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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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man fertig werden. Schwieriger erscheint die Lösung des irischen Problems, dessen
Prämissen an dieser Stelle (1919, Heft 30) bereits auseinandergesetzt worden sind.
Der Ausländer kann sich sehr schwer eine Vorstellung davon machen, was dies
Problem für den Engländer bedeutet und in welchem Maße es die Führung der
englischen Politik nicht nur nach innen, sondern auch nach außen hin belastet. Das
Homerulegesetz ist jetzt allerdings in beiden Häusern durchgebracht, aber es besteht
wenig Aussicht, daß es auch von den Führern der irischen Bewegung, die in
ihrem Kampfe gegen die englische Negierung sowohl bei den englischen Liberalen
wie bei der Arbeiterpartei Unterstützung findet, angenommen wird. Zunächst
jedenfalls sind die im Januar eingeleiteten Verhandlungen zwischen Re¬
gierung und Sinnfeinern gescheitert und es ist sehr fraglich, ob es
den Bemühungen des aus Amerika mit Zustimmung Lloyd Georges heim¬
gekehrten de Valera, falls sie überhaupt ehrlich' auf eine Versöhnung
ausgehen, gelingen wird, die durch das Vorgehen des Militärs aufs höchste er¬
bitterten und fanatisierten Extremisten zum Nachgeben zu bewegen Über den
Umfang der Unruhen kann man sich ein Bild machen, wenn man (in der "Nation"
vom 8. 1.) liest, daß zwischen Januar 1919 und März 1920 22 279 Häuser an¬
gegriffen, 2332 Personen aus politischen Gründen verhaftet, 151 deportiert
wurden, und daß seit dem März die Lage nicht ruhiger, sondern täglich bedroh¬
licher geworden ist. Neuerdings sind die Unruhestifter sogar zur Offensive in
England übergegangen und es ist nicht abzusehen, was aus einer etwaigen Ver¬
einigung von unzufriedenen irischen Elementen und Arbeitslosen nach alles ent¬
stehen kann. Bedenklicher noch für England ist die Wirkung, die die Art seines
militärischen Auftretens in Irland auf die amerikanische Öffentlichkeit ausübt, wo
die deutschen Belgien- und Deportationengreuel jetzt von Greueln des englischen
Militarismus in Jrrland abgelöst worden sind. Und wenn auch Colby im Oktober
die Anerkennung der irischen Republik abgelehnt hat, so ist doch eine englandfreundliche
Haltung der amerikanischen Regierung schon jetzt nicht mehr möglich, und die
englische Regierung hat zugestehen müssen, daß sich eine Kommission von hundert
als unparteiisch bekannten amerikanischen Bürgern zur Untersuchung nach Irland
begibt. Von dem Ausfall dieser Untersuchung wird sehr viel für das Prestige
Englands abhängen.

Das schlimmste ist natürlich, daß man sich in England selbst über die
Behandlung des irischen Problems nicht einig ist. Wie fast immer in solchen
Fällen stehen sich Gewalt- und Resormpolitiker einander schroff gegenüber. Erstere
sehen in dem Liebäugeln mit Reformen, letztere in der Aufschiebung von Reformen
die Ursache für die jetzigen Zustände. Das gleiche gilt für das indische Problem
(siehe "Grenzboten" 1920 Heft 11/13). Der Montagusche Reformplan, der, zur
rechten Zeit ausgeführt, die indische Selbständigkeitsbewegung in den Bahnen der
Mäßigung hätte halten können, gilt jetzt in den Augen der Inder längst für
überholt und unzureichend. Die milde, achtzigjährige Annie Besant, die ihr Leben
lang als Borkämpferin für Indien eingetreten ist, wurde in Bombay nieder¬
geschrien. Auch hier macht sich der Ausländer selten klar, in welch hohem Maße
die Führer der indischen Bewegung gelernt haben, sich der Ideen der west¬
europäischen Demokratien gegen den englischen Bedrücker zu bedienen. Bedeut¬
samer ist, daß nicht nur die Führer energischer auftreten, sondern daß infolge der
wirtschaftlichen Entwicklung während des Krieges auch das Volk sich stärker
Politisiert hat. In den Großstädten und Industriezentren hat sich ein richtiges
Proletariat gebildet, das seine Macht in Riesenstreiks kundgibt und sogar schon
regelrechte Gewerkschaften bildet. Einen sicheren Mißerfolg der englischen Politik
aber bedeutet die Einigung zwischen Hindus und Mohammedanern, die mehr
Dauerhaftigkeit verspricht, als man zunächst hätte vermuten sollen. Hervorgerufen
wurde sie durch die englische Jmperialistenpolitik in Konstantinopel und Meso¬
potamien, verstärkt durch Bekanntwerden des sogenannten Esser-Report, der die
weitere ständige Verwendung indischer Truppen in Mittelasien vorsah, und befestigt
durch die Behandlung, die das Vorgehen des Generals Dyer in Amritsar im


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man fertig werden. Schwieriger erscheint die Lösung des irischen Problems, dessen
Prämissen an dieser Stelle (1919, Heft 30) bereits auseinandergesetzt worden sind.
