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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die Versklavung des Rheins

das Reich nicht stark genug war, die Verwertung dieser unschätzbaren Wirtschafts¬
kräfte, die ganz Deutschland gehörten, zu erzwingen. Frankreich aber hat sich
bekanntlich in seinen ersten Friedensbedingungen schon restlos den Ausbau dieser
wunderbaren Naturkräfte gesichert und alle Ansprüche der süddeutschen Industrie
wie auch nur des Rheinuferstaates Baden abgewiesen und ausgeschlossen. Heute
ist man in Paris und Straßburg, in Ranzig und Mülhausen eifrig am Werk,
die Pläne und Entwürfe deutscher Ingenieure, die während des Weltkrieges
entstanden und ebenfalls aus Grund des Friedensvertrags Frankreich vorbehaltlos
zur Verwertung überlassen sind, der Verwirklichung entgegenzuführen. Die jüngsten
Prospekte, die nach der Stimmung in Frankreichs Ostmarken zur Zeit die größte
Aussicht auf Erfolg haben, sehen einen gewaltigen linksrheinischen Seitenkanal
von Hüningen bis Straßburg vor, der in einer Kette selbständiger Werke zugleich
die Verwertung des gleichmäßigen, machtvollen Nheingefälles durchführen soll.
Bor oder in Straßburg aber soll die überschüssige Wassermenge dann in den
ansehnlich vergrößerten Rhein-Marne-Kanal übergeführt werden, der seinerseits
wieder Gelegenheit genug zur Anlage neuer Kraftwerke bietet. Licht und Kraft
ganz Ostfrankreichs wie der französischen Hauptstadt soll den Wasserkräften des
deutschen Rheines entnommen werden.

Noch stehen der Ausführung dieser Pläne mancherlei Bedenken und Ein¬
sprüche der einheimischen Industrie und insbesondere auch der Schweiz als des
einzigen freien Uferstaates des Oberrheins entgegen. Bezeichnend aber für die
Großzügigkeit der französischen Gedankengänge, die allesamt auf Wortlaut und
Sinn des Friedensvertrags fußen, ist doch das Leidwort dieser Entwürfe, daß der
deutsche Rhein gezwungen werden soll, Paris selbst dienstbar zu werden. --
Während gleichzeitig die französische Kriegsindustrie unter Führung des Barons
de Wendet das Verlangen Marschall Fonds nach neuen Lorbeeren geflissentlich
nährt, um wiederum freies Verfügungsrecht über die Kohlenförderung des Ruhr-
gcbiets zu erhalten, mit deren Hilfe die lothringischen Minetteschätze einst in den
Tagen des deutschen Kaiserreichs zum ersten Male erst zu weltwirtschaftlicher
Bedeutung erwuchsen. Die "geschichtliche Einheit" des Rheintals aufs neue, nun
aber in Frankreichs Einheitsstaat gebunden, auszurichten, ist das große Ziel der
Reunionen, die in Paris und London heranreifen. Den Weg zu ihnen zeigt
die Versklavung des Rheins, die langsam und stetig fortschreitet, mag auch die
Frohnarbeit zunächst noch von deutschen Wirtschaftskräften geleistet werden.




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Die Versklavung des Rheins

das Reich nicht stark genug war, die Verwertung dieser unschätzbaren Wirtschafts¬
kräfte, die ganz Deutschland gehörten, zu erzwingen. Frankreich aber hat sich
bekanntlich in seinen ersten Friedensbedingungen schon restlos den Ausbau dieser
wunderbaren Naturkräfte gesichert und alle Ansprüche der süddeutschen Industrie
wie auch nur des Rheinuferstaates Baden abgewiesen und ausgeschlossen. Heute
ist man in Paris und Straßburg, in Ranzig und Mülhausen eifrig am Werk,
die Pläne und Entwürfe deutscher Ingenieure, die während des Weltkrieges
entstanden und ebenfalls aus Grund des Friedensvertrags Frankreich vorbehaltlos
zur Verwertung überlassen sind, der Verwirklichung entgegenzuführen. Die jüngsten
Prospekte, die nach der Stimmung in Frankreichs Ostmarken zur Zeit die größte
Aussicht auf Erfolg haben, sehen einen gewaltigen linksrheinischen Seitenkanal
von Hüningen bis Straßburg vor, der in einer Kette selbständiger Werke zugleich
die Verwertung des gleichmäßigen, machtvollen Nheingefälles durchführen soll.
Bor oder in Straßburg aber soll die überschüssige Wassermenge dann in den
ansehnlich vergrößerten Rhein-Marne-Kanal übergeführt werden, der seinerseits
wieder Gelegenheit genug zur Anlage neuer Kraftwerke bietet. Licht und Kraft
ganz Ostfrankreichs wie der französischen Hauptstadt soll den Wasserkräften des
deutschen Rheines entnommen werden.

