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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Bürokraten-Briefe

das Ausland auf unsere Selbstzerfleischung und Selbstbefleckung blickt, mußte ich
Ihnen schon neulich anführen, als von Erzvergers Enthüllungen die Rede war.
Haben Sie sonst den Eindruck gewonnen, daß die junge deutsche Republik in der
Welt mit Achtung oder mit Wohlwollen behandelt werde? Daß bei der ersten Be¬
setzung von Gesandtenposten -- einer Besetzung freilich, deren Eigenart selbst im
Lager der Regierungsparteien Kopfschütteln erregte -- der früher kaun? erhörte Er¬
folg der Ablehnung des Erwählten durch die Regierung, der man ihn zugedacht
hatte, gleich in zwei Fällen erzielt wurde, läßt sich nicht eben als günstiges Vor¬
zeichen anführen.

Ich bin überzeugt, eine kräftige Regierung, die sich fähig zeigt, in Deutsch¬
land Ordnung zu schaffen und zu halten, würde, gleichviel, welches ihre Partei-
stÄung, unser Ansehen im Auslande stärken, uns neues Vertrauen gewinnen, unsere
Stellung in jeder Hinsicht verbessern. Die neutralen Staaten würden ihr gegenüber,
namentlich auch auf finanziellem Gebiete, eher geneigt sein die Zurückhaltung
aufzugeben, zu der sie unsere bisherigen, auch für die Nachbarn gefährlichen
inneren Wirren jetzt noch nötigen. Selbst bei den Feinden wird eine Regierung,
die einer festen und würdigen Haltung fähig ist und zugleich Vertrauen einzu¬
flößen versteht, sich leichter Gehör verschaffen,

Nun werden Sie nnr einwerfen, daß Deutschland selbst nicht mehr im Gegen¬
satz gegen die Soztaldemokratie regiert werden könn?. In diesem oft gehörten Lehr¬
satz steckt als berechtigter Kern der Gedanke, daß keine Negierung sich bei uns wird
halten können, welche die Arbeiterschaft geschlossen gegen sich hat. Es ist aber ein
Trugschluß, wenn man die Sozialdemokratie, so cmmaßlich sie es für sich in An¬
spruch nimmt, mit der Arbeiterschaft gleichsetzt. Sie wissen, daß es außer ihr, von
den unorganisierten Arbeitern ganz abgesehen, eine stattliche Anzahl gibt, die zu
Verbänden anderer politischer Richtung zusammengeschlossen sind. Die Macht, über
die sie verfügen, ist viel zu wenig bekannt. Weit mehr, als es bisher geschieht, müßte
sich das Interesse auf der rechten Seite mit der Entwicklung der christlichen Gewerk¬
schaften, der nationalen Angestelltenvereine und der mit ihnen zum "Deutschen Ge¬
werkschaftsbunde" zusammengeschlossenen Organisationen beschäftigen. Erregt es
doch selbst bei politisch unterrichteten Anhängern unserer Richtung häufig Ver¬
wunderung, wenn ihnen die Tatsache mitgeteilt wird, daß dieser deutsche Gewerk¬
schaftsbund fast zwei Millionen Arbeiter und Angestellte als Mitglieder zählt.

Ich verkenne natürlich nicht, daß damit noch lange "nicht das dringend er¬
forderliche Gegengewicht gegen die gewaltige Übermacht der sozialistisch gerichteten
Arbeiterverbände gegeben ist. Ich muß Ihnen auch zugeben, daß die nicht¬
sozialistischen Organisationen keineswegs durchweg auf dein von mir verfochtenen
nationalen Standpunkt stehen. Ist es doch der Einfluß der christlichen Gewerk¬
schaften, der das Zentrum in die unnatürliche Ehe mit der Sozialdemokratie ge¬
trieben hat. Aber es ist noch nicht aller Tage Abend! Die Zeit, die Fehler der
herrschenden Richtung, die Brutalität der Feinde -- alles arbeitet für den nationalen
Gedanken. Es kann nicht ausbleiben, daß er auch dem deutschen Michel aufgeht.
Schon mehren sich die Anzeichen, daß der Zug nach rechts geht. Diese Bewegung
im Flusse zu halten, mit allen Mitteln und aus aller Kraft in rastloser Arbeit zu
fördern, namentlich unter Arbeitern und Angestellten die nationale Strömung zu
stärken und die christliche Arbeiterschaft für die nationale Sache zu gewinnen: das heißt


