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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die Versklavung des Rheins

Ungläubigen die ganze Schwere der auf uns ruhenden Last und Schande deutlich
und klar vor Augen führt.

Ein amerikanischer Schiedsspruch hat jetzt auf Grund des Fricdensvcrtrags
bestimmt, daß 254 ISO Tonnen Kahnraum der Schiffe und Schlepper der deutschen
Nheinflotte mit 23 761 Schleppkraft sofort abzuliefern seien, während die
Berechnung der deutschen Regierung den Anspruch Frankreichs auf nur 110 000
Tonnen Kahnraum und 7300 ?8 Schleppkraft angesetzt hatte. Zugleich hat dann
dieser selbe Schiedsspruch auf Grund des gleichen Artikels, ebenfalls weit hinaus¬
gehend über die deutschen Angebote, Frankreich einen ganz ungeheuerlichen Anteil
an den deutschen Rheinschiffahrtsanlagen im Auslande und Inland überwiesen:
sämtliche Einrichtungen, Anlageplätze, Kaiflächen, Docks, Lagerhäuser, Lade- und
Löscheinrichtungen, die die Mannheimer Nheinschiffahrtsgescllschaft vorm Fendel
in ihrem Seehafen Rotterdam besaß, und dazu 70 v. H. der Aktien dieser selben
Firma. Was diese Übereignung bedeutet, wird dem deutschen Handel und der
deutschen Industrie wohl erst nach und nach in vollem Umfang klar und deutlich
werden. Mit dem abgetretenen Schiffsraum verliert die deutsche Rheinschiffahrt,
die heute durch die Zwangstransporte der Ruhrkohle auch politisch lebenswichtiger
geworden ist denn je, mit einem Schlage 13'/s v. H. ihres gesamten Bestandes.
Mit ihrem Eigenbesitz in Rotterdam verliert sie den zweiten Ausgangspunkt und
Umschlaghafen ins Weltmeer hinaus. .Konnte das Reich bislang Rotterdam
und Antwerpen in ihren wirtschaftspolitischen Gegensätzen gegeneinander aus¬
spielen, so ist jetzt dem deutschen Handel das freie Verfügungsrecht über den
einzigen halbwegs deutschen Rheinsechafen genommen, nachdem Antwerpen bereits
durch die Niederlagen des Weltkrieges verloren ging. Noch wichtiger aber ist ein
anderes: die bisher abgelieferten Teile der deutschen Nheinflotte sind nur ein
Stücklein von dem, was Deutschland von Rechts wegen durch den Friedensvertrag
Frankreich zugebilligt hat. Bei der Berechnung dieser Schiffsabgaben ist die
"Wiedergutmachung" noch nicht berücksichtigt, die wir ebenfalls Frankreich bereit¬
willig zugestanden haben. Außer der Rückgabe der seit dem 1. August 1914
"aus irgendeinem Grunde" in deutschen Besitz übergegangenen Fahrzeuge hat
Deutschland danach einen Teil seines Flußfahrzeugparks bis zur Höhe der den
Berbcmdsmächten während des Krieges "aus irgendeinem Grunde" entstandenen
Verluste abzutreten. Der amerikanische Schiedsspruch, der auch hierüber das
weitere zu bestimmen hat, ist noch nicht erfolgt, Wohl aber hat der Schiedsrichter
bereits ganz im allgemeinen den Prozentsatz auf 15 v. H. der Kähne und aus
2^ v. H. der Schlepper festgesetzt. Der Gesamtbetrag der abzugebenden Schiffe
würde sich demnach auf 30 v. H. des ganzen Bestandes erhöhen. Das verarmte
Reich, das seine Wirtschaftsverbindungen gerade auf den Wasserstraßen nach den
Verträgen von Spa immer stärker auszubauen hat, wird demnach in den nächsten
Wochen und Monaten schon ein volles Drittel seiner Rheinflotte abzugeben haben,
während Frankreich gleichzeitig bereits auch an die restlose Ausnutzung der ihm
zugesprochenen Wasserkräfte des Oberrheins geht.

Ungenützt liegen ja heute noch im Gefülle des deutschen Stromes zwischen
Hüningen und Straßburg 600 000 Pferdekräste, die größte und wirtschaftlichste
Wasserkraft des Kontinents -- weil sich Baden und das Reichsland Elsaß-Loth¬
ringen fast 50 Jahre lang über ihre Hebung nicht zu einigen vermochten. Weil


Die Versklavung des Rheins

Ungläubigen die ganze Schwere der auf uns ruhenden Last und Schande deutlich
und klar vor Augen führt.

