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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grasen Hertling

viele Freundschaften zu verlieren, und es ist unbegreiflich, wie man in diesen
Tagen eines vielleicht herannahenden großen Sturmes die Schweiz, die sich immer
außerordentlich anständig gegen uns benommen hat, verprellen kann. Diese
Methoden erzeugen gegen uns einen Haß im Auslande, von dem man sich zu
Hause keinen Begriff macht, den aber der deutsche Kaufmann und Ingenieur wird
büßen müssen, wenn er nach dem Krieg wieder seine Geschäftsbeziehungen an¬
knüpfen will und muß.




Zürich, den 2. Februar 1917.

Rücksichtlich des Unterseebootkrieges sind die Würfel nunmehr gefallen.
Ich habe im Bericht vom 19. November 1916 darauf hingewiesen, daß diese
deutsche Maßnahme zunächst lediglich die Wirkung haben wird, den Kampfgeist
in England zu höchster Entschlossenheit aufzupeitschen. Die kommenden Monate
werden lehren, ob diese Aufrüttelung der nationalen Instinkte des englischen
Volkes den Krieg in das Jahr 1918 hinaus verlängern wird, wie Kenner Eng¬
lands und der englischen Psyche annehmen, oder ob die Wirkungen unserer
Unterseebootaktion tatsächlich derartige sein werden, daß sie den Krieg ver¬
kürzen, wie man in Deutschland glaubt.




Luzern, den 10. Februar 1917

Aus Wien habe ich von vier voneinander völlig unabhängigen, im
allgemeinen aber ausgezeichnet unterrichteten Quellen gehört und durch die Mit¬
teilungen des Mons. G. bestätigt erhalten, daß das junge Kaiserpaar auf
Frieden brennt und daß dies der Entente nicht ganz unbekannt geblieben ist.
Wenn ich mir erlaubte, im Zusammenhang mit dieser rein politischen Frage die
hohe Frau zu erwähnen, so geschah dies, weil nach den übereinstimmenden
Äußerungen aller, die dem jungen Kaiser und seiner Gemahlin näherstehen, die
Kaiserin gerade in solchen Fragen einen starken Einfluß zu haben und außerdem
bestrebt scheint, ihn zu vermehren. Selbstverständlich soll mit dieser Meldung
kein Zweifel an der Loyalität der österreichisch-ungarischen Politik ausgesprochen
werden, aber es scheint mir immerhin veranlaßt, daß die deutsche Botschaft in
Wien sehr hellhörig bleibt und mit den geistlichen Elementen, die zur Einflu߬
sphäre der Kaiserin gehören, gute Verbindungen unterhält. Dies scheint nun
leider nicht der Fall zu sein, vielmehr hat der neue Botschafter, Graf Wedel,
bereits überall den Eindruck zu erwecken verstanden, daß er sich nicht nur als
Vertreter des deutschen Kaisers, sondern auch sehr als Protestant fühlt, eine Ein¬
führung, die in Wien nicht gerade eine sehr glückliche genannt werden kann. Daß
die ganze Botschaft in Wien mit protestantischen Herren besetzt ist, ist ferner auch
gerade kein Zeichen von Umsicht. Was bei englischen Diplomaten, die ihr
protestantisches Kirchentum nicht als Exportartikel betrachten, gänzlich gleichgültig
ist, sällt bei einer großen Zahl unserer Reichsdiplomaten sehr ins Gewicht. Es
ist dies ein Punkt, über den der in diesen Fragen an sich gänzlich oesinteressierte
Abgeordnete M. einmal eine ausführliche Borstellung nach Berlin hat gelangen
lassen. Ich glaube aber nicht, daß er damit einen großen Effekt erzielt hat.
Sicher ist aber, daß man noch nicht konfessionell engherzig zu sein braucht, wenn
man findet, daß für Wien, das Zentrum eines katholischen Staates, in dem die


Aus Geheimberichten an den Grasen Hertling

viele Freundschaften zu verlieren, und es ist unbegreiflich, wie man in diesen
Tagen eines vielleicht herannahenden großen Sturmes die Schweiz, die sich immer
außerordentlich anständig gegen uns benommen hat, verprellen kann. Diese
Methoden erzeugen gegen uns einen Haß im Auslande, von dem man sich zu
Hause keinen Begriff macht, den aber der deutsche Kaufmann und Ingenieur wird
büßen müssen, wenn er nach dem Krieg wieder seine Geschäftsbeziehungen an¬
knüpfen will und muß.




