Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Offener Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten usw. Vertreter eines südamerikanischen Staates auf der Völkerbundsversammlung in Als Deutschland durch den Hungerkrieg geneigt wurde, den Vertrag von Offener Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten usw. Vertreter eines südamerikanischen Staates auf der Völkerbundsversammlung in Als Deutschland durch den Hungerkrieg geneigt wurde, den Vertrag von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338643"/> <fw type="header" place="top"> Offener Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten usw.</fw><lb/> <p xml:id="ID_696" prev="#ID_695"> Vertreter eines südamerikanischen Staates auf der Völkerbundsversammlung in<lb/> Genf, Herr Puhrredon, den Weg angedeutet, auf dem die Völker von dem<lb/> zerstörenden „Krieg nach dem Kriege" hinweg zur steigenden Wohlfahrt der<lb/> menschlichen Gesamtheit gelangen können. Europa erwartet von der führenden<lb/> Macht der Neuen Welt trotz den Enttäuschungen, welche vorgefallen sind, noch<lb/> immer, daß die schöpferische Kraft ihrer Staatengründer, Washington und Lincoln,<lb/> wiedererwache.</p><lb/> <p xml:id="ID_697" next="#ID_698"> Als Deutschland durch den Hungerkrieg geneigt wurde, den Vertrag von<lb/> Versailles zu unterschreiben, gab ihm der human gesinnte Teil der öffentlichen<lb/> Meinung in Amerika wie in der ganzen Welt den Trost, daß eine Revision der<lb/> unerfüllbaren und die Weltwirtschaft ruinierenden Bedingungen des Vertrags ja<lb/> immer noch eintreten könne. Diese Revision hat im Februar 1921 stattgefunden, jedoch<lb/> im Gegensinn! Infolge der Enthaltung Amerikas von den Beschlüssen des Obersten<lb/> Rates hat dieser den Boden des Vertrages von Versailles verlassen und Deutschland<lb/> mit erneuten Drohungen der Gewalt ein neues, noch schwereres Diktat auferlegen<lb/> wollen. Diese Revision des Versailler Friedensschlusses durch die Pariser Be¬<lb/> schlüsse von 1921 entfernt sich von jeder Schätzung des wirklichen materiellen<lb/> Kriegsschadens, den Deutschland auf Grund der vierzehn Punkte Wilsons und auf<lb/> Grund des Versailler Vertrags zu zahlen sich bereit erklärt hat, bis ins<lb/> Phantastische. Auf Generationen werden unvorstellbare Größen, weit mehr als<lb/> das ganze deutsche Nationalvermögen beträgt und mindestens das Dreifache des<lb/> wirklichen Kriegsschadens, verlangt. Durch die utopische Höhe dieser vertrags¬<lb/> widrigen Erpressung, sowie durch die darüber hinaus angedrohte Einführung<lb/> eines den deutschen Welthandel erdrosselnden Ausfuhrzolles haben England und<lb/> Frankreich erneut zum Ausdruck gebracht, daß ihnen der Krieg nach dem Kriege<lb/> über allen anderen Erwägungen steht. Nachdem Nußland aus derTafel der lebendigen<lb/> Völker ausgelöscht ist, soll auch das deutsche Volk von ihr gestrichen werden. Es ist die<lb/> Vermutung geäußert worden, daß gemäß den alten Überlieferungen britischer Politik<lb/> nunmehr die ganze Energie Englands sich auf die Niederhaltung des gefährlichsten<lb/> Konkurrenten, der in den Vereinigten Staaten erstanden ist, konzentrieren wird<lb/> und daß die Erdrosselung des deutschen Welthandels dazu dienen soll, einmal<lb/> den Rücken gegen Deutschland für alle Zeiten frei zu bekommen und sodann auch<lb/> Europa immer mehr von den lebendigen Beziehungen zu Übersee abzuschließen.<lb/> Wie immer es sich damit Verhalten möge, so liegt es doch klar am Tage, daß<lb/> die Entfernung Amerikas aus den europäischen Händeln gerade in dem Augen¬<lb/> blick, da das Gleichgewicht innerhalb der europäischen Staaten durch Amerikas<lb/> Waffenmacht zerstört wurde, letzten Endes sich auch gegen die Prosperität Amerikas<lb/> wendet. Die zu große Weltherrschaftsgier Englands hat bereits die Iren zum<lb/> Gegenstand des Mitleids wie der Hoffnung für die gesamte nichtbritische Welt<lb/> gemacht. Sollte nun das hungernde und der Freiheit beraubte Volk Deutsch¬<lb/> lands weniger der Sympathie würdig und bedürftig sein, sollte es als moralischer,<lb/> wirtschaftlicher und politischer Faktor weniger zählen als das zwölfmal kleinere irische<lb/> Volk? Augenblicklich bietet sich das groteske Bild, daß England und Frank¬<lb/> reich ars dem bruns sie selbst hoffnungslos bankerott gemachten Schuldner<lb/> Deutschland die Mittel herausprcsscn wollen, um ihre eigenen Schulden<lb/> an Amerika abtragen zu können,, und unter diesem Gesichtspunkt soll auch Amerika</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Offener Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten usw.
