Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Weltspiegel Friedenszielcrllärungen und die Berichte der Sachverständigen. Die Berichte der Denn so lange es auf der Welt Behörden und Beamte gibt, ist von ihnen Hinzu kommt, daß die anscheinenden Herrscher im Grunde die Beherrschten, Dieser ganze Apparat in parlamentarisch regieren Ländern duldet es nicht, Weltspiegel Friedenszielcrllärungen und die Berichte der Sachverständigen. Die Berichte der Denn so lange es auf der Welt Behörden und Beamte gibt, ist von ihnen Hinzu kommt, daß die anscheinenden Herrscher im Grunde die Beherrschten, Dieser ganze Apparat in parlamentarisch regieren Ländern duldet es nicht, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338633"/> <fw type="header" place="top"> Weltspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_666" prev="#ID_665"> Friedenszielcrllärungen und die Berichte der Sachverständigen. Die Berichte der<lb/> Sachverständigen aber waren insofern falsch, als sie erstens als Norm den Zustand<lb/> vor dem Kriege annahmen, der tarsächlich nicht mehr bestand, zweitens mit Weiter¬<lb/> entwicklungen rechneten, die ihrer Natur noch > icht zu übersehen waren. Gestützt<lb/> auf unsichere Grundlogen, brachten diese Berichte nicht dos, was tatsächlich zu<lb/> erreichen war, sondern Was wünschenswert und unentbehrlich schien. Diese Er¬<lb/> klärungen und Beliebte nun waren durch die Friedenskonftrenz fo miteinander in<lb/> Einklang zu bringen, daß keinem der verantwortlichen Unterhändler von feiten<lb/> der Parlamente Vorwürfe gemacht werden konnten. Ob Deutschland diese Ver¬<lb/> einbarung anerkennen würde oder nicht, war gleichgültig, man hatte ja die Macht,<lb/> und richtig unterzeichneten ja auch deutsche Regierungsvertreter dies Aktenstück,<lb/> das vielleicht 4000 Deutsche gelesen, 50 in seiner ganzen Tragweite verstanden<lb/> hatten, unterzeichneten es ohne rechte Kenntnis und Überlegung, Aber wenn auch<lb/> in dieser Beziehung die Friedenskonferenz richtig kalkuliere halte, so hatte sie doch<lb/> übersehen, daß mit dieser aktenmäßigen Erledigung die wirklichen Vorgänge noch<lb/> lange nicht erledigt waren, vor allem deshalb nicht, weil man bei allen diplomatisch¬<lb/> bürokratischen Bemühungen, eine alle Teile befriedigenden Wortlaut zu finden,<lb/> nie oder nur sehr selten daran gedacht hatte, ob denn auch die mit so großem<lb/> Weiß und so viel Geschick entworfenen Sätze praknsch ausführbar seien. Und als<lb/> es sich nun zeigte, daß das nicht der Fall sei, begann der große Kampf zwischen Leben<lb/> und Bürokratie, der Europa fortdauernd in schmerzlichen Krämpfen erzucken läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_667"> Denn so lange es auf der Welt Behörden und Beamte gibt, ist von ihnen<lb/> — das liegt in ihrer Natur — noch nie zugegeben worden, daß sie sich geirrt<lb/> haben. Man macht es wie ein Lehramiskandidat, der keine Disziplin zu halten<lb/> vermag: wenn man merkt, die Sache ist nicht durchzusetzen, tut man als ob nichts<lb/> geschehen wäre und gibt rasch eine neue Anweisung. Der traurige Witz in dem<lb/> vorliegenden Falle ist aber der, daß die wirklichen Dinge sich viel rascher ent¬<lb/> wickeln als die alliierten Regierungen Anweisungen zu erlassen imstande sind, und<lb/> daß jeder neue Erlaß des allerobersten „Rates" (tun-us g, non in^enäo) den<lb/> Ereignissen stand g nachhinkt. Ehe man sich auf Grund von Unterberrchten,<lb/> Resumös nach langen Verhandlungen, Aufschüben, Verhinderungen, Kabinetts-<lb/> wechseln geeinigt hat, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus wie zur Zeit<lb/> der Abfassung der Unterberichte.