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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Belgischer Vries

den Geschmack an diesem Wort, das doch nun schon jahrelang abgehetzt ist, so bald
verlieren. Zwar hat man in Lüttich einen Lehrstuhl sür wallonische Kultur
errichtet) aber für den Genius der wallonischen Sprache sind die Abfälle des
Pariser Straßenjargons noch lange gut genug.

Man wird sich in Deutschland, wo das breitere Publikum von dieser
Stimmung, dank der zweckbewußten Fernhaltung deutscher Korrespondenten, sehr
wenig weiß, mit einigem Erstaunen fragen, was denn die Ursache eines jetzt noch
so heftigen Nationalhasses sei, und man wird geneigt sein, die Besetzungszeit dafür
verantwortlich zu machen. Gewiß, durch den notgedrungenen Einmarsch haben
wir zu unserer Beliebtheit zwischen Maas und Scheide nichts beigetragen. Aber
wir glauben doch sagen zu dürfen, daß die Belgier, abgesehen von den not-
wendigen Begleiterscheinungen des Kriegszustandes, es durchschnittlich besser hatten
als jetzt unsere linksrheinischen Landsleute. Viele haben außerdem, wie schon
oben angedeutet wurde, ihr Schäfchen ins Trockene gebracht/') Und schließlich
sollte im Volksbewußtsein die Tatsache unserer Niederlage vieles kompensieren.
Nein, es ist vor allem französische Hetztätigkeit, die das Feuer schürt, und in
gleichem Sinne wirkt das böse Gewissen, hervorgerufen durch das Danaergeschenk
Eupen und Malmedy) der Mensch kann alles verzeihen, nur nicht das Unrecht,
das er selbst begeht. Selten wagt einmal ein sozialistischer Minister eine halb¬
herzige Bemerkung von "Völkerversvhnung", aber auch nur als verzeihende Geste
vom Standpunkt jener Weltanschauung aus, die unser Unterliegen als gerechte
Strafe für die Frevel unserer alten kapitalistischen Regierung betrachtet.

Auf absehbare Zeit wird es also dabei bleiben, daß der belgische Patriot
die Aufrichtigkeit seiner Gefühle am besten durch Schimpfen auf alles, was deutsch
ist, beweisen kann, und hinter dieser Deckung dürften auch die, welche sich an
beschlagnahmtem deutschen Eigentum noch nicht bereichern konnten, endlich zu dem
erstrebten Ziel gelangen. Die Liquidation ist, soweit sie keine gesetzlichen Sonder¬
bestimmungen erfordert, bereits erfolgt. Letztere werden wohl nicht mehr lange
auf sich warten lassen. Eine kleine Verwechslung ereignete sich bei dem zwangs-
weisen Verkaufe des Warmhauses von Leonhard Tietz in Brüssel. Nachdem dieses
Anwesen für 38 Millionen Franken von der Gruppe Banque Outremer-Bernheim-
Mayer versteigert worden war, meldete sich der frühere Eigentümer -- mit einem
polnischen Stammbaum! Hoffentlich gelingt es Herrn Tietz, dein belgischen Staat
zu beweisen, daß das Sprichwort "Unrecht Gut gedeihet nicht" doch kein leerer
Wahn ist.

Mit dein belgischen Patriotismus hat es eine eigene Bewandtnis. Besten¬
falls ist er etwas sekundäres, nämlich eine staatsrechtliche Konstruktion, nichts
Unmittelbares und rein Gefühlsmäßiges. Dieser auf den Namen eines längst
ausgestorbenen Volkes getaufte moderne Staat wird von zwei verschiedenartigen,
einander bitter befehdenden Rassen bewohnt. Heftiger denn je tobt der Streit,
nachdem die nationalen Vorteile, die den Flamen von der deutschen Verwaltung
gewährt waren, von der belgischen Regierung wieder aufgehoben worden sind.



Der allgegenwärtige Kricgsgewinnler fehlt auch in Belgien nicht. Das Volk nennt
ihn Baron Zeep, d. h. Seife, weil er im Kriege massenhaft Seife aus Hoovers Sendungen
nach Deutschland verschob. Baron Zeep fährt unweigerlich in einer Limousine; sein Bildungs¬
grad und der seiner etwaigen Frau gibt den Witzblättern unerschöpflichen Urias; zu Betrachtungen.
Belgischer Vries

den Geschmack an diesem Wort, das doch nun schon jahrelang abgehetzt ist, so bald
verlieren. Zwar hat man in Lüttich einen Lehrstuhl sür wallonische Kultur
errichtet) aber für den Genius der wallonischen Sprache sind die Abfälle des
Pariser Straßenjargons noch lange gut genug.

