Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung

Wir wollen keine einzelne Wissenschaft anklagen. Bethmann, der als
Repräsentant der von Z. beklagten inneren Brüchigkeit gelten kann, ist als Philo¬
soph gerühmt worden. Wir würden uns jedoch auf einen geharnischten Protest
einer stattlichen Zahl der besten deutschen Philosophen gefaßt machen müssen,
falls wir diese innere Brüchigkeit als allgemeine Eigenschaft der deutschen
Philosophie oder der deutschen Philosophen bezeichnen wollten. Überhaupt
tragen die deutsche Wissenschaft und die deutschen Universitäten, soweit sie nicht
einem von außen her kommenden Einfluß unterliegen, nicht die Schuld. Das
zeigt ja schon die Art, wie die Pygmäen von heute ihrem kleinlichen Ärger über
sie Luft machen, deren Eifer, sie "von oben her zu reformieren"/)

Und sollen wir die deutsche Eigenart als solche anklagen? Der Historiker
welcher weiß, was das deutsche Volk im Lauf der Jahrhunderte hat über sich
ergehen lassen müssen, kann nur mit Unwillen die weinerlichen Klagen über
die dem Deutschen angeborene Unfähigkeit, sich zu einem großen Ganzen kraft¬
voll zusammenzuschließen, anhören; Klagen, die darum nicht mehr wahr werden,
daß sie vielfach von denen vorgebracht werden, welche einen kraft¬
vollen Zusammenschluß der Nation gar nicht wünschen, welchen
er vielmehr verhaßt ist. Die Deutschen haben im Laufe der Geschichte und an
mancherlei Stellen des deutschen Bodens so erfreuliche Proben der mannig¬
faltigsten politischen Befähigung, auch des geschlossenen Auftretens gegeben,
daß ihnen die politische Befähigung hohen Stils gewiß nicht abgesprochen
werden darf. Aber ein Blick in ihre Geschichte lehrt, warum sie nicht mehr ge¬
leistet haben. Die italienische Politik der mittelalterlichen Kaiser, welche die
territoriale Zersplitterung emporwachsen ließ, und die kirchliche Spaltung des
16. Jahrhunderts, wie sie keinem andern grcßen Volk zuteil wurde, setzen
Deutschland schon allein sür sich gegenüber den übrigen Staaten in Nachteil.
Diese Gebrochenheit ist dann durch weitere Schicksale verstärkt worden. Die
internationalen Mächte konnten in Deutschland wegen jener älteren Brüchigkeit
der Nation mehr Platz greifen als anderswo. Die große Gefahr der Gegen¬
wart, die der extremen politischen und sozialen Demokratie, wirkte in Deutsch¬
land um so verheerender, weil hier schon die nationale Geschlossenheit geringer
war als anderswo. Die internationalen Machte reichen weiter in Deutschland
hinein als in irgendeinen andern Staat. Diese Dinge sind es, die dahin ge¬
führt haben, daß bei uns die Zahl derer groß ist, welche sich in der müden Rolle
des Verläumder wohlfühlen oder eine solche heucheln, welche keinen Entschluß
fassen, die Dinge nicht rasch ergreifen, sondern in Läßlichkeit und Weichheit
verharren, die Meinung hegen, jenseits oder über den Bindungen der mensch¬
lichen Gesellschaft stehen zu dürfen. Es stehen viel grobe Interessen hinter
diesen Verhältnissen. Wieviel auf die Rechnung der der Nation abgewandten
Führer, der verführten Verführer, der Verführten, der gutgläubigen, aber
strafbar arglosen Leute zu setzen ist, das läßt sich nicht mehr entwirren.

Die relativistische Kritik wird von allen Parteien angewandt, am ein¬
seitigsten von denen, die ein überwiegend negatives Verhältnis zur Nation
haben.



