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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Offenherzigkeiten

Redslobs Reichsvogel

Der amtlichen Kunst des wilhelminischen Zeitalters ist nicht allzu viel
Gutes nachzusagen; fehlte ihr doch sogar der Instinkt für ihren eigenen Ge¬
schmack, so daß sie, Äußerlichkeiten noch äußerst übertreibend, sich dauernd selbst
karikierte. Wenn hier eine feste Hand durchgreift und grob dilettantischen Wust
beseitigt -- wen sollt' es nicht freuen? Das mächtige Reich hat es zeitlebens zu
keiner anständigen Briefmarke bringen können, obgleich die Briefmarke eins der
wirksamsten Propagandamittel ist und auch zu denen spricht, die weder lange Ab¬
handlungen zu lesen noch Wanderkunstausstellungen zu besuchen Pflegen. Diese
Post-Germania, in Wahrheit eine für den Maskenball angezogene Oberbecnntens-
gattin, wußte niemandem etwas zu sagen; ihre flache, bureaugeborene Alltäglichkeit
gab von der hochentwickelten deutschen Handwerks- und Werkkunst nicht die leiseste
Vorstellung. Und weil sie einmal bestimmungsgemäß ins Ausland kam, schadete
sie mehr als Siegesallee und Lauff-Dramen, die erfreulicherweise im Lande blieben.
(Im selben Lande, das immerhin ehrenvoll bestanden hätte, wenn es seinem Wilden¬
bruch treu geblieben wäre.) Leider ist die Revolutionsbriefmarke noch ein betrüb¬
licherer Schrecken geworden. Das Entsetzen, das ihr folgte, hat dann zur Berufung
des Dr. Redslob auf den neu geschaffenen Posten eines Reichskunstwartcs geführt.
Daß sich die Zöpfe darob ärgerten, spricht für das Amt und für den Mann. Wir
müssen unbedingt über die im Instanzenweg geförderte und von nebenberuflichen
Schöngeistern beaufsichtigte Kunst hinaus; wir brauchen freie und entschlossene An¬
reger. Redslob hat, so scheint es, den erforderlichen Mut, die redliche Frische, das
Temperament. Mit solchen Eigenschaften begabt, darf er es sich getrost erlauben,
auch einmal danebenzugreifen und aus lauter Haß gegen den Kitschismus (der mit¬
unter heimliche Abhängigkeit von ihm verrät) zu lange Fortschrittsbeine zu markieren.

Redslob hat sich für einen neuen Reichsadler Schmidt-Rottluffscher Prägung
eingesetzt, ein verzwickt krummnasigcs, reichlich fettes und welliges Geschöpf, dessen
geöffnete Krallen vergebens auf größere Zahlung zu warten scheinen und aus dessen
Gefieder sich gewiß mühelos Federkiele für weitere Versailler und Spaer Unter¬
schriften fertigen lassen. Das Fabeltier ist, um ja nicht zoologisch gewertet zu werden,
auf den Einfall geraten, statt des gottgegebenen Schwanzes einen Flugzeugsterz
zu benutzen. Vor Schmidt-Rottluff schuldigen Respekt. Er ist ein Mann von vielen
Gnaden. Auch bei diesem Aar, wo er allerlei Modernes gedacht, die neue Form
gemeistert und dabei nicht völlig den Boden der Überlieferung verlassen hat. Etwas
viel auf einmal, nicht wahr? Denn das Bestreben, höchst zeitgemäß zu sein, die
heraldische Adlerbrut von 1871 bis 1914 zu erwürgen und dennoch im Vergangenen
zu wurzeln, kann zu keinem sehr guten Ende führen. Freund Pandur wird, besorge
ich fast, sich die tragische Komik dieser kunstvoll-künstlich gezeugten Kreatur nicht ent¬
gehen lassen. Und gerade das kränkt Nedslob. Der neue Papageirabe ist, so ruft er
verdrossen aus, keine Zielscheibe für die Bolzen selbstgefälliger Witze. Mir scheint
er tatsächlich auch geeigneter als Zielscheibe beim Vogelschuß -- aber weshalb soll
jene Kritik, die den Spaß liebt, ausgerechnet dem eben ausgekrochenen Reichsadler¬
küken gegenüber unangebrachter sein als beispielsweise einem pedantisch ernsthaften?
Redslob wird sich, wie alle unsere Männer der Öffentlichkeit, an die Randglossen
der Schalle gewöhnen müssen. Diese Zeit schreit nach der Pritsche; die nächsten
Jahrzehnte gehören der Satire. Was besonders den ornithologischen Günstling
Redslobs anbelangt, so mag und muß er beweisen, daß er die Laugenbäder ebenso¬
gut verträgt wie sein Vorgänger, der stilisierte Reichsvogel des fluchbeladenen und
verrotteten Systems. Nur ist zu befürchten, daß ihm sein Beschützer durch den
unwirscher Ausfall gegen die Spötter das Leben nicht eben leicht gemacht, viel¬
mehr die Krähen erst zum Einhacken ermuntert hat.




