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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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das ergibt seine eigenartige Lyrik, welche die
äußere Welt darstellt. Dann ist sein Schauen
nach innen gerichtet; das ergibt seine religiöse
Dichtung, welche das Verhältnis Gottes zu
seiner Seele darstellt.

Beide Arten seiner Lyrik sind zur voll¬
kommensten Meisterschaft ausgebildet; aber so
vollkommen sie in ihrer Art sind, sind sie
darum wirklich vollkommen?

Diese Frage regt sich besonders der ersten
Gruppe seiner Gedichte gegenüber. Wir sind
gewohnt, daß Empfindungen, Leidenschaften,
die sich in Handlungen umsetzen, Inhalt des
lyrischen Gedichts sind. Und hier? Das Ich
des Dichters (nicht bloß das empirisch-Persön¬
liche, auch das lyrische Ich) zieht sich aus
diesen Gedichten zurück; so fängt es an in
dem "Buch der Bilder", so wird es vollendet
in den "Neuen Gedichten" und deren "anderem
Teil". Und dargestellt werden Gegenstände,
Gestalten, ja, mit Vorliebe werden Werke der
bildenden Kunst mit Worten noch einmal
dargestellt. "Wie in einem ungeheuren
Arsenal, einer Galerie häuft es sich von
Schandarm Dingen, Dingen im engsten wie
im weitesten Sinne des Wortes, toten und
lebendigen Dingen, hundertfachem Natur- und
Phantasiegebilde, Landschaft und Menschenwerk,
Gewächs und Menschengestalt. Wille zu
enzyklopädischem Umfassen wird spürbar." --
Ja, ist das noch die legitime Aufgabe des
lyrischen Dichters? Werden wir nicht wieder
auf Lessings Grundfrage zurückgeführt, der in
einem nicht ganz unbekannten Büchlein die
Darstellung des Koexistierenden dem Maler
und bildenden Künstler, die des Postexistierenden
dem Dichter (als dem Arbeiter mit dem
Material des gesprochenen Wortes) zuweist?
Hat die glänzende Kunst Rittes sich hier
vielleicht an einer unmöglichen Aufgabe ab¬
gequält?

Rittes religiöse Dichtung (vor allem im
"Stundenbuch") wird begrüßt als eine will¬
kommene Mahnung zur Stille, zur Sammlung,
Zur Frömmigkeit; aber es wird doch nicht
verkannt, daß sein religiöser Quietismus
letztlich doch nur auf physiologischer Müdigkeit,
auf überempfindlicher Zartheit beruht. Es
^se keine Religion der Kraft, sondern der
Schwäche.

Auch hier wieder der Grundmängel der

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Aktivität. Seine Liebe (denn die Religion
äußert sich wesentlich als Liebe) richtet sich aus¬
schließlich auf Gott, sie bleibt ein Spiel
zwischen Gott und Mensch, und der Mitmensch
geht leer aus. Ja, durch diese Liebe zu Gott
wird sogar die helfende Nächstenliebe verpönt;
der Einsame, der wirklich Religiöse, der mit
sich allein ist, dem nur Gott der "Zweite
seiner Einsamkeit" ist, der verzichtet darauf,
irgendwie Liebe zu anderen Menschen zu
äußern, um sie nicht zu fesseln und in ihr Leben
einzugreifen. Aus Liebe entäußert er sich
einer Äußerung der Liebe!

Es steht viel Nachdenkliches in dem
Buch von Faesi, und es macht einem zu
schaffen. Hier wurden unwillkürlich die
Schranken von Rittes Dichtung hervorgehoben,
so einseitig ist Faesi selbst nicht. Eh er von
den Schranken spricht, schildert er mit liebe¬
voller Andacht all das Schöne und Voll¬
kommene, was innerhalb dieser Schranken
gewachsen ist. Und das gehört doch mindestens
so wesentlich zu dem Werk des Dichters als
die Schranken. Es ist der eigentliche Inhalt,
sie sind nur die Grenzen seines Reiches.