</p><lb/> <p xml:id="ID_668"> Hinzu kommt, daß die anscheinenden Herrscher im Grunde die Beherrschten,<lb/> jedenfalls die Abhängigen sind, und, weil sie samt und sonders karrierengicrige<lb/> Privutpolitiker sind, eine Heidenangst vor den Parlamenten haben, die ihrerseits<lb/> von Gefühlen und Privatgeschäfilichnr Interessen beherrscht sind, die wieder mit<lb/> Praktischer Politik sehr wenig zu tun haben. Infolgedessen acht auf allen inter¬<lb/> alliierten Konferenzen das gleiche So>el vor sich:' auf Grund von überholten<lb/> Sachverstündigenberichten Dekrete zu formulieren, die keinen der Unterhändler vor<lb/> seinem Parlament bloßstellen. Ob das Dekretierte sich praktiich durchführen läßt,<lb/> ist eine Sache für sich. Das imeressiert auch die Parlamente, die meist eben<lb/> nicht sachverständig sind, nicht, In den Parlamenten fragt man sich nur: Was<lb/> läßt sich dabei für die nächsten Wahlen, für meine Karriere l',crausschlag/n?</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Dieser ganze Apparat in parlamentarisch regieren Ländern duldet es nicht,<lb/> daß sich praktisch geschulte Sachverständige zusammensetzen und ein Problem rein<lb/> sachlich erörtern. Die Brüsseler Verhandlungen mußten unterbrochen werden,<lb/> damit 5er Irrsinn des Friedensvertrags nicht zu deutlich hervortrat. Die Wähler<lb/> Frankreichs wollten die Kosten eines im Interesse Englands übrr Gebühr ver¬<lb/> längerten Krieges nicht tragen. Also mußte das Kabinett Lcygues gestürzt werden.-<lb/> Zugleich wollte England sich auf teilen Fall die Führung >n"der obersten Behörde<lb/> nehmen lassen^ es will die Hände im europäische Spuk behalten. Darum mußte<lb/> zwar (natürlich auch mit Rücksicht auf Amerika) eine Einen zipierung Frankreichs<lb/> vermieden, die ex>rem - nationalistische Nichiung ausgeschaltet, aber auch die,<lb/> Brüsseler Verhandlungen ignoriert werden. Und zu diesem Zwecke wurde die<lb/> Pariser Konferenz arrangiert.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
Weltspiegel
Friedenszielcrllärungen und die Berichte der Sachverständigen. Die Berichte der
Sachverständigen aber waren insofern falsch, als sie erstens als Norm den Zustand
vor dem Kriege annahmen, der tarsächlich nicht mehr bestand, zweitens mit Weiter¬
entwicklungen rechneten, die ihrer Natur noch > icht zu übersehen waren. Gestützt
auf unsichere Grundlogen, brachten diese Berichte nicht dos, was tatsächlich zu
erreichen war, sondern Was wünschenswert und unentbehrlich schien. Diese Er¬
klärungen und Beliebte nun waren durch die Friedenskonftrenz fo miteinander in
Einklang zu bringen, daß keinem der verantwortlichen Unterhändler von feiten
der Parlamente Vorwürfe gemacht werden konnten. Ob Deutschland diese Ver¬
einbarung anerkennen würde oder nicht, war gleichgültig, man hatte ja die Macht,
und richtig unterzeichneten ja auch deutsche Regierungsvertreter dies Aktenstück,
das vielleicht 4000 Deutsche gelesen, 50 in seiner ganzen Tragweite verstanden
hatten, unterzeichneten es ohne rechte Kenntnis und Überlegung, Aber wenn auch
in dieser Beziehung die Friedenskonferenz richtig kalkuliere halte, so hatte sie doch
übersehen, daß mit dieser aktenmäßigen Erledigung die wirklichen Vorgänge noch
lange nicht erledigt waren, vor allem deshalb nicht, weil man bei allen diplomatisch¬
bürokratischen Bemühungen, eine alle Teile befriedigenden Wortlaut zu finden,
nie oder nur sehr selten daran gedacht hatte, ob denn auch die mit so großem
Weiß und so viel Geschick entworfenen Sätze praknsch ausführbar seien. Und als
es sich nun zeigte, daß das nicht der Fall sei, begann der große Kampf zwischen Leben
und Bürokratie, der Europa fortdauernd in schmerzlichen Krämpfen erzucken läßt.