Offenherzigkeiten

Redslobs Reichsvogel

Der amtlichen Kunst des wilhelminischen Zeitalters ist nicht allzu viel
Gutes nachzusagen; fehlte ihr doch sogar der Instinkt für ihren eigenen Ge¬
schmack, so daß sie, Äußerlichkeiten noch äußerst übertreibend, sich dauernd selbst
karikierte. Wenn hier eine feste Hand durchgreift und grob dilettantischen Wust
beseitigt — wen sollt' es nicht freuen? Das mächtige Reich hat es zeitlebens zu
keiner anständigen Briefmarke bringen können, obgleich die Briefmarke eins der
wirksamsten Propagandamittel ist und auch zu denen spricht, die weder lange Ab¬
handlungen zu lesen noch Wanderkunstausstellungen zu besuchen Pflegen. Diese
Post-Germania, in Wahrheit eine für den Maskenball angezogene Oberbecnntens-
gattin, wußte niemandem etwas zu sagen; ihre flache, bureaugeborene Alltäglichkeit
gab von der hochentwickelten deutschen Handwerks- und Werkkunst nicht die leiseste
Vorstellung. Und weil sie einmal bestimmungsgemäß ins Ausland kam, schadete
sie mehr als Siegesallee und Lauff-Dramen, die erfreulicherweise im Lande blieben.
(Im selben Lande, das immerhin ehrenvoll bestanden hätte, wenn es seinem Wilden¬
bruch treu geblieben wäre.) Leider ist die Revolutionsbriefmarke noch ein betrüb¬
licherer Schrecken geworden. Das Entsetzen, das ihr folgte, hat dann zur Berufung
des Dr. Redslob auf den neu geschaffenen Posten eines Reichskunstwartcs geführt.
Daß sich die Zöpfe darob ärgerten, spricht für das Amt und für den Mann. Wir
müssen unbedingt über die im Instanzenweg geförderte und von nebenberuflichen
Schöngeistern beaufsichtigte Kunst hinaus; wir brauchen freie und entschlossene An¬
reger. Redslob hat, so scheint es, den erforderlichen Mut, die redliche Frische, das
Temperament. Mit solchen Eigenschaften begabt, darf er es sich getrost erlauben,
auch einmal danebenzugreifen und aus lauter Haß gegen den Kitschismus (der mit¬
unter heimliche Abhängigkeit von ihm verrät) zu lange Fortschrittsbeine zu markieren.

Redslob hat sich für einen neuen Reichsadler Schmidt-Rottluffscher Prägung
eingesetzt, ein verzwickt krummnasigcs, reichlich fettes und welliges Geschöpf, dessen
geöffnete Krallen vergebens auf größere Zahlung zu warten scheinen und aus dessen
Gefieder sich gewiß mühelos Federkiele für weitere Versailler und Spaer Unter¬
schriften fertigen lassen. Das Fabeltier ist, um ja nicht zoologisch gewertet zu werden,
auf den Einfall geraten, statt des gottgegebenen Schwanzes einen Flugzeugsterz
zu benutzen. Vor Schmidt-Rottluff schuldigen Respekt. Er ist ein Mann von vielen
Gnaden. Auch bei diesem Aar, wo er allerlei Modernes gedacht, die neue Form
gemeistert und dabei nicht völlig den Boden der Überlieferung verlassen hat. Etwas
viel auf einmal, nicht wahr? Denn das Bestreben, höchst zeitgemäß zu sein, die
heraldische Adlerbrut von 1871 bis 1914 zu erwürgen und dennoch im Vergangenen
zu wurzeln, kann zu keinem sehr guten Ende führen. Freund Pandur wird, besorge
ich fast, sich die tragische Komik dieser kunstvoll-künstlich gezeugten Kreatur nicht ent¬
gehen lassen. Und gerade das kränkt Nedslob. Der neue Papageirabe ist, so ruft er
verdrossen aus, keine Zielscheibe für die Bolzen selbstgefälliger Witze. Mir scheint
er tatsächlich auch geeigneter als Zielscheibe beim Vogelschuß — aber weshalb soll
jene Kritik, die den Spaß liebt, ausgerechnet dem eben ausgekrochenen Reichsadler¬
küken gegenüber unangebrachter sein als beispielsweise einem pedantisch ernsthaften?
Redslob wird sich, wie alle unsere Männer der Öffentlichkeit, an die Randglossen
der Schalle gewöhnen müssen. Diese Zeit schreit nach der Pritsche; die nächsten
Jahrzehnte gehören der Satire. Was besonders den ornithologischen Günstling
Redslobs anbelangt, so mag und muß er beweisen, daß er die Laugenbäder ebenso¬
gut verträgt wie sein Vorgänger, der stilisierte Reichsvogel des fluchbeladenen und
verrotteten Systems. Nur ist zu befürchten, daß ihm sein Beschützer durch den
unwirscher Ausfall gegen die Spötter das Leben nicht eben leicht gemacht, viel¬
mehr die Krähen erst zum Einhacken ermuntert hat.




