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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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pas asiatische Problem

aller Sekten ausgelöst. Die Hindus schließen sich ihnen an. Ende Mürz 1920
hat eine indische Kalifatsdelegation bei Lloyd George gefordert, daß der Kauf
seiner weltlichen Macht nicht entkleidet werden dürfe, daß er Schirmherr der
heiligen Stätten bleiben müsse, ob sie nun wie Mekka und Medina an den von
Englands Gnaden geschaffenen König Hussein von Hedschas überwiesen, oder
wie Jerusalem und die in Mesopotamien gelegenen heiligen Stätten unter
englisches Protektorat gestellt sind.

Die arabischen Stämme, denen englische Propaganda seit Jahren Be¬
freiung von der türkischen Herrschaft verheißen hatte, sind nicht gewillt, sich an
Stelle des erhofften großarabischen Staatswesens in Mesopotamien und Syrien
englischem oder französischem Einfluß zu unterwerfen.

Ein Abkommen, das England am 9. August 1919 mit der schwachen Re¬
gierung in Teheran schloß, sollte aus Persien ein zweites Aegypten machen.
Unter Kutschuk Khan erhoben sich aber im Bündnis mit dem Bolschewismus
die kriegerischen Stämme Nordwestpersiens gegen England und die von England
abhängigen persischen Kreise.

So bebt es in der ganzen islamischen Welt, gard es in Indien und Aegypten,
flammt in Kleinasien unter Mustafa Kemal Pascha offener Krieg gegen Eng¬
länder und Franzosen und die im englischen Sold kümpfenden Griechen auf.
Und gleichzeitig verknüpft sich in Indien, den indischen Raubstaaten, Persien,
der Türkei die bolschewistische Agitation, die Politik Tschitscherins mit der Be¬
wegung im Islam.

England hat die Gefahr erkannt, die ihm aus dein Zusammenarbeiten
des Bolschewismus und des Islam in einer asiatisch-imperialistischen Idee
erwächst. Darauf vertrauend, daß es der islamischen Bewegung Herr werden
wird, sucht es den Bolschewismus von ihr zu trennen. Und so strebte es zunächst
danach, den Bolschewismus mit Gewalt zu stürzen und das russische Reich
dem System der europäischen Demokratien einzuordnen. Es unterstützte die
gegenrevolutionären russischen Generale, suchte selbst durch Truppenlandungen
in Archangelsk und Odessa einzugreifen und hat vou dem Vorstoß der Polen
gegen Sowjetrußland im April 1920 wohl den Zusammenbruch der bolsche¬
wistischen Herrschaft erhofft. Der Erfolg blieb aus. Die Angriffe von außen
stärkten die militärischen Kräfte der russischen Revolution, die sich nicht allein
behauptete, souderu siegreich alle ihre Geguer niederschlug, zuletzt in dem
größten Kriege, den sie bisher zu führen hatte, den russischen Nationalfeind,
den Staat, der Deutschland für immer von Rußland trennen sollte, die Polen.

Und so beginnt Englands Politik, in der Erkenntnis, daß das neu erstehende
Rußland mit Waffengewalt nicht niederzuwerfen ist, schon seit Monaten um¬
zuschwenken und versucht, wirtschaftliche Beziehungen zu Nußland anzuknüpfen,
dnrch sie die von Asien drohende Gefahr zu bannen. Und sie schlägt Rußland
jüngst Waffenstillstand und Frieden vor und fordert von ihm das Ende des
Krieges gegen Polen.

