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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Setzt man sich in die Lage des italienischen Ministerpräsidenten, so wird man
anerkennen müssen, daß diese Konstruktion nicht ohne weiteres durchführbar ist.
Herr Salandra, -- man möge sich doch bei uns das gedankenlose Schimpfen über
die Unfähigkeit der italienischen Staatsmänner abgewöhnen --. der im Vatikan
wohl Bescheid weiß, ist sich völlig darüber im klaren, dasz die Lösung der Römischen
Frage ihm noch große Schwierigkeiten bereiten wird. Er und mit ihm die Minister
Grippo und Cavasola sind die einzigen, die die Bedeutung dieser Frage für die
innere Politik Italiens würdigen und die daher im Interesse ihres Vaterlandes zu
handeln glauben, wenn sie für eine Verständigung mit dem Heiligen Stuhl ein¬
treten. Diese Gruppe ist aber sehr klein. Ihr stehen gegenüber die ausgesprochenen
Feinde des Vatikans, die, wie Herr Orlando, Martini, Barzilai, Ciufelli und
Carcano, sich den Teufel um italienische Interessen scheren, wenn es gilt, dem
Papst einen Tort anzutun. Herr Salandra hat außerdem mit der Gruppe der In¬
differenten, den Herren Sonnino, Danico und Ricci zu rechnen, die das Problem
von seinem religiösen Grund loslösen und ausschließlich unter dem Gesichtswinkel
der auswärtigen Politik Italiens betrachten. Man begreift daher, um zum Aus¬
gangspunkt zurückzukehren, vollständig, daß Herr Salandra sich erst unter dem Druck
der alleräußersten Notwendigkeit entschließen wird, ein Konzentrationsministerium
zu bilden.

Ich möchte in diesen, Zusammenhang und mit der Bitte um vertrauliche Be¬
handlung melden, daß ich in den letzten Tagen Gelegenheit hatte, Kenntnis vom
Inhalt einiger Briefe zu erhalten, die ein vorübergehend in der Schweiz sich auf¬
haltender österreichischer Magnat, dessen Name in der europäischen Diplomatie einen
guten Klang besitzt, von zwei Mitgliedern des derzeitigen österreichischen Ministe¬
riums erhalten hat.

Hieraus war zu ersehen, daß man im Schoß der österreichischen Regierung
die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der Monarchie mit sorgenvollem Auge be¬
trachtet. Es war -- ich wiederhole aus dem Gedächtnis -- unter anderem darin der
Satz enthalten, daß es wohl fast unmöglich sein werde, die österreichische Finanz¬
wirtschaft noch sehr lange im Gange zu erhalten und daß man, wenn nicht bald
Frieden werde, schon jetzt "Konvulsionen erleben werde, die einen gefahrdrohenden
Auftakt für die nähere Zukunft Österreich-Ungarns bedeuten würden". Es war in
diesem sehr interessanten Schreiben weiter dem Gedanken Ausdruck verliehen, daß
es wohl schwierig sein würde, das Volk weiterhin noch lange in der Weise zu
täuschen, wie man das bisher getan habe, und daß die geradezu ungeheuerliche
Steuerlast, die Österreich auf sich nehmen müsse, für den gutmütigen österreichischen
Bürger einen Sturz aus allen Himmeln seiner Erwartung bedeuten müsse. Graf
Berchtold und seine kavaliermäßige Art, Politik zu machen, kommen ziemlich unter
die Räder, und der Grundton des offenbar in sehr sorgenschwerer Stimmung ver¬
faßten Briefes ist der einer melancholischen Anklage gegen die Redakteure des be¬
rühmten Ultimatums. Dieser Brief ist gewiß nicht entscheidend, aber er ist immerhin
ein Symptom, das Beachtung verdient.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Setzt man sich in die Lage des italienischen Ministerpräsidenten, so wird man
anerkennen müssen, daß diese Konstruktion nicht ohne weiteres durchführbar ist.
Herr Salandra, — man möge sich doch bei uns das gedankenlose Schimpfen über
die Unfähigkeit der italienischen Staatsmänner abgewöhnen —. der im Vatikan
wohl Bescheid weiß, ist sich völlig darüber im klaren, dasz die Lösung der Römischen
Frage ihm noch große Schwierigkeiten bereiten wird. Er und mit ihm die Minister
Grippo und Cavasola sind die einzigen, die die Bedeutung dieser Frage für die
innere Politik Italiens würdigen und die daher im Interesse ihres Vaterlandes zu
handeln glauben, wenn sie für eine Verständigung mit dem Heiligen Stuhl ein¬
treten. Diese Gruppe ist aber sehr klein. Ihr stehen gegenüber die ausgesprochenen
Feinde des Vatikans, die, wie Herr Orlando, Martini, Barzilai, Ciufelli und
Carcano, sich den Teufel um italienische Interessen scheren, wenn es gilt, dem
Papst einen Tort anzutun. Herr Salandra hat außerdem mit der Gruppe der In¬
differenten, den Herren Sonnino, Danico und Ricci zu rechnen, die das Problem
von seinem religiösen Grund loslösen und ausschließlich unter dem Gesichtswinkel
der auswärtigen Politik Italiens betrachten. Man begreift daher, um zum Aus¬
gangspunkt zurückzukehren, vollständig, daß Herr Salandra sich erst unter dem Druck
der alleräußersten Notwendigkeit entschließen wird, ein Konzentrationsministerium
zu bilden.

Ich möchte in diesen, Zusammenhang und mit der Bitte um vertrauliche Be¬
handlung melden, daß ich in den letzten Tagen Gelegenheit hatte, Kenntnis vom
Inhalt einiger Briefe zu erhalten, die ein vorübergehend in der Schweiz sich auf¬
haltender österreichischer Magnat, dessen Name in der europäischen Diplomatie einen
guten Klang besitzt, von zwei Mitgliedern des derzeitigen österreichischen Ministe¬
riums erhalten hat.

Hieraus war zu ersehen, daß man im Schoß der österreichischen Regierung
die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der Monarchie mit sorgenvollem Auge be¬
trachtet. Es war — ich wiederhole aus dem Gedächtnis — unter anderem darin der
Satz enthalten, daß es wohl fast unmöglich sein werde, die österreichische Finanz¬
wirtschaft noch sehr lange im Gange zu erhalten und daß man, wenn nicht bald
Frieden werde, schon jetzt „Konvulsionen erleben werde, die einen gefahrdrohenden
Auftakt für die nähere Zukunft Österreich-Ungarns bedeuten würden". Es war in
diesem sehr interessanten Schreiben weiter dem Gedanken Ausdruck verliehen, daß
es wohl schwierig sein würde, das Volk weiterhin noch lange in der Weise zu
täuschen, wie man das bisher getan habe, und daß die geradezu ungeheuerliche
Steuerlast, die Österreich auf sich nehmen müsse, für den gutmütigen österreichischen
Bürger einen Sturz aus allen Himmeln seiner Erwartung bedeuten müsse. Graf
Berchtold und seine kavaliermäßige Art, Politik zu machen, kommen ziemlich unter
die Räder, und der Grundton des offenbar in sehr sorgenschwerer Stimmung ver¬
faßten Briefes ist der einer melancholischen Anklage gegen die Redakteure des be¬
rühmten Ultimatums. Dieser Brief ist gewiß nicht entscheidend, aber er ist immerhin
ein Symptom, das Beachtung verdient.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/21>, abgerufen am 22.07.2024.