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[0252] Offenherzigkeiten Redslobs Reichsvogel Der amtlichen Kunst des wilhelminischen Zeitalters ist nicht allzu viel Gutes nachzusagen; fehlte ihr doch sogar der Instinkt für ihren eigenen Ge¬ schmack, so daß sie, Äußerlichkeiten noch äußerst übertreibend, sich dauernd selbst karikierte. Wenn hier eine feste Hand durchgreift und grob dilettantischen Wust beseitigt — wen sollt' es nicht freuen? Das mächtige Reich hat es zeitlebens zu keiner anständigen Briefmarke bringen können, obgleich die Briefmarke eins der wirksamsten Propagandamittel ist und auch zu denen spricht, die weder lange Ab¬ handlungen zu lesen noch Wanderkunstausstellungen zu besuchen Pflegen. Diese Post-Germania, in Wahrheit eine für den Maskenball angezogene Oberbecnntens- gattin, wußte niemandem etwas zu sagen; ihre flache, bureaugeborene Alltäglichkeit gab von der hochentwickelten deutschen Handwerks- und Werkkunst nicht die leiseste Vorstellung. Und weil sie einmal bestimmungsgemäß ins Ausland kam, schadete sie mehr als Siegesallee und Lauff-Dramen, die erfreulicherweise im Lande blieben. (Im selben Lande, das immerhin ehrenvoll bestanden hätte, wenn es seinem Wilden¬ bruch treu geblieben wäre.) Leider ist die Revolutionsbriefmarke noch ein betrüb¬ licherer Schrecken geworden. Das Entsetzen, das ihr folgte, hat dann zur Berufung des Dr. Redslob auf den neu geschaffenen Posten eines Reichskunstwartcs geführt. Daß sich die Zöpfe darob ärgerten, spricht für das Amt und für den Mann. Wir müssen unbedingt über die im Instanzenweg geförderte und von nebenberuflichen Schöngeistern beaufsichtigte Kunst hinaus; wir brauchen freie und entschlossene An¬ reger. Redslob hat, so scheint es, den erforderlichen Mut, die redliche Frische, das Temperament. Mit solchen Eigenschaften begabt, darf er es sich getrost erlauben, auch einmal danebenzugreifen und aus lauter Haß gegen den Kitschismus (der mit¬ unter heimliche Abhängigkeit von ihm verrät) zu lange Fortschrittsbeine zu markieren. Redslob hat sich für einen neuen Reichsadler Schmidt-Rottluffscher Prägung eingesetzt, ein verzwickt krummnasigcs, reichlich fettes und welliges Geschöpf, dessen geöffnete Krallen vergebens auf größere Zahlung zu warten scheinen und aus dessen Gefieder sich gewiß mühelos Federkiele für weitere Versailler und Spaer Unter¬ schriften fertigen lassen. Das Fabeltier ist, um ja nicht zoologisch gewertet zu werden, auf den Einfall geraten, statt des gottgegebenen Schwanzes einen Flugzeugsterz zu benutzen. Vor Schmidt-Rottluff schuldigen Respekt. Er ist ein Mann von vielen Gnaden. Auch bei diesem Aar, wo er allerlei Modernes gedacht, die neue Form gemeistert und dabei nicht völlig den Boden der Überlieferung verlassen hat. Etwas viel auf einmal, nicht wahr? Denn das Bestreben, höchst zeitgemäß zu sein, die heraldische Adlerbrut von 1871 bis 1914 zu erwürgen und dennoch im Vergangenen zu wurzeln, kann zu keinem sehr guten Ende führen. Freund Pandur wird, besorge ich fast, sich die tragische Komik dieser kunstvoll-künstlich gezeugten Kreatur nicht ent¬ gehen lassen. Und gerade das kränkt Nedslob. Der neue Papageirabe ist, so ruft er verdrossen aus, keine Zielscheibe für die Bolzen selbstgefälliger Witze. Mir scheint er tatsächlich auch geeigneter als Zielscheibe beim Vogelschuß — aber weshalb soll jene Kritik, die den Spaß liebt, ausgerechnet dem eben ausgekrochenen Reichsadler¬ küken gegenüber unangebrachter sein als beispielsweise einem pedantisch ernsthaften? Redslob wird sich, wie alle unsere Männer der Öffentlichkeit, an die Randglossen der Schalle gewöhnen müssen. Diese Zeit schreit nach der Pritsche; die nächsten Jahrzehnte gehören der Satire. Was besonders den ornithologischen Günstling Redslobs anbelangt, so mag und muß er beweisen, daß er die Laugenbäder ebenso¬ gut verträgt wie sein Vorgänger, der stilisierte Reichsvogel des fluchbeladenen und verrotteten Systems. Nur ist zu befürchten, daß ihm sein Beschützer durch den unwirscher Ausfall gegen die Spötter das Leben nicht eben leicht gemacht, viel¬ mehr die Krähen erst zum Einhacken ermuntert hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/252>, abgerufen am 01.07.2024.