Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der politische Dichter vom ?. November

Ausbrüchen gefällig an, verlieh abgeleierten Leitartikeleien und Pazifisten¬
redensarten den Schein der Wildheit. Wieder einmal konnte der Bürger
verblüfft werden. Wieder einmal war es möglich, xbeliebige, gelegentlich auf¬
gelesene Programmpunkte für geniale Offenbarungen auszugeben und mit
der Theaterfeuermaschine erschreckliche Brände herzustellen. Und kein Zweifel:
wäre hinreichende Begabung vorhanden gewesen, dann hätte sich schließlich
doch etwas wie ein pomphaftes Schauspiel ergeben.

Nur hat es an solcher Begabung fast durchweg gefehlt.

Die -- bezeichnenderweise nahezu unbekannt gebliebenen -- Kraft¬
leistungen einzelner ändern an diesem Urteil nichts. Stehen die einzelnen doch
nicht nur im Getümmel der Mitstrebenden vereinzelt da, sondern ist doch auch
das ihnen geglückte Werk in ihrem eigenen Schaffen kläglich vereinzelt. Einmal
und nie wieder gelang der Wurf. Zur Berühmtheit sind sie, so oder so, nicht auf¬
gestiegen. Berühmtheit, das will sagen, Presselob, öffentliche Rezitation und
dergleichen belasten ausschließlich eiskalte Macher ein. Emporkömmlinge der
Revolution, Futterkrippenanwärter in ihrer Art so gut wie die Neffen, Onkel,
Nichten und Schwiegermütter der als Volksbeauftragte und Minister firmieren¬
den Triumphatoren. Es sind zum Teil Leute, die nicht einmal die Handwerks¬
technik beherrschen und ihre Stümperei durchsichtig genug hinter der beliebt
gewordenen Sternheimmauier verbergen, die deutsche Sprache zu verstümmeln.
Was der Maske- und Schippel-Ersinner tat, um die sinkende Aufmerksamkeit
seiner Gemeinde wachzuhalten; was bei ihm immerhin gewollt ist, das über¬
nehmen die Nachäffer zur Vergoldung ihrer übermenschlichen Unfähigkeit.
Etwa wie ein Adolph Hoffmann oder sonst ein dauernd sitzengebliebener Ge-
ineindeschüler entschlossen für "sit si fil" eintritt, weil ihm bei dieser Recht¬
schreibung keine orthographischen Fehler mehr nachgewiesen werden können.

Es kommt im wesentlichen nur auf ein Beispiel an:

"Wenn nächtlich in den Kinos Unglück schauert,
Der Hunger bettelt hinter Marmorhallen,
Mißhandelt stirbt ein Kind und zugemauert,
In Kasematten grobe Flüche fallen.
Wenn Defraudanten sich von Brücken werfen,
Im Lichtschein der Paläste aufgewiegelt,
Wenn Anarchisten ihre Messer schärfen,
Mit einem Schwur zur dunkeln Tat besiegelt,"

und so fort. Dieser Poet hat die Eigentümlichkeit, mit endlosen gereimten Auf¬
zählungen Seiten zu füllen. Versifizierte Reportage statt des überwältigenden,
geballten Bildes, dem der Gedanke blitzschlagkräftig entspringt. Wenn außer¬
dem Defraudanten sich von Brücken werfen, im Lichtschein der Paläste auf¬
gewiegelt, so tun sie das nur, weil die Anarchisten, die ihre Messer schärfen, mit
einem Schwur zur dunklen Tat besiegelt sind. Die Sache muß nämlich hinten
Zappen, und in seiner Angst scheut der Dichter vor keiner Sinnlosigkeit zurück.


21*
Der politische Dichter vom ?. November

Ausbrüchen gefällig an, verlieh abgeleierten Leitartikeleien und Pazifisten¬
redensarten den Schein der Wildheit. Wieder einmal konnte der Bürger
verblüfft werden. Wieder einmal war es möglich, xbeliebige, gelegentlich auf¬
gelesene Programmpunkte für geniale Offenbarungen auszugeben und mit
der Theaterfeuermaschine erschreckliche Brände herzustellen. Und kein Zweifel:
wäre hinreichende Begabung vorhanden gewesen, dann hätte sich schließlich
doch etwas wie ein pomphaftes Schauspiel ergeben.

Nur hat es an solcher Begabung fast durchweg gefehlt.