Zürich, den 2. Februar 1917.

Rücksichtlich des Unterseebootkrieges sind die Würfel nunmehr gefallen.
Ich habe im Bericht vom 19. November 1916 darauf hingewiesen, daß diese
deutsche Maßnahme zunächst lediglich die Wirkung haben wird, den Kampfgeist
in England zu höchster Entschlossenheit aufzupeitschen. Die kommenden Monate
werden lehren, ob diese Aufrüttelung der nationalen Instinkte des englischen
Volkes den Krieg in das Jahr 1918 hinaus verlängern wird, wie Kenner Eng¬
lands und der englischen Psyche annehmen, oder ob die Wirkungen unserer
Unterseebootaktion tatsächlich derartige sein werden, daß sie den Krieg ver¬
kürzen, wie man in Deutschland glaubt.




Luzern, den 10. Februar 1917

Aus Wien habe ich von vier voneinander völlig unabhängigen, im
allgemeinen aber ausgezeichnet unterrichteten Quellen gehört und durch die Mit¬
teilungen des Mons. G. bestätigt erhalten, daß das junge Kaiserpaar auf
Frieden brennt und daß dies der Entente nicht ganz unbekannt geblieben ist.
Wenn ich mir erlaubte, im Zusammenhang mit dieser rein politischen Frage die
hohe Frau zu erwähnen, so geschah dies, weil nach den übereinstimmenden
Äußerungen aller, die dem jungen Kaiser und seiner Gemahlin näherstehen, die
Kaiserin gerade in solchen Fragen einen starken Einfluß zu haben und außerdem
bestrebt scheint, ihn zu vermehren. Selbstverständlich soll mit dieser Meldung
kein Zweifel an der Loyalität der österreichisch-ungarischen Politik ausgesprochen
werden, aber es scheint mir immerhin veranlaßt, daß die deutsche Botschaft in
Wien sehr hellhörig bleibt und mit den geistlichen Elementen, die zur Einflu߬
sphäre der Kaiserin gehören, gute Verbindungen unterhält. Dies scheint nun
leider nicht der Fall zu sein, vielmehr hat der neue Botschafter, Graf Wedel,
bereits überall den Eindruck zu erwecken verstanden, daß er sich nicht nur als
Vertreter des deutschen Kaisers, sondern auch sehr als Protestant fühlt, eine Ein¬
führung, die in Wien nicht gerade eine sehr glückliche genannt werden kann. Daß
die ganze Botschaft in Wien mit protestantischen Herren besetzt ist, ist ferner auch
gerade kein Zeichen von Umsicht. Was bei englischen Diplomaten, die ihr
protestantisches Kirchentum nicht als Exportartikel betrachten, gänzlich gleichgültig
ist, sällt bei einer großen Zahl unserer Reichsdiplomaten sehr ins Gewicht. Es
ist dies ein Punkt, über den der in diesen Fragen an sich gänzlich oesinteressierte
Abgeordnete M. einmal eine ausführliche Borstellung nach Berlin hat gelangen
lassen. Ich glaube aber nicht, daß er damit einen großen Effekt erzielt hat.
Sicher ist aber, daß man noch nicht konfessionell engherzig zu sein braucht, wenn
man findet, daß für Wien, das Zentrum eines katholischen Staates, in dem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/188>, abgerufen am 28.09.2024.