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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

dafür, daß Rußland die Grenze des deutschen Volkstums achtet, auch über die
jetzigen Grenzen Deutschlands hinaus. Den Friedensvertrag von Versailles
werden wir nach bester Kraft erfüllen und uns durch unsere Arbeit Vertrauen
erwerben in der ganzen Welt. Aber niemals wird sich ein Deutscher dazu bereit
finden, Rußlands Feinden mittelbar oder unmittelbar zu helfen, solange Rußland
unsere Grenzen achtet.

Uns liegt die große Aufgabe ob, die Lösung des asiatisch-europäischen
Problems zu finden, soweit es im Gegensatz zwischen extremen Kapitalismus
und seiner Verneinung, dem Bolschewismus liegt. Verfallen wir selbst dem uns
wesensfremden Bolschewismus in irgend einer Form, entwickeln wir nicht aus
uns selbst und in unserem Volke die Lösung der großen Frage der verantwort¬
lichen, freudigen Teilnahme aller Schichten des Volkes und jedes einzelnen am
wirtschaftlichen und öffentlichen Leben, so ist unsere Zukunft dahin, so gehen
wir unter in einer Bewegung, die uus tötet und verschlingt, weil sie unserer
Wesensart nicht entspricht. Die religiöse Auffassung des Russentums läßt den
einzelnen in der Allheit aufgehen, germanischer Glaube erblickt in der Erlösung
des einzelnen, des Individuums den Weg zur religiösen Erlösung der Gesamtheit.
Hier liegen die tiefsten Wurzeln der grundlegenden Unterschiede des russischen
Bolschewismus gegenüber der germanischen Auffassung des Sozialismus.
Beide Völker müssen den Weg gehen, der ihrer Eigenart entspricht. Die Frage,
ob wir an unserer Eigenart festhalten und auf ihr weiterbauen oder ob wir von
dem russischen Jdeenkreis überwunden werden, entscheidet über die Zukunft
des Deutschen schlechthin, entscheidet darüber, ob wir dem asiatischen Problem
gegenüber handelnd und schaffend uns behaupten oder leidend von ihm ver¬
schlungen werden. Sie entscheidet darüber, ob Deutsche und Slaven sich fördernd
und gegenseitig ergänzend an der Zukunft bauen oder ob das Deutsche im
Slaventum untergeht. In den innersten, den religiösen Kräften, im Behaupten
der Eigenart und im Weiterbau auf ihr ist das Schicksal der Völker beschlossen.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling
et9I5--
von VI.

Luzern, den 30. Juni 1916.

Was die politische Gesamtanlage anlangt, so sieht Graf L,, den ich im Auftrag
Eurer Exzellenz besuchte, mit schwerer Sorge in die Zukunft. Er ist auf Grund
der ihm von England zugehenden Nachrichten überzeugt, daß England noch einen
weiteren Winter 1916/17 kämpfen will und befürchtet, daß es der englischen
Diplomatie gelingen wird, die Verbündeten bei der Stange zu halten, ganz besonders
nachdem ihnen der Gang der Operationen in der Bukowina und der Rückzug der
Österreicher aus Oberitalien neuen Mut und neue Zuversicht eingeflößt hätten.
Hierzu komme noch, daß, soweit er die Sache überschauen könne, die Ernte in


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

dafür, daß Rußland die Grenze des deutschen Volkstums achtet, auch über die
jetzigen Grenzen Deutschlands hinaus. Den Friedensvertrag von Versailles
werden wir nach bester Kraft erfüllen und uns durch unsere Arbeit Vertrauen
erwerben in der ganzen Welt. Aber niemals wird sich ein Deutscher dazu bereit
finden, Rußlands Feinden mittelbar oder unmittelbar zu helfen, solange Rußland
unsere Grenzen achtet.

Uns liegt die große Aufgabe ob, die Lösung des asiatisch-europäischen
Problems zu finden, soweit es im Gegensatz zwischen extremen Kapitalismus
und seiner Verneinung, dem Bolschewismus liegt. Verfallen wir selbst dem uns
wesensfremden Bolschewismus in irgend einer Form, entwickeln wir nicht aus
uns selbst und in unserem Volke die Lösung der großen Frage der verantwort¬
lichen, freudigen Teilnahme aller Schichten des Volkes und jedes einzelnen am
wirtschaftlichen und öffentlichen Leben, so ist unsere Zukunft dahin, so gehen
wir unter in einer Bewegung, die uus tötet und verschlingt, weil sie unserer
Wesensart nicht entspricht. Die religiöse Auffassung des Russentums läßt den
einzelnen in der Allheit aufgehen, germanischer Glaube erblickt in der Erlösung
des einzelnen, des Individuums den Weg zur religiösen Erlösung der Gesamtheit.
Hier liegen die tiefsten Wurzeln der grundlegenden Unterschiede des russischen
Bolschewismus gegenüber der germanischen Auffassung des Sozialismus.
Beide Völker müssen den Weg gehen, der ihrer Eigenart entspricht. Die Frage,
ob wir an unserer Eigenart festhalten und auf ihr weiterbauen oder ob wir von
dem russischen Jdeenkreis überwunden werden, entscheidet über die Zukunft
des Deutschen schlechthin, entscheidet darüber, ob wir dem asiatischen Problem
gegenüber handelnd und schaffend uns behaupten oder leidend von ihm ver¬
schlungen werden. Sie entscheidet darüber, ob Deutsche und Slaven sich fördernd
und gegenseitig ergänzend an der Zukunft bauen oder ob das Deutsche im
Slaventum untergeht. In den innersten, den religiösen Kräften, im Behaupten
der Eigenart und im Weiterbau auf ihr ist das Schicksal der Völker beschlossen.