Noch stehen der Ausführung dieser Pläne mancherlei Bedenken und Ein¬
sprüche der einheimischen Industrie und insbesondere auch der Schweiz als des
einzigen freien Uferstaates des Oberrheins entgegen. Bezeichnend aber für die
Großzügigkeit der französischen Gedankengänge, die allesamt auf Wortlaut und
Sinn des Friedensvertrags fußen, ist doch das Leidwort dieser Entwürfe, daß der
deutsche Rhein gezwungen werden soll, Paris selbst dienstbar zu werden. —
Während gleichzeitig die französische Kriegsindustrie unter Führung des Barons
de Wendet das Verlangen Marschall Fonds nach neuen Lorbeeren geflissentlich
nährt, um wiederum freies Verfügungsrecht über die Kohlenförderung des Ruhr-
gcbiets zu erhalten, mit deren Hilfe die lothringischen Minetteschätze einst in den
Tagen des deutschen Kaiserreichs zum ersten Male erst zu weltwirtschaftlicher
Bedeutung erwuchsen. Die „geschichtliche Einheit" des Rheintals aufs neue, nun
aber in Frankreichs Einheitsstaat gebunden, auszurichten, ist das große Ziel der
Reunionen, die in Paris und London heranreifen. Den Weg zu ihnen zeigt
die Versklavung des Rheins, die langsam und stetig fortschreitet, mag auch die
Frohnarbeit zunächst noch von deutschen Wirtschaftskräften geleistet werden.




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[0257] Die Versklavung des Rheins das Reich nicht stark genug war, die Verwertung dieser unschätzbaren Wirtschafts¬ kräfte, die ganz Deutschland gehörten, zu erzwingen. Frankreich aber hat sich bekanntlich in seinen ersten Friedensbedingungen schon restlos den Ausbau dieser wunderbaren Naturkräfte gesichert und alle Ansprüche der süddeutschen Industrie wie auch nur des Rheinuferstaates Baden abgewiesen und ausgeschlossen. Heute ist man in Paris und Straßburg, in Ranzig und Mülhausen eifrig am Werk, die Pläne und Entwürfe deutscher Ingenieure, die während des Weltkrieges entstanden und ebenfalls aus Grund des Friedensvertrags Frankreich vorbehaltlos zur Verwertung überlassen sind, der Verwirklichung entgegenzuführen. Die jüngsten Prospekte, die nach der Stimmung in Frankreichs Ostmarken zur Zeit die größte Aussicht auf Erfolg haben, sehen einen gewaltigen linksrheinischen Seitenkanal von Hüningen bis Straßburg vor, der in einer Kette selbständiger Werke zugleich die Verwertung des gleichmäßigen, machtvollen Nheingefälles durchführen soll. Bor oder in Straßburg aber soll die überschüssige Wassermenge dann in den ansehnlich vergrößerten Rhein-Marne-Kanal übergeführt werden, der seinerseits wieder Gelegenheit genug zur Anlage neuer Kraftwerke bietet. Licht und Kraft ganz Ostfrankreichs wie der französischen Hauptstadt soll den Wasserkräften des deutschen Rheines entnommen werden. Noch stehen der Ausführung dieser Pläne mancherlei Bedenken und Ein¬ sprüche der einheimischen Industrie und insbesondere auch der Schweiz als des einzigen freien Uferstaates des Oberrheins entgegen. Bezeichnend aber für die Großzügigkeit der französischen Gedankengänge, die allesamt auf Wortlaut und Sinn des Friedensvertrags fußen, ist doch das Leidwort dieser Entwürfe, daß der deutsche Rhein gezwungen werden soll, Paris selbst dienstbar zu werden. — Während gleichzeitig die französische Kriegsindustrie unter Führung des Barons de Wendet das Verlangen Marschall Fonds nach neuen Lorbeeren geflissentlich nährt, um wiederum freies Verfügungsrecht über die Kohlenförderung des Ruhr- gcbiets zu erhalten, mit deren Hilfe die lothringischen Minetteschätze einst in den Tagen des deutschen Kaiserreichs zum ersten Male erst zu weltwirtschaftlicher Bedeutung erwuchsen. Die „geschichtliche Einheit" des Rheintals aufs neue, nun aber in Frankreichs Einheitsstaat gebunden, auszurichten, ist das große Ziel der Reunionen, die in Paris und London heranreifen. Den Weg zu ihnen zeigt die Versklavung des Rheins, die langsam und stetig fortschreitet, mag auch die Frohnarbeit zunächst noch von deutschen Wirtschaftskräften geleistet werden. ete»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/257>, abgerufen am 29.06.2024.