Die — bezeichnenderweise nahezu unbekannt gebliebenen — Kraft¬
leistungen einzelner ändern an diesem Urteil nichts. Stehen die einzelnen doch
nicht nur im Getümmel der Mitstrebenden vereinzelt da, sondern ist doch auch
das ihnen geglückte Werk in ihrem eigenen Schaffen kläglich vereinzelt. Einmal
und nie wieder gelang der Wurf. Zur Berühmtheit sind sie, so oder so, nicht auf¬
gestiegen. Berühmtheit, das will sagen, Presselob, öffentliche Rezitation und
dergleichen belasten ausschließlich eiskalte Macher ein. Emporkömmlinge der
Revolution, Futterkrippenanwärter in ihrer Art so gut wie die Neffen, Onkel,
Nichten und Schwiegermütter der als Volksbeauftragte und Minister firmieren¬
den Triumphatoren. Es sind zum Teil Leute, die nicht einmal die Handwerks¬
technik beherrschen und ihre Stümperei durchsichtig genug hinter der beliebt
gewordenen Sternheimmauier verbergen, die deutsche Sprache zu verstümmeln.
Was der Maske- und Schippel-Ersinner tat, um die sinkende Aufmerksamkeit
seiner Gemeinde wachzuhalten; was bei ihm immerhin gewollt ist, das über¬
nehmen die Nachäffer zur Vergoldung ihrer übermenschlichen Unfähigkeit.
Etwa wie ein Adolph Hoffmann oder sonst ein dauernd sitzengebliebener Ge-
ineindeschüler entschlossen für „sit si fil" eintritt, weil ihm bei dieser Recht¬
schreibung keine orthographischen Fehler mehr nachgewiesen werden können.

Es kommt im wesentlichen nur auf ein Beispiel an:

„Wenn nächtlich in den Kinos Unglück schauert,
Der Hunger bettelt hinter Marmorhallen,
Mißhandelt stirbt ein Kind und zugemauert,
In Kasematten grobe Flüche fallen.
Wenn Defraudanten sich von Brücken werfen,
Im Lichtschein der Paläste aufgewiegelt,
Wenn Anarchisten ihre Messer schärfen,
Mit einem Schwur zur dunkeln Tat besiegelt,"

und so fort. Dieser Poet hat die Eigentümlichkeit, mit endlosen gereimten Auf¬
zählungen Seiten zu füllen. Versifizierte Reportage statt des überwältigenden,
geballten Bildes, dem der Gedanke blitzschlagkräftig entspringt. Wenn außer¬
dem Defraudanten sich von Brücken werfen, im Lichtschein der Paläste auf¬
gewiegelt, so tun sie das nur, weil die Anarchisten, die ihre Messer schärfen, mit
einem Schwur zur dunklen Tat besiegelt sind. Die Sache muß nämlich hinten
Zappen, und in seiner Angst scheut der Dichter vor keiner Sinnlosigkeit zurück.