Denn so lange es auf der Welt Behörden und Beamte gibt, ist von ihnen
— das liegt in ihrer Natur — noch nie zugegeben worden, daß sie sich geirrt
haben. Man macht es wie ein Lehramiskandidat, der keine Disziplin zu halten
vermag: wenn man merkt, die Sache ist nicht durchzusetzen, tut man als ob nichts
geschehen wäre und gibt rasch eine neue Anweisung. Der traurige Witz in dem
vorliegenden Falle ist aber der, daß die wirklichen Dinge sich viel rascher ent¬
wickeln als die alliierten Regierungen Anweisungen zu erlassen imstande sind, und
daß jeder neue Erlaß des allerobersten „Rates" (tun-us g, non in^enäo) den
Ereignissen stand g nachhinkt. Ehe man sich auf Grund von Unterberrchten,
Resumös nach langen Verhandlungen, Aufschüben, Verhinderungen, Kabinetts-
wechseln geeinigt hat, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus wie zur Zeit
der Abfassung der Unterberichte.
Hinzu kommt, daß die anscheinenden Herrscher im Grunde die Beherrschten,
jedenfalls die Abhängigen sind, und, weil sie samt und sonders karrierengicrige
Privutpolitiker sind, eine Heidenangst vor den Parlamenten haben, die ihrerseits
von Gefühlen und Privatgeschäfilichnr Interessen beherrscht sind, die wieder mit
Praktischer Politik sehr wenig zu tun haben. Infolgedessen acht auf allen inter¬
alliierten Konferenzen das gleiche So>el vor sich:' auf Grund von überholten
Sachverstündigenberichten Dekrete zu formulieren, die keinen der Unterhändler vor
seinem Parlament bloßstellen. Ob das Dekretierte sich praktiich durchführen läßt,
ist eine Sache für sich. Das imeressiert auch die Parlamente, die meist eben
nicht sachverständig sind, nicht, In den Parlamenten fragt man sich nur: Was
läßt sich dabei für die nächsten Wahlen, für meine Karriere l',crausschlag/n?
Dieser ganze Apparat in parlamentarisch regieren Ländern duldet es nicht,
daß sich praktisch geschulte Sachverständige zusammensetzen und ein Problem rein
sachlich erörtern. Die Brüsseler Verhandlungen mußten unterbrochen werden,
damit 5er Irrsinn des Friedensvertrags nicht zu deutlich hervortrat. Die Wähler
Frankreichs wollten die Kosten eines im Interesse Englands übrr Gebühr ver¬
längerten Krieges nicht tragen. Also mußte das Kabinett Lcygues gestürzt werden.-
Zugleich wollte England sich auf teilen Fall die Führung >n"der obersten Behörde
nehmen lassen^ es will die Hände im europäische Spuk behalten. Darum mußte
zwar (natürlich auch mit Rücksicht auf Amerika) eine Einen zipierung Frankreichs
vermieden, die ex>rem - nationalistische Nichiung ausgeschaltet, aber auch die,
Brüsseler Verhandlungen ignoriert werden. Und zu diesem Zwecke wurde die
Pariser Konferenz arrangiert.
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