Ein amerikanischer Schiedsspruch hat jetzt auf Grund des Fricdensvcrtrags
bestimmt, daß 254 ISO Tonnen Kahnraum der Schiffe und Schlepper der deutschen
Nheinflotte mit 23 761 Schleppkraft sofort abzuliefern seien, während die
Berechnung der deutschen Regierung den Anspruch Frankreichs auf nur 110 000
Tonnen Kahnraum und 7300 ?8 Schleppkraft angesetzt hatte. Zugleich hat dann
dieser selbe Schiedsspruch auf Grund des gleichen Artikels, ebenfalls weit hinaus¬
gehend über die deutschen Angebote, Frankreich einen ganz ungeheuerlichen Anteil
an den deutschen Rheinschiffahrtsanlagen im Auslande und Inland überwiesen:
sämtliche Einrichtungen, Anlageplätze, Kaiflächen, Docks, Lagerhäuser, Lade- und
Löscheinrichtungen, die die Mannheimer Nheinschiffahrtsgescllschaft vorm Fendel
in ihrem Seehafen Rotterdam besaß, und dazu 70 v. H. der Aktien dieser selben
Firma. Was diese Übereignung bedeutet, wird dem deutschen Handel und der
deutschen Industrie wohl erst nach und nach in vollem Umfang klar und deutlich
werden. Mit dem abgetretenen Schiffsraum verliert die deutsche Rheinschiffahrt,
die heute durch die Zwangstransporte der Ruhrkohle auch politisch lebenswichtiger
geworden ist denn je, mit einem Schlage 13'/s v. H. ihres gesamten Bestandes.
Mit ihrem Eigenbesitz in Rotterdam verliert sie den zweiten Ausgangspunkt und
Umschlaghafen ins Weltmeer hinaus. .Konnte das Reich bislang Rotterdam
und Antwerpen in ihren wirtschaftspolitischen Gegensätzen gegeneinander aus¬
spielen, so ist jetzt dem deutschen Handel das freie Verfügungsrecht über den
einzigen halbwegs deutschen Rheinsechafen genommen, nachdem Antwerpen bereits
durch die Niederlagen des Weltkrieges verloren ging. Noch wichtiger aber ist ein
anderes: die bisher abgelieferten Teile der deutschen Nheinflotte sind nur ein
Stücklein von dem, was Deutschland von Rechts wegen durch den Friedensvertrag
Frankreich zugebilligt hat. Bei der Berechnung dieser Schiffsabgaben ist die
„Wiedergutmachung" noch nicht berücksichtigt, die wir ebenfalls Frankreich bereit¬
willig zugestanden haben. Außer der Rückgabe der seit dem 1. August 1914
„aus irgendeinem Grunde" in deutschen Besitz übergegangenen Fahrzeuge hat
Deutschland danach einen Teil seines Flußfahrzeugparks bis zur Höhe der den
Berbcmdsmächten während des Krieges „aus irgendeinem Grunde" entstandenen
Verluste abzutreten. Der amerikanische Schiedsspruch, der auch hierüber das
weitere zu bestimmen hat, ist noch nicht erfolgt, Wohl aber hat der Schiedsrichter
bereits ganz im allgemeinen den Prozentsatz auf 15 v. H. der Kähne und aus
2^ v. H. der Schlepper festgesetzt. Der Gesamtbetrag der abzugebenden Schiffe
würde sich demnach auf 30 v. H. des ganzen Bestandes erhöhen. Das verarmte
Reich, das seine Wirtschaftsverbindungen gerade auf den Wasserstraßen nach den
Verträgen von Spa immer stärker auszubauen hat, wird demnach in den nächsten
Wochen und Monaten schon ein volles Drittel seiner Rheinflotte abzugeben haben,
während Frankreich gleichzeitig bereits auch an die restlose Ausnutzung der ihm
zugesprochenen Wasserkräfte des Oberrheins geht.

Ungenützt liegen ja heute noch im Gefülle des deutschen Stromes zwischen
Hüningen und Straßburg 600 000 Pferdekräste, die größte und wirtschaftlichste
Wasserkraft des Kontinents — weil sich Baden und das Reichsland Elsaß-Loth¬
ringen fast 50 Jahre lang über ihre Hebung nicht zu einigen vermochten. Weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/256>, abgerufen am 28.12.2024.