21*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337968"/>
          <fw type="header" place="top"> Der politische Dichter vom ?. November</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1245" prev="#ID_1244"> Ausbrüchen gefällig an, verlieh abgeleierten Leitartikeleien und Pazifisten¬<lb/>
redensarten den Schein der Wildheit. Wieder einmal konnte der Bürger<lb/>
verblüfft werden. Wieder einmal war es möglich, xbeliebige, gelegentlich auf¬<lb/>
gelesene Programmpunkte für geniale Offenbarungen auszugeben und mit<lb/>
der Theaterfeuermaschine erschreckliche Brände herzustellen. Und kein Zweifel:<lb/>
wäre hinreichende Begabung vorhanden gewesen, dann hätte sich schließlich<lb/>
doch etwas wie ein pomphaftes Schauspiel ergeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1246"> Nur hat es an solcher Begabung fast durchweg gefehlt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1247"> Die &#x2014; bezeichnenderweise nahezu unbekannt gebliebenen &#x2014; Kraft¬<lb/>
leistungen einzelner ändern an diesem Urteil nichts. Stehen die einzelnen doch<lb/>
nicht nur im Getümmel der Mitstrebenden vereinzelt da, sondern ist doch auch<lb/>
das ihnen geglückte Werk in ihrem eigenen Schaffen kläglich vereinzelt. Einmal<lb/>
und nie wieder gelang der Wurf. Zur Berühmtheit sind sie, so oder so, nicht auf¬<lb/>
gestiegen. Berühmtheit, das will sagen, Presselob, öffentliche Rezitation und<lb/>
dergleichen belasten ausschließlich eiskalte Macher ein. Emporkömmlinge der<lb/>
Revolution, Futterkrippenanwärter in ihrer Art so gut wie die Neffen, Onkel,<lb/>
Nichten und Schwiegermütter der als Volksbeauftragte und Minister firmieren¬<lb/>
den Triumphatoren. Es sind zum Teil Leute, die nicht einmal die Handwerks¬<lb/>
technik beherrschen und ihre Stümperei durchsichtig genug hinter der beliebt<lb/>
gewordenen Sternheimmauier verbergen, die deutsche Sprache zu verstümmeln.<lb/>
Was der Maske- und Schippel-Ersinner tat, um die sinkende Aufmerksamkeit<lb/>
seiner Gemeinde wachzuhalten; was bei ihm immerhin gewollt ist, das über¬<lb/>
nehmen die Nachäffer zur Vergoldung ihrer übermenschlichen Unfähigkeit.<lb/>
Etwa wie ein Adolph Hoffmann oder sonst ein dauernd sitzengebliebener Ge-<lb/>
ineindeschüler entschlossen für &#x201E;sit si fil" eintritt, weil ihm bei dieser Recht¬<lb/>
schreibung keine orthographischen Fehler mehr nachgewiesen werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1248" next="#ID_1249"> Es kommt im wesentlichen nur auf ein Beispiel an:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_15" type="poem">
            <l> &#x201E;Wenn nächtlich in den Kinos Unglück schauert,<lb/>
Der Hunger bettelt hinter Marmorhallen,<lb/>
Mißhandelt stirbt ein Kind und zugemauert,<lb/>
In Kasematten grobe Flüche fallen.</l>
            <l> Wenn Defraudanten sich von Brücken werfen,<lb/>
Im Lichtschein der Paläste aufgewiegelt,<lb/>
Wenn Anarchisten ihre Messer schärfen,<lb/>
Mit einem Schwur zur dunkeln Tat besiegelt,"</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1249" prev="#ID_1248" next="#ID_1250"> und so fort. Dieser Poet hat die Eigentümlichkeit, mit endlosen gereimten Auf¬<lb/>
zählungen Seiten zu füllen. Versifizierte Reportage statt des überwältigenden,<lb/>
geballten Bildes, dem der Gedanke blitzschlagkräftig entspringt. Wenn außer¬<lb/>
dem Defraudanten sich von Brücken werfen, im Lichtschein der Paläste auf¬<lb/>
gewiegelt, so tun sie das nur, weil die Anarchisten, die ihre Messer schärfen, mit<lb/>
einem Schwur zur dunklen Tat besiegelt sind. Die Sache muß nämlich hinten<lb/>
Zappen, und in seiner Angst scheut der Dichter vor keiner Sinnlosigkeit zurück.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 21*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] Der politische Dichter vom ?. November Ausbrüchen gefällig an, verlieh abgeleierten Leitartikeleien und Pazifisten¬ redensarten den Schein der Wildheit. Wieder einmal konnte der Bürger verblüfft werden. Wieder einmal war es möglich, xbeliebige, gelegentlich auf¬ gelesene Programmpunkte für geniale Offenbarungen auszugeben und mit der Theaterfeuermaschine erschreckliche Brände herzustellen. Und kein Zweifel: wäre hinreichende Begabung vorhanden gewesen, dann hätte sich schließlich doch etwas wie ein pomphaftes Schauspiel ergeben. Nur hat es an solcher Begabung fast durchweg gefehlt. Die — bezeichnenderweise nahezu unbekannt gebliebenen — Kraft¬ leistungen einzelner ändern an diesem Urteil nichts. Stehen die einzelnen doch nicht nur im Getümmel der Mitstrebenden vereinzelt da, sondern ist doch auch das ihnen geglückte Werk in ihrem eigenen Schaffen kläglich vereinzelt. Einmal und nie wieder gelang der Wurf. Zur Berühmtheit sind sie, so oder so, nicht auf¬ gestiegen. Berühmtheit, das will sagen, Presselob, öffentliche Rezitation und dergleichen belasten ausschließlich eiskalte Macher ein. Emporkömmlinge der Revolution, Futterkrippenanwärter in ihrer Art so gut wie die Neffen, Onkel, Nichten und Schwiegermütter der als Volksbeauftragte und Minister firmieren¬ den Triumphatoren. Es sind zum Teil Leute, die nicht einmal die Handwerks¬ technik beherrschen und ihre Stümperei durchsichtig genug hinter der beliebt gewordenen Sternheimmauier verbergen, die deutsche Sprache zu verstümmeln. Was der Maske- und Schippel-Ersinner tat, um die sinkende Aufmerksamkeit seiner Gemeinde wachzuhalten; was bei ihm immerhin gewollt ist, das über¬ nehmen die Nachäffer zur Vergoldung ihrer übermenschlichen Unfähigkeit. Etwa wie ein Adolph Hoffmann oder sonst ein dauernd sitzengebliebener Ge- ineindeschüler entschlossen für „sit si fil" eintritt, weil ihm bei dieser Recht¬ schreibung keine orthographischen Fehler mehr nachgewiesen werden können. Es kommt im wesentlichen nur auf ein Beispiel an: „Wenn nächtlich in den Kinos Unglück schauert, Der Hunger bettelt hinter Marmorhallen, Mißhandelt stirbt ein Kind und zugemauert, In Kasematten grobe Flüche fallen. Wenn Defraudanten sich von Brücken werfen, Im Lichtschein der Paläste aufgewiegelt, Wenn Anarchisten ihre Messer schärfen, Mit einem Schwur zur dunkeln Tat besiegelt," und so fort. Dieser Poet hat die Eigentümlichkeit, mit endlosen gereimten Auf¬ zählungen Seiten zu füllen. Versifizierte Reportage statt des überwältigenden, geballten Bildes, dem der Gedanke blitzschlagkräftig entspringt. Wenn außer¬ dem Defraudanten sich von Brücken werfen, im Lichtschein der Paläste auf¬ gewiegelt, so tun sie das nur, weil die Anarchisten, die ihre Messer schärfen, mit einem Schwur zur dunklen Tat besiegelt sind. Die Sache muß nämlich hinten Zappen, und in seiner Angst scheut der Dichter vor keiner Sinnlosigkeit zurück. 21*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/327>, abgerufen am 22.07.2024.