Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Bürokraten-Briefe Aber, es kommt mir wirklich nicht darauf an, über die Schuld an unserem Sie wollen das nicht wahrhaben. Nach Ihrer Auffassung hat die Sozial¬ Das war die Ursache der Verblendung, die nach meiner Überzeugung letzten Soll ich Ihnen zeigen, wie sich nach meiner Beobachtung dies Gift in die Seele Sie haben sicher ebensooft wie ich-'die Redensart hören müssen: Der Krieg Französische Blätter schrieben schon anfangs 1917: "Deutschland bettelt um
Frieden!" Bürokraten-Briefe Aber, es kommt mir wirklich nicht darauf an, über die Schuld an unserem Sie wollen das nicht wahrhaben. Nach Ihrer Auffassung hat die Sozial¬ Das war die Ursache der Verblendung, die nach meiner Überzeugung letzten Soll ich Ihnen zeigen, wie sich nach meiner Beobachtung dies Gift in die Seele Sie haben sicher ebensooft wie ich-'die Redensart hören müssen: Der Krieg Französische Blätter schrieben schon anfangs 1917: „Deutschland bettelt um
Frieden!" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338455"/> <fw type="header" place="top"> Bürokraten-Briefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_37"> Aber, es kommt mir wirklich nicht darauf an, über die Schuld an unserem<lb/> heutigen Elend mit Ihnen zu rechten. Die Gewissensfrage, die ich Ihnen stellen<lb/> mußte, war die: ob ein Mann von nationalem Bewußtsein mit einer Partei gehen<lb/> turn, die den nationalen Gedanken nicht nur grundsätzlich verleugnet, sondern in<lb/> der höchsten Not des Vaterlandes durch die Tat bewiesen hat, daß ihre Partciziele ihr<lb/> mehr am Herzen liegen als seine Rettung.</p><lb/> <p xml:id="ID_38"> Sie wollen das nicht wahrhaben. Nach Ihrer Auffassung hat die Sozial¬<lb/> demokratie — deren Versuche, am Feuer der allgemeinen Not ihre Parteisuppen zu<lb/> kochen, Sie nicht wegleugnen können! — Gefahr und Heil des- Vaterlandes nur<lb/> anders angeschaut und sich schlimmstenfalls darin ebenso wie andere geirrt. Ich<lb/> behaupte das Gegenteil: im Willen, nicht im Urteil war ihre Haltung begründet.<lb/> „Wenn wir gewußt Hütten, daß es so kommen würde," heißt es jetzt____ Nun<lb/> denn: Ihr konntet es wissen. Ihr müßtet es wissen. Ihr hättet es gewußt so gut wie<lb/> wir, die es hundertmal vorausgesagt haben, wenn euer Blick nicht durch die Richtung<lb/> eures Willens befangen gewesen wäre! Wie war es sonst möglich, den bitteren Ernst<lb/> der feindlichen Drohung, zu kämpfen, bis Deutschland ein Friedensdiktat annehmen<lb/> müsse, zu verkennen und daran zu zweifeln, daß nur eine Kriegführung, die dem<lb/> Feinde die Fortsetzung des Kampfes unerträglich mache, ihn an der Ver¬<lb/> wirklichung dieser Drohung hindern werde? Wie konnte man in dieser<lb/> Lage auf das Geschwätz von Verständigungsfrieden, Gerechtigkeit, Völker¬<lb/> bund, Befreiung Deutschlands vom Militarismus, vom preußischen und<lb/> kaiserlichen Joche etwas geben, oder gar auf die seichten Nachmittags¬<lb/> predigten, die über den Ozean herübergekabelt wurden und deren Hohlheit<lb/> jedem feineren Ohr schon ihr löschpapierner Klang verraten mußte? Waren die rin<lb/> Blindheit geschlagen, die sich davon einfangen ließen, die die Kriegsverlüngerer<lb/> durchaus im eigenen Lande sehen wollten, ihre Bekämpfung und die der Annexionisten<lb/> im eigenen Lager für wichtiger hielten als die des äußeren Feindes, und die statt<lb/> durch Anspannung aller Widerstandskraft durch immer wiederholte Beteuerung des<lb/> im feindlichen Auslande gar nicht bezweifelten und bereits verspotteten*) deutschen<lb/> Friedenswillens zum Ende des Krieges zu kommen hofften? Ich kann an ein<lb/> solches Maß von Einsichtslosigkeit nicht glauben. Man wollte nicht sehen, sonst<lb/> hätte man den Sieg wollen müssen, und das wollte man nicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_39"> Das war die Ursache der Verblendung, die nach meiner Überzeugung letzten<lb/> Endes das Schicksal Deutschlands besiegelt hat: Mangel an Willen zum Siege, in<lb/> vielfacher Abstufung von der Gleichgültigkeit gegen den Ausgang des Krieges bis<lb/> ^jur Scheu vor dem eigenen Siege, ja bis zur leidenschaftlichen Parteinahme für<lb/> die Sache der Feinde.</p><lb/> <p xml:id="ID_40"> Soll ich Ihnen zeigen, wie sich nach meiner Beobachtung dies Gift in die Seele<lb/> des deutschen Volkes gefressen hat?</p><lb/> <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Sie haben sicher ebensooft wie ich-'die Redensart hören müssen: Der Krieg<lb/> wird ja nur für die Reichen geführt. Auf allen Gassen klang es so, an allen Bier¬<lb/> tischen, auf den Hintertreppen, in der Eisenbahn, wenn man dritter Klasse fuhr. In<lb/> der zweiten hieß es: Der Sieg komme nur der Schwerindustrie zugute; oder dem</p><lb/> <note xml:id="FID_3" place="foot"> Französische Blätter schrieben schon anfangs 1917: „Deutschland bettelt um<lb/> Frieden!"</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Bürokraten-Briefe
Aber, es kommt mir wirklich nicht darauf an, über die Schuld an unserem
heutigen Elend mit Ihnen zu rechten. Die Gewissensfrage, die ich Ihnen stellen
mußte, war die: ob ein Mann von nationalem Bewußtsein mit einer Partei gehen
turn, die den nationalen Gedanken nicht nur grundsätzlich verleugnet, sondern in
der höchsten Not des Vaterlandes durch die Tat bewiesen hat, daß ihre Partciziele ihr
mehr am Herzen liegen als seine Rettung.
