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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Weltspiegel

Wieder hat man, wie nach San Remo, von einem "Unfall" Lloyd Georges
gesprochen. Wieder mit Unrecht. Glaubt man wirtlich, daß ein Staatsmann,
der sich unter den schwierigsten Umständen am Ruder zu hallen verstanden hat,
seine Meinung binnen drei Tagen radikal ändert? Die Politik Lloyd Georges ist
durchaus folgerichtig: sich die Führung Europas nicht aus den Händen winden
lassen und Zeit gewinnen, bis die Autorität des Friedcnsverirags, an dessen
Ausführung England, abgesehen von der Entwaffnungssrage, nicht mehr viel
gelegen ist, auch in Frankreich, wo er noch immer als Evangelium b trachtet
wird, so erschüttert ist, daß man neue Dekrete erlassen kann, die der Wirklichkeit
mehr gerecht werden. Es ist bereits mehrfach an dreser Stelle darauf hingewiesen
worden (Grenzboten 1920, Heft 37/L), daß Lloyd George seit Boulogne - Hythe
manches getan hat, um der gemäßigt praktischen Richtung in Frankreich'zum Siege
' zu verhelfen. Das ist auch viermal geschehen. Briand erscheint als der ener¬
gische Vertreter der Interessen Frankreichs, dem es gelungen ist, die Verbündeten
an der Stange zu halten. Besser man verschaffte Briand diesen Erfolg auf
Kosten Deutschlands, als daß man der Richtung Poincarö ans Ruder half.
Dabei hat Frankreich diese anscheinende Nachgiebigkeit Lloyv Georges obendrein
teuer bezahlen müssen. Die von Frankreich zugunsten seiner arg bedrohten Cilicien-
i'nteressen geforderte Revision des Vertrages von Sörnes ist aufgeschoben worden,
bis es England gelungen sein wird, auch die Politik Konstantins sür seine Zwecke
einzufangen und die Kemalisten von den Bolschewisten loszusprengen (wenn es
sein muß auf Kosten einer Einigung zwischen den Regierungen von Konstantinopel
und Angora, die man dann beherrschen und als Sturmbock gegen den sich in
Konstantinopel bedrohlich ausbreitenden Einfluß der Bolschewismen einerseits, der
Franzosen andererseits benutzen könnte). Für Osterreich, sür dessen weitere
Sonderexistenz Frankreich großes Interesse, aber leider kein Geld übrig hat, ist
auch weiterhin nichts Endgültiges und aus keinen Fall Wirksames geschehen (da
man um der englischen Donauinteressen willen die Dinge noch in der Schwebe
lassen möchte) und vor allem die Raubstaaten Lettland und Estland mußten
auch von Frankreich anerkannt werden. Damit haben die Franzosen tatsächlich
die Fäden zum alten Rußland, dessen Vertreter in Paris denn auch sofort protestiert
haben, zerschnitten, so sehr man sich auch bemüht, den begangenen Fehler wieder
gutzumachen. England aber hat mit dieser Anerkennung der beiden Raubstaaten
einen tüchtigen Schritt weiter zur ausschließlichen Beherrschung der Öhls e getan.
Estland und Lettland sind im Grunde Nickis weiter als englische Schutzstaaten.

Was kann Deutschland angesichts der Pariser Beschlüsse tun? Sie einfach igno¬
rieren und die Brüsseler Verhandlungen wieder unter günstigen Bedingungen aufzu¬
nehmen suchen. Die iLntentebehördcn müssen lernen, daß ihre Dekrete nicht anwendbar
sind, die Regierten der Ententeländer, daß ihre Behörden Unsinn dekretiert haben.