Der Ausländer kann sich sehr schwer eine Vorstellung davon machen, was dies
Problem für den Engländer bedeutet und in welchem Maße es die Führung der
englischen Politik nicht nur nach innen, sondern auch nach außen hin belastet. Das
Homerulegesetz ist jetzt allerdings in beiden Häusern durchgebracht, aber es besteht
wenig Aussicht, daß es auch von den Führern der irischen Bewegung, die in
ihrem Kampfe gegen die englische Negierung sowohl bei den englischen Liberalen
wie bei der Arbeiterpartei Unterstützung findet, angenommen wird. Zunächst
jedenfalls sind die im Januar eingeleiteten Verhandlungen zwischen Re¬
gierung und Sinnfeinern gescheitert und es ist sehr fraglich, ob es
den Bemühungen des aus Amerika mit Zustimmung Lloyd Georges heim¬
gekehrten de Valera, falls sie überhaupt ehrlich' auf eine Versöhnung
ausgehen, gelingen wird, die durch das Vorgehen des Militärs aufs höchste er¬
bitterten und fanatisierten Extremisten zum Nachgeben zu bewegen Über den
Umfang der Unruhen kann man sich ein Bild machen, wenn man (in der „Nation"
vom 8. 1.) liest, daß zwischen Januar 1919 und März 1920 22 279 Häuser an¬
gegriffen, 2332 Personen aus politischen Gründen verhaftet, 151 deportiert
wurden, und daß seit dem März die Lage nicht ruhiger, sondern täglich bedroh¬
licher geworden ist. Neuerdings sind die Unruhestifter sogar zur Offensive in
England übergegangen und es ist nicht abzusehen, was aus einer etwaigen Ver¬
einigung von unzufriedenen irischen Elementen und Arbeitslosen nach alles ent¬
stehen kann. Bedenklicher noch für England ist die Wirkung, die die Art seines
militärischen Auftretens in Irland auf die amerikanische Öffentlichkeit ausübt, wo
die deutschen Belgien- und Deportationengreuel jetzt von Greueln des englischen
Militarismus in Jrrland abgelöst worden sind. Und wenn auch Colby im Oktober
die Anerkennung der irischen Republik abgelehnt hat, so ist doch eine englandfreundliche
Haltung der amerikanischen Regierung schon jetzt nicht mehr möglich, und die
englische Regierung hat zugestehen müssen, daß sich eine Kommission von hundert
als unparteiisch bekannten amerikanischen Bürgern zur Untersuchung nach Irland
begibt. Von dem Ausfall dieser Untersuchung wird sehr viel für das Prestige
Englands abhängen.

Das schlimmste ist natürlich, daß man sich in England selbst über die
Behandlung des irischen Problems nicht einig ist. Wie fast immer in solchen
Fällen stehen sich Gewalt- und Resormpolitiker einander schroff gegenüber. Erstere
sehen in dem Liebäugeln mit Reformen, letztere in der Aufschiebung von Reformen
die Ursache für die jetzigen Zustände. Das gleiche gilt für das indische Problem
(siehe „Grenzboten" 1920 Heft 11/13). Der Montagusche Reformplan, der, zur
rechten Zeit ausgeführt, die indische Selbständigkeitsbewegung in den Bahnen der
Mäßigung hätte halten können, gilt jetzt in den Augen der Inder längst für
überholt und unzureichend. Die milde, achtzigjährige Annie Besant, die ihr Leben
lang als Borkämpferin für Indien eingetreten ist, wurde in Bombay nieder¬
geschrien. Auch hier macht sich der Ausländer selten klar, in welch hohem Maße
die Führer der indischen Bewegung gelernt haben, sich der Ideen der west¬
europäischen Demokratien gegen den englischen Bedrücker zu bedienen. Bedeut¬
samer ist, daß nicht nur die Führer energischer auftreten, sondern daß infolge der
wirtschaftlichen Entwicklung während des Krieges auch das Volk sich stärker
Politisiert hat. In den Großstädten und Industriezentren hat sich ein richtiges
Proletariat gebildet, das seine Macht in Riesenstreiks kundgibt und sogar schon
regelrechte Gewerkschaften bildet. Einen sicheren Mißerfolg der englischen Politik
aber bedeutet die Einigung zwischen Hindus und Mohammedanern, die mehr
Dauerhaftigkeit verspricht, als man zunächst hätte vermuten sollen. Hervorgerufen
wurde sie durch die englische Jmperialistenpolitik in Konstantinopel und Meso¬
potamien, verstärkt durch Bekanntwerden des sogenannten Esser-Report, der die
weitere ständige Verwendung indischer Truppen in Mittelasien vorsah, und befestigt
durch die Behandlung, die das Vorgehen des Generals Dyer in Amritsar im


