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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Widerstandsfähigkeit unseres Verbündeten beizubringen. Die entgegenkommende
Weise, in der die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" und die ihr nahestehenden
Blätter die bisher von keinerlei Erfolg begleiteten Schritte und Proklamationen
der deutschen' Sozialdemokratie begleiteten, kann diesen peinlichen Eindruck nur
verstärken. Wer ruhig und unbefangen die Dinge in Deutschland hier vom Aus¬
lande aus verfolgt, muß annehmen, daß man bei uns mehr und mehr bemüht ist,
unser Volk für die Idee eines faulen Friedens zu gewinnen, für dessen schmerzliche
Enttäuschungen es durch eine möglichst nach links gerichtete Politik der nächsten
Zukunft entschädigt werden soll. Unsere Feinde verfolgen diese Entwicklung mit
Aufmerksamkeit und ziehen aus ihr Schlüsse, die uns die Einleitung der Friedens¬
verhandlungen seinerzeit erschweren werden.




Genf, den 3. Mai 1917

Man hat in Paris allem Anschein nach eine gute Witterung gehabt, was von
dem Augenblick an nicht mehr wundernehmen konnte, in dem Herr Thomas, der der
rabikalsozialistischen Partei angehörige französische Munitionsminister, erst einmal
in Petersburg aufgetaucht war, der als Republikaner selbstverständlich ganz andere
Entrees bei seinen russischen politischen Freunden hat, als Herr Scheidemann, der
als sozialistischer Vertreter einer für die öffentliche Meinung der Entente als
reaktionär abgestempelten Monarchie den Abgesandten des Herrn Kerenski offenbar
kein rechtes Vertrauen einflößt. Hierin liegt zu einem guten Teil die Tragik
unserer Lage. Der durch diesen Krieg in ungeahnter Weise erstarkte demokratische
Gedanke hat von dem Tag an, an dem nun auch Amerika sich mit dem ganzen Gewicht
seines Ansehens und seiner Macht für ihn eingesetzt hat, die Welt mit verstärkter
Gewalt in seinen Bann geschlagen. Daß Deutschland, soll es nicht ein ewiger
Störenfried bleiben, demokratisiert, daß sein Staatsleben auf die Grundlage des
Parlamentarismus gestellt werden müsse, das ist ein Gedanke, der, wie ich Euerer
Exzellenz bereits in einem früheren Bericht andeuten durfte, von der Presse der
Entente mit Geschick und Nachdruck in die Köpfe gehämmert wird, derart, daß
nicht einmal unsere Sozialdemokraten, die an "exin^iiitiv" wahrhaftig alles
geleistet haben, was man von ihnen verlangen konnte, im Auslande mehr für voll¬
wertige Vertreter des freiheitlichen Gedankens genommen werden. Da auch die
Stockholmer Mission des Herrn Erzberger, all der Energie ungeachtet, mit der er
die Sache in Fluß gebracht hat, als vorläufig gescheitert gelten muß, scheint uns
der Weg zum Frieden mit Rußland wieder neuerdings auf längere Zeit versperrt.

In Wien fährt man nach wie vor fort, sich zum Frieden zu bekennen, was von
der Presse unserer Feinde mit begreiflicher Lieblosigkeit lediglich auf der Kontoseite
"Schwäche" verbunst wird. Graf P. hat über diesen Punkt in den letzten Tagen
eine Andeutung gemacht, die ich, um seine Position in Berlin nicht zu gefährden,
aus meiner Berichterstattung ausgeschieden habe.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Widerstandsfähigkeit unseres Verbündeten beizubringen. Die entgegenkommende
Weise, in der die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" und die ihr nahestehenden
Blätter die bisher von keinerlei Erfolg begleiteten Schritte und Proklamationen
der deutschen' Sozialdemokratie begleiteten, kann diesen peinlichen Eindruck nur
verstärken. Wer ruhig und unbefangen die Dinge in Deutschland hier vom Aus¬
lande aus verfolgt, muß annehmen, daß man bei uns mehr und mehr bemüht ist,
unser Volk für die Idee eines faulen Friedens zu gewinnen, für dessen schmerzliche
Enttäuschungen es durch eine möglichst nach links gerichtete Politik der nächsten
Zukunft entschädigt werden soll. Unsere Feinde verfolgen diese Entwicklung mit
Aufmerksamkeit und ziehen aus ihr Schlüsse, die uns die Einleitung der Friedens¬
verhandlungen seinerzeit erschweren werden.




