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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die Lcigc der Sudctendeutschen

auch die Passiver des österreichischen Staates zu übernehmen, um so mehr, als
die Zeichnung Ma Anleihen zumeist gar keinen politischen Charakter trug und die
schönste Geschichtskvnstrnktion nicht über die Tatsache hinweghelfen wird, daß die
Tschechen ihrer übergroßen Mehrzahl nach während des Krieges aber doch noch
ganz normale, wenn auch nicht immer erstklassige österreichische Soldaten und
keine Ententckrieger waren. Die gegen den deutschen Protest durchgesetzte Ab¬
findung der Anleihebesitzer mit einer nicht allzu erheblichen, dazu infolge der Ein-
lösungsmvdalitäten nur den Vermögenden zugänglichen Teilquote ist jedenfalls
nicht als besonders stattliche Morgengabe zu hundelt. Und auch bei der Neuauf¬
stellung der zentralen wirtschaftlichen Beratungskörper ist der großen ökonomischen
Bedeutung des Deutschtums nur sehr ungenügend Rechnung getragen worden.
Endlich bedeutet die Zurückdrängung der Deutschen aus Beamteutum und Heer
ebenfalls eine ernsthafte wirtschaftliche Schädigung, um so mehr, als gerade diese
unfreiwillig zur Nuhe Gehetzten oft ihre ganzen Ersparnisse in Kriegsanleihe an¬
gelegt hatten.

Der Name "Dcntschbvhmen" selbst, ein völlig vom Sprachgebrauch des
Alltags wie der Wissenschaft registrierter ethnographisch wie topographisch wohl¬
begründeter Ausdruck, ist nun schon lange von Staats wegen verboten: man sieht
in seiner Verwendung eine Art irredentistischer Aufreizung. Dabei läßt sich ja
die Erörterung der Autonomiefrage selbst nicht Wohl verbieten,' freilich bleiben
solche Diskussionen unfruchtbar, solange die Tschechen ihre Hegemonie-, Staats¬
rechts- und HauSherruideale höher werten als die Notwendigkeit, durch Ver¬
minderung der Neibuugsflächeu alle verfügbaren Kräfte im Staate für die Arbeit
am kulturellen und wirtschaftlichen Aufbau frei zu bekommen.

Leider zeigt ein Blick auf die tschechische Presse, daß die Nationalisten, mit
dem bisher Erreichten noch lange nicht zufrieden, in ihrer offensiven Taktik noch
über den durch die Gesetze gezogenen Nahmen hinaus vorzustoßen gedenken. Er¬
kennt man doch selbst in Kreisen der Sozialdemokratie überhaupt die Existenz
eines geschlossenen deutschen Siedlungsgebiets keineswegs an: nur von "gemischt¬
sprachigen", "nicht rein tschechischen oder slowakischen", allenfalls von "germani¬
sierten" Gebieten hört man reden. Im Verfolg dieser Denkweise geht man
natürlich auch nicht auf den Gedanken ein, daß der im deutschen Siedlungsgebiete
enteignete Latifundienbvden an deutsche Bauern auszuteilen wäre. Und auch in
Handel und Industrie, die ja einen gewissen Grad von Kooperation erfordern,
versucht das durch agrarischen Kriegsgewinn und Ententefreunde verstärkte tschechische
Kapital, nicht aber mit Erfolg, den wirtschaftlichen Einfluß der "Kolonisten" zu
paralysieren. Für die unter deutschen Mehrheiten verteilten Tschechen ist keine
Schutzmaßregel kräftig genug (geht man doch schon so weit, die Existenz deutscher
Beamten in deutschen Gegenden zu beanstanden), auch die Kaiser-Jvsefs-Denkmäler
werden ja in Gnaden den "beleidigten Gefühlen" dieser Minderheiten geopfert,
während die Prager Deutschen trotz ihrer hohen ökonomischen Bedeutung und den
unleugbaren Notwendigkeiten des Fremdenverkehrs ihre Geschäfte und Bureaus,
ja selbst die akademischen Institute keineswegs mit deutscheu Aufschriften "schänden"
dürfen. Mit Recht wies solchen Torheiten gegenüber ein im Ausland lebender
Tscheche darauf hin, daß man selbst in Paris deutsche Aufschriften ruhig dulde.
Aber die Nationalisten fahren fort, z. V. gegen den deutschen Siedlungscharakter


