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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Ein neues Beweisstück zur Rechtfertigung des Ubootkrieges

wäre immer deutlicher in die Erscheinung getreten. Das Tempo der Entwicklung des
Ubootbaues wäre, nachdem einmal gesunde Bahnen gefunden waren, im wesent¬
lichen von den Etatsmitteln abhängig geblieben. Daß auch hier Geld, wenn nicht
alles, so doch vieles macht, hat der Krieg bewiesen, der alles andere nur kein Knauser
in Bewilligung von Mitteln war und dem Ubootbau einen ganz gewaltigen Impuls
gegeben hat.

Das vollendete Flottengesetz -- in diesem Jahre hätte es im wesentlichen
seinen Abschluß gefunden -- wäre unsere sicherste Bürgschaft zur Aufrechterhaltung
des Friedens geworden. Unter den tragischen Erscheinungen des Weltkrieges ist es
vielleicht die tragischste von allen, daß die Seemacht, die wir uns geschaffen hatten,
und die allein imstande gewesen wäre, England zur Friedensgeneigtheit zu zwingen,
nur unvollkommen ausgenutzt worden ist. Woran hat es gelegen? Nicht zum mindesten
daran, daß sich das deutsche Volk in breiten Schichten von der kontinentalen Be
trachtungsweise alles Weltgeschehens nicht hat freimachen können. Wir hatten es
trotz aller Aufklärungsarbeit nicht begriffen, daß der Weltkrieg zwischen England
und Deutschland ein Ringen um die Seeherrschaft war, das allein mit Mitteln
des Landkrieges nie und nimmer zu einem für uns günstigen Abschluß hätte gebracht
werden können. Wäre dem gesamten deutschen Volke die Erkenntnis aufgegangen,
daß es sich in dem Riesenkampfe um die Behauptung eines Platzes auf dem Welt¬
markt handelte, dann hätten wir auch die Schwerkraft unserer gesamten Kriegführung
auf den Ozean verlegt, über den die Hauptstraßen der Weltwirtschaft laufen.
Und die Schwerkraft hätte darin bestehen müssen, daß ohne Hin und Her und ohne
Vor und Zurück mit dem rücksichtslosesten Einsatz der Ubootwaffe Englands See¬
handel bis zum Untergang hätte bedroht werden müssen. Erst dann hätte es
von seinem Vernichtungswillen gelassen, der ihm als einziges Ziel vor Augen
stellte, den zur Zeit gefährlichsten Nebenbuhler auf dem Weltmarkte den Garaus
zu machen, um sich wieder ungestört der Ausnutzung der Weltschätze hingeben zu
können.

Ob England sich nicht verrechnet hat? Man darf es fast als sicher annehmen.
Wenn auch der Spruch wahr bleibt, daß Blut dicker ist als Wasser, so wird doch
Deutschlands Nachfolger im Überseehandel -- und das sind die Vereinigten Staaten
von Amerika -- ohne jede Frage ein Konkurrent werden, der dem Engländer zehn¬
mal mehr Angelegenheiten und Sorgen bereiten wird, als wir es jemals getan
haben würden. Bruder Jonathan ist es gewöhnt, mit breiten Ellenbogen durchs
Leben zu wandern. Er wird bald genug mit John Bull, sei es auch nur auf handels¬
politischen Bahnen, heftig zusammenprallen.




Ein neues Beweisstück zur Rechtfertigung des Ubootkrieges

wäre immer deutlicher in die Erscheinung getreten. Das Tempo der Entwicklung des
Ubootbaues wäre, nachdem einmal gesunde Bahnen gefunden waren, im wesent¬
lichen von den Etatsmitteln abhängig geblieben. Daß auch hier Geld, wenn nicht
alles, so doch vieles macht, hat der Krieg bewiesen, der alles andere nur kein Knauser
in Bewilligung von Mitteln war und dem Ubootbau einen ganz gewaltigen Impuls
gegeben hat.

Das vollendete Flottengesetz — in diesem Jahre hätte es im wesentlichen
seinen Abschluß gefunden — wäre unsere sicherste Bürgschaft zur Aufrechterhaltung
des Friedens geworden. Unter den tragischen Erscheinungen des Weltkrieges ist es
vielleicht die tragischste von allen, daß die Seemacht, die wir uns geschaffen hatten,
und die allein imstande gewesen wäre, England zur Friedensgeneigtheit zu zwingen,
nur unvollkommen ausgenutzt worden ist. Woran hat es gelegen? Nicht zum mindesten
daran, daß sich das deutsche Volk in breiten Schichten von der kontinentalen Be
trachtungsweise alles Weltgeschehens nicht hat freimachen können. Wir hatten es
trotz aller Aufklärungsarbeit nicht begriffen, daß der Weltkrieg zwischen England
und Deutschland ein Ringen um die Seeherrschaft war, das allein mit Mitteln
des Landkrieges nie und nimmer zu einem für uns günstigen Abschluß hätte gebracht
werden können. Wäre dem gesamten deutschen Volke die Erkenntnis aufgegangen,
daß es sich in dem Riesenkampfe um die Behauptung eines Platzes auf dem Welt¬
markt handelte, dann hätten wir auch die Schwerkraft unserer gesamten Kriegführung
auf den Ozean verlegt, über den die Hauptstraßen der Weltwirtschaft laufen.
Und die Schwerkraft hätte darin bestehen müssen, daß ohne Hin und Her und ohne
Vor und Zurück mit dem rücksichtslosesten Einsatz der Ubootwaffe Englands See¬
handel bis zum Untergang hätte bedroht werden müssen. Erst dann hätte es
von seinem Vernichtungswillen gelassen, der ihm als einziges Ziel vor Augen
stellte, den zur Zeit gefährlichsten Nebenbuhler auf dem Weltmarkte den Garaus
zu machen, um sich wieder ungestört der Ausnutzung der Weltschätze hingeben zu
können.

