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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an sen Grafen Hertling

Interesse, das uns auf dieses Forschungsgebiet weist; es ist ein nationales Be¬
dürfnis, Klarheit über alles, was zu Deutschlands Unglück geführt hat, zu erhalten.
Klarheit und Wahrheit sollen Quellen der Kraft werden, politisches Urteil und
politische Reife erzeugen; möchten unter diesem Gesichtspunkte selbst Verfehlungen
und Fehlschläge eines abgelaufenen Zeitalters einem heranwachsenden Geschlecht
zum Segen gereichen.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling
des^--^Y
Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium vonIX.

Zürich, den 23. März 1917.

Euere Exzellenz dürfte es vielleicht interessieren, über die Eindrücke unter¬
richtet zu werden, die ich dieser Tage bei verschiedenen Unterredungen mit öster¬
reichisch-ungarischen Diplomaten gewonnen habe, die ich hier und in Bern sah
und die ihre Bestätigung durch die Mitteilungen fanden, die mir ein derzeit hier
welkender süddeutscher Politiker über den Meinungsaustausch gemacht hat, den er
mit dem neuen österreichisch-ungarischen Gesandten in Bern hatte.

Man ist demnach in Wien, und zwar an allerhöchster Stelle, außerordentlich
besorgt wegen der Rückwirkungen, die der weitere Verlauf der russischen Revolution
für die Entwicklung der Verhältnisse in Osterreich befürchten läßt. Was in erster
Linie auf die Hofburg konsternierend gewirkt hat, ist die Selbstverständlichkeit,
mit der sich die Ereignisse in Rußland vollzogen haben, und das klägliche Ver¬
sagen all der Elemente, die, wie Hof, Adel und Armee der Dynastie besonders
treu zur Seite stehen sollten. Die Monarchie schien in Rußland fester verankert,
als in irgend einem Lande und man erlebt nun das Schauspiel, daß die erzwungene
Abdankung des Zaren sich in den ruhigsten Formen und ohne besondere Gewalttätig¬
keiten vollzieht. Das scheint in Wien etwas nachdenklich zu stimmen, da man sich
dort darüber nicht im Zweifel ist, daß all die zentrifugalen Strömungen, die die
Existenz der Donaumonarchie bedrohen, durch die Ereignisse in Rußland neue
Belebung und Stärkung erfahren werden. Wenn die Äußerungen der zum Teil
offiziell, zum Teil inoffiziell in der Schweiz tätigen österreichischen Diplomaten,
die ich sah, in etwas die Stimmung in Wien richtig wiedergeben, so ist diese eine
mehr als ernste. - _




Luzern, den 3. April 1917

Es ist bedauerlicherweise nicht an dem, daß etwa lediglich die eine oder
andere deutsche Zeitung an das Märchen von einer demnächst in Italien aus¬
brechenden Revolution glaubt, sondern nach den im übrigen sehr interessanten
Mitteilungen eines dieser Tage in die Schweiz gekommenen ersten deutschen
Zeitungsmannes glaubt man sowohl im Reichstag, als, inoreÄibile üiew, auch in


Aus Geheimberichten an sen Grafen Hertling

Interesse, das uns auf dieses Forschungsgebiet weist; es ist ein nationales Be¬
dürfnis, Klarheit über alles, was zu Deutschlands Unglück geführt hat, zu erhalten.
Klarheit und Wahrheit sollen Quellen der Kraft werden, politisches Urteil und
politische Reife erzeugen; möchten unter diesem Gesichtspunkte selbst Verfehlungen
und Fehlschläge eines abgelaufenen Zeitalters einem heranwachsenden Geschlecht
zum Segen gereichen.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling
des^—^Y
Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium vonIX.

Zürich, den 23. März 1917.

Euere Exzellenz dürfte es vielleicht interessieren, über die Eindrücke unter¬
richtet zu werden, die ich dieser Tage bei verschiedenen Unterredungen mit öster¬
reichisch-ungarischen Diplomaten gewonnen habe, die ich hier und in Bern sah
und die ihre Bestätigung durch die Mitteilungen fanden, die mir ein derzeit hier
welkender süddeutscher Politiker über den Meinungsaustausch gemacht hat, den er
mit dem neuen österreichisch-ungarischen Gesandten in Bern hatte.

Man ist demnach in Wien, und zwar an allerhöchster Stelle, außerordentlich
besorgt wegen der Rückwirkungen, die der weitere Verlauf der russischen Revolution
für die Entwicklung der Verhältnisse in Osterreich befürchten läßt. Was in erster
Linie auf die Hofburg konsternierend gewirkt hat, ist die Selbstverständlichkeit,
mit der sich die Ereignisse in Rußland vollzogen haben, und das klägliche Ver¬
sagen all der Elemente, die, wie Hof, Adel und Armee der Dynastie besonders
treu zur Seite stehen sollten. Die Monarchie schien in Rußland fester verankert,
als in irgend einem Lande und man erlebt nun das Schauspiel, daß die erzwungene
Abdankung des Zaren sich in den ruhigsten Formen und ohne besondere Gewalttätig¬
keiten vollzieht. Das scheint in Wien etwas nachdenklich zu stimmen, da man sich
dort darüber nicht im Zweifel ist, daß all die zentrifugalen Strömungen, die die
Existenz der Donaumonarchie bedrohen, durch die Ereignisse in Rußland neue
Belebung und Stärkung erfahren werden. Wenn die Äußerungen der zum Teil
offiziell, zum Teil inoffiziell in der Schweiz tätigen österreichischen Diplomaten,
die ich sah, in etwas die Stimmung in Wien richtig wiedergeben, so ist diese eine
mehr als ernste. - _




Luzern, den 3. April 1917

Es ist bedauerlicherweise nicht an dem, daß etwa lediglich die eine oder
andere deutsche Zeitung an das Märchen von einer demnächst in Italien aus¬
brechenden Revolution glaubt, sondern nach den im übrigen sehr interessanten
Mitteilungen eines dieser Tage in die Schweiz gekommenen ersten deutschen
Zeitungsmannes glaubt man sowohl im Reichstag, als, inoreÄibile üiew, auch in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/226>, abgerufen am 22.07.2024.