4) Vgl, meine /.Soziologie als Lehrfach" S. 37
Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung

Wir wollen keine einzelne Wissenschaft anklagen. Bethmann, der als
Repräsentant der von Z. beklagten inneren Brüchigkeit gelten kann, ist als Philo¬
soph gerühmt worden. Wir würden uns jedoch auf einen geharnischten Protest
einer stattlichen Zahl der besten deutschen Philosophen gefaßt machen müssen,
falls wir diese innere Brüchigkeit als allgemeine Eigenschaft der deutschen
Philosophie oder der deutschen Philosophen bezeichnen wollten. Überhaupt
tragen die deutsche Wissenschaft und die deutschen Universitäten, soweit sie nicht
einem von außen her kommenden Einfluß unterliegen, nicht die Schuld. Das
zeigt ja schon die Art, wie die Pygmäen von heute ihrem kleinlichen Ärger über
sie Luft machen, deren Eifer, sie „von oben her zu reformieren"/)

Und sollen wir die deutsche Eigenart als solche anklagen? Der Historiker
welcher weiß, was das deutsche Volk im Lauf der Jahrhunderte hat über sich
ergehen lassen müssen, kann nur mit Unwillen die weinerlichen Klagen über
die dem Deutschen angeborene Unfähigkeit, sich zu einem großen Ganzen kraft¬
voll zusammenzuschließen, anhören; Klagen, die darum nicht mehr wahr werden,
daß sie vielfach von denen vorgebracht werden, welche einen kraft¬
vollen Zusammenschluß der Nation gar nicht wünschen, welchen
er vielmehr verhaßt ist. Die Deutschen haben im Laufe der Geschichte und an
mancherlei Stellen des deutschen Bodens so erfreuliche Proben der mannig¬
faltigsten politischen Befähigung, auch des geschlossenen Auftretens gegeben,
daß ihnen die politische Befähigung hohen Stils gewiß nicht abgesprochen
werden darf. Aber ein Blick in ihre Geschichte lehrt, warum sie nicht mehr ge¬
leistet haben. Die italienische Politik der mittelalterlichen Kaiser, welche die
territoriale Zersplitterung emporwachsen ließ, und die kirchliche Spaltung des
16. Jahrhunderts, wie sie keinem andern grcßen Volk zuteil wurde, setzen
Deutschland schon allein sür sich gegenüber den übrigen Staaten in Nachteil.
Diese Gebrochenheit ist dann durch weitere Schicksale verstärkt worden. Die
internationalen Mächte konnten in Deutschland wegen jener älteren Brüchigkeit
der Nation mehr Platz greifen als anderswo. Die große Gefahr der Gegen¬
wart, die der extremen politischen und sozialen Demokratie, wirkte in Deutsch¬
land um so verheerender, weil hier schon die nationale Geschlossenheit geringer
war als anderswo. Die internationalen Machte reichen weiter in Deutschland
hinein als in irgendeinen andern Staat. Diese Dinge sind es, die dahin ge¬
führt haben, daß bei uns die Zahl derer groß ist, welche sich in der müden Rolle
des Verläumder wohlfühlen oder eine solche heucheln, welche keinen Entschluß
fassen, die Dinge nicht rasch ergreifen, sondern in Läßlichkeit und Weichheit
verharren, die Meinung hegen, jenseits oder über den Bindungen der mensch¬
lichen Gesellschaft stehen zu dürfen. Es stehen viel grobe Interessen hinter
diesen Verhältnissen. Wieviel auf die Rechnung der der Nation abgewandten
Führer, der verführten Verführer, der Verführten, der gutgläubigen, aber
strafbar arglosen Leute zu setzen ist, das läßt sich nicht mehr entwirren.

Die relativistische Kritik wird von allen Parteien angewandt, am ein¬
seitigsten von denen, die ein überwiegend negatives Verhältnis zur Nation
haben.



