Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Zur Verteidigung der geschichtlichen Leirachtung freisprechen, so ist der ihnen oft gemachte Vorwurf eines gewissen Quietismus Aus den Anfängen der Romantik sei hier noch daran erinnert, daß der Zur Verteidigung der geschichtlichen Leirachtung freisprechen, so ist der ihnen oft gemachte Vorwurf eines gewissen Quietismus Aus den Anfängen der Romantik sei hier noch daran erinnert, daß der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338586"/> <fw type="header" place="top"> Zur Verteidigung der geschichtlichen Leirachtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_482" prev="#ID_481"> freisprechen, so ist der ihnen oft gemachte Vorwurf eines gewissen Quietismus<lb/> nicht so unbedingt zu bestreiten. Zwar ist vieles, was man bei ihnen als Quietis-<lb/> mus gedeutet hat, in Wahrheit energische Verteidigung eines festen Ideals ge¬<lb/> wesen. Persönlichkeiten mit so klaren Zielen wie Savigny und K. F. Eichhorn<lb/> als bloße Quietisten aufzufassen, würe ganz verfehlt.' Streiten läßt sich nur<lb/> darüber, ob ihnen nicht doch ein gewisses Maß von Quietismus eigen ist. Auch<lb/> die Haltung Friedrich Wilhelms IV. und seiner Freunde ausschließlich aus Quie¬<lb/> tismus zu erklären, ginge viel zu weit. Wenn sie die Verfassungswünsche der<lb/> Liberalen ihrer Zeit ablehnten, so lehnten sie damit ein Ideal ab, das mit dem<lb/> ihrigen nicht vereinbar war. Als besonderer Umstand kommt in Betracht, daß<lb/> sie ein bestimmtes Verhältnis zu Österreich aufrechterhalten wollten und von<lb/> dem Plan der Reichsverfassung beeinflußt waren, wie ihn Görres aufgestellt<lb/> hatte. Wie wenig man jede Abneigung, auf Neuerungen einzugehen, als Quie¬<lb/> tismus deuten darf, das zeigt z. B. die Wirkung, die Olmütz in den Reihen der<lb/> alten Gegner der liberalen Forderungen hervorbrachte. Rechtfertigte die eine<lb/> Gruppe das Zurückweichen vor Osterreich mit dem zweckmäßigsten Verhältnis<lb/> zu diesem, die andere mit augenblicklichen staatspolitischen und taktischen Er¬<lb/> wägungen, so war eine dritte über das Zurückweichen, weil es ein Zurück¬<lb/> weichen war, ergrimmt. In den Jahren 1866 und 1870/71 hat die große Mehr¬<lb/> zahl derselben Personen, die 1848 Gegner der liberalen Forderungen waren,<lb/> die Neuordnung der deutschen Verhältnisse mit Enthusiasmus begrüßt. Heinrich<lb/> Leo, der Freund der Brüder Gerlach, hat in den Neuerungen von 1866 und 1870<lb/> die Erfüllung seiner Jugendträume gesehen. Zobeltitz (S. 23) meint, Bismarck<lb/> „mußte ein Recke mit Urkräften sein, um nicht der historischen Zersplitterung zu<lb/> erliegen, die in ihm und um ihn drohte. An dem Hof, der ihr Vorschub leistete,<lb/> dem Hofe Friedrich Wilhelms IV., war Bismarck nicht an seinem Platz". Ist<lb/> es wirklich ein Zufall, daß Bismarck als Freund der Freunde dieses Hoff auf¬<lb/> gekommen ist? Oder steht es nicht vielmehr so, daß er nur von den Konservativen<lb/> ausgehen konnte? Es verband ihn doch viel nicht bloß mit den Konservativen<lb/> im allgemeinen, sondern auch mit jenem Hof. Das Historische, das Überlieferte<lb/> war stark in ihm, zumal wesentlich nur in den Kreisen der historischen Über¬<lb/> lieferung das rechte Verständnis für die unentbehrlichen Machtmittel des Staats<lb/> zu finden war. Wenn Bismarck einige Jahre später seine Emanzipation vom<lb/> Legitimismus vollzog, so warf er damit keineswegs alles Historische ab, sondern<lb/> erhob sich nun erst zur vollen historischen Auffassung. Stellen wir uns aber<lb/> vor, er wäre etwa 1852 gestorben, so würden ihn die, die den Kreis von Friedrich<lb/> Wilhelm IV. schlechthin des Quietismus beschuldigen, vermutlich als einen der<lb/> romantischen Quietisten in der Geschichte leben lassen, während er (und er<lb/> nicht allein.') doch gerade einen kräftigen Beweis dafür liefert, eine wie gewaltige<lb/> Kraft der Initiative innerhalb der Angehörigen jenes Kreises vorhanden, viel¬<lb/> leicht einstweilen verborgen war. ^ '</p><lb/> <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Aus den Anfängen der Romantik sei hier noch daran erinnert, daß der<lb/> Dichter der Herrmannsschlacht der erste konservative Redakteur, und zwar ein<lb/> ganz stürmischer gewesen ist. Darf man ferner die burschenschaftliche Bewegung,<lb/> die wesentlich als eine Gruppe der romantische,: aufgekommen ist, als eine<lb/> Erscheinung des Quietismus auffassen? Wenn Deutschland politisch geeint</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0153]