In Fachs Buch verschmelzen sich Ver¬
ehrung und Kritik auf merkwürdige Weise.

Leichter wird man mit der Auswahl
fertig, die Stefan Hock aus dem überreichen
Schatz lyrischer Dichtung, den Osterreich in
achthundert Jahren hervorgebracht hat, zu¬
sammengestellt hat. Von dem Kürenberger
und Walter von der Vogelweide bis auf
Rilke und Werfet, bis auf Georg Trakl und
Theodor Däubler sind alle namhaften Sänger
vertreten, über die Auswahl im einzelnen
zu rechten, hat wenig Zweck; auffällt vielleicht
nur, daß F. K. Ginzkcy verhältnismäßig schwach
vertreten ist.

Doch wirklich "fertig" wird der Leser,
dem diese Lyriker nicht schon bekannt sind,
der sie sich nicht schon als eigenen Besitz er¬
worben hat, doch, nicht mit dieser Auswahl.
Und an solche Leser wendet sie sich doch wohl
in erster Linie. Sie will die reichen Schätze,
die Osterreich besitzt, öffentlich zur Schau
stellen und zu den alten neue Bewunderer
anlocken. Diese aber würden dem Verwalter
dieser Kostbarkeiten es Dank wissen, wenn er
ihnen jeweils einen Wink gäbe über Charakter,
Gehalt und Form der einzelnen Kunstwerke,

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das ergibt seine eigenartige Lyrik, welche die
äußere Welt darstellt. Dann ist sein Schauen
nach innen gerichtet; das ergibt seine religiöse
Dichtung, welche das Verhältnis Gottes zu
seiner Seele darstellt.

Beide Arten seiner Lyrik sind zur voll¬
kommensten Meisterschaft ausgebildet; aber so
vollkommen sie in ihrer Art sind, sind sie
darum wirklich vollkommen?

Diese Frage regt sich besonders der ersten
Gruppe seiner Gedichte gegenüber. Wir sind
gewohnt, daß Empfindungen, Leidenschaften,
die sich in Handlungen umsetzen, Inhalt des
lyrischen Gedichts sind. Und hier? Das Ich
des Dichters (nicht bloß das empirisch-Persön¬
liche, auch das lyrische Ich) zieht sich aus
diesen Gedichten zurück; so fängt es an in
dem „Buch der Bilder", so wird es vollendet
in den „Neuen Gedichten" und deren „anderem
Teil". Und dargestellt werden Gegenstände,
Gestalten, ja, mit Vorliebe werden Werke der
bildenden Kunst mit Worten noch einmal
dargestellt. „Wie in einem ungeheuren
Arsenal, einer Galerie häuft es sich von
Schandarm Dingen, Dingen im engsten wie
im weitesten Sinne des Wortes, toten und
lebendigen Dingen, hundertfachem Natur- und
Phantasiegebilde, Landschaft und Menschenwerk,
Gewächs und Menschengestalt. Wille zu
enzyklopädischem Umfassen wird spürbar." —
Ja, ist das noch die legitime Aufgabe des
lyrischen Dichters? Werden wir nicht wieder
auf Lessings Grundfrage zurückgeführt, der in
einem nicht ganz unbekannten Büchlein die
Darstellung des Koexistierenden dem Maler
und bildenden Künstler, die des Postexistierenden
dem Dichter (als dem Arbeiter mit dem
Material des gesprochenen Wortes) zuweist?
Hat die glänzende Kunst Rittes sich hier
vielleicht an einer unmöglichen Aufgabe ab¬
gequält?

Rittes religiöse Dichtung (vor allem im
„Stundenbuch") wird begrüßt als eine will¬
kommene Mahnung zur Stille, zur Sammlung,
Zur Frömmigkeit; aber es wird doch nicht
verkannt, daß sein religiöser Quietismus
letztlich doch nur auf physiologischer Müdigkeit,
auf überempfindlicher Zartheit beruht. Es
^se keine Religion der Kraft, sondern der
Schwäche.