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[0247] lveltspiegel man fertig werden. Schwieriger erscheint die Lösung des irischen Problems, dessen Prämissen an dieser Stelle (1919, Heft 30) bereits auseinandergesetzt worden sind. Der Ausländer kann sich sehr schwer eine Vorstellung davon machen, was dies Problem für den Engländer bedeutet und in welchem Maße es die Führung der englischen Politik nicht nur nach innen, sondern auch nach außen hin belastet. Das Homerulegesetz ist jetzt allerdings in beiden Häusern durchgebracht, aber es besteht wenig Aussicht, daß es auch von den Führern der irischen Bewegung, die in ihrem Kampfe gegen die englische Negierung sowohl bei den englischen Liberalen wie bei der Arbeiterpartei Unterstützung findet, angenommen wird. Zunächst jedenfalls sind die im Januar eingeleiteten Verhandlungen zwischen Re¬ gierung und Sinnfeinern gescheitert und es ist sehr fraglich, ob es den Bemühungen des aus Amerika mit Zustimmung Lloyd Georges heim¬ gekehrten de Valera, falls sie überhaupt ehrlich' auf eine Versöhnung ausgehen, gelingen wird, die durch das Vorgehen des Militärs aufs höchste er¬ bitterten und fanatisierten Extremisten zum Nachgeben zu bewegen Über den Umfang der Unruhen kann man sich ein Bild machen, wenn man (in der „Nation" vom 8. 1.) liest, daß zwischen Januar 1919 und März 1920 22 279 Häuser an¬ gegriffen, 2332 Personen aus politischen Gründen verhaftet, 151 deportiert wurden, und daß seit dem März die Lage nicht ruhiger, sondern täglich bedroh¬ licher geworden ist. Neuerdings sind die Unruhestifter sogar zur Offensive in England übergegangen und es ist nicht abzusehen, was aus einer etwaigen Ver¬ einigung von unzufriedenen irischen Elementen und Arbeitslosen nach alles ent¬ stehen kann. Bedenklicher noch für England ist die Wirkung, die die Art seines militärischen Auftretens in Irland auf die amerikanische Öffentlichkeit ausübt, wo die deutschen Belgien- und Deportationengreuel jetzt von Greueln des englischen Militarismus in Jrrland abgelöst worden sind. Und wenn auch Colby im Oktober die Anerkennung der irischen Republik abgelehnt hat, so ist doch eine englandfreundliche Haltung der amerikanischen Regierung schon jetzt nicht mehr möglich, und die englische Regierung hat zugestehen müssen, daß sich eine Kommission von hundert als unparteiisch bekannten amerikanischen Bürgern zur Untersuchung nach Irland begibt. Von dem Ausfall dieser Untersuchung wird sehr viel für das Prestige Englands abhängen. Das schlimmste ist natürlich, daß man sich in England selbst über die Behandlung des irischen Problems nicht einig ist. Wie fast immer in solchen Fällen stehen sich Gewalt- und Resormpolitiker einander schroff gegenüber. Erstere sehen in dem Liebäugeln mit Reformen, letztere in der Aufschiebung von Reformen die Ursache für die jetzigen Zustände. Das gleiche gilt für das indische Problem (siehe „Grenzboten" 1920 Heft 11/13). Der Montagusche Reformplan, der, zur rechten Zeit ausgeführt, die indische Selbständigkeitsbewegung in den Bahnen der Mäßigung hätte halten können, gilt jetzt in den Augen der Inder längst für überholt und unzureichend. Die milde, achtzigjährige Annie Besant, die ihr Leben lang als Borkämpferin für Indien eingetreten ist, wurde in Bombay nieder¬ geschrien. Auch hier macht sich der Ausländer selten klar, in welch hohem Maße die Führer der indischen Bewegung gelernt haben, sich der Ideen der west¬ europäischen Demokratien gegen den englischen Bedrücker zu bedienen. Bedeut¬ samer ist, daß nicht nur die Führer energischer auftreten, sondern daß infolge der wirtschaftlichen Entwicklung während des Krieges auch das Volk sich stärker Politisiert hat. In den Großstädten und Industriezentren hat sich ein richtiges Proletariat gebildet, das seine Macht in Riesenstreiks kundgibt und sogar schon regelrechte Gewerkschaften bildet. Einen sicheren Mißerfolg der englischen Politik aber bedeutet die Einigung zwischen Hindus und Mohammedanern, die mehr Dauerhaftigkeit verspricht, als man zunächst hätte vermuten sollen. Hervorgerufen wurde sie durch die englische Jmperialistenpolitik in Konstantinopel und Meso¬ potamien, verstärkt durch Bekanntwerden des sogenannten Esser-Report, der die weitere ständige Verwendung indischer Truppen in Mittelasien vorsah, und befestigt durch die Behandlung, die das Vorgehen des Generals Dyer in Amritsar im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/247>, abgerufen am 29.06.2024.