Es muß gelingen, denn im Osten wartet Lemm auf die große Stunde des
westlichen Zusammenbiuchs. Alle endgültigen Bindungen und Regelungen schiebt
er planmäßig hinaus. Mit Aufmerksamkeit verfolgt er die ständig sich ver¬
größernde Kluft zwischen Bürokratie und Wirklichkeit (die sich ja auch im Einzel¬
leben der standen zusehends erweitert). Mit Interesse gewahrt er, wie die
Bürokratie immer mehr daneben regiert, die W rkUchkeit sich immer mehr
ana.chisiert. sah.in hat er in allen Ländern durch zielbewußte Spaltung der
Arde te!Parteien entschlossene Propagcmdakerne zu bilden gewußt, die die zwrichen
kleinkapitalistischen und anarchistischen Gelüsten hin und her schwankenden Arbeiter¬
massen im gegeben," Augenblick beherrschen können, die inzwischen theoretisch ^uno
Praktisch im Sowjersystem ausgebildet werden. (Nach dem italienischen Bespiel
hat man, vereinzelt, schon in B lgien angefangen, während man in Frankretch
die eigenmächtige Besetzung von Fabriken zur Verhütung der Arde.tslostgkett erst
theoreiisch, aber allen Ernstes berät.) Wird man das Problem der uifvlge
jahrelanger unproduktiver Ausgaben gesunkenen Kemskraft in Einklang zu bringen
Wissen rin der Notwendigkeit für Millionen von Produzenten, vom Absatz ilirer
Produkte ihr Leben zu 'fristen? Dies ist das wahre Problem Europas und
,
Menenius Nicht die Una-.tastbarkeit des Aktenstücks von Versailles.


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Wieder hat man, wie nach San Remo, von einem „Unfall" Lloyd Georges
gesprochen. Wieder mit Unrecht. Glaubt man wirtlich, daß ein Staatsmann,
der sich unter den schwierigsten Umständen am Ruder zu hallen verstanden hat,
seine Meinung binnen drei Tagen radikal ändert? Die Politik Lloyd Georges ist
durchaus folgerichtig: sich die Führung Europas nicht aus den Händen winden
lassen und Zeit gewinnen, bis die Autorität des Friedcnsverirags, an dessen
Ausführung England, abgesehen von der Entwaffnungssrage, nicht mehr viel
gelegen ist, auch in Frankreich, wo er noch immer als Evangelium b trachtet
wird, so erschüttert ist, daß man neue Dekrete erlassen kann, die der Wirklichkeit
mehr gerecht werden. Es ist bereits mehrfach an dreser Stelle darauf hingewiesen
worden (Grenzboten 1920, Heft 37/L), daß Lloyd George seit Boulogne - Hythe
manches getan hat, um der gemäßigt praktischen Richtung in Frankreich'zum Siege
' zu verhelfen. Das ist auch viermal geschehen. Briand erscheint als der ener¬
gische Vertreter der Interessen Frankreichs, dem es gelungen ist, die Verbündeten
an der Stange zu halten. Besser man verschaffte Briand diesen Erfolg auf
Kosten Deutschlands, als daß man der Richtung Poincarö ans Ruder half.
Dabei hat Frankreich diese anscheinende Nachgiebigkeit Lloyv Georges obendrein
teuer bezahlen müssen. Die von Frankreich zugunsten seiner arg bedrohten Cilicien-
i'nteressen geforderte Revision des Vertrages von Sörnes ist aufgeschoben worden,
bis es England gelungen sein wird, auch die Politik Konstantins sür seine Zwecke
einzufangen und die Kemalisten von den Bolschewisten loszusprengen (wenn es
sein muß auf Kosten einer Einigung zwischen den Regierungen von Konstantinopel
und Angora, die man dann beherrschen und als Sturmbock gegen den sich in
Konstantinopel bedrohlich ausbreitenden Einfluß der Bolschewismen einerseits, der
Franzosen andererseits benutzen könnte). Für Osterreich, sür dessen weitere
Sonderexistenz Frankreich großes Interesse, aber leider kein Geld übrig hat, ist
auch weiterhin nichts Endgültiges und aus keinen Fall Wirksames geschehen (da
man um der englischen Donauinteressen willen die Dinge noch in der Schwebe
lassen möchte) und vor allem die Raubstaaten Lettland und Estland mußten
auch von Frankreich anerkannt werden. Damit haben die Franzosen tatsächlich
die Fäden zum alten Rußland, dessen Vertreter in Paris denn auch sofort protestiert
haben, zerschnitten, so sehr man sich auch bemüht, den begangenen Fehler wieder
gutzumachen. England aber hat mit dieser Anerkennung der beiden Raubstaaten
einen tüchtigen Schritt weiter zur ausschließlichen Beherrschung der Öhls e getan.
Estland und Lettland sind im Grunde Nickis weiter als englische Schutzstaaten.