Auch hier wieder der Grundmängel der

[Spaltenumbruch]

Aktivität. Seine Liebe (denn die Religion
äußert sich wesentlich als Liebe) richtet sich aus¬
schließlich auf Gott, sie bleibt ein Spiel
zwischen Gott und Mensch, und der Mitmensch
geht leer aus. Ja, durch diese Liebe zu Gott
wird sogar die helfende Nächstenliebe verpönt;
der Einsame, der wirklich Religiöse, der mit
sich allein ist, dem nur Gott der „Zweite
seiner Einsamkeit" ist, der verzichtet darauf,
irgendwie Liebe zu anderen Menschen zu
äußern, um sie nicht zu fesseln und in ihr Leben
einzugreifen. Aus Liebe entäußert er sich
einer Äußerung der Liebe!

Es steht viel Nachdenkliches in dem
Buch von Faesi, und es macht einem zu
schaffen. Hier wurden unwillkürlich die
Schranken von Rittes Dichtung hervorgehoben,
so einseitig ist Faesi selbst nicht. Eh er von
den Schranken spricht, schildert er mit liebe¬
voller Andacht all das Schöne und Voll¬
kommene, was innerhalb dieser Schranken
gewachsen ist. Und das gehört doch mindestens
so wesentlich zu dem Werk des Dichters als
die Schranken. Es ist der eigentliche Inhalt,
sie sind nur die Grenzen seines Reiches.

In Fachs Buch verschmelzen sich Ver¬
ehrung und Kritik auf merkwürdige Weise.

Leichter wird man mit der Auswahl
fertig, die Stefan Hock aus dem überreichen
Schatz lyrischer Dichtung, den Osterreich in
achthundert Jahren hervorgebracht hat, zu¬
sammengestellt hat. Von dem Kürenberger
und Walter von der Vogelweide bis auf
Rilke und Werfet, bis auf Georg Trakl und
Theodor Däubler sind alle namhaften Sänger
vertreten, über die Auswahl im einzelnen
zu rechten, hat wenig Zweck; auffällt vielleicht
nur, daß F. K. Ginzkcy verhältnismäßig schwach
vertreten ist.

Doch wirklich „fertig" wird der Leser,
dem diese Lyriker nicht schon bekannt sind,
der sie sich nicht schon als eigenen Besitz er¬
worben hat, doch, nicht mit dieser Auswahl.
Und an solche Leser wendet sie sich doch wohl
in erster Linie. Sie will die reichen Schätze,
die Osterreich besitzt, öffentlich zur Schau
stellen und zu den alten neue Bewunderer
anlocken. Diese aber würden dem Verwalter
dieser Kostbarkeiten es Dank wissen, wenn er
ihnen jeweils einen Wink gäbe über Charakter,
Gehalt und Form der einzelnen Kunstwerke,

