob und auf welchem Wege Großbritannien das für seine Zukunft bestimmende asiatische Problem lösen wird. Daß dieses Englands Haltung gegenüber den ägyptischen Unabhängigkeitsbestrebungen entscheidend beeinflußt, ist nicht zweifelhaft. England versucht die Gefahr rechtzeitig zu bannen, die, besonders beim Eintritt künftiger Kriege, aus dem Bestehen einer revolutionären und nationalistischen Bewegung in dem Lande entstehen kann, das die wichtigste Seestraße Englands, den Suezkanal, beherrscht. Denn der Suezkanal ist das Ausgangstor des Indischen Ozeans, der, umschlossen von englischen oder englisch beeinflußten Gebieten, ein ausgesprochen britisches Meer und der Träger der Lebensinteressen und des Schwerpunktes des britischen Reiches geworden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/268>, abgerufen am 29.12.2024.