Ob England sich nicht verrechnet hat? Man darf es fast als sicher annehmen.
Wenn auch der Spruch wahr bleibt, daß Blut dicker ist als Wasser, so wird doch
Deutschlands Nachfolger im Überseehandel — und das sind die Vereinigten Staaten
von Amerika — ohne jede Frage ein Konkurrent werden, der dem Engländer zehn¬
mal mehr Angelegenheiten und Sorgen bereiten wird, als wir es jemals getan
haben würden. Bruder Jonathan ist es gewöhnt, mit breiten Ellenbogen durchs
Leben zu wandern. Er wird bald genug mit John Bull, sei es auch nur auf handels¬
politischen Bahnen, heftig zusammenprallen.




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[0346] Ein neues Beweisstück zur Rechtfertigung des Ubootkrieges wäre immer deutlicher in die Erscheinung getreten. Das Tempo der Entwicklung des Ubootbaues wäre, nachdem einmal gesunde Bahnen gefunden waren, im wesent¬ lichen von den Etatsmitteln abhängig geblieben. Daß auch hier Geld, wenn nicht alles, so doch vieles macht, hat der Krieg bewiesen, der alles andere nur kein Knauser in Bewilligung von Mitteln war und dem Ubootbau einen ganz gewaltigen Impuls gegeben hat. Das vollendete Flottengesetz — in diesem Jahre hätte es im wesentlichen seinen Abschluß gefunden — wäre unsere sicherste Bürgschaft zur Aufrechterhaltung des Friedens geworden. Unter den tragischen Erscheinungen des Weltkrieges ist es vielleicht die tragischste von allen, daß die Seemacht, die wir uns geschaffen hatten, und die allein imstande gewesen wäre, England zur Friedensgeneigtheit zu zwingen, nur unvollkommen ausgenutzt worden ist. Woran hat es gelegen? Nicht zum mindesten daran, daß sich das deutsche Volk in breiten Schichten von der kontinentalen Be trachtungsweise alles Weltgeschehens nicht hat freimachen können. Wir hatten es trotz aller Aufklärungsarbeit nicht begriffen, daß der Weltkrieg zwischen England und Deutschland ein Ringen um die Seeherrschaft war, das allein mit Mitteln des Landkrieges nie und nimmer zu einem für uns günstigen Abschluß hätte gebracht werden können. Wäre dem gesamten deutschen Volke die Erkenntnis aufgegangen, daß es sich in dem Riesenkampfe um die Behauptung eines Platzes auf dem Welt¬ markt handelte, dann hätten wir auch die Schwerkraft unserer gesamten Kriegführung auf den Ozean verlegt, über den die Hauptstraßen der Weltwirtschaft laufen. Und die Schwerkraft hätte darin bestehen müssen, daß ohne Hin und Her und ohne Vor und Zurück mit dem rücksichtslosesten Einsatz der Ubootwaffe Englands See¬ handel bis zum Untergang hätte bedroht werden müssen. Erst dann hätte es von seinem Vernichtungswillen gelassen, der ihm als einziges Ziel vor Augen stellte, den zur Zeit gefährlichsten Nebenbuhler auf dem Weltmarkte den Garaus zu machen, um sich wieder ungestört der Ausnutzung der Weltschätze hingeben zu können. Ob England sich nicht verrechnet hat? Man darf es fast als sicher annehmen. Wenn auch der Spruch wahr bleibt, daß Blut dicker ist als Wasser, so wird doch Deutschlands Nachfolger im Überseehandel — und das sind die Vereinigten Staaten von Amerika — ohne jede Frage ein Konkurrent werden, der dem Engländer zehn¬ mal mehr Angelegenheiten und Sorgen bereiten wird, als wir es jemals getan haben würden. Bruder Jonathan ist es gewöhnt, mit breiten Ellenbogen durchs Leben zu wandern. Er wird bald genug mit John Bull, sei es auch nur auf handels¬ politischen Bahnen, heftig zusammenprallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/346>, abgerufen am 22.07.2024.