Zur Verteidigung der geschichtlichen Leirachtung
freisprechen, so ist der ihnen oft gemachte Vorwurf eines gewissen Quietismus
nicht so unbedingt zu bestreiten. Zwar ist vieles, was man bei ihnen als Quietis-
mus gedeutet hat, in Wahrheit energische Verteidigung eines festen Ideals ge¬
wesen. Persönlichkeiten mit so klaren Zielen wie Savigny und K. F. Eichhorn
als bloße Quietisten aufzufassen, würe ganz verfehlt.' Streiten läßt sich nur
darüber, ob ihnen nicht doch ein gewisses Maß von Quietismus eigen ist. Auch
die Haltung Friedrich Wilhelms IV. und seiner Freunde ausschließlich aus Quie¬
tismus zu erklären, ginge viel zu weit. Wenn sie die Verfassungswünsche der
Liberalen ihrer Zeit ablehnten, so lehnten sie damit ein Ideal ab, das mit dem
ihrigen nicht vereinbar war. Als besonderer Umstand kommt in Betracht, daß
sie ein bestimmtes Verhältnis zu Österreich aufrechterhalten wollten und von
dem Plan der Reichsverfassung beeinflußt waren, wie ihn Görres aufgestellt
hatte. Wie wenig man jede Abneigung, auf Neuerungen einzugehen, als Quie¬
tismus deuten darf, das zeigt z. B. die Wirkung, die Olmütz in den Reihen der
alten Gegner der liberalen Forderungen hervorbrachte. Rechtfertigte die eine
Gruppe das Zurückweichen vor Osterreich mit dem zweckmäßigsten Verhältnis
zu diesem, die andere mit augenblicklichen staatspolitischen und taktischen Er¬
wägungen, so war eine dritte über das Zurückweichen, weil es ein Zurück¬
weichen war, ergrimmt. In den Jahren 1866 und 1870/71 hat die große Mehr¬
zahl derselben Personen, die 1848 Gegner der liberalen Forderungen waren,
die Neuordnung der deutschen Verhältnisse mit Enthusiasmus begrüßt. Heinrich
Leo, der Freund der Brüder Gerlach, hat in den Neuerungen von 1866 und 1870
die Erfüllung seiner Jugendträume gesehen. Zobeltitz (S. 23) meint, Bismarck
„mußte ein Recke mit Urkräften sein, um nicht der historischen Zersplitterung zu
erliegen, die in ihm und um ihn drohte. An dem Hof, der ihr Vorschub leistete,
dem Hofe Friedrich Wilhelms IV., war Bismarck nicht an seinem Platz". Ist
es wirklich ein Zufall, daß Bismarck als Freund der Freunde dieses Hoff auf¬
gekommen ist? Oder steht es nicht vielmehr so, daß er nur von den Konservativen
ausgehen konnte? Es verband ihn doch viel nicht bloß mit den Konservativen
im allgemeinen, sondern auch mit jenem Hof. Das Historische, das Überlieferte
war stark in ihm, zumal wesentlich nur in den Kreisen der historischen Über¬
lieferung das rechte Verständnis für die unentbehrlichen Machtmittel des Staats
zu finden war. Wenn Bismarck einige Jahre später seine Emanzipation vom
Legitimismus vollzog, so warf er damit keineswegs alles Historische ab, sondern
erhob sich nun erst zur vollen historischen Auffassung. Stellen wir uns aber
vor, er wäre etwa 1852 gestorben, so würden ihn die, die den Kreis von Friedrich
Wilhelm IV. schlechthin des Quietismus beschuldigen, vermutlich als einen der
romantischen Quietisten in der Geschichte leben lassen, während er (und er
nicht allein.') doch gerade einen kräftigen Beweis dafür liefert, eine wie gewaltige
Kraft der Initiative innerhalb der Angehörigen jenes Kreises vorhanden, viel¬
leicht einstweilen verborgen war. ^ '
Aus den Anfängen der Romantik sei hier noch daran erinnert, daß der
Dichter der Herrmannsschlacht der erste konservative Redakteur, und zwar ein
ganz stürmischer gewesen ist. Darf man ferner die burschenschaftliche Bewegung,
die wesentlich als eine Gruppe der romantische,: aufgekommen ist, als eine
Erscheinung des Quietismus auffassen? Wenn Deutschland politisch geeint
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