Bürokraten-Briefe

das Ausland auf unsere Selbstzerfleischung und Selbstbefleckung blickt, mußte ich
Ihnen schon neulich anführen, als von Erzvergers Enthüllungen die Rede war.
Haben Sie sonst den Eindruck gewonnen, daß die junge deutsche Republik in der
Welt mit Achtung oder mit Wohlwollen behandelt werde? Daß bei der ersten Be¬
setzung von Gesandtenposten — einer Besetzung freilich, deren Eigenart selbst im
Lager der Regierungsparteien Kopfschütteln erregte — der früher kaun? erhörte Er¬
folg der Ablehnung des Erwählten durch die Regierung, der man ihn zugedacht
hatte, gleich in zwei Fällen erzielt wurde, läßt sich nicht eben als günstiges Vor¬
zeichen anführen.

Ich bin überzeugt, eine kräftige Regierung, die sich fähig zeigt, in Deutsch¬
land Ordnung zu schaffen und zu halten, würde, gleichviel, welches ihre Partei-
stÄung, unser Ansehen im Auslande stärken, uns neues Vertrauen gewinnen, unsere
Stellung in jeder Hinsicht verbessern. Die neutralen Staaten würden ihr gegenüber,
namentlich auch auf finanziellem Gebiete, eher geneigt sein die Zurückhaltung
aufzugeben, zu der sie unsere bisherigen, auch für die Nachbarn gefährlichen
inneren Wirren jetzt noch nötigen. Selbst bei den Feinden wird eine Regierung,
die einer festen und würdigen Haltung fähig ist und zugleich Vertrauen einzu¬
flößen versteht, sich leichter Gehör verschaffen,

Nun werden Sie nnr einwerfen, daß Deutschland selbst nicht mehr im Gegen¬
satz gegen die Soztaldemokratie regiert werden könn?. In diesem oft gehörten Lehr¬
satz steckt als berechtigter Kern der Gedanke, daß keine Negierung sich bei uns wird
halten können, welche die Arbeiterschaft geschlossen gegen sich hat. Es ist aber ein
Trugschluß, wenn man die Sozialdemokratie, so cmmaßlich sie es für sich in An¬
spruch nimmt, mit der Arbeiterschaft gleichsetzt. Sie wissen, daß es außer ihr, von
den unorganisierten Arbeitern ganz abgesehen, eine stattliche Anzahl gibt, die zu
Verbänden anderer politischer Richtung zusammengeschlossen sind. Die Macht, über
die sie verfügen, ist viel zu wenig bekannt. Weit mehr, als es bisher geschieht, müßte
sich das Interesse auf der rechten Seite mit der Entwicklung der christlichen Gewerk¬
schaften, der nationalen Angestelltenvereine und der mit ihnen zum „Deutschen Ge¬
werkschaftsbunde" zusammengeschlossenen Organisationen beschäftigen. Erregt es
doch selbst bei politisch unterrichteten Anhängern unserer Richtung häufig Ver¬
wunderung, wenn ihnen die Tatsache mitgeteilt wird, daß dieser deutsche Gewerk¬
schaftsbund fast zwei Millionen Arbeiter und Angestellte als Mitglieder zählt.

Ich verkenne natürlich nicht, daß damit noch lange "nicht das dringend er¬
forderliche Gegengewicht gegen die gewaltige Übermacht der sozialistisch gerichteten
Arbeiterverbände gegeben ist. Ich muß Ihnen auch zugeben, daß die nicht¬
sozialistischen Organisationen keineswegs durchweg auf dein von mir verfochtenen
nationalen Standpunkt stehen. Ist es doch der Einfluß der christlichen Gewerk¬
schaften, der das Zentrum in die unnatürliche Ehe mit der Sozialdemokratie ge¬
trieben hat. Aber es ist noch nicht aller Tage Abend! Die Zeit, die Fehler der
herrschenden Richtung, die Brutalität der Feinde — alles arbeitet für den nationalen
Gedanken. Es kann nicht ausbleiben, daß er auch dem deutschen Michel aufgeht.
Schon mehren sich die Anzeichen, daß der Zug nach rechts geht. Diese Bewegung
im Flusse zu halten, mit allen Mitteln und aus aller Kraft in rastloser Arbeit zu
fördern, namentlich unter Arbeitern und Angestellten die nationale Strömung zu
stärken und die christliche Arbeiterschaft für die nationale Sache zu gewinnen: das heißt