Was kann Deutschland angesichts der Pariser Beschlüsse tun? Sie einfach igno¬
rieren und die Brüsseler Verhandlungen wieder unter günstigen Bedingungen aufzu¬
nehmen suchen. Die iLntentebehördcn müssen lernen, daß ihre Dekrete nicht anwendbar
sind, die Regierten der Ententeländer, daß ihre Behörden Unsinn dekretiert haben.

Es muß gelingen, denn im Osten wartet Lemm auf die große Stunde des
westlichen Zusammenbiuchs. Alle endgültigen Bindungen und Regelungen schiebt
er planmäßig hinaus. Mit Aufmerksamkeit verfolgt er die ständig sich ver¬
größernde Kluft zwischen Bürokratie und Wirklichkeit (die sich ja auch im Einzel¬
leben der standen zusehends erweitert). Mit Interesse gewahrt er, wie die
Bürokratie immer mehr daneben regiert, die W rkUchkeit sich immer mehr
ana.chisiert. sah.in hat er in allen Ländern durch zielbewußte Spaltung der
Arde te!Parteien entschlossene Propagcmdakerne zu bilden gewußt, die die zwrichen
kleinkapitalistischen und anarchistischen Gelüsten hin und her schwankenden Arbeiter¬
massen im gegeben,» Augenblick beherrschen können, die inzwischen theoretisch ^uno
Praktisch im Sowjersystem ausgebildet werden. (Nach dem italienischen Bespiel
hat man, vereinzelt, schon in B lgien angefangen, während man in Frankretch
die eigenmächtige Besetzung von Fabriken zur Verhütung der Arde.tslostgkett erst
theoreiisch, aber allen Ernstes berät.) Wird man das Problem der uifvlge
jahrelanger unproduktiver Ausgaben gesunkenen Kemskraft in Einklang zu bringen
Wissen rin der Notwendigkeit für Millionen von Produzenten, vom Absatz ilirer
Produkte ihr Leben zu 'fristen? Dies ist das wahre Problem Europas und
,
Menenius Nicht die Una-.tastbarkeit des Aktenstücks von Versailles.


