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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Petljura und wir im Winter ^y^s/^y

Zur Änderung seines Standpunktes wurde Ende November das Ober¬
kommando gezwungen, als nach völligem Versagen der deutschen im Bahnschutz ver¬
wendet gewesenen Truppen durch die Aufständischen jeder Verkehr nach Polen unter¬
bunden, die Versorgung Kiews, sowohl der Stadtbevölkerung als auch der deutschen
Garnison, abgeschnitten und der ganze Abtransport in Frage gestellt war. Die
Selbsterhaltung erforderte es nunmehr, im Interesse des ganzen Besatzungsheeres
die Bahn nach Polen für die Abtransports wieder frei zu machen; von dieser Not¬
wendigkeit warm auch Truppen und Soldatenräte überzeugt. Keinen anderen
Zweck hatte der Vorstoß einer aus der Garnison Kiew gebildeten gemischten Ab¬
teilung auf Fastow, der nach kurzem Gefecht bei Bjelgorodka westlich Kiew mit einer
vorläufigen Waffenruhe endete. In dem dann folgenden Vertrage vom 2. Dezember
heißt es:

"Die Truppen des Direktoriums stellen bis zum Eintreffen des Vertreters
der Entente in Kiew und von Ententetruppen in der Ukraina und bis zur Kündigung
dieses Abkommens jede operative Tätigkeit gegen die von ihnen bei Inkrafttreten
dieses Vertrages noch nicht besetzten Teile der Ukraina, insbesondere jede weitere
Annäherung an Kiew ein.

Seitens des Direktoriums wird alles geschehen, um die deutsche Eisenbahn-
Zentralstelle bei Regelung des Betriebes auf den Eisenbahnen zu unterstützen. Dem
deutschen Abtransport dürfen in dem von Truppen des Direktoriums besetzten Ge¬
biet keine Schwierigkeiten gemacht werden; er ist vielmehr in jeder Weise zu fördern.

Kämpfe an den Eisenbahnen und Unterbrechung des Betriebes werden durch
die deutschen Truppen nicht zugelassen werden.

Deutsche Drahtleitungen und alle Bahnleitungen dürfen weder unterbrochen
noch zerstört werden.

Die Lebensmittelversorgung für die deutschen Truppen wird in keiner Weise
gehindert werden. Ebenso wird die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung der
Stadt Kiew entsprechend den Anforderungen des Oberkommandos und der deutschen
Kommandantur nicht gehindert." --

Es war von vornherein zu erwarten, daß diese Bestimmungen nur provisorische
Bedeutung haben würden. Tatsächlich ergriff die von Truppen' getragene revo¬
lutionäre Bewegung dauernd neue, bisher von Kämpfen noch nicht berührte Gebiete,
namentlich auch auf dem östlichen Dnjeprufer in der Gegend von Poltawa, Tsther-
kassy und Krementschug.

Trotz des Vertrages trat eine Besserung der Lage nicht ein. Östlich und
westlich des Dujepr gingen die Aufständischen unter dem Vorwande, die lokalen
Organe der Hetmanregierung zu beseitigen, ganz systematisch darauf aus, die Bahnen
in die Hand zu bekommen, deutsche Truppen zu entwaffnen und aus dem Gebiete
zwischen Dujepr und Polen nach Deutschland abzuschieben, mit Gewalt da, wo güt¬
liche Beeinflussung ihr Ziel nicht erreichte. In Anbetracht dieser Lage blieb dem
Oberkommando nichts anderes übrig, als erneut durch Verhandlungen Garantien
für schnelle Durchführung des Abtransportes zu erlangen. Der Preis, der dafür
gezahlt werden mußte, war Kiew.

Bei den am 11. Dezember erfolgten Verhandlungen in Kasatin erklärten die
Bevollmächtigten des Direktoriums:


Petljura und wir im Winter ^y^s/^y

Zur Änderung seines Standpunktes wurde Ende November das Ober¬
kommando gezwungen, als nach völligem Versagen der deutschen im Bahnschutz ver¬
wendet gewesenen Truppen durch die Aufständischen jeder Verkehr nach Polen unter¬
bunden, die Versorgung Kiews, sowohl der Stadtbevölkerung als auch der deutschen
Garnison, abgeschnitten und der ganze Abtransport in Frage gestellt war. Die
Selbsterhaltung erforderte es nunmehr, im Interesse des ganzen Besatzungsheeres
die Bahn nach Polen für die Abtransports wieder frei zu machen; von dieser Not¬
wendigkeit warm auch Truppen und Soldatenräte überzeugt. Keinen anderen
Zweck hatte der Vorstoß einer aus der Garnison Kiew gebildeten gemischten Ab¬
teilung auf Fastow, der nach kurzem Gefecht bei Bjelgorodka westlich Kiew mit einer
vorläufigen Waffenruhe endete. In dem dann folgenden Vertrage vom 2. Dezember
heißt es:

„Die Truppen des Direktoriums stellen bis zum Eintreffen des Vertreters
der Entente in Kiew und von Ententetruppen in der Ukraina und bis zur Kündigung
dieses Abkommens jede operative Tätigkeit gegen die von ihnen bei Inkrafttreten
dieses Vertrages noch nicht besetzten Teile der Ukraina, insbesondere jede weitere
Annäherung an Kiew ein.

Seitens des Direktoriums wird alles geschehen, um die deutsche Eisenbahn-
Zentralstelle bei Regelung des Betriebes auf den Eisenbahnen zu unterstützen. Dem
deutschen Abtransport dürfen in dem von Truppen des Direktoriums besetzten Ge¬
biet keine Schwierigkeiten gemacht werden; er ist vielmehr in jeder Weise zu fördern.

