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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Das Berliner Bühnenelend

Wie sein bei ihm lebender Kollege, der mit ihm in einem anscheinend mehr
und mehr vertrauensvollen Verhältnis steht, mir mitteilte, sieht mein Gewährsmann
für die Zukunft Europas düster. Ihm liegen die Hauptschwierigkeiten auf dem
Gebiet der innerpolitischen Entwicklung und er befürchtet, daß im Falle eines uns
ungünstigen Ausganges des Krieges Deutschland schwere innere Unruhen nicht er¬
spart bleiben werden.




Das Berliner Vühnenelend

er Theaterdirektor will ein gutes Geschäft machen, das Publikum
will sich im Theater gut unterhalten -- an diesen beiden Tatsächlich-
keitcn kommt kein Gerechter vorbei. Daß gelegentlich auch vortreff¬
liche Stücke volle Häuser erzielen und daß manchmal sogar eine
wirkliche Dichtung die Kasse gefüllt hat, rettet uns, über Theater-
direktor und Publikum hinaus, die hohe Kunst. Dabei soll beiden keineswegs die
Empfänglichkeit, selbst die Liebe für das Drama großen Stils bestritten werden.
Kommt doch der Theaterdirektor zumeist aus den Gefilden der himmlischen Göttin,
hat ihr in seiner Jugend Roscntagen vielleicht begeistert gehuldigt, hat, soweit
Mcnschenwitz es vermag, an Ideale geglaubt, und wird es sich auch im sehr gesetzten
Mannesalter noch sehr ernstlich verbitten, mit gewöhnlichen Banknotenerraffern in
einem Atemzuge genannt zu werden. Ebensowenig lehnt der normale Theater¬
besucher eine Poetenschöpfung grundsätzlich und boshaft ab. Gewiß, er bevorzugt
die Hopps-Operetten, die Possen mit dürftigen, unaufdringlich geistlosen Kuplet-
'verser und entsprechend strammen Mädchenbeincn, aber wenn ihm eine fesselnde
Handlung begegnet, lehnt er sie nicht schon deshalb ab, weil ein Begnadeter sie
ersonnen hat. Dieselbe Aufnahmefähigkeit lind teilnahmsvolle Freude, die er ins
Kino mitbringt -- man ist von vornherein bereit, sich für sein einmal hingegebenes
Geld zu ergötzen und gibt nicht leicht zu, es an einen langweiligen Quark fort¬
geworfen zu haben --, dieselbe Aufnahmefähigkeit zeigt er auch im Theater. Ver¬
ständige Kritik kann ihn im redlichen Wollen bestärken und eine lange Wegstrecke
leiten. Wie sie andererseits den Theaterdirektor zu beeinflussen vermag. Wenigstens
die Herren der alten Schule lassen zuweilen an ihr Gewissen rühren, hören es dann
und wann gern, wenn sie literarischen Ehrgeizes bezichtigt werden, und nehmen, bei
sonst erbaulichen Geschäftsgang, diesem Lob zuliebe auch wohl eine Opferlast auf
sich. Von solchen, allerdings altfränkischen Wallungen bleiben grundsätzlich nur die
Kulissenschieber der neuesten Neuzeit verschont, die statt mit Stiefeln und Schmalz
zufällig mit Theateraufführungen handeln. Da sie Nichts zu verlieren und alles zu
gewinnen haben, sind sie sogar zynischer als ausgediente Literaten und ehemalige


7*
Das Berliner Bühnenelend

Wie sein bei ihm lebender Kollege, der mit ihm in einem anscheinend mehr
und mehr vertrauensvollen Verhältnis steht, mir mitteilte, sieht mein Gewährsmann
für die Zukunft Europas düster. Ihm liegen die Hauptschwierigkeiten auf dem
Gebiet der innerpolitischen Entwicklung und er befürchtet, daß im Falle eines uns
ungünstigen Ausganges des Krieges Deutschland schwere innere Unruhen nicht er¬
spart bleiben werden.




Das Berliner Vühnenelend

er Theaterdirektor will ein gutes Geschäft machen, das Publikum
will sich im Theater gut unterhalten — an diesen beiden Tatsächlich-
keitcn kommt kein Gerechter vorbei. Daß gelegentlich auch vortreff¬
liche Stücke volle Häuser erzielen und daß manchmal sogar eine
wirkliche Dichtung die Kasse gefüllt hat, rettet uns, über Theater-
direktor und Publikum hinaus, die hohe Kunst. Dabei soll beiden keineswegs die
Empfänglichkeit, selbst die Liebe für das Drama großen Stils bestritten werden.
Kommt doch der Theaterdirektor zumeist aus den Gefilden der himmlischen Göttin,
hat ihr in seiner Jugend Roscntagen vielleicht begeistert gehuldigt, hat, soweit
Mcnschenwitz es vermag, an Ideale geglaubt, und wird es sich auch im sehr gesetzten
Mannesalter noch sehr ernstlich verbitten, mit gewöhnlichen Banknotenerraffern in
einem Atemzuge genannt zu werden. Ebensowenig lehnt der normale Theater¬
besucher eine Poetenschöpfung grundsätzlich und boshaft ab. Gewiß, er bevorzugt
die Hopps-Operetten, die Possen mit dürftigen, unaufdringlich geistlosen Kuplet-
'verser und entsprechend strammen Mädchenbeincn, aber wenn ihm eine fesselnde
Handlung begegnet, lehnt er sie nicht schon deshalb ab, weil ein Begnadeter sie
ersonnen hat. Dieselbe Aufnahmefähigkeit lind teilnahmsvolle Freude, die er ins
Kino mitbringt — man ist von vornherein bereit, sich für sein einmal hingegebenes
Geld zu ergötzen und gibt nicht leicht zu, es an einen langweiligen Quark fort¬
geworfen zu haben —, dieselbe Aufnahmefähigkeit zeigt er auch im Theater. Ver¬
ständige Kritik kann ihn im redlichen Wollen bestärken und eine lange Wegstrecke
leiten. Wie sie andererseits den Theaterdirektor zu beeinflussen vermag. Wenigstens
die Herren der alten Schule lassen zuweilen an ihr Gewissen rühren, hören es dann
und wann gern, wenn sie literarischen Ehrgeizes bezichtigt werden, und nehmen, bei
sonst erbaulichen Geschäftsgang, diesem Lob zuliebe auch wohl eine Opferlast auf
sich. Von solchen, allerdings altfränkischen Wallungen bleiben grundsätzlich nur die
Kulissenschieber der neuesten Neuzeit verschont, die statt mit Stiefeln und Schmalz
zufällig mit Theateraufführungen handeln. Da sie Nichts zu verlieren und alles zu
gewinnen haben, sind sie sogar zynischer als ausgediente Literaten und ehemalige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/111>, abgerufen am 22.07.2024.