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[0201] Weltspiegel Wieder hat man, wie nach San Remo, von einem „Unfall" Lloyd Georges gesprochen. Wieder mit Unrecht. Glaubt man wirtlich, daß ein Staatsmann, der sich unter den schwierigsten Umständen am Ruder zu hallen verstanden hat, seine Meinung binnen drei Tagen radikal ändert? Die Politik Lloyd Georges ist durchaus folgerichtig: sich die Führung Europas nicht aus den Händen winden lassen und Zeit gewinnen, bis die Autorität des Friedcnsverirags, an dessen Ausführung England, abgesehen von der Entwaffnungssrage, nicht mehr viel gelegen ist, auch in Frankreich, wo er noch immer als Evangelium b trachtet wird, so erschüttert ist, daß man neue Dekrete erlassen kann, die der Wirklichkeit mehr gerecht werden. Es ist bereits mehrfach an dreser Stelle darauf hingewiesen worden (Grenzboten 1920, Heft 37/L), daß Lloyd George seit Boulogne - Hythe manches getan hat, um der gemäßigt praktischen Richtung in Frankreich'zum Siege ' zu verhelfen. Das ist auch viermal geschehen. Briand erscheint als der ener¬ gische Vertreter der Interessen Frankreichs, dem es gelungen ist, die Verbündeten an der Stange zu halten. Besser man verschaffte Briand diesen Erfolg auf Kosten Deutschlands, als daß man der Richtung Poincarö ans Ruder half. Dabei hat Frankreich diese anscheinende Nachgiebigkeit Lloyv Georges obendrein teuer bezahlen müssen. Die von Frankreich zugunsten seiner arg bedrohten Cilicien- i'nteressen geforderte Revision des Vertrages von Sörnes ist aufgeschoben worden, bis es England gelungen sein wird, auch die Politik Konstantins sür seine Zwecke einzufangen und die Kemalisten von den Bolschewisten loszusprengen (wenn es sein muß auf Kosten einer Einigung zwischen den Regierungen von Konstantinopel und Angora, die man dann beherrschen und als Sturmbock gegen den sich in Konstantinopel bedrohlich ausbreitenden Einfluß der Bolschewismen einerseits, der Franzosen andererseits benutzen könnte). Für Osterreich, sür dessen weitere Sonderexistenz Frankreich großes Interesse, aber leider kein Geld übrig hat, ist auch weiterhin nichts Endgültiges und aus keinen Fall Wirksames geschehen (da man um der englischen Donauinteressen willen die Dinge noch in der Schwebe lassen möchte) und vor allem die Raubstaaten Lettland und Estland mußten auch von Frankreich anerkannt werden. Damit haben die Franzosen tatsächlich die Fäden zum alten Rußland, dessen Vertreter in Paris denn auch sofort protestiert haben, zerschnitten, so sehr man sich auch bemüht, den begangenen Fehler wieder gutzumachen. England aber hat mit dieser Anerkennung der beiden Raubstaaten einen tüchtigen Schritt weiter zur ausschließlichen Beherrschung der Öhls e getan. Estland und Lettland sind im Grunde Nickis weiter als englische Schutzstaaten. Was kann Deutschland angesichts der Pariser Beschlüsse tun? Sie einfach igno¬ rieren und die Brüsseler Verhandlungen wieder unter günstigen Bedingungen aufzu¬ nehmen suchen. Die iLntentebehördcn müssen lernen, daß ihre Dekrete nicht anwendbar sind, die Regierten der Ententeländer, daß ihre Behörden Unsinn dekretiert haben. Es muß gelingen, denn im Osten wartet Lemm auf die große Stunde des westlichen Zusammenbiuchs. Alle endgültigen Bindungen und Regelungen schiebt er planmäßig hinaus. Mit Aufmerksamkeit verfolgt er die ständig sich ver¬ größernde Kluft zwischen Bürokratie und Wirklichkeit (die sich ja auch im Einzel¬ leben der standen zusehends erweitert). Mit Interesse gewahrt er, wie die Bürokratie immer mehr daneben regiert, die W rkUchkeit sich immer mehr ana.chisiert. sah.in hat er in allen Ländern durch zielbewußte Spaltung der Arde te!Parteien entschlossene Propagcmdakerne zu bilden gewußt, die die zwrichen kleinkapitalistischen und anarchistischen Gelüsten hin und her schwankenden Arbeiter¬ massen im gegeben,» Augenblick beherrschen können, die inzwischen theoretisch ^uno Praktisch im Sowjersystem ausgebildet werden. (Nach dem italienischen Bespiel hat man, vereinzelt, schon in B lgien angefangen, während man in Frankretch die eigenmächtige Besetzung von Fabriken zur Verhütung der Arde.tslostgkett erst theoreiisch, aber allen Ernstes berät.) Wird man das Problem der uifvlge jahrelanger unproduktiver Ausgaben gesunkenen Kemskraft in Einklang zu bringen Wissen rin der Notwendigkeit für Millionen von Produzenten, vom Absatz ilirer Produkte ihr Leben zu 'fristen? Dies ist das wahre Problem Europas und , Menenius Nicht die Una-.tastbarkeit des Aktenstücks von Versailles.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/201>, abgerufen am 23.07.2024.