Kämpfe an den Eisenbahnen und Unterbrechung des Betriebes werden durch
die deutschen Truppen nicht zugelassen werden.

Deutsche Drahtleitungen und alle Bahnleitungen dürfen weder unterbrochen
noch zerstört werden.

Die Lebensmittelversorgung für die deutschen Truppen wird in keiner Weise
gehindert werden. Ebenso wird die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung der
Stadt Kiew entsprechend den Anforderungen des Oberkommandos und der deutschen
Kommandantur nicht gehindert." —

Es war von vornherein zu erwarten, daß diese Bestimmungen nur provisorische
Bedeutung haben würden. Tatsächlich ergriff die von Truppen' getragene revo¬
lutionäre Bewegung dauernd neue, bisher von Kämpfen noch nicht berührte Gebiete,
namentlich auch auf dem östlichen Dnjeprufer in der Gegend von Poltawa, Tsther-
kassy und Krementschug.

Trotz des Vertrages trat eine Besserung der Lage nicht ein. Östlich und
westlich des Dujepr gingen die Aufständischen unter dem Vorwande, die lokalen
Organe der Hetmanregierung zu beseitigen, ganz systematisch darauf aus, die Bahnen
in die Hand zu bekommen, deutsche Truppen zu entwaffnen und aus dem Gebiete
zwischen Dujepr und Polen nach Deutschland abzuschieben, mit Gewalt da, wo güt¬
liche Beeinflussung ihr Ziel nicht erreichte. In Anbetracht dieser Lage blieb dem
Oberkommando nichts anderes übrig, als erneut durch Verhandlungen Garantien
für schnelle Durchführung des Abtransportes zu erlangen. Der Preis, der dafür
gezahlt werden mußte, war Kiew.

Bei den am 11. Dezember erfolgten Verhandlungen in Kasatin erklärten die
Bevollmächtigten des Direktoriums:


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[0360] Petljura und wir im Winter ^y^s/^y Zur Änderung seines Standpunktes wurde Ende November das Ober¬ kommando gezwungen, als nach völligem Versagen der deutschen im Bahnschutz ver¬ wendet gewesenen Truppen durch die Aufständischen jeder Verkehr nach Polen unter¬ bunden, die Versorgung Kiews, sowohl der Stadtbevölkerung als auch der deutschen Garnison, abgeschnitten und der ganze Abtransport in Frage gestellt war. Die Selbsterhaltung erforderte es nunmehr, im Interesse des ganzen Besatzungsheeres die Bahn nach Polen für die Abtransports wieder frei zu machen; von dieser Not¬ wendigkeit warm auch Truppen und Soldatenräte überzeugt. Keinen anderen Zweck hatte der Vorstoß einer aus der Garnison Kiew gebildeten gemischten Ab¬ teilung auf Fastow, der nach kurzem Gefecht bei Bjelgorodka westlich Kiew mit einer vorläufigen Waffenruhe endete. In dem dann folgenden Vertrage vom 2. Dezember heißt es: „Die Truppen des Direktoriums stellen bis zum Eintreffen des Vertreters der Entente in Kiew und von Ententetruppen in der Ukraina und bis zur Kündigung dieses Abkommens jede operative Tätigkeit gegen die von ihnen bei Inkrafttreten dieses Vertrages noch nicht besetzten Teile der Ukraina, insbesondere jede weitere Annäherung an Kiew ein. Seitens des Direktoriums wird alles geschehen, um die deutsche Eisenbahn- Zentralstelle bei Regelung des Betriebes auf den Eisenbahnen zu unterstützen. Dem deutschen Abtransport dürfen in dem von Truppen des Direktoriums besetzten Ge¬ biet keine Schwierigkeiten gemacht werden; er ist vielmehr in jeder Weise zu fördern. Kämpfe an den Eisenbahnen und Unterbrechung des Betriebes werden durch die deutschen Truppen nicht zugelassen werden. Deutsche Drahtleitungen und alle Bahnleitungen dürfen weder unterbrochen noch zerstört werden. Die Lebensmittelversorgung für die deutschen Truppen wird in keiner Weise gehindert werden. Ebenso wird die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung der Stadt Kiew entsprechend den Anforderungen des Oberkommandos und der deutschen Kommandantur nicht gehindert." — Es war von vornherein zu erwarten, daß diese Bestimmungen nur provisorische Bedeutung haben würden. Tatsächlich ergriff die von Truppen' getragene revo¬ lutionäre Bewegung dauernd neue, bisher von Kämpfen noch nicht berührte Gebiete, namentlich auch auf dem östlichen Dnjeprufer in der Gegend von Poltawa, Tsther- kassy und Krementschug. Trotz des Vertrages trat eine Besserung der Lage nicht ein. Östlich und westlich des Dujepr gingen die Aufständischen unter dem Vorwande, die lokalen Organe der Hetmanregierung zu beseitigen, ganz systematisch darauf aus, die Bahnen in die Hand zu bekommen, deutsche Truppen zu entwaffnen und aus dem Gebiete zwischen Dujepr und Polen nach Deutschland abzuschieben, mit Gewalt da, wo güt¬ liche Beeinflussung ihr Ziel nicht erreichte. In Anbetracht dieser Lage blieb dem Oberkommando nichts anderes übrig, als erneut durch Verhandlungen Garantien für schnelle Durchführung des Abtransportes zu erlangen. Der Preis, der dafür gezahlt werden mußte, war Kiew. Bei den am 11. Dezember erfolgten Verhandlungen in Kasatin erklärten die Bevollmächtigten des Direktoriums:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/360>, abgerufen am 22.07.2024.