Man wird sich in Deutschland, wo das breitere Publikum von dieser
Stimmung, dank der zweckbewußten Fernhaltung deutscher Korrespondenten, sehr
wenig weiß, mit einigem Erstaunen fragen, was denn die Ursache eines jetzt noch
so heftigen Nationalhasses sei, und man wird geneigt sein, die Besetzungszeit dafür
verantwortlich zu machen. Gewiß, durch den notgedrungenen Einmarsch haben
wir zu unserer Beliebtheit zwischen Maas und Scheide nichts beigetragen. Aber
wir glauben doch sagen zu dürfen, daß die Belgier, abgesehen von den not-
wendigen Begleiterscheinungen des Kriegszustandes, es durchschnittlich besser hatten
als jetzt unsere linksrheinischen Landsleute. Viele haben außerdem, wie schon
oben angedeutet wurde, ihr Schäfchen ins Trockene gebracht/') Und schließlich
sollte im Volksbewußtsein die Tatsache unserer Niederlage vieles kompensieren.
Nein, es ist vor allem französische Hetztätigkeit, die das Feuer schürt, und in
gleichem Sinne wirkt das böse Gewissen, hervorgerufen durch das Danaergeschenk
Eupen und Malmedy) der Mensch kann alles verzeihen, nur nicht das Unrecht,
das er selbst begeht. Selten wagt einmal ein sozialistischer Minister eine halb¬
herzige Bemerkung von „Völkerversvhnung", aber auch nur als verzeihende Geste
vom Standpunkt jener Weltanschauung aus, die unser Unterliegen als gerechte
Strafe für die Frevel unserer alten kapitalistischen Regierung betrachtet.

Auf absehbare Zeit wird es also dabei bleiben, daß der belgische Patriot
die Aufrichtigkeit seiner Gefühle am besten durch Schimpfen auf alles, was deutsch
ist, beweisen kann, und hinter dieser Deckung dürften auch die, welche sich an
beschlagnahmtem deutschen Eigentum noch nicht bereichern konnten, endlich zu dem
erstrebten Ziel gelangen. Die Liquidation ist, soweit sie keine gesetzlichen Sonder¬
bestimmungen erfordert, bereits erfolgt. Letztere werden wohl nicht mehr lange
auf sich warten lassen. Eine kleine Verwechslung ereignete sich bei dem zwangs-
weisen Verkaufe des Warmhauses von Leonhard Tietz in Brüssel. Nachdem dieses
Anwesen für 38 Millionen Franken von der Gruppe Banque Outremer-Bernheim-
Mayer versteigert worden war, meldete sich der frühere Eigentümer — mit einem
polnischen Stammbaum! Hoffentlich gelingt es Herrn Tietz, dein belgischen Staat
zu beweisen, daß das Sprichwort „Unrecht Gut gedeihet nicht" doch kein leerer
Wahn ist.

Mit dein belgischen Patriotismus hat es eine eigene Bewandtnis. Besten¬
falls ist er etwas sekundäres, nämlich eine staatsrechtliche Konstruktion, nichts
Unmittelbares und rein Gefühlsmäßiges. Dieser auf den Namen eines längst
ausgestorbenen Volkes getaufte moderne Staat wird von zwei verschiedenartigen,
einander bitter befehdenden Rassen bewohnt. Heftiger denn je tobt der Streit,
nachdem die nationalen Vorteile, die den Flamen von der deutschen Verwaltung
gewährt waren, von der belgischen Regierung wieder aufgehoben worden sind.



