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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Neue lvege der Sxrachremigung

reinigung. Sie sehen in dem Kampf gegen das Fremdwort ein Hindernis der
Verschmelzung aller Völker zu einer wirtschaftlich und politisch eng verbundenen
Brüderschaft und schließlich zu einer Volkseinheit. Sie erwarten von der
Durchsetzung unserer Sprache mit fremden Brocken gar eine geistige Annähe¬
rung an die anderen Völker und versteigen sich in der Annahme, daß auch in
andere Sprachen mehr und mehr fremdes Sprachgut eindringen werde, teilweise
selbst zu der Hoffnung, daß so Keime einer natürlichen Weltsprache, der Sprache
des künftigen Weltvolks, gesät werden. Ihren Zielen die deutsche Sprache zu
opfern, sind sie aber völlig bereit, sie haben sür sie, wie für allen völkischen
Besitz, um dieser höher bewerteten Ziele willen kein Herz. So verhält man sich
unter dem Gesichtswinkel einer sehr weit hinausschauenden Politik zur Sprach¬
reinigung ablehnend, wie man aus denselben Gründen auch der deutschen Schrift
abgeneigt ist.

Gehen wir über Zehen aber auf Luther zurück, den größten Sprachenbildner,
den es je gab, so finden wir, daß er nicht auf Schönheit der Sprache zielte oder
aus völkischen Gefühlen heraus schaffte: er sah seinen Leuten in Haus und Gasse
aufs Maul, um dem Gelehrten wie dem Umgekehrten gerecht zu werden, und
trug, um Ober- und Niederdeutschen verständlich zu schreiben, nach Möglichkeit
Sprachgut zusammen, das beiden gemeinsam war. Wir Heutigen können daraus
lernen, daß der Sprachreiniger nicht den Schönheitssinn und Liebe zu deutscher
Art als die Gründe seiner Bestrebungen vor sich und andern hinstellen darf Daß
die reine Sprache dem ganzen Volk in allen seinen Bildungsstufen verständlich
ist und auch dem fremder Sprachen Unkundigen weite Begrisfswelten öffnet,
die ihm bisher das Fremdwort verschloß, das allein darf ihn bestimmen.

Eine von Luthers Standpunkt ausgehende Sprachreinigungsbewegung würde
die großen Massen an sich zu ziehen vermögen. Man mache diesen klar, daß die
Sprachmevgerei sie um ein gut Teil ihres Geisteserbes betrügt, daß sie namentlich
schuld ist an der Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten, daß sie die Gefahr
der Nasführung auf allen Gebieten des geistigen Lebens sür den fremdsprachlich
Umgekehrten mit im Gefolge hat, daß sie diesem das Eindringen in jede Wissen¬
schaft erschwert und verwehrt, -- und in den Massen wird sich die Erkenntnis
Bahn brechen, daß für sie in erster Reihe die Reinheit der Sprache nützlich ist,
so nützlich, daß sie nicht der Erreichung weltenferner, im ungewissen Dümmerschein
blinkender Ziele geopfert werden darf. Ja, dem dadurch veranlaßten Nachdenken
über die Sprache wird die Erkenntnis solgen, daß auf dem Wege der Sprach-
mengerei eine Annäherung an andere Völker im Geiste nie erreicht wird, und daß
das Entstehen einer Gemengsclweltsprache unmöglich ist. Ferner wird auch der
Sinn für die Schönheit einer reinen Sprache ganz von selbst mit dem Nach¬
denken über ihren Wert erwachen, wie auch die Liebe zur deutschen Sprache,
wenn erst eingesehen wird, daß es dem geistigen Leben der in dem erhofften der-
einstigen Bund oder Weltstaat vereinten freien Völker nur dienlich sein kann,
wenn jedes Volk seine besondere Sprache von unverständlichen fremden Flittern
reinhält und so zur Vermittlung allen Geistesguts aller Völker an jeden Volks¬
genossen erst recht geschickt und geeignet macht. Daraus, daß sich die Bewegung
der Sprachreinigung von jeher im großen und ganzen auf sprachwissenschaftlich
angeregte und völkisch gesinnte Kreise beschränkte, sich an deren Wünschen und
Fühlen gewendet, die Anschauungen der großen Massen aber zu berücksichtigen im
wesentlichen unterlassen hat, ist der von den Sprachreinigern aller Zeiten so
schmerzlich beklagte verhältnismäßige Mißerfolg ihrer Bestrebungen zu erklären.
Sie wurden niemals des Unverständnisses, der Gleichgültigkeit und in den letzten
Menschenaltern der Feindseligkeit Herr, weil sie' die Massen nicht unter ihrer
Fahne zu sammeln und diesen nicht klar zu machen wußten, daß der Kampf
gegen das Fremdwort ihrer geistigen und wirtschaftlichen Förderung vor allem
dienlich ist. Dies zu erreichen, ist' aber heutzutage mehr als je eine Notwendigkeit,
ja neuerdings zur Lebensfrage für die Bewegung der Svrachrcinigung geworden.
Weil unsere Zeit die Massen zur ausschlaggebenden Macht im Volke erhoben hat,


