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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Bürokraten-Briefe

wer glaubt ihnen, den Streikrechtspropheten und -Vorkämpfern von gestern, wem
klingt es nicht wie groteske Selbstverhöhnung, wenn sie heute von ihren Minister¬
sesseln herab dekretieren: "Streik ist Verbrechen am Vaterlande"?

Wie soll die Sozialdemokratie ihrem Regiment Autorität verschaffen, sie, deren
Beruf es war, alle Autorität zu untergraben? Wie soll sie Ordnung schaffen, nach¬
dem sie so lange planmäßig jede Auflehnung verteidigt, verherrlicht, mit Redens¬
arten, wie Provokation und Lockspitzelei, in Schutz genommen hatte? Wie kann
sie den Behördenapparat in Gang halten und dem Drängen an die Staatskrippe
wehren, zu der sie durch die Forderung der Besetzung aller Ämter durch Wahl,
d. h, durch die Gunst der Massen, selbst das Signal gegeben hat? Wie soll sie
endlich dem Staate die nötigen Einnahmen schaffen? In tausend und abertausend
Parlaments- und Volksversammlungsreden haben ihre Apostel gegen Zölle, Mono¬
pole und indirekte Steuern gewettert und alle diese Auflagen als Teufelswerk in
Acht und Bann getan. Das heutige Finanzelend läßt wohl manchen von ihnen
sehnsüchtig über die Mauer des fruchtbaren Edens blicken, in dem diese ertragreichen
Steuergewächse blühen. Umsonst! Sie haben selbst den Cherub mit dem flammenden
Schwerte des Prinzips als Hüter vor das Tor gestellt und müssen sich nun auf der
fast schon abgegrasten Weide der direkten Steuern, die sie in verbohrter Kapitalfeind¬
schaft als das allein seliMachende Staalsfutter gepriesen haben, mühsam die letzten
Gräser zusammensuchen und mit den Wurzeln ausraufen, ohne Hoffnung, das
unermeßliche Loch des Defizits zu stopfen, aber gewiß, den Acker der Volkswirtschaft
damit zu veröden.

Es ist nicht anders: Natur und Vergangenheit der Sozialdemokratie drängen
sie und die von ihr geführte Regierungsmehrheit unweigerlich auf den Weg, den sie
jetzt einhertaumelt und der uns zum Abgrund führt. Solange dies Parteiregiment
das deutsche Volk züchtigt, ist an keine Rettung zu denken.

Warum erschraken Sie, als Sie diese meine Überzeugung schon Neulich aus
meiner Klage über die Haltung der Regierung in der Streitfrage herauszuhören
glaubten? Daß ich nicht an sofortige, womöglich gar an gewaltsame Umwälzung
denke, konnten Sie wissen, auch ohne daß ich es Ihnen ausdrücklich sagen mußte.
Sind Sie etwa in dem Vorurteil befangen, daß die Herrschaft der jetzigen Richtung
überhaupt und auf die Dauer gehalten werden müsse, weil nur eine demokratisch¬
sozialistische Regierung uns das Wohlwollen der anderen Völker gewinnen und den
inneren Frieden gewährleisten könne? Ich bin dieser Auffassung auch auf unserer
Seite vielfach begegnet, aber ich habe solche schwachmütige Resignation stets bekämpft
und halte Ihre Voraussetzungen für ganz falsch. Von dem Glauben an moralische
Eroberungen im Auslande durch "freiheitliche" Einrichtung des eigenen Staats¬
wesens sollten nach den Erfahrungen im Weltkriege selbst die unverbesserlichsten
Illusionisten geheilt sein. Hat die Gewaltherrschaft des Zaren die "Völker der
westlichen Freiheit" gehindert, Arm in Arm,mit ihm zum Angriff gegen uns vor¬
zugehen? Hat die Umwandlung des vielgeschmähten kaiserlichen Deutschlands in
eine überdemokratische Republik die Feindseligkeit der Gegner auch nur um einen
Gut gemindert, ihrem Vergewaltigungswillen irgendeinen Zügel angelegt? Ihr
Haß ist nur noch um die Verachtung gewachsen, die uns der Umsturz mit seinen un¬
würdigen Begleiterscheinungen nicht allein bei ihnen, sondern leider auch in den
neutralen Ländern eingetragen hat. Ein Beispiel für die Geringschätzung, mit dem


Bürokraten-Briefe

wer glaubt ihnen, den Streikrechtspropheten und -Vorkämpfern von gestern, wem
klingt es nicht wie groteske Selbstverhöhnung, wenn sie heute von ihren Minister¬
sesseln herab dekretieren: „Streik ist Verbrechen am Vaterlande"?