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[0118] Bürokraten-Briefe das Ausland auf unsere Selbstzerfleischung und Selbstbefleckung blickt, mußte ich Ihnen schon neulich anführen, als von Erzvergers Enthüllungen die Rede war. Haben Sie sonst den Eindruck gewonnen, daß die junge deutsche Republik in der Welt mit Achtung oder mit Wohlwollen behandelt werde? Daß bei der ersten Be¬ setzung von Gesandtenposten — einer Besetzung freilich, deren Eigenart selbst im Lager der Regierungsparteien Kopfschütteln erregte — der früher kaun? erhörte Er¬ folg der Ablehnung des Erwählten durch die Regierung, der man ihn zugedacht hatte, gleich in zwei Fällen erzielt wurde, läßt sich nicht eben als günstiges Vor¬ zeichen anführen. Ich bin überzeugt, eine kräftige Regierung, die sich fähig zeigt, in Deutsch¬ land Ordnung zu schaffen und zu halten, würde, gleichviel, welches ihre Partei- stÄung, unser Ansehen im Auslande stärken, uns neues Vertrauen gewinnen, unsere Stellung in jeder Hinsicht verbessern. Die neutralen Staaten würden ihr gegenüber, namentlich auch auf finanziellem Gebiete, eher geneigt sein die Zurückhaltung aufzugeben, zu der sie unsere bisherigen, auch für die Nachbarn gefährlichen inneren Wirren jetzt noch nötigen. Selbst bei den Feinden wird eine Regierung, die einer festen und würdigen Haltung fähig ist und zugleich Vertrauen einzu¬ flößen versteht, sich leichter Gehör verschaffen, Nun werden Sie nnr einwerfen, daß Deutschland selbst nicht mehr im Gegen¬ satz gegen die Soztaldemokratie regiert werden könn?. In diesem oft gehörten Lehr¬ satz steckt als berechtigter Kern der Gedanke, daß keine Negierung sich bei uns wird halten können, welche die Arbeiterschaft geschlossen gegen sich hat. Es ist aber ein Trugschluß, wenn man die Sozialdemokratie, so cmmaßlich sie es für sich in An¬ spruch nimmt, mit der Arbeiterschaft gleichsetzt. Sie wissen, daß es außer ihr, von den unorganisierten Arbeitern ganz abgesehen, eine stattliche Anzahl gibt, die zu Verbänden anderer politischer Richtung zusammengeschlossen sind. Die Macht, über die sie verfügen, ist viel zu wenig bekannt. Weit mehr, als es bisher geschieht, müßte sich das Interesse auf der rechten Seite mit der Entwicklung der christlichen Gewerk¬ schaften, der nationalen Angestelltenvereine und der mit ihnen zum „Deutschen Ge¬ werkschaftsbunde" zusammengeschlossenen Organisationen beschäftigen. Erregt es doch selbst bei politisch unterrichteten Anhängern unserer Richtung häufig Ver¬ wunderung, wenn ihnen die Tatsache mitgeteilt wird, daß dieser deutsche Gewerk¬ schaftsbund fast zwei Millionen Arbeiter und Angestellte als Mitglieder zählt. Ich verkenne natürlich nicht, daß damit noch lange "nicht das dringend er¬ forderliche Gegengewicht gegen die gewaltige Übermacht der sozialistisch gerichteten Arbeiterverbände gegeben ist. Ich muß Ihnen auch zugeben, daß die nicht¬ sozialistischen Organisationen keineswegs durchweg auf dein von mir verfochtenen nationalen Standpunkt stehen. Ist es doch der Einfluß der christlichen Gewerk¬ schaften, der das Zentrum in die unnatürliche Ehe mit der Sozialdemokratie ge¬ trieben hat. Aber es ist noch nicht aller Tage Abend! Die Zeit, die Fehler der herrschenden Richtung, die Brutalität der Feinde — alles arbeitet für den nationalen Gedanken. Es kann nicht ausbleiben, daß er auch dem deutschen Michel aufgeht. Schon mehren sich die Anzeichen, daß der Zug nach rechts geht. Diese Bewegung im Flusse zu halten, mit allen Mitteln und aus aller Kraft in rastloser Arbeit zu fördern, namentlich unter Arbeitern und Angestellten die nationale Strömung zu stärken und die christliche Arbeiterschaft für die nationale Sache zu gewinnen: das heißt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/118>, abgerufen am 29.12.2024.