4) Vgl, meine /.Soziologie als Lehrfach" S. 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338590"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_495"> Wir wollen keine einzelne Wissenschaft anklagen. Bethmann, der als<lb/>
Repräsentant der von Z. beklagten inneren Brüchigkeit gelten kann, ist als Philo¬<lb/>
soph gerühmt worden. Wir würden uns jedoch auf einen geharnischten Protest<lb/>
einer stattlichen Zahl der besten deutschen Philosophen gefaßt machen müssen,<lb/>
falls wir diese innere Brüchigkeit als allgemeine Eigenschaft der deutschen<lb/>
Philosophie oder der deutschen Philosophen bezeichnen wollten. Überhaupt<lb/>
tragen die deutsche Wissenschaft und die deutschen Universitäten, soweit sie nicht<lb/>
einem von außen her kommenden Einfluß unterliegen, nicht die Schuld. Das<lb/>
zeigt ja schon die Art, wie die Pygmäen von heute ihrem kleinlichen Ärger über<lb/>
sie Luft machen, deren Eifer, sie &#x201E;von oben her zu reformieren"/)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_496"> Und sollen wir die deutsche Eigenart als solche anklagen? Der Historiker<lb/>
welcher weiß, was das deutsche Volk im Lauf der Jahrhunderte hat über sich<lb/>
ergehen lassen müssen, kann nur mit Unwillen die weinerlichen Klagen über<lb/>
die dem Deutschen angeborene Unfähigkeit, sich zu einem großen Ganzen kraft¬<lb/>
voll zusammenzuschließen, anhören; Klagen, die darum nicht mehr wahr werden,<lb/>
daß sie vielfach von denen vorgebracht werden, welche einen kraft¬<lb/>
vollen Zusammenschluß der Nation gar nicht wünschen, welchen<lb/>
er vielmehr verhaßt ist. Die Deutschen haben im Laufe der Geschichte und an<lb/>
mancherlei Stellen des deutschen Bodens so erfreuliche Proben der mannig¬<lb/>
faltigsten politischen Befähigung, auch des geschlossenen Auftretens gegeben,<lb/>
daß ihnen die politische Befähigung hohen Stils gewiß nicht abgesprochen<lb/>
werden darf. Aber ein Blick in ihre Geschichte lehrt, warum sie nicht mehr ge¬<lb/>
leistet haben. Die italienische Politik der mittelalterlichen Kaiser, welche die<lb/>
territoriale Zersplitterung emporwachsen ließ, und die kirchliche Spaltung des<lb/>
16. Jahrhunderts, wie sie keinem andern grcßen Volk zuteil wurde, setzen<lb/>
Deutschland schon allein sür sich gegenüber den übrigen Staaten in Nachteil.<lb/>
Diese Gebrochenheit ist dann durch weitere Schicksale verstärkt worden. Die<lb/>
internationalen Mächte konnten in Deutschland wegen jener älteren Brüchigkeit<lb/>
der Nation mehr Platz greifen als anderswo. Die große Gefahr der Gegen¬<lb/>
wart, die der extremen politischen und sozialen Demokratie, wirkte in Deutsch¬<lb/>
land um so verheerender, weil hier schon die nationale Geschlossenheit geringer<lb/>
war als anderswo. Die internationalen Machte reichen weiter in Deutschland<lb/>
hinein als in irgendeinen andern Staat. Diese Dinge sind es, die dahin ge¬<lb/>
führt haben, daß bei uns die Zahl derer groß ist, welche sich in der müden Rolle<lb/>
des Verläumder wohlfühlen oder eine solche heucheln, welche keinen Entschluß<lb/>
fassen, die Dinge nicht rasch ergreifen, sondern in Läßlichkeit und Weichheit<lb/>
verharren, die Meinung hegen, jenseits oder über den Bindungen der mensch¬<lb/>
lichen Gesellschaft stehen zu dürfen. Es stehen viel grobe Interessen hinter<lb/>
diesen Verhältnissen. Wieviel auf die Rechnung der der Nation abgewandten<lb/>
Führer, der verführten Verführer, der Verführten, der gutgläubigen, aber<lb/>
strafbar arglosen Leute zu setzen ist, das läßt sich nicht mehr entwirren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_497"> Die relativistische Kritik wird von allen Parteien angewandt, am ein¬<lb/>