Vertreter eines südamerikanischen Staates auf der Völkerbundsversammlung in
Genf, Herr Puhrredon, den Weg angedeutet, auf dem die Völker von dem
zerstörenden „Krieg nach dem Kriege" hinweg zur steigenden Wohlfahrt der
menschlichen Gesamtheit gelangen können. Europa erwartet von der führenden
Macht der Neuen Welt trotz den Enttäuschungen, welche vorgefallen sind, noch
immer, daß die schöpferische Kraft ihrer Staatengründer, Washington und Lincoln,
wiedererwache.
Als Deutschland durch den Hungerkrieg geneigt wurde, den Vertrag von
Versailles zu unterschreiben, gab ihm der human gesinnte Teil der öffentlichen
Meinung in Amerika wie in der ganzen Welt den Trost, daß eine Revision der
unerfüllbaren und die Weltwirtschaft ruinierenden Bedingungen des Vertrags ja
immer noch eintreten könne. Diese Revision hat im Februar 1921 stattgefunden, jedoch
im Gegensinn! Infolge der Enthaltung Amerikas von den Beschlüssen des Obersten
Rates hat dieser den Boden des Vertrages von Versailles verlassen und Deutschland
mit erneuten Drohungen der Gewalt ein neues, noch schwereres Diktat auferlegen
wollen. Diese Revision des Versailler Friedensschlusses durch die Pariser Be¬
schlüsse von 1921 entfernt sich von jeder Schätzung des wirklichen materiellen
Kriegsschadens, den Deutschland auf Grund der vierzehn Punkte Wilsons und auf
Grund des Versailler Vertrags zu zahlen sich bereit erklärt hat, bis ins
Phantastische. Auf Generationen werden unvorstellbare Größen, weit mehr als
das ganze deutsche Nationalvermögen beträgt und mindestens das Dreifache des
wirklichen Kriegsschadens, verlangt. Durch die utopische Höhe dieser vertrags¬
widrigen Erpressung, sowie durch die darüber hinaus angedrohte Einführung
eines den deutschen Welthandel erdrosselnden Ausfuhrzolles haben England und
Frankreich erneut zum Ausdruck gebracht, daß ihnen der Krieg nach dem Kriege
über allen anderen Erwägungen steht. Nachdem Nußland aus derTafel der lebendigen
Völker ausgelöscht ist, soll auch das deutsche Volk von ihr gestrichen werden. Es ist die
Vermutung geäußert worden, daß gemäß den alten Überlieferungen britischer Politik
nunmehr die ganze Energie Englands sich auf die Niederhaltung des gefährlichsten
Konkurrenten, der in den Vereinigten Staaten erstanden ist, konzentrieren wird
und daß die Erdrosselung des deutschen Welthandels dazu dienen soll, einmal
den Rücken gegen Deutschland für alle Zeiten frei zu bekommen und sodann auch
Europa immer mehr von den lebendigen Beziehungen zu Übersee abzuschließen.
Wie immer es sich damit Verhalten möge, so liegt es doch klar am Tage, daß
die Entfernung Amerikas aus den europäischen Händeln gerade in dem Augen¬
blick, da das Gleichgewicht innerhalb der europäischen Staaten durch Amerikas
Waffenmacht zerstört wurde, letzten Endes sich auch gegen die Prosperität Amerikas
wendet. Die zu große Weltherrschaftsgier Englands hat bereits die Iren zum
Gegenstand des Mitleids wie der Hoffnung für die gesamte nichtbritische Welt
gemacht. Sollte nun das hungernde und der Freiheit beraubte Volk Deutsch¬
lands weniger der Sympathie würdig und bedürftig sein, sollte es als moralischer,
wirtschaftlicher und politischer Faktor weniger zählen als das zwölfmal kleinere irische
Volk? Augenblicklich bietet sich das groteske Bild, daß England und Frank¬
reich ars dem bruns sie selbst hoffnungslos bankerott gemachten Schuldner
Deutschland die Mittel herausprcsscn wollen, um ihre eigenen Schulden
an Amerika abtragen zu können,, und unter diesem Gesichtspunkt soll auch Amerika
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