Wie soll die Sozialdemokratie ihrem Regiment Autorität verschaffen, sie, deren
Beruf es war, alle Autorität zu untergraben? Wie soll sie Ordnung schaffen, nach¬
dem sie so lange planmäßig jede Auflehnung verteidigt, verherrlicht, mit Redens¬
arten, wie Provokation und Lockspitzelei, in Schutz genommen hatte? Wie kann
sie den Behördenapparat in Gang halten und dem Drängen an die Staatskrippe
wehren, zu der sie durch die Forderung der Besetzung aller Ämter durch Wahl,
d. h, durch die Gunst der Massen, selbst das Signal gegeben hat? Wie soll sie
endlich dem Staate die nötigen Einnahmen schaffen? In tausend und abertausend
Parlaments- und Volksversammlungsreden haben ihre Apostel gegen Zölle, Mono¬
pole und indirekte Steuern gewettert und alle diese Auflagen als Teufelswerk in
Acht und Bann getan. Das heutige Finanzelend läßt wohl manchen von ihnen
sehnsüchtig über die Mauer des fruchtbaren Edens blicken, in dem diese ertragreichen
Steuergewächse blühen. Umsonst! Sie haben selbst den Cherub mit dem flammenden
Schwerte des Prinzips als Hüter vor das Tor gestellt und müssen sich nun auf der
fast schon abgegrasten Weide der direkten Steuern, die sie in verbohrter Kapitalfeind¬
schaft als das allein seliMachende Staalsfutter gepriesen haben, mühsam die letzten
Gräser zusammensuchen und mit den Wurzeln ausraufen, ohne Hoffnung, das
unermeßliche Loch des Defizits zu stopfen, aber gewiß, den Acker der Volkswirtschaft
damit zu veröden.

Es ist nicht anders: Natur und Vergangenheit der Sozialdemokratie drängen
sie und die von ihr geführte Regierungsmehrheit unweigerlich auf den Weg, den sie
jetzt einhertaumelt und der uns zum Abgrund führt. Solange dies Parteiregiment
das deutsche Volk züchtigt, ist an keine Rettung zu denken.

Warum erschraken Sie, als Sie diese meine Überzeugung schon Neulich aus
meiner Klage über die Haltung der Regierung in der Streitfrage herauszuhören
glaubten? Daß ich nicht an sofortige, womöglich gar an gewaltsame Umwälzung
denke, konnten Sie wissen, auch ohne daß ich es Ihnen ausdrücklich sagen mußte.
Sind Sie etwa in dem Vorurteil befangen, daß die Herrschaft der jetzigen Richtung
überhaupt und auf die Dauer gehalten werden müsse, weil nur eine demokratisch¬
sozialistische Regierung uns das Wohlwollen der anderen Völker gewinnen und den
inneren Frieden gewährleisten könne? Ich bin dieser Auffassung auch auf unserer
Seite vielfach begegnet, aber ich habe solche schwachmütige Resignation stets bekämpft
und halte Ihre Voraussetzungen für ganz falsch. Von dem Glauben an moralische
Eroberungen im Auslande durch „freiheitliche" Einrichtung des eigenen Staats¬
wesens sollten nach den Erfahrungen im Weltkriege selbst die unverbesserlichsten
Illusionisten geheilt sein. Hat die Gewaltherrschaft des Zaren die „Völker der
westlichen Freiheit" gehindert, Arm in Arm,mit ihm zum Angriff gegen uns vor¬
zugehen? Hat die Umwandlung des vielgeschmähten kaiserlichen Deutschlands in
eine überdemokratische Republik die Feindseligkeit der Gegner auch nur um einen
Gut gemindert, ihrem Vergewaltigungswillen irgendeinen Zügel angelegt? Ihr
Haß ist nur noch um die Verachtung gewachsen, die uns der Umsturz mit seinen un¬
würdigen Begleiterscheinungen nicht allein bei ihnen, sondern leider auch in den
neutralen Ländern eingetragen hat. Ein Beispiel für die Geringschätzung, mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/117>, abgerufen am 29.12.2024.