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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

an letzter Stelle jene von London, leidet unter den Luftaktionen der Deutschen
schwer, betrachtet sie so ziemlich als die unangenehmste Beigabe des ihm ohnehin
unbequemen Kriegszustandes, sie beurteilt aber die Erfolge oder Mißerfolge des
Luftkrieges nicht vom point et'nonnöur, wie dies beispielsweise ganz England
einmütig gegenüber dem Angriff getan hat, den die Deutschen im Kanal gegen
Folkestone mit verblüffender Kühnheit unternommen haben.

Ich glaube meine und meiner politischen Freunde Ansicht dahin zusammen¬
fassen zu können, daß Deutschland durch eine etwaige weitere technische Verschärfung
seines Unterseebootkrieges in der Richtung gegen unsere Küsten und gegen die Sicher¬
heit des Kanals zwar vielleicht der Welt gegenüber auf einige Zeit zeigen kann, daß
sich das Verhältnis unserer maritimen Potenz verschoben hat. Ebenso sicher aber
ist, daß England auch kein Opfer scheuen und den Kampf nicht eher aufgeben wird,
als bis es der Welt gezeigt hat, daß diese Verschiebung im Verhältnis der See-
geltung der beiden Länder eine lediglich vorübergehende war.




Luzern, den 28. November 1916.

In Berlin scheint man für die nächste Zeit an eine an die Neutralen zu
richtende Kundgebung im Sinne des Friedens zu denken, da Exzellenz von Mühl¬
berg, wie ich vertraulich zu berichten mir erlauben möchte, um Vorlage des Ent¬
wurfs einer Art Manifest oder Note ersucht worden und gestern telegraphisch moniert
worden ist. Herr von Mühlberg hat das Elaborat, das sehr schön redigiert und
weitschauend angelegt ist, mit einer Verwahrung vorgelegt, die dahin ging, daß
er die Verwendung des Entwurfs im gegenwärtigen Moment für inopportun halte
und keine Verantwortung dafür übernehmen wolle,.




Bern, den 29. Dezember 1916.

(Telegramm.) Ich stehe unter dem Eindruck, daß ein positives Ergebnis
der derzeitigen Friedensaktionen äußerst unwahrscheinlich ist, und zwar auf
Grund eingehender Rücksprache mit Mons. Marchetti und meinem neutralen
Freunde S., die übereinstimmend sich dahin äußerten, daß die Stimmung in
Frankreich zwar zweifellos für Ermöglichung eines raschen und ehrenvollen
Friedens sei, daß die Regierung aber derartige Stimmungen nicht aufkommen
lassen werde. Die führenden Elemente der Friedensbewegung in Frankreich
stünden den Maßnahmen der Regierung wehrlos gegenüber, da sie durch die
theatralisch inszenierte, diplomatisch jedoch nicht vorbereitete Friedensaktion
Berlins und Wiens (vom 12. Dezember 1916) vollkommen überrascht worden
seien. Dasselbe trifft für die Friedensströmungen in den übrigen Entente¬
ländern zu. Was die maßgebenden Kreise in Paris betreffe, so seien sie über¬
zeugt, daß der Schritt der Zentralmächte durch Notwendigkeiten innerpolitischer
und wirtschaftlicher Natur diktiert worden sei. Man glaube insbesondere sicher
zu wissen, daß Österreich-Ungarn nicht in der Lage sei, durchzuhalten. Man
rechne ferner auf die im stillen sich vorbereitenden österreichisch-deutschen Zer¬
würfnisse, nicht zuletzt im Hinblick auf die nächste Umgebung Kaiser
Karls, wobei die Herzogin von Parma im Vordergrund stehe. Diese Argu¬
mente würden von der Mehrheit des Parlaments für durchschlagend erachtet.


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

an letzter Stelle jene von London, leidet unter den Luftaktionen der Deutschen
schwer, betrachtet sie so ziemlich als die unangenehmste Beigabe des ihm ohnehin
unbequemen Kriegszustandes, sie beurteilt aber die Erfolge oder Mißerfolge des
Luftkrieges nicht vom point et'nonnöur, wie dies beispielsweise ganz England
einmütig gegenüber dem Angriff getan hat, den die Deutschen im Kanal gegen
Folkestone mit verblüffender Kühnheit unternommen haben.

Ich glaube meine und meiner politischen Freunde Ansicht dahin zusammen¬
fassen zu können, daß Deutschland durch eine etwaige weitere technische Verschärfung
seines Unterseebootkrieges in der Richtung gegen unsere Küsten und gegen die Sicher¬
heit des Kanals zwar vielleicht der Welt gegenüber auf einige Zeit zeigen kann, daß
sich das Verhältnis unserer maritimen Potenz verschoben hat. Ebenso sicher aber
ist, daß England auch kein Opfer scheuen und den Kampf nicht eher aufgeben wird,
als bis es der Welt gezeigt hat, daß diese Verschiebung im Verhältnis der See-
geltung der beiden Länder eine lediglich vorübergehende war.




Luzern, den 28. November 1916.

In Berlin scheint man für die nächste Zeit an eine an die Neutralen zu
richtende Kundgebung im Sinne des Friedens zu denken, da Exzellenz von Mühl¬
berg, wie ich vertraulich zu berichten mir erlauben möchte, um Vorlage des Ent¬
wurfs einer Art Manifest oder Note ersucht worden und gestern telegraphisch moniert
worden ist. Herr von Mühlberg hat das Elaborat, das sehr schön redigiert und
weitschauend angelegt ist, mit einer Verwahrung vorgelegt, die dahin ging, daß
er die Verwendung des Entwurfs im gegenwärtigen Moment für inopportun halte
und keine Verantwortung dafür übernehmen wolle,.




Bern, den 29. Dezember 1916.

(Telegramm.) Ich stehe unter dem Eindruck, daß ein positives Ergebnis
der derzeitigen Friedensaktionen äußerst unwahrscheinlich ist, und zwar auf
Grund eingehender Rücksprache mit Mons. Marchetti und meinem neutralen
Freunde S., die übereinstimmend sich dahin äußerten, daß die Stimmung in
Frankreich zwar zweifellos für Ermöglichung eines raschen und ehrenvollen
Friedens sei, daß die Regierung aber derartige Stimmungen nicht aufkommen
lassen werde. Die führenden Elemente der Friedensbewegung in Frankreich
stünden den Maßnahmen der Regierung wehrlos gegenüber, da sie durch die
theatralisch inszenierte, diplomatisch jedoch nicht vorbereitete Friedensaktion
Berlins und Wiens (vom 12. Dezember 1916) vollkommen überrascht worden
seien. Dasselbe trifft für die Friedensströmungen in den übrigen Entente¬
ländern zu. Was die maßgebenden Kreise in Paris betreffe, so seien sie über¬
zeugt, daß der Schritt der Zentralmächte durch Notwendigkeiten innerpolitischer
und wirtschaftlicher Natur diktiert worden sei. Man glaube insbesondere sicher
zu wissen, daß Österreich-Ungarn nicht in der Lage sei, durchzuhalten. Man
rechne ferner auf die im stillen sich vorbereitenden österreichisch-deutschen Zer¬
würfnisse, nicht zuletzt im Hinblick auf die nächste Umgebung Kaiser
Karls, wobei die Herzogin von Parma im Vordergrund stehe. Diese Argu¬
mente würden von der Mehrheit des Parlaments für durchschlagend erachtet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/148>, abgerufen am 01.07.2024.