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[0187] Vücherschau das ergibt seine eigenartige Lyrik, welche die äußere Welt darstellt. Dann ist sein Schauen nach innen gerichtet; das ergibt seine religiöse Dichtung, welche das Verhältnis Gottes zu seiner Seele darstellt. Beide Arten seiner Lyrik sind zur voll¬ kommensten Meisterschaft ausgebildet; aber so vollkommen sie in ihrer Art sind, sind sie darum wirklich vollkommen? Diese Frage regt sich besonders der ersten Gruppe seiner Gedichte gegenüber. Wir sind gewohnt, daß Empfindungen, Leidenschaften, die sich in Handlungen umsetzen, Inhalt des lyrischen Gedichts sind. Und hier? Das Ich des Dichters (nicht bloß das empirisch-Persön¬ liche, auch das lyrische Ich) zieht sich aus diesen Gedichten zurück; so fängt es an in dem „Buch der Bilder", so wird es vollendet in den „Neuen Gedichten" und deren „anderem Teil". Und dargestellt werden Gegenstände, Gestalten, ja, mit Vorliebe werden Werke der bildenden Kunst mit Worten noch einmal dargestellt. „Wie in einem ungeheuren Arsenal, einer Galerie häuft es sich von Schandarm Dingen, Dingen im engsten wie im weitesten Sinne des Wortes, toten und lebendigen Dingen, hundertfachem Natur- und Phantasiegebilde, Landschaft und Menschenwerk, Gewächs und Menschengestalt. Wille zu enzyklopädischem Umfassen wird spürbar." — Ja, ist das noch die legitime Aufgabe des lyrischen Dichters? Werden wir nicht wieder auf Lessings Grundfrage zurückgeführt, der in einem nicht ganz unbekannten Büchlein die Darstellung des Koexistierenden dem Maler und bildenden Künstler, die des Postexistierenden dem Dichter (als dem Arbeiter mit dem Material des gesprochenen Wortes) zuweist? Hat die glänzende Kunst Rittes sich hier vielleicht an einer unmöglichen Aufgabe ab¬ gequält? Rittes religiöse Dichtung (vor allem im „Stundenbuch") wird begrüßt als eine will¬ kommene Mahnung zur Stille, zur Sammlung, Zur Frömmigkeit; aber es wird doch nicht verkannt, daß sein religiöser Quietismus letztlich doch nur auf physiologischer Müdigkeit, auf überempfindlicher Zartheit beruht. Es ^se keine Religion der Kraft, sondern der Schwäche. Auch hier wieder der Grundmängel der Aktivität. Seine Liebe (denn die Religion äußert sich wesentlich als Liebe) richtet sich aus¬ schließlich auf Gott, sie bleibt ein Spiel zwischen Gott und Mensch, und der Mitmensch geht leer aus. Ja, durch diese Liebe zu Gott wird sogar die helfende Nächstenliebe verpönt; der Einsame, der wirklich Religiöse, der mit sich allein ist, dem nur Gott der „Zweite seiner Einsamkeit" ist, der verzichtet darauf, irgendwie Liebe zu anderen Menschen zu äußern, um sie nicht zu fesseln und in ihr Leben einzugreifen. Aus Liebe entäußert er sich einer Äußerung der Liebe! Es steht viel Nachdenkliches in dem Buch von Faesi, und es macht einem zu schaffen. Hier wurden unwillkürlich die Schranken von Rittes Dichtung hervorgehoben, so einseitig ist Faesi selbst nicht. Eh er von den Schranken spricht, schildert er mit liebe¬ voller Andacht all das Schöne und Voll¬ kommene, was innerhalb dieser Schranken gewachsen ist. Und das gehört doch mindestens so wesentlich zu dem Werk des Dichters als die Schranken. Es ist der eigentliche Inhalt, sie sind nur die Grenzen seines Reiches. In Fachs Buch verschmelzen sich Ver¬ ehrung und Kritik auf merkwürdige Weise. Leichter wird man mit der Auswahl fertig, die Stefan Hock aus dem überreichen Schatz lyrischer Dichtung, den Osterreich in achthundert Jahren hervorgebracht hat, zu¬ sammengestellt hat. Von dem Kürenberger und Walter von der Vogelweide bis auf Rilke und Werfet, bis auf Georg Trakl und Theodor Däubler sind alle namhaften Sänger vertreten, über die Auswahl im einzelnen zu rechten, hat wenig Zweck; auffällt vielleicht nur, daß F. K. Ginzkcy verhältnismäßig schwach vertreten ist. Doch wirklich „fertig" wird der Leser, dem diese Lyriker nicht schon bekannt sind, der sie sich nicht schon als eigenen Besitz er¬ worben hat, doch, nicht mit dieser Auswahl. Und an solche Leser wendet sie sich doch wohl in erster Linie. Sie will die reichen Schätze, die Osterreich besitzt, öffentlich zur Schau stellen und zu den alten neue Bewunderer anlocken. Diese aber würden dem Verwalter dieser Kostbarkeiten es Dank wissen, wenn er ihnen jeweils einen Wink gäbe über Charakter, Gehalt und Form der einzelnen Kunstwerke, Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/187>, abgerufen am 22.07.2024.