seitigsten von denen, die ein überwiegend negatives Verhältnis zur Nation<lb/>
haben.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> 4) Vgl, meine /.Soziologie als Lehrfach" S. 37</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung Wir wollen keine einzelne Wissenschaft anklagen. Bethmann, der als Repräsentant der von Z. beklagten inneren Brüchigkeit gelten kann, ist als Philo¬ soph gerühmt worden. Wir würden uns jedoch auf einen geharnischten Protest einer stattlichen Zahl der besten deutschen Philosophen gefaßt machen müssen, falls wir diese innere Brüchigkeit als allgemeine Eigenschaft der deutschen Philosophie oder der deutschen Philosophen bezeichnen wollten. Überhaupt tragen die deutsche Wissenschaft und die deutschen Universitäten, soweit sie nicht einem von außen her kommenden Einfluß unterliegen, nicht die Schuld. Das zeigt ja schon die Art, wie die Pygmäen von heute ihrem kleinlichen Ärger über sie Luft machen, deren Eifer, sie „von oben her zu reformieren"/) Und sollen wir die deutsche Eigenart als solche anklagen? Der Historiker welcher weiß, was das deutsche Volk im Lauf der Jahrhunderte hat über sich ergehen lassen müssen, kann nur mit Unwillen die weinerlichen Klagen über die dem Deutschen angeborene Unfähigkeit, sich zu einem großen Ganzen kraft¬ voll zusammenzuschließen, anhören; Klagen, die darum nicht mehr wahr werden, daß sie vielfach von denen vorgebracht werden, welche einen kraft¬ vollen Zusammenschluß der Nation gar nicht wünschen, welchen er vielmehr verhaßt ist. Die Deutschen haben im Laufe der Geschichte und an mancherlei Stellen des deutschen Bodens so erfreuliche Proben der mannig¬ faltigsten politischen Befähigung, auch des geschlossenen Auftretens gegeben, daß ihnen die politische Befähigung hohen Stils gewiß nicht abgesprochen werden darf. Aber ein Blick in ihre Geschichte lehrt, warum sie nicht mehr ge¬ leistet haben. Die italienische Politik der mittelalterlichen Kaiser, welche die territoriale Zersplitterung emporwachsen ließ, und die kirchliche Spaltung des 16. Jahrhunderts, wie sie keinem andern grcßen Volk zuteil wurde, setzen Deutschland schon allein sür sich gegenüber den übrigen Staaten in Nachteil. Diese Gebrochenheit ist dann durch weitere Schicksale verstärkt worden. Die internationalen Mächte konnten in Deutschland wegen jener älteren Brüchigkeit der Nation mehr Platz greifen als anderswo. Die große Gefahr der Gegen¬ wart, die der extremen politischen und sozialen Demokratie, wirkte in Deutsch¬ land um so verheerender, weil hier schon die nationale Geschlossenheit geringer war als anderswo. Die internationalen Machte reichen weiter in Deutschland hinein als in irgendeinen andern Staat. Diese Dinge sind es, die dahin ge¬ führt haben, daß bei uns die Zahl derer groß ist, welche sich in der müden Rolle des Verläumder wohlfühlen oder eine solche heucheln, welche keinen Entschluß fassen, die Dinge nicht rasch ergreifen, sondern in Läßlichkeit und Weichheit verharren, die Meinung hegen, jenseits oder über den Bindungen der mensch¬ lichen Gesellschaft stehen zu dürfen. Es stehen viel grobe Interessen hinter diesen Verhältnissen. Wieviel auf die Rechnung der der Nation abgewandten Führer, der verführten Verführer, der Verführten, der gutgläubigen, aber strafbar arglosen Leute zu setzen ist, das läßt sich nicht mehr entwirren. Die relativistische Kritik wird von allen Parteien angewandt, am ein¬ seitigsten von denen, die ein überwiegend negatives Verhältnis zur Nation haben. 4) Vgl, meine /.Soziologie als Lehrfach" S. 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/157>, abgerufen am 28.12.2024.