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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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In der Presse und im Parlament hört man mehrfach die durchaus irrige An¬
schauung vertreten, daß das 100 000-Mann-Heer infolge seiner Schwäche und infolge
des Mangels an personellen und materiellen Reserven überhaupt nicht befähigt sei,
militärische Aufgaben irgendwelcher Art zu lösen und infolgedessen lediglich als
Polizeireserve bewertet werden müsse. Diese Auffassung ist falsch und muß auf das
entschiedenste bekämpft werden.

Wir Berufssoldaten, die wir am eigenen Leibe die feindliche Überlegenheit
an Munition und Material und den Einfluß der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
der Heimat auf die moderne Kriegsführung kennengelernt haben, sind wohl die
letzten, die mit dem Gedanken an einen Revanchekrieg oder Angriffskrieg spielen
oder auch nur an die Möglichkeit glauben, dem Angriff einer europäischen Gro߬
macht mit ihren gut geführten, vortrefflich ausgebildeten und mit dem modernsten
Kriegsmaterial überreich ausgestatteten Armeen bewaffneten Widerstand entgegen¬
zusehen.

Wir haben aber auch Nachbarn, bei denen diese Voraussetzungen nicht zu¬
treffen und in deren friedliche und freundschaftliche Gesinnungen gegen uns wir
leider genötigt sind, ernste Zweifel zu setzen. Vielleicht sind wir nicht imstande,
gegen diese Nachbarn einen lange dauernden Verteidigungskrieg zu führen, aber
unter allen Umständen werden 100000 friedensmäßig aus¬
gebildete und gut ausgerüstete deutsche Soldaten unter
der Führung geschulter Offiziere und unter der Leitung
straff organisierter Stäbe imstande sein, unsere Grenz¬
gebiete solange gegen einen feindlichen Einfall von dieser
Seite zu verteidigen, bis eine Lösung auf diplomatischem
Wege herbeigeführt werden kann. Wir schulden unseren im Kriege
zum Teil schon so schwer heimgesuchten Grenzgebieten, daß wir alles tun, was in
unseren Kräften steht, um sie vor den Greueln einer neuen feindlichen Invasion
zu schützen. Außerdem muß unserem Heere die Verteidigung des Vaterlandes
und seiner Grenzen Ziel und vornehmste Pflicht sein, wenn anders wir ihm die
besten Elemente des Volles zuführen, seine Leistungen auf das höchste steigern
und unserem Vaterlande die unerfreulichen Erscheinungen ersparen wollen, die
sonst nur allzu leicht mit einem Heere aus lange dienenden Berufssoldaten ver¬
knüpft sind.

Allerdings ist die Befähigung des Heeres zur Lösung dieser Aufgabe an
gewisse Voraussetzungen geknüpft: es muß sich aus den besten Elementen des Landes
rekrutieren, es muß in echt soldatischem Geiste erzogen sein, es muß so gut aus¬
gerüstet sein, als es im Rahmen der Bestimmungen des Friedensvertrages möglich
ist, es muß die bestmögliche Ausbildung erhalten und beweglich sein, es muß straff
organisiert und gut und einheitlich geführt werden. Ob und in welchem Grade diese
Boraussetzungen bei unserem künftigen Heere zutreffen werden, hängt in erster
Linie ab von der Form, in der das Neichswehrgesctz und das Wehrmachtversorgungs¬
gesetz die gesetzgebenden Körperschaften verlassen und von den Mitteln, die Reichsrat
und Reichstag für das Heer bewilligen werdey.

Je kleiner das Heer ist, um so straffer muß es organisiert, um so einheitlicher
"aß es ausgebildet und geführt werden, um zur möglichen Höchstleistung befähigt
zu sein. Den Luxus, sein Heer im Bedarfsfalle aus verschiedenen mehr oder minder


In der Presse und im Parlament hört man mehrfach die durchaus irrige An¬
schauung vertreten, daß das 100 000-Mann-Heer infolge seiner Schwäche und infolge
des Mangels an personellen und materiellen Reserven überhaupt nicht befähigt sei,
militärische Aufgaben irgendwelcher Art zu lösen und infolgedessen lediglich als
Polizeireserve bewertet werden müsse. Diese Auffassung ist falsch und muß auf das
entschiedenste bekämpft werden.

Wir Berufssoldaten, die wir am eigenen Leibe die feindliche Überlegenheit
an Munition und Material und den Einfluß der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
der Heimat auf die moderne Kriegsführung kennengelernt haben, sind wohl die
letzten, die mit dem Gedanken an einen Revanchekrieg oder Angriffskrieg spielen
oder auch nur an die Möglichkeit glauben, dem Angriff einer europäischen Gro߬
macht mit ihren gut geführten, vortrefflich ausgebildeten und mit dem modernsten
Kriegsmaterial überreich ausgestatteten Armeen bewaffneten Widerstand entgegen¬
zusehen.

