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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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gegangen." So konnte man es im Herbst 1918 hundertfach zu hören bekommen.
Politiker drückten es politischer aus: "Ein voller Sieg wäre. Deutschlands Unheil."
Es war derselbe niederträchtige Gedanke. Es war die Furcht vor den innere
politischen Folgen des Sieges, die Angst, daß er der Monarchie, dem "Militarismus",
den "herrschenden Klassen" Machtzuwachs bringen könnte. Dieser jämmerliche Boden¬
satz an Neid und Parteihaß hat die Gleichgültigkeit gegen ihn zu Scheu und Wider¬
willen gesteigert. Die Verbreitung dieser Stimmung, die den in Frankreich Wohl
zum Zwecke politischer Verhetzung erfundenen Namen Defaitismus wirklich verdient,
ihr Eindringen in die Parteien und ihr Einfluß auf die praktische Politik ist
im einzelnen schwer nachzuweisen. Um so schwerer, als solche Stimmungen sich häufig
im Unterbewußtsein halten, von wo sie, ohne daß der Befallene sich selbst volle
Rechenschaft darüber gibt, sein Denken und Tun freilich nicht minder gefährlich be¬
einflussen. Nicht zu verkennen ist leider, daß jene Siegcsscheu in den Kreisen, die
zu einer starken Monarchie und überhaupt zu den Richtungen, deren Stärkung man
vom Siege erwartete, im Gegensatz standen, namentlich gegen das Ende des Krieges
eine beherrschende Macht geworden war. Wie unheimlich und fernhinwirkeyd diese
Macht gewesen ist, sehen Sie aus ihrem Spiegelbilde, das sogar auf feindlicher Seite
aufgefangen und als kennzeichnend für das deutsche -- nur für das deutsche
Empfinden festgehalten werden konnte! Sie kennen die Stelle in Barbusses "Fen",
wo im Meinungsaustausch zwischen Angehörigen der verschiedenen kriegführenden
und neutralen Völker zu Anfang des Weltkrieges der Deutsche seine Gedanken in den
Wunsch zusamcnsaßt: Deutschland möge nicht siegen! Selbst der leidenschaftliche
Pazifist läßt durchblicken, daß er dieser Denkweise verständnislos gegenübersteht.

So schweren Schaden diese Siegcsscheu der Volksseele getan hat, sie ist
fast harmlos zu nennen im Vergleich zu der ausgesprochenen, ja leidenschaftlichen
Feindschaft'gegen die Sache des eigenen Volkes, von deren Herrschaft, in gewissen
.Kreisen man sich trotz allen Sträubens im Laufe des Krieges überzeugen mußte.
Erinnern Sie sich noch des Eindrucks, den die ersten Ausbrüche dieser Feindseligkeit,
die geifernden Wutschrcie der ganz Radikalen im Volke machten? Mit fassungs¬
losem Erstaunen, wie auf eine unheimliche Naturerscheinung, die an das Walten
finsterer Mächte zu denken verleitet, sah der unbefangene, normal empfindende
Deutsche auf solche Abirrungen. Ich weiß nicht, ob Sie tieferen Einblick in das
Zwischenreich gehabt haben, aus dem solche Flammen emporschlugen. Ich für
mein Teil habe sein Dasein zunächst mehr geahnt, vom Hörensagen gekannt, und
mir aus seinen Auswirkungen ein Bild seines Wesens zu machen versucht. Schon
bald nach Ausbruch des Krieges spürte man Anzeichen davon, daß die anfangs
einmütig erscheinende Begeisterung, mit der unser Volk die Abwehr des feindlichen
Angriffs ausnahm, von einer mehr durch Einfluß als durch Zahl bedeutsamen
Grrwpe, zu der tonangebende Größen der deutschen Intelligenz gehörten-, mit tiefer
Verachtung behandelt und -- in der Öffentlichkeit allerdings zunächst mit der
gebotenen Vorsicht -- mit giftigem Hohn begossen wurde. Dieser Kreis, dessen
Stimme mit dem Abflauen der Kriegsbegeisterung immer größeren Widerhall fand,
sah offenbar den Weltkrieg und seine Probleme, die Schuldfrage, Recht und Unrecht,
Zivilisation und Barbarei ganz mit den Augen unserer Feinde, ja er sah die Dinge
in dem Lichte, in das sie die Feinde mit mehr oder minder plumper Täuschung z"
stellen suchten. Sie erkennen die Strömung wieder, deren im Banne westeuropäischer


