Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Parteien

Finanzen einen bewährten Oberlehrer der Mathematik erwählt habe, der sich
durch keinerlei besondere Kenntnis, Erfahrung und Talente in deutscher und aus¬
ländischer Finanzwirtschaft und Politik auszeichne. Die Antwort mußte lauten,
daß das Zentrum nun einmal nicht die Partei der Bankdirektoren oder sonstigen
Finanzleute sei, daß andererseits ein Beamtenminister die Majestät des Parlaments
verletzen würde und daß man infolgedessen sich genötigt gesehen habe, den Posten,
der die stärkste Tatkraft und den größten Weitblick erfordere, demjenigen Mitglied
der christlichen Volkspartei zu übertragen, welches doch immerhin mit Logarithmen
am besten Bescheid wisse.

Dieses Urteil, das der philosophische Deutsche beim nunmehr bevor¬
stehenden ersten Jahresjubiläum des Ministeriums Wirth mit jener selben Lang¬
mut hundelt kann, mit der er die einjährige Reichskanzlerschast des altersschwachen
Hertling im Augenblick der j.letzten Kriegsentscheidung ertragen hat, ist wie ein
Symbol für die Fortdauer unserer alten Parteiverhältnisse. Wie aus deutschen
Volksvertretungen im Laufe der ganzen deutschen Geschichte noch niemals etwas
schöpferisches hervorgegangen ist, sich dagegen die Rettung des Vaterlandes auch
dem Parlament zum Trotz mehrmals durch andere Kräfte der Nation vollzogen
hat, so würde auch heute kein Mensch vom Reichstag und seinen Parteikonstellationen
das Heil erwarten, sondern eher von Männern und Verbänden, welche durch die
Reichstagsmehrheit vielleicht ebenso mit der Reichsacht belegt werden könnten, wie
einst Friedrich der Große. Aber es gibt doch auch Anzeichen dafür, daß aus den
vaterländischen Schichten der Nation sich die Ansätze einer wirklichen Volksvertretung
bilden, von der wir mit dem Freiherrn vom Stein überzeugt sind, daß nicht die
Diktatur oder der Absolutismus eines MaMes, eines Kreises oder einer Klasse,
sondern einzig die Zusammenfassung alles Gesunden und Solidarischen im ganzen
Volk den Boden einer dauernden Regierung bilden kann.

Wir brauchen -- um beim heutigen Parlament zu bleiben -- zunächst Wohl
eine starke, verantwortungsbewußte Regierung im Sinne der drei Rechtsparteien
anstelle des augenblicklichen faulen Kompromisses. Forme sich dann aus größerer
politischer Reife der Arbeitermassen heraus eine nationale, also regierungsfähige
Linke, so würde die allmähliche organische Entwicklung eines Zweiparteiensystems
jedenfalls besser sein als das für Deutschland offenbar unzuträgliche französische
System wechselnder Negierungskoalitionen und -koterien mit dem speziell deutschen
Zusatz von Klebstoff im Finanz- und anderen Ministerien.




Deutsche Parteien

Finanzen einen bewährten Oberlehrer der Mathematik erwählt habe, der sich
durch keinerlei besondere Kenntnis, Erfahrung und Talente in deutscher und aus¬
ländischer Finanzwirtschaft und Politik auszeichne. Die Antwort mußte lauten,
daß das Zentrum nun einmal nicht die Partei der Bankdirektoren oder sonstigen
Finanzleute sei, daß andererseits ein Beamtenminister die Majestät des Parlaments
verletzen würde und daß man infolgedessen sich genötigt gesehen habe, den Posten,
der die stärkste Tatkraft und den größten Weitblick erfordere, demjenigen Mitglied
der christlichen Volkspartei zu übertragen, welches doch immerhin mit Logarithmen
am besten Bescheid wisse.