Genf, den 3. Mai 1917

Man hat in Paris allem Anschein nach eine gute Witterung gehabt, was von
dem Augenblick an nicht mehr wundernehmen konnte, in dem Herr Thomas, der der
rabikalsozialistischen Partei angehörige französische Munitionsminister, erst einmal
in Petersburg aufgetaucht war, der als Republikaner selbstverständlich ganz andere
Entrees bei seinen russischen politischen Freunden hat, als Herr Scheidemann, der
als sozialistischer Vertreter einer für die öffentliche Meinung der Entente als
reaktionär abgestempelten Monarchie den Abgesandten des Herrn Kerenski offenbar
kein rechtes Vertrauen einflößt. Hierin liegt zu einem guten Teil die Tragik
unserer Lage. Der durch diesen Krieg in ungeahnter Weise erstarkte demokratische
Gedanke hat von dem Tag an, an dem nun auch Amerika sich mit dem ganzen Gewicht
seines Ansehens und seiner Macht für ihn eingesetzt hat, die Welt mit verstärkter
Gewalt in seinen Bann geschlagen. Daß Deutschland, soll es nicht ein ewiger
Störenfried bleiben, demokratisiert, daß sein Staatsleben auf die Grundlage des
Parlamentarismus gestellt werden müsse, das ist ein Gedanke, der, wie ich Euerer
Exzellenz bereits in einem früheren Bericht andeuten durfte, von der Presse der
Entente mit Geschick und Nachdruck in die Köpfe gehämmert wird, derart, daß
nicht einmal unsere Sozialdemokraten, die an „exin^iiitiv" wahrhaftig alles
geleistet haben, was man von ihnen verlangen konnte, im Auslande mehr für voll¬
wertige Vertreter des freiheitlichen Gedankens genommen werden. Da auch die
Stockholmer Mission des Herrn Erzberger, all der Energie ungeachtet, mit der er
die Sache in Fluß gebracht hat, als vorläufig gescheitert gelten muß, scheint uns
der Weg zum Frieden mit Rußland wieder neuerdings auf längere Zeit versperrt.

In Wien fährt man nach wie vor fort, sich zum Frieden zu bekennen, was von
der Presse unserer Feinde mit begreiflicher Lieblosigkeit lediglich auf der Kontoseite
»Schwäche" verbunst wird. Graf P. hat über diesen Punkt in den letzten Tagen
eine Andeutung gemacht, die ich, um seine Position in Berlin nicht zu gefährden,
aus meiner Berichterstattung ausgeschieden habe.




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[0231] Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling Widerstandsfähigkeit unseres Verbündeten beizubringen. Die entgegenkommende Weise, in der die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" und die ihr nahestehenden Blätter die bisher von keinerlei Erfolg begleiteten Schritte und Proklamationen der deutschen' Sozialdemokratie begleiteten, kann diesen peinlichen Eindruck nur verstärken. Wer ruhig und unbefangen die Dinge in Deutschland hier vom Aus¬ lande aus verfolgt, muß annehmen, daß man bei uns mehr und mehr bemüht ist, unser Volk für die Idee eines faulen Friedens zu gewinnen, für dessen schmerzliche Enttäuschungen es durch eine möglichst nach links gerichtete Politik der nächsten Zukunft entschädigt werden soll. Unsere Feinde verfolgen diese Entwicklung mit Aufmerksamkeit und ziehen aus ihr Schlüsse, die uns die Einleitung der Friedens¬ verhandlungen seinerzeit erschweren werden. Genf, den 3. Mai 1917 Man hat in Paris allem Anschein nach eine gute Witterung gehabt, was von dem Augenblick an nicht mehr wundernehmen konnte, in dem Herr Thomas, der der rabikalsozialistischen Partei angehörige französische Munitionsminister, erst einmal in Petersburg aufgetaucht war, der als Republikaner selbstverständlich ganz andere Entrees bei seinen russischen politischen Freunden hat, als Herr Scheidemann, der als sozialistischer Vertreter einer für die öffentliche Meinung der Entente als reaktionär abgestempelten Monarchie den Abgesandten des Herrn Kerenski offenbar kein rechtes Vertrauen einflößt. Hierin liegt zu einem guten Teil die Tragik unserer Lage. Der durch diesen Krieg in ungeahnter Weise erstarkte demokratische Gedanke hat von dem Tag an, an dem nun auch Amerika sich mit dem ganzen Gewicht seines Ansehens und seiner Macht für ihn eingesetzt hat, die Welt mit verstärkter Gewalt in seinen Bann geschlagen. Daß Deutschland, soll es nicht ein ewiger Störenfried bleiben, demokratisiert, daß sein Staatsleben auf die Grundlage des Parlamentarismus gestellt werden müsse, das ist ein Gedanke, der, wie ich Euerer Exzellenz bereits in einem früheren Bericht andeuten durfte, von der Presse der Entente mit Geschick und Nachdruck in die Köpfe gehämmert wird, derart, daß nicht einmal unsere Sozialdemokraten, die an „exin^iiitiv" wahrhaftig alles geleistet haben, was man von ihnen verlangen konnte, im Auslande mehr für voll¬ wertige Vertreter des freiheitlichen Gedankens genommen werden. Da auch die Stockholmer Mission des Herrn Erzberger, all der Energie ungeachtet, mit der er die Sache in Fluß gebracht hat, als vorläufig gescheitert gelten muß, scheint uns der Weg zum Frieden mit Rußland wieder neuerdings auf längere Zeit versperrt. In Wien fährt man nach wie vor fort, sich zum Frieden zu bekennen, was von der Presse unserer Feinde mit begreiflicher Lieblosigkeit lediglich auf der Kontoseite »Schwäche" verbunst wird. Graf P. hat über diesen Punkt in den letzten Tagen eine Andeutung gemacht, die ich, um seine Position in Berlin nicht zu gefährden, aus meiner Berichterstattung ausgeschieden habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/231>, abgerufen am 01.07.2024.