gegangen." So konnte man es im Herbst 1918 hundertfach zu hören bekommen.
Politiker drückten es politischer aus: „Ein voller Sieg wäre. Deutschlands Unheil."
Es war derselbe niederträchtige Gedanke. Es war die Furcht vor den innere
politischen Folgen des Sieges, die Angst, daß er der Monarchie, dem „Militarismus",
den „herrschenden Klassen" Machtzuwachs bringen könnte. Dieser jämmerliche Boden¬
satz an Neid und Parteihaß hat die Gleichgültigkeit gegen ihn zu Scheu und Wider¬
willen gesteigert. Die Verbreitung dieser Stimmung, die den in Frankreich Wohl
zum Zwecke politischer Verhetzung erfundenen Namen Defaitismus wirklich verdient,
ihr Eindringen in die Parteien und ihr Einfluß auf die praktische Politik ist
im einzelnen schwer nachzuweisen. Um so schwerer, als solche Stimmungen sich häufig
im Unterbewußtsein halten, von wo sie, ohne daß der Befallene sich selbst volle
Rechenschaft darüber gibt, sein Denken und Tun freilich nicht minder gefährlich be¬
einflussen. Nicht zu verkennen ist leider, daß jene Siegcsscheu in den Kreisen, die
zu einer starken Monarchie und überhaupt zu den Richtungen, deren Stärkung man
vom Siege erwartete, im Gegensatz standen, namentlich gegen das Ende des Krieges
eine beherrschende Macht geworden war. Wie unheimlich und fernhinwirkeyd diese
Macht gewesen ist, sehen Sie aus ihrem Spiegelbilde, das sogar auf feindlicher Seite
aufgefangen und als kennzeichnend für das deutsche — nur für das deutsche
Empfinden festgehalten werden konnte! Sie kennen die Stelle in Barbusses „Fen",
wo im Meinungsaustausch zwischen Angehörigen der verschiedenen kriegführenden
und neutralen Völker zu Anfang des Weltkrieges der Deutsche seine Gedanken in den
Wunsch zusamcnsaßt: Deutschland möge nicht siegen! Selbst der leidenschaftliche
Pazifist läßt durchblicken, daß er dieser Denkweise verständnislos gegenübersteht.

So schweren Schaden diese Siegcsscheu der Volksseele getan hat, sie ist
fast harmlos zu nennen im Vergleich zu der ausgesprochenen, ja leidenschaftlichen
Feindschaft'gegen die Sache des eigenen Volkes, von deren Herrschaft, in gewissen
.Kreisen man sich trotz allen Sträubens im Laufe des Krieges überzeugen mußte.
Erinnern Sie sich noch des Eindrucks, den die ersten Ausbrüche dieser Feindseligkeit,
die geifernden Wutschrcie der ganz Radikalen im Volke machten? Mit fassungs¬
losem Erstaunen, wie auf eine unheimliche Naturerscheinung, die an das Walten
finsterer Mächte zu denken verleitet, sah der unbefangene, normal empfindende
Deutsche auf solche Abirrungen. Ich weiß nicht, ob Sie tieferen Einblick in das
Zwischenreich gehabt haben, aus dem solche Flammen emporschlugen. Ich für
mein Teil habe sein Dasein zunächst mehr geahnt, vom Hörensagen gekannt, und
mir aus seinen Auswirkungen ein Bild seines Wesens zu machen versucht. Schon
bald nach Ausbruch des Krieges spürte man Anzeichen davon, daß die anfangs
einmütig erscheinende Begeisterung, mit der unser Volk die Abwehr des feindlichen
Angriffs ausnahm, von einer mehr durch Einfluß als durch Zahl bedeutsamen
Grrwpe, zu der tonangebende Größen der deutschen Intelligenz gehörten-, mit tiefer
Verachtung behandelt und — in der Öffentlichkeit allerdings zunächst mit der
gebotenen Vorsicht — mit giftigem Hohn begossen wurde. Dieser Kreis, dessen
Stimme mit dem Abflauen der Kriegsbegeisterung immer größeren Widerhall fand,
sah offenbar den Weltkrieg und seine Probleme, die Schuldfrage, Recht und Unrecht,
Zivilisation und Barbarei ganz mit den Augen unserer Feinde, ja er sah die Dinge
in dem Lichte, in das sie die Feinde mit mehr oder minder plumper Täuschung z»
stellen suchten. Sie erkennen die Strömung wieder, deren im Banne westeuropäischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/24>, abgerufen am 28.12.2024.