Neue lvege der Sxrachremigung

reinigung. Sie sehen in dem Kampf gegen das Fremdwort ein Hindernis der
Verschmelzung aller Völker zu einer wirtschaftlich und politisch eng verbundenen
Brüderschaft und schließlich zu einer Volkseinheit. Sie erwarten von der
Durchsetzung unserer Sprache mit fremden Brocken gar eine geistige Annähe¬
rung an die anderen Völker und versteigen sich in der Annahme, daß auch in
andere Sprachen mehr und mehr fremdes Sprachgut eindringen werde, teilweise
selbst zu der Hoffnung, daß so Keime einer natürlichen Weltsprache, der Sprache
des künftigen Weltvolks, gesät werden. Ihren Zielen die deutsche Sprache zu
opfern, sind sie aber völlig bereit, sie haben sür sie, wie für allen völkischen
Besitz, um dieser höher bewerteten Ziele willen kein Herz. So verhält man sich
unter dem Gesichtswinkel einer sehr weit hinausschauenden Politik zur Sprach¬
reinigung ablehnend, wie man aus denselben Gründen auch der deutschen Schrift
abgeneigt ist.

Gehen wir über Zehen aber auf Luther zurück, den größten Sprachenbildner,
den es je gab, so finden wir, daß er nicht auf Schönheit der Sprache zielte oder
aus völkischen Gefühlen heraus schaffte: er sah seinen Leuten in Haus und Gasse
aufs Maul, um dem Gelehrten wie dem Umgekehrten gerecht zu werden, und
trug, um Ober- und Niederdeutschen verständlich zu schreiben, nach Möglichkeit
Sprachgut zusammen, das beiden gemeinsam war. Wir Heutigen können daraus
lernen, daß der Sprachreiniger nicht den Schönheitssinn und Liebe zu deutscher
Art als die Gründe seiner Bestrebungen vor sich und andern hinstellen darf Daß
die reine Sprache dem ganzen Volk in allen seinen Bildungsstufen verständlich
ist und auch dem fremder Sprachen Unkundigen weite Begrisfswelten öffnet,
die ihm bisher das Fremdwort verschloß, das allein darf ihn bestimmen.

Eine von Luthers Standpunkt ausgehende Sprachreinigungsbewegung würde
die großen Massen an sich zu ziehen vermögen. Man mache diesen klar, daß die
Sprachmevgerei sie um ein gut Teil ihres Geisteserbes betrügt, daß sie namentlich
schuld ist an der Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten, daß sie die Gefahr
der Nasführung auf allen Gebieten des geistigen Lebens sür den fremdsprachlich
Umgekehrten mit im Gefolge hat, daß sie diesem das Eindringen in jede Wissen¬
schaft erschwert und verwehrt, — und in den Massen wird sich die Erkenntnis
Bahn brechen, daß für sie in erster Reihe die Reinheit der Sprache nützlich ist,
so nützlich, daß sie nicht der Erreichung weltenferner, im ungewissen Dümmerschein
blinkender Ziele geopfert werden darf. Ja, dem dadurch veranlaßten Nachdenken
über die Sprache wird die Erkenntnis solgen, daß auf dem Wege der Sprach-
mengerei eine Annäherung an andere Völker im Geiste nie erreicht wird, und daß
das Entstehen einer Gemengsclweltsprache unmöglich ist. Ferner wird auch der
Sinn für die Schönheit einer reinen Sprache ganz von selbst mit dem Nach¬
denken über ihren Wert erwachen, wie auch die Liebe zur deutschen Sprache,
wenn erst eingesehen wird, daß es dem geistigen Leben der in dem erhofften der-
einstigen Bund oder Weltstaat vereinten freien Völker nur dienlich sein kann,
wenn jedes Volk seine besondere Sprache von unverständlichen fremden Flittern
reinhält und so zur Vermittlung allen Geistesguts aller Völker an jeden Volks¬
genossen erst recht geschickt und geeignet macht. Daraus, daß sich die Bewegung
der Sprachreinigung von jeher im großen und ganzen auf sprachwissenschaftlich
angeregte und völkisch gesinnte Kreise beschränkte, sich an deren Wünschen und
Fühlen gewendet, die Anschauungen der großen Massen aber zu berücksichtigen im
wesentlichen unterlassen hat, ist der von den Sprachreinigern aller Zeiten so
schmerzlich beklagte verhältnismäßige Mißerfolg ihrer Bestrebungen zu erklären.
Sie wurden niemals des Unverständnisses, der Gleichgültigkeit und in den letzten
Menschenaltern der Feindseligkeit Herr, weil sie' die Massen nicht unter ihrer
Fahne zu sammeln und diesen nicht klar zu machen wußten, daß der Kampf
gegen das Fremdwort ihrer geistigen und wirtschaftlichen Förderung vor allem
dienlich ist. Dies zu erreichen, ist' aber heutzutage mehr als je eine Notwendigkeit,
ja neuerdings zur Lebensfrage für die Bewegung der Svrachrcinigung geworden.
Weil unsere Zeit die Massen zur ausschlaggebenden Macht im Volke erhoben hat,