Der allgegenwärtige Kricgsgewinnler fehlt auch in Belgien nicht. Das Volk nennt
ihn Baron Zeep, d. h. Seife, weil er im Kriege massenhaft Seife aus Hoovers Sendungen
nach Deutschland verschob. Baron Zeep fährt unweigerlich in einer Limousine; sein Bildungs¬
grad und der seiner etwaigen Frau gibt den Witzblättern unerschöpflichen Urias; zu Betrachtungen.
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[0160] Belgischer Vries den Geschmack an diesem Wort, das doch nun schon jahrelang abgehetzt ist, so bald verlieren. Zwar hat man in Lüttich einen Lehrstuhl sür wallonische Kultur errichtet) aber für den Genius der wallonischen Sprache sind die Abfälle des Pariser Straßenjargons noch lange gut genug. Man wird sich in Deutschland, wo das breitere Publikum von dieser Stimmung, dank der zweckbewußten Fernhaltung deutscher Korrespondenten, sehr wenig weiß, mit einigem Erstaunen fragen, was denn die Ursache eines jetzt noch so heftigen Nationalhasses sei, und man wird geneigt sein, die Besetzungszeit dafür verantwortlich zu machen. Gewiß, durch den notgedrungenen Einmarsch haben wir zu unserer Beliebtheit zwischen Maas und Scheide nichts beigetragen. Aber wir glauben doch sagen zu dürfen, daß die Belgier, abgesehen von den not- wendigen Begleiterscheinungen des Kriegszustandes, es durchschnittlich besser hatten als jetzt unsere linksrheinischen Landsleute. Viele haben außerdem, wie schon oben angedeutet wurde, ihr Schäfchen ins Trockene gebracht/') Und schließlich sollte im Volksbewußtsein die Tatsache unserer Niederlage vieles kompensieren. Nein, es ist vor allem französische Hetztätigkeit, die das Feuer schürt, und in gleichem Sinne wirkt das böse Gewissen, hervorgerufen durch das Danaergeschenk Eupen und Malmedy) der Mensch kann alles verzeihen, nur nicht das Unrecht, das er selbst begeht. Selten wagt einmal ein sozialistischer Minister eine halb¬ herzige Bemerkung von „Völkerversvhnung", aber auch nur als verzeihende Geste vom Standpunkt jener Weltanschauung aus, die unser Unterliegen als gerechte Strafe für die Frevel unserer alten kapitalistischen Regierung betrachtet. Auf absehbare Zeit wird es also dabei bleiben, daß der belgische Patriot die Aufrichtigkeit seiner Gefühle am besten durch Schimpfen auf alles, was deutsch ist, beweisen kann, und hinter dieser Deckung dürften auch die, welche sich an beschlagnahmtem deutschen Eigentum noch nicht bereichern konnten, endlich zu dem erstrebten Ziel gelangen. Die Liquidation ist, soweit sie keine gesetzlichen Sonder¬ bestimmungen erfordert, bereits erfolgt. Letztere werden wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Eine kleine Verwechslung ereignete sich bei dem zwangs- weisen Verkaufe des Warmhauses von Leonhard Tietz in Brüssel. Nachdem dieses Anwesen für 38 Millionen Franken von der Gruppe Banque Outremer-Bernheim- Mayer versteigert worden war, meldete sich der frühere Eigentümer — mit einem polnischen Stammbaum! Hoffentlich gelingt es Herrn Tietz, dein belgischen Staat zu beweisen, daß das Sprichwort „Unrecht Gut gedeihet nicht" doch kein leerer Wahn ist. Mit dein belgischen Patriotismus hat es eine eigene Bewandtnis. Besten¬ falls ist er etwas sekundäres, nämlich eine staatsrechtliche Konstruktion, nichts Unmittelbares und rein Gefühlsmäßiges. Dieser auf den Namen eines längst ausgestorbenen Volkes getaufte moderne Staat wird von zwei verschiedenartigen, einander bitter befehdenden Rassen bewohnt. Heftiger denn je tobt der Streit, nachdem die nationalen Vorteile, die den Flamen von der deutschen Verwaltung gewährt waren, von der belgischen Regierung wieder aufgehoben worden sind. Der allgegenwärtige Kricgsgewinnler fehlt auch in Belgien nicht. Das Volk nennt ihn Baron Zeep, d. h. Seife, weil er im Kriege massenhaft Seife aus Hoovers Sendungen nach Deutschland verschob. Baron Zeep fährt unweigerlich in einer Limousine; sein Bildungs¬ grad und der seiner etwaigen Frau gibt den Witzblättern unerschöpflichen Urias; zu Betrachtungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/160>, abgerufen am 29.12.2024.