Dieses Urteil, das der philosophische Deutsche beim nunmehr bevor¬
stehenden ersten Jahresjubiläum des Ministeriums Wirth mit jener selben Lang¬
mut hundelt kann, mit der er die einjährige Reichskanzlerschast des altersschwachen
Hertling im Augenblick der j.letzten Kriegsentscheidung ertragen hat, ist wie ein
Symbol für die Fortdauer unserer alten Parteiverhältnisse. Wie aus deutschen
Volksvertretungen im Laufe der ganzen deutschen Geschichte noch niemals etwas
schöpferisches hervorgegangen ist, sich dagegen die Rettung des Vaterlandes auch
dem Parlament zum Trotz mehrmals durch andere Kräfte der Nation vollzogen
hat, so würde auch heute kein Mensch vom Reichstag und seinen Parteikonstellationen
das Heil erwarten, sondern eher von Männern und Verbänden, welche durch die
Reichstagsmehrheit vielleicht ebenso mit der Reichsacht belegt werden könnten, wie
einst Friedrich der Große. Aber es gibt doch auch Anzeichen dafür, daß aus den
vaterländischen Schichten der Nation sich die Ansätze einer wirklichen Volksvertretung
bilden, von der wir mit dem Freiherrn vom Stein überzeugt sind, daß nicht die
Diktatur oder der Absolutismus eines MaMes, eines Kreises oder einer Klasse,
sondern einzig die Zusammenfassung alles Gesunden und Solidarischen im ganzen
Volk den Boden einer dauernden Regierung bilden kann.