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[0133] Neue lvege der Sxrachremigung reinigung. Sie sehen in dem Kampf gegen das Fremdwort ein Hindernis der Verschmelzung aller Völker zu einer wirtschaftlich und politisch eng verbundenen Brüderschaft und schließlich zu einer Volkseinheit. Sie erwarten von der Durchsetzung unserer Sprache mit fremden Brocken gar eine geistige Annähe¬ rung an die anderen Völker und versteigen sich in der Annahme, daß auch in andere Sprachen mehr und mehr fremdes Sprachgut eindringen werde, teilweise selbst zu der Hoffnung, daß so Keime einer natürlichen Weltsprache, der Sprache des künftigen Weltvolks, gesät werden. Ihren Zielen die deutsche Sprache zu opfern, sind sie aber völlig bereit, sie haben sür sie, wie für allen völkischen Besitz, um dieser höher bewerteten Ziele willen kein Herz. So verhält man sich unter dem Gesichtswinkel einer sehr weit hinausschauenden Politik zur Sprach¬ reinigung ablehnend, wie man aus denselben Gründen auch der deutschen Schrift abgeneigt ist. Gehen wir über Zehen aber auf Luther zurück, den größten Sprachenbildner, den es je gab, so finden wir, daß er nicht auf Schönheit der Sprache zielte oder aus völkischen Gefühlen heraus schaffte: er sah seinen Leuten in Haus und Gasse aufs Maul, um dem Gelehrten wie dem Umgekehrten gerecht zu werden, und trug, um Ober- und Niederdeutschen verständlich zu schreiben, nach Möglichkeit Sprachgut zusammen, das beiden gemeinsam war. Wir Heutigen können daraus lernen, daß der Sprachreiniger nicht den Schönheitssinn und Liebe zu deutscher Art als die Gründe seiner Bestrebungen vor sich und andern hinstellen darf Daß die reine Sprache dem ganzen Volk in allen seinen Bildungsstufen verständlich ist und auch dem fremder Sprachen Unkundigen weite Begrisfswelten öffnet, die ihm bisher das Fremdwort verschloß, das allein darf ihn bestimmen. Eine von Luthers Standpunkt ausgehende Sprachreinigungsbewegung würde die großen Massen an sich zu ziehen vermögen. Man mache diesen klar, daß die Sprachmevgerei sie um ein gut Teil ihres Geisteserbes betrügt, daß sie namentlich schuld ist an der Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten, daß sie die Gefahr der Nasführung auf allen Gebieten des geistigen Lebens sür den fremdsprachlich Umgekehrten mit im Gefolge hat, daß sie diesem das Eindringen in jede Wissen¬ schaft erschwert und verwehrt, — und in den Massen wird sich die Erkenntnis Bahn brechen, daß für sie in erster Reihe die Reinheit der Sprache nützlich ist, so nützlich, daß sie nicht der Erreichung weltenferner, im ungewissen Dümmerschein blinkender Ziele geopfert werden darf. Ja, dem dadurch veranlaßten Nachdenken über die Sprache wird die Erkenntnis solgen, daß auf dem Wege der Sprach- mengerei eine Annäherung an andere Völker im Geiste nie erreicht wird, und daß das Entstehen einer Gemengsclweltsprache unmöglich ist. Ferner wird auch der Sinn für die Schönheit einer reinen Sprache ganz von selbst mit dem Nach¬ denken über ihren Wert erwachen, wie auch die Liebe zur deutschen Sprache, wenn erst eingesehen wird, daß es dem geistigen Leben der in dem erhofften der- einstigen Bund oder Weltstaat vereinten freien Völker nur dienlich sein kann, wenn jedes Volk seine besondere Sprache von unverständlichen fremden Flittern reinhält und so zur Vermittlung allen Geistesguts aller Völker an jeden Volks¬ genossen erst recht geschickt und geeignet macht. Daraus, daß sich die Bewegung der Sprachreinigung von jeher im großen und ganzen auf sprachwissenschaftlich angeregte und völkisch gesinnte Kreise beschränkte, sich an deren Wünschen und Fühlen gewendet, die Anschauungen der großen Massen aber zu berücksichtigen im wesentlichen unterlassen hat, ist der von den Sprachreinigern aller Zeiten so schmerzlich beklagte verhältnismäßige Mißerfolg ihrer Bestrebungen zu erklären. Sie wurden niemals des Unverständnisses, der Gleichgültigkeit und in den letzten Menschenaltern der Feindseligkeit Herr, weil sie' die Massen nicht unter ihrer Fahne zu sammeln und diesen nicht klar zu machen wußten, daß der Kampf gegen das Fremdwort ihrer geistigen und wirtschaftlichen Förderung vor allem dienlich ist. Dies zu erreichen, ist' aber heutzutage mehr als je eine Notwendigkeit, ja neuerdings zur Lebensfrage für die Bewegung der Svrachrcinigung geworden. Weil unsere Zeit die Massen zur ausschlaggebenden Macht im Volke erhoben hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/133>, abgerufen am 29.12.2024.