Die Lcigc der Sudctendeutschen

auch die Passiver des österreichischen Staates zu übernehmen, um so mehr, als
die Zeichnung Ma Anleihen zumeist gar keinen politischen Charakter trug und die
schönste Geschichtskvnstrnktion nicht über die Tatsache hinweghelfen wird, daß die
Tschechen ihrer übergroßen Mehrzahl nach während des Krieges aber doch noch
ganz normale, wenn auch nicht immer erstklassige österreichische Soldaten und
keine Ententckrieger waren. Die gegen den deutschen Protest durchgesetzte Ab¬
findung der Anleihebesitzer mit einer nicht allzu erheblichen, dazu infolge der Ein-
lösungsmvdalitäten nur den Vermögenden zugänglichen Teilquote ist jedenfalls
nicht als besonders stattliche Morgengabe zu hundelt. Und auch bei der Neuauf¬
stellung der zentralen wirtschaftlichen Beratungskörper ist der großen ökonomischen
Bedeutung des Deutschtums nur sehr ungenügend Rechnung getragen worden.
Endlich bedeutet die Zurückdrängung der Deutschen aus Beamteutum und Heer
ebenfalls eine ernsthafte wirtschaftliche Schädigung, um so mehr, als gerade diese
unfreiwillig zur Nuhe Gehetzten oft ihre ganzen Ersparnisse in Kriegsanleihe an¬
gelegt hatten.

Der Name „Dcntschbvhmen" selbst, ein völlig vom Sprachgebrauch des
Alltags wie der Wissenschaft registrierter ethnographisch wie topographisch wohl¬
begründeter Ausdruck, ist nun schon lange von Staats wegen verboten: man sieht
in seiner Verwendung eine Art irredentistischer Aufreizung. Dabei läßt sich ja
die Erörterung der Autonomiefrage selbst nicht Wohl verbieten,' freilich bleiben
solche Diskussionen unfruchtbar, solange die Tschechen ihre Hegemonie-, Staats¬
rechts- und HauSherruideale höher werten als die Notwendigkeit, durch Ver¬
minderung der Neibuugsflächeu alle verfügbaren Kräfte im Staate für die Arbeit
am kulturellen und wirtschaftlichen Aufbau frei zu bekommen.

Leider zeigt ein Blick auf die tschechische Presse, daß die Nationalisten, mit
dem bisher Erreichten noch lange nicht zufrieden, in ihrer offensiven Taktik noch
über den durch die Gesetze gezogenen Nahmen hinaus vorzustoßen gedenken. Er¬
kennt man doch selbst in Kreisen der Sozialdemokratie überhaupt die Existenz
eines geschlossenen deutschen Siedlungsgebiets keineswegs an: nur von „gemischt¬
sprachigen", „nicht rein tschechischen oder slowakischen", allenfalls von „germani¬
sierten" Gebieten hört man reden. Im Verfolg dieser Denkweise geht man
natürlich auch nicht auf den Gedanken ein, daß der im deutschen Siedlungsgebiete
enteignete Latifundienbvden an deutsche Bauern auszuteilen wäre. Und auch in
Handel und Industrie, die ja einen gewissen Grad von Kooperation erfordern,
versucht das durch agrarischen Kriegsgewinn und Ententefreunde verstärkte tschechische
Kapital, nicht aber mit Erfolg, den wirtschaftlichen Einfluß der „Kolonisten" zu
paralysieren. Für die unter deutschen Mehrheiten verteilten Tschechen ist keine
Schutzmaßregel kräftig genug (geht man doch schon so weit, die Existenz deutscher
Beamten in deutschen Gegenden zu beanstanden), auch die Kaiser-Jvsefs-Denkmäler
werden ja in Gnaden den „beleidigten Gefühlen" dieser Minderheiten geopfert,
während die Prager Deutschen trotz ihrer hohen ökonomischen Bedeutung und den
unleugbaren Notwendigkeiten des Fremdenverkehrs ihre Geschäfte und Bureaus,
ja selbst die akademischen Institute keineswegs mit deutscheu Aufschriften „schänden"
dürfen. Mit Recht wies solchen Torheiten gegenüber ein im Ausland lebender
Tscheche darauf hin, daß man selbst in Paris deutsche Aufschriften ruhig dulde.
Aber die Nationalisten fahren fort, z. V. gegen den deutschen Siedlungscharakter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/232>, abgerufen am 29.12.2024.