Wir brauchen — um beim heutigen Parlament zu bleiben — zunächst Wohl
eine starke, verantwortungsbewußte Regierung im Sinne der drei Rechtsparteien
anstelle des augenblicklichen faulen Kompromisses. Forme sich dann aus größerer
politischer Reife der Arbeitermassen heraus eine nationale, also regierungsfähige
Linke, so würde die allmähliche organische Entwicklung eines Zweiparteiensystems
jedenfalls besser sein als das für Deutschland offenbar unzuträgliche französische
System wechselnder Negierungskoalitionen und -koterien mit dem speziell deutschen
Zusatz von Klebstoff im Finanz- und anderen Ministerien.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338452"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Parteien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> Finanzen einen bewährten Oberlehrer der Mathematik erwählt habe, der sich<lb/>
durch keinerlei besondere Kenntnis, Erfahrung und Talente in deutscher und aus¬<lb/>
ländischer Finanzwirtschaft und Politik auszeichne. Die Antwort mußte lauten,<lb/>
daß das Zentrum nun einmal nicht die Partei der Bankdirektoren oder sonstigen<lb/>
Finanzleute sei, daß andererseits ein Beamtenminister die Majestät des Parlaments<lb/>
verletzen würde und daß man infolgedessen sich genötigt gesehen habe, den Posten,<lb/>
der die stärkste Tatkraft und den größten Weitblick erfordere, demjenigen Mitglied<lb/>
der christlichen Volkspartei zu übertragen, welches doch immerhin mit Logarithmen<lb/>
am besten Bescheid wisse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> Dieses Urteil, das der philosophische Deutsche beim nunmehr bevor¬<lb/>
stehenden ersten Jahresjubiläum des Ministeriums Wirth mit jener selben Lang¬<lb/>
mut hundelt kann, mit der er die einjährige Reichskanzlerschast des altersschwachen<lb/>
Hertling im Augenblick der j.letzten Kriegsentscheidung ertragen hat, ist wie ein<lb/>
Symbol für die Fortdauer unserer alten Parteiverhältnisse. Wie aus deutschen<lb/>
Volksvertretungen im Laufe der ganzen deutschen Geschichte noch niemals etwas<lb/>
schöpferisches hervorgegangen ist, sich dagegen die Rettung des Vaterlandes auch<lb/>
dem Parlament zum Trotz mehrmals durch andere Kräfte der Nation vollzogen<lb/>
hat, so würde auch heute kein Mensch vom Reichstag und seinen Parteikonstellationen<lb/>
das Heil erwarten, sondern eher von Männern und Verbänden, welche durch die<lb/>
Reichstagsmehrheit vielleicht ebenso mit der Reichsacht belegt werden könnten, wie<lb/>
einst Friedrich der Große. Aber es gibt doch auch Anzeichen dafür, daß aus den<lb/>
vaterländischen Schichten der Nation sich die Ansätze einer wirklichen Volksvertretung<lb/>
bilden, von der wir mit dem Freiherrn vom Stein überzeugt sind, daß nicht die<lb/>
Diktatur oder der Absolutismus eines MaMes, eines Kreises oder einer Klasse,<lb/>
sondern einzig die Zusammenfassung alles Gesunden und Solidarischen im ganzen<lb/>
Volk den Boden einer dauernden Regierung bilden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22"> Wir brauchen &#x2014; um beim heutigen Parlament zu bleiben &#x2014; zunächst Wohl<lb/>
eine starke, verantwortungsbewußte Regierung im Sinne der drei Rechtsparteien<lb/>
anstelle des augenblicklichen faulen Kompromisses. Forme sich dann aus größerer<lb/>
politischer Reife der Arbeitermassen heraus eine nationale, also regierungsfähige<lb/>
Linke, so würde die allmähliche organische Entwicklung eines Zweiparteiensystems<lb/>
jedenfalls besser sein als das für Deutschland offenbar unzuträgliche französische<lb/>
System wechselnder Negierungskoalitionen und -koterien mit dem speziell deutschen<lb/>
Zusatz von Klebstoff im Finanz- und anderen Ministerien.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Deutsche Parteien Finanzen einen bewährten Oberlehrer der Mathematik erwählt habe, der sich durch keinerlei besondere Kenntnis, Erfahrung und Talente in deutscher und aus¬ ländischer Finanzwirtschaft und Politik auszeichne. Die Antwort mußte lauten, daß das Zentrum nun einmal nicht die Partei der Bankdirektoren oder sonstigen Finanzleute sei, daß andererseits ein Beamtenminister die Majestät des Parlaments verletzen würde und daß man infolgedessen sich genötigt gesehen habe, den Posten, der die stärkste Tatkraft und den größten Weitblick erfordere, demjenigen Mitglied der christlichen Volkspartei zu übertragen, welches doch immerhin mit Logarithmen am besten Bescheid wisse. Dieses Urteil, das der philosophische Deutsche beim nunmehr bevor¬ stehenden ersten Jahresjubiläum des Ministeriums Wirth mit jener selben Lang¬ mut hundelt kann, mit der er die einjährige Reichskanzlerschast des altersschwachen Hertling im Augenblick der j.letzten Kriegsentscheidung ertragen hat, ist wie ein Symbol für die Fortdauer unserer alten Parteiverhältnisse. Wie aus deutschen Volksvertretungen im Laufe der ganzen deutschen Geschichte noch niemals etwas schöpferisches hervorgegangen ist, sich dagegen die Rettung des Vaterlandes auch dem Parlament zum Trotz mehrmals durch andere Kräfte der Nation vollzogen hat, so würde auch heute kein Mensch vom Reichstag und seinen Parteikonstellationen das Heil erwarten, sondern eher von Männern und Verbänden, welche durch die Reichstagsmehrheit vielleicht ebenso mit der Reichsacht belegt werden könnten, wie einst Friedrich der Große. Aber es gibt doch auch Anzeichen dafür, daß aus den vaterländischen Schichten der Nation sich die Ansätze einer wirklichen Volksvertretung bilden, von der wir mit dem Freiherrn vom Stein überzeugt sind, daß nicht die Diktatur oder der Absolutismus eines MaMes, eines Kreises oder einer Klasse, sondern einzig die Zusammenfassung alles Gesunden und Solidarischen im ganzen Volk den Boden einer dauernden Regierung bilden kann. Wir brauchen — um beim heutigen Parlament zu bleiben — zunächst Wohl eine starke, verantwortungsbewußte Regierung im Sinne der drei Rechtsparteien anstelle des augenblicklichen faulen Kompromisses. Forme sich dann aus größerer politischer Reife der Arbeitermassen heraus eine nationale, also regierungsfähige Linke, so würde die allmähliche organische Entwicklung eines Zweiparteiensystems jedenfalls besser sein als das für Deutschland offenbar unzuträgliche französische System wechselnder Negierungskoalitionen und -koterien mit dem speziell deutschen Zusatz von Klebstoff im Finanz- und anderen Ministerien.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/19>, abgerufen am 28.12.2024.