Sie wollen das nicht wahrhaben. Nach Ihrer Auffassung hat die Sozial¬
demokratie — deren Versuche, am Feuer der allgemeinen Not ihre Parteisuppen zu
kochen, Sie nicht wegleugnen können! — Gefahr und Heil des- Vaterlandes nur
anders angeschaut und sich schlimmstenfalls darin ebenso wie andere geirrt. Ich
behaupte das Gegenteil: im Willen, nicht im Urteil war ihre Haltung begründet.
„Wenn wir gewußt Hütten, daß es so kommen würde," heißt es jetzt____ Nun
denn: Ihr konntet es wissen. Ihr müßtet es wissen. Ihr hättet es gewußt so gut wie
wir, die es hundertmal vorausgesagt haben, wenn euer Blick nicht durch die Richtung
eures Willens befangen gewesen wäre! Wie war es sonst möglich, den bitteren Ernst
der feindlichen Drohung, zu kämpfen, bis Deutschland ein Friedensdiktat annehmen
müsse, zu verkennen und daran zu zweifeln, daß nur eine Kriegführung, die dem
Feinde die Fortsetzung des Kampfes unerträglich mache, ihn an der Ver¬
wirklichung dieser Drohung hindern werde? Wie konnte man in dieser
Lage auf das Geschwätz von Verständigungsfrieden, Gerechtigkeit, Völker¬
bund, Befreiung Deutschlands vom Militarismus, vom preußischen und
kaiserlichen Joche etwas geben, oder gar auf die seichten Nachmittags¬
predigten, die über den Ozean herübergekabelt wurden und deren Hohlheit
jedem feineren Ohr schon ihr löschpapierner Klang verraten mußte? Waren die rin
Blindheit geschlagen, die sich davon einfangen ließen, die die Kriegsverlüngerer
durchaus im eigenen Lande sehen wollten, ihre Bekämpfung und die der Annexionisten
im eigenen Lager für wichtiger hielten als die des äußeren Feindes, und die statt
durch Anspannung aller Widerstandskraft durch immer wiederholte Beteuerung des
im feindlichen Auslande gar nicht bezweifelten und bereits verspotteten*) deutschen
Friedenswillens zum Ende des Krieges zu kommen hofften? Ich kann an ein
solches Maß von Einsichtslosigkeit nicht glauben. Man wollte nicht sehen, sonst
hätte man den Sieg wollen müssen, und das wollte man nicht!
Das war die Ursache der Verblendung, die nach meiner Überzeugung letzten
Endes das Schicksal Deutschlands besiegelt hat: Mangel an Willen zum Siege, in
vielfacher Abstufung von der Gleichgültigkeit gegen den Ausgang des Krieges bis
^jur Scheu vor dem eigenen Siege, ja bis zur leidenschaftlichen Parteinahme für
die Sache der Feinde.
Soll ich Ihnen zeigen, wie sich nach meiner Beobachtung dies Gift in die Seele
des deutschen Volkes gefressen hat?
Sie haben sicher ebensooft wie ich-'die Redensart hören müssen: Der Krieg
wird ja nur für die Reichen geführt. Auf allen Gassen klang es so, an allen Bier¬
tischen, auf den Hintertreppen, in der Eisenbahn, wenn man dritter Klasse fuhr. In
der zweiten hieß es: Der Sieg komme nur der Schwerindustrie zugute; oder dem
Französische Blätter schrieben schon anfangs 1917: „Deutschland bettelt um
Frieden!"
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