Wir haben aber auch Nachbarn, bei denen diese Voraussetzungen nicht zu¬
treffen und in deren friedliche und freundschaftliche Gesinnungen gegen uns wir
leider genötigt sind, ernste Zweifel zu setzen. Vielleicht sind wir nicht imstande,
gegen diese Nachbarn einen lange dauernden Verteidigungskrieg zu führen, aber
unter allen Umständen werden 100000 friedensmäßig aus¬
gebildete und gut ausgerüstete deutsche Soldaten unter
der Führung geschulter Offiziere und unter der Leitung
straff organisierter Stäbe imstande sein, unsere Grenz¬
gebiete solange gegen einen feindlichen Einfall von dieser
Seite zu verteidigen, bis eine Lösung auf diplomatischem
Wege herbeigeführt werden kann. Wir schulden unseren im Kriege
zum Teil schon so schwer heimgesuchten Grenzgebieten, daß wir alles tun, was in
unseren Kräften steht, um sie vor den Greueln einer neuen feindlichen Invasion
zu schützen. Außerdem muß unserem Heere die Verteidigung des Vaterlandes
und seiner Grenzen Ziel und vornehmste Pflicht sein, wenn anders wir ihm die
besten Elemente des Volles zuführen, seine Leistungen auf das höchste steigern
und unserem Vaterlande die unerfreulichen Erscheinungen ersparen wollen, die
sonst nur allzu leicht mit einem Heere aus lange dienenden Berufssoldaten ver¬
knüpft sind.

Allerdings ist die Befähigung des Heeres zur Lösung dieser Aufgabe an
gewisse Voraussetzungen geknüpft: es muß sich aus den besten Elementen des Landes
rekrutieren, es muß in echt soldatischem Geiste erzogen sein, es muß so gut aus¬
gerüstet sein, als es im Rahmen der Bestimmungen des Friedensvertrages möglich
ist, es muß die bestmögliche Ausbildung erhalten und beweglich sein, es muß straff
organisiert und gut und einheitlich geführt werden. Ob und in welchem Grade diese
Boraussetzungen bei unserem künftigen Heere zutreffen werden, hängt in erster
Linie ab von der Form, in der das Neichswehrgesctz und das Wehrmachtversorgungs¬
gesetz die gesetzgebenden Körperschaften verlassen und von den Mitteln, die Reichsrat
und Reichstag für das Heer bewilligen werdey.

Je kleiner das Heer ist, um so straffer muß es organisiert, um so einheitlicher
«aß es ausgebildet und geführt werden, um zur möglichen Höchstleistung befähigt
zu sein. Den Luxus, sein Heer im Bedarfsfalle aus verschiedenen mehr oder minder


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[0387] In der Presse und im Parlament hört man mehrfach die durchaus irrige An¬ schauung vertreten, daß das 100 000-Mann-Heer infolge seiner Schwäche und infolge des Mangels an personellen und materiellen Reserven überhaupt nicht befähigt sei, militärische Aufgaben irgendwelcher Art zu lösen und infolgedessen lediglich als Polizeireserve bewertet werden müsse. Diese Auffassung ist falsch und muß auf das entschiedenste bekämpft werden. Wir Berufssoldaten, die wir am eigenen Leibe die feindliche Überlegenheit an Munition und Material und den Einfluß der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Heimat auf die moderne Kriegsführung kennengelernt haben, sind wohl die letzten, die mit dem Gedanken an einen Revanchekrieg oder Angriffskrieg spielen oder auch nur an die Möglichkeit glauben, dem Angriff einer europäischen Gro߬ macht mit ihren gut geführten, vortrefflich ausgebildeten und mit dem modernsten Kriegsmaterial überreich ausgestatteten Armeen bewaffneten Widerstand entgegen¬ zusehen. Wir haben aber auch Nachbarn, bei denen diese Voraussetzungen nicht zu¬ treffen und in deren friedliche und freundschaftliche Gesinnungen gegen uns wir leider genötigt sind, ernste Zweifel zu setzen. Vielleicht sind wir nicht imstande, gegen diese Nachbarn einen lange dauernden Verteidigungskrieg zu führen, aber unter allen Umständen werden 100000 friedensmäßig aus¬ gebildete und gut ausgerüstete deutsche Soldaten unter der Führung geschulter Offiziere und unter der Leitung straff organisierter Stäbe imstande sein, unsere Grenz¬ gebiete solange gegen einen feindlichen Einfall von dieser Seite zu verteidigen, bis eine Lösung auf diplomatischem Wege herbeigeführt werden kann. Wir schulden unseren im Kriege zum Teil schon so schwer heimgesuchten Grenzgebieten, daß wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um sie vor den Greueln einer neuen feindlichen Invasion zu schützen. Außerdem muß unserem Heere die Verteidigung des Vaterlandes und seiner Grenzen Ziel und vornehmste Pflicht sein, wenn anders wir ihm die besten Elemente des Volles zuführen, seine Leistungen auf das höchste steigern und unserem Vaterlande die unerfreulichen Erscheinungen ersparen wollen, die sonst nur allzu leicht mit einem Heere aus lange dienenden Berufssoldaten ver¬ knüpft sind. Allerdings ist die Befähigung des Heeres zur Lösung dieser Aufgabe an gewisse Voraussetzungen geknüpft: es muß sich aus den besten Elementen des Landes rekrutieren, es muß in echt soldatischem Geiste erzogen sein, es muß so gut aus¬ gerüstet sein, als es im Rahmen der Bestimmungen des Friedensvertrages möglich ist, es muß die bestmögliche Ausbildung erhalten und beweglich sein, es muß straff organisiert und gut und einheitlich geführt werden. Ob und in welchem Grade diese Boraussetzungen bei unserem künftigen Heere zutreffen werden, hängt in erster Linie ab von der Form, in der das Neichswehrgesctz und das Wehrmachtversorgungs¬ gesetz die gesetzgebenden Körperschaften verlassen und von den Mitteln, die Reichsrat und Reichstag für das Heer bewilligen werdey. Je kleiner das Heer ist, um so straffer muß es organisiert, um so einheitlicher «aß es ausgebildet und geführt werden, um zur möglichen Höchstleistung befähigt zu sein. Den Luxus, sein Heer im Bedarfsfalle aus verschiedenen mehr oder minder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/387>, abgerufen am 22.06.2024.