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling
et9I5—
von VI.

Luzern, den 30. Juni 1916.

Was die politische Gesamtanlage anlangt, so sieht Graf L,, den ich im Auftrag
Eurer Exzellenz besuchte, mit schwerer Sorge in die Zukunft. Er ist auf Grund
der ihm von England zugehenden Nachrichten überzeugt, daß England noch einen
weiteren Winter 1916/17 kämpfen will und befürchtet, daß es der englischen
Diplomatie gelingen wird, die Verbündeten bei der Stange zu halten, ganz besonders
nachdem ihnen der Gang der Operationen in der Bukowina und der Rückzug der
Österreicher aus Oberitalien neuen Mut und neue Zuversicht eingeflößt hätten.
Hierzu komme noch, daß, soweit er die Sache überschauen könne, die Ernte in


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[0107] Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling dafür, daß Rußland die Grenze des deutschen Volkstums achtet, auch über die jetzigen Grenzen Deutschlands hinaus. Den Friedensvertrag von Versailles werden wir nach bester Kraft erfüllen und uns durch unsere Arbeit Vertrauen erwerben in der ganzen Welt. Aber niemals wird sich ein Deutscher dazu bereit finden, Rußlands Feinden mittelbar oder unmittelbar zu helfen, solange Rußland unsere Grenzen achtet. Uns liegt die große Aufgabe ob, die Lösung des asiatisch-europäischen Problems zu finden, soweit es im Gegensatz zwischen extremen Kapitalismus und seiner Verneinung, dem Bolschewismus liegt. Verfallen wir selbst dem uns wesensfremden Bolschewismus in irgend einer Form, entwickeln wir nicht aus uns selbst und in unserem Volke die Lösung der großen Frage der verantwort¬ lichen, freudigen Teilnahme aller Schichten des Volkes und jedes einzelnen am wirtschaftlichen und öffentlichen Leben, so ist unsere Zukunft dahin, so gehen wir unter in einer Bewegung, die uus tötet und verschlingt, weil sie unserer Wesensart nicht entspricht. Die religiöse Auffassung des Russentums läßt den einzelnen in der Allheit aufgehen, germanischer Glaube erblickt in der Erlösung des einzelnen, des Individuums den Weg zur religiösen Erlösung der Gesamtheit. Hier liegen die tiefsten Wurzeln der grundlegenden Unterschiede des russischen Bolschewismus gegenüber der germanischen Auffassung des Sozialismus. Beide Völker müssen den Weg gehen, der ihrer Eigenart entspricht. Die Frage, ob wir an unserer Eigenart festhalten und auf ihr weiterbauen oder ob wir von dem russischen Jdeenkreis überwunden werden, entscheidet über die Zukunft des Deutschen schlechthin, entscheidet darüber, ob wir dem asiatischen Problem gegenüber handelnd und schaffend uns behaupten oder leidend von ihm ver¬ schlungen werden. Sie entscheidet darüber, ob Deutsche und Slaven sich fördernd und gegenseitig ergänzend an der Zukunft bauen oder ob das Deutsche im Slaventum untergeht. In den innersten, den religiösen Kräften, im Behaupten der Eigenart und im Weiterbau auf ihr ist das Schicksal der Völker beschlossen. Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling et9I5— von VI. Luzern, den 30. Juni 1916. Was die politische Gesamtanlage anlangt, so sieht Graf L,, den ich im Auftrag Eurer Exzellenz besuchte, mit schwerer Sorge in die Zukunft. Er ist auf Grund der ihm von England zugehenden Nachrichten überzeugt, daß England noch einen weiteren Winter 1916/17 kämpfen will und befürchtet, daß es der englischen Diplomatie gelingen wird, die Verbündeten bei der Stange zu halten, ganz besonders nachdem ihnen der Gang der Operationen in der Bukowina und der Rückzug der Österreicher aus Oberitalien neuen Mut und neue Zuversicht eingeflößt hätten. Hierzu komme noch, daß, soweit er die Sache überschauen könne, die Ernte in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/107>, abgerufen am 22.07.2024.