Die Sowjetregierung fordert ihrerseits vor allem Anerkennung durch die
westeuropäischen Großmächte. Gleichzeitig aber verhehlt sie nicht, daß sie wirt¬
schaftliche Zusammenarbeit mit anderen Industriestaaten dringend braucht.
Denn der Bolschewismus hat Rußlands Wirtschaft, seine Industrie, sein Trans-


pas asiatische Problem

aller Sekten ausgelöst. Die Hindus schließen sich ihnen an. Ende Mürz 1920
hat eine indische Kalifatsdelegation bei Lloyd George gefordert, daß der Kauf
seiner weltlichen Macht nicht entkleidet werden dürfe, daß er Schirmherr der
heiligen Stätten bleiben müsse, ob sie nun wie Mekka und Medina an den von
Englands Gnaden geschaffenen König Hussein von Hedschas überwiesen, oder
wie Jerusalem und die in Mesopotamien gelegenen heiligen Stätten unter
englisches Protektorat gestellt sind.

Die arabischen Stämme, denen englische Propaganda seit Jahren Be¬
freiung von der türkischen Herrschaft verheißen hatte, sind nicht gewillt, sich an
Stelle des erhofften großarabischen Staatswesens in Mesopotamien und Syrien
englischem oder französischem Einfluß zu unterwerfen.

Ein Abkommen, das England am 9. August 1919 mit der schwachen Re¬
gierung in Teheran schloß, sollte aus Persien ein zweites Aegypten machen.
Unter Kutschuk Khan erhoben sich aber im Bündnis mit dem Bolschewismus
die kriegerischen Stämme Nordwestpersiens gegen England und die von England
abhängigen persischen Kreise.

So bebt es in der ganzen islamischen Welt, gard es in Indien und Aegypten,
flammt in Kleinasien unter Mustafa Kemal Pascha offener Krieg gegen Eng¬
länder und Franzosen und die im englischen Sold kümpfenden Griechen auf.
Und gleichzeitig verknüpft sich in Indien, den indischen Raubstaaten, Persien,
der Türkei die bolschewistische Agitation, die Politik Tschitscherins mit der Be¬
wegung im Islam.

England hat die Gefahr erkannt, die ihm aus dein Zusammenarbeiten
des Bolschewismus und des Islam in einer asiatisch-imperialistischen Idee
erwächst. Darauf vertrauend, daß es der islamischen Bewegung Herr werden
wird, sucht es den Bolschewismus von ihr zu trennen. Und so strebte es zunächst
danach, den Bolschewismus mit Gewalt zu stürzen und das russische Reich
dem System der europäischen Demokratien einzuordnen. Es unterstützte die
gegenrevolutionären russischen Generale, suchte selbst durch Truppenlandungen
in Archangelsk und Odessa einzugreifen und hat vou dem Vorstoß der Polen
gegen Sowjetrußland im April 1920 wohl den Zusammenbruch der bolsche¬
wistischen Herrschaft erhofft. Der Erfolg blieb aus. Die Angriffe von außen
stärkten die militärischen Kräfte der russischen Revolution, die sich nicht allein
behauptete, souderu siegreich alle ihre Geguer niederschlug, zuletzt in dem
größten Kriege, den sie bisher zu führen hatte, den russischen Nationalfeind,
den Staat, der Deutschland für immer von Rußland trennen sollte, die Polen.

Und so beginnt Englands Politik, in der Erkenntnis, daß das neu erstehende
Rußland mit Waffengewalt nicht niederzuwerfen ist, schon seit Monaten um¬
zuschwenken und versucht, wirtschaftliche Beziehungen zu Nußland anzuknüpfen,
dnrch sie die von Asien drohende Gefahr zu bannen. Und sie schlägt Rußland
jüngst Waffenstillstand und Frieden vor und fordert von ihm das Ende des
Krieges gegen Polen.

Die Sowjetregierung fordert ihrerseits vor allem Anerkennung durch die
westeuropäischen Großmächte. Gleichzeitig aber verhehlt sie nicht, daß sie wirt¬
schaftliche Zusammenarbeit mit anderen Industriestaaten dringend braucht.
Denn der Bolschewismus hat Rußlands Wirtschaft, seine Industrie, sein Trans-


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[0105] pas asiatische Problem aller Sekten ausgelöst. Die Hindus schließen sich ihnen an. Ende Mürz 1920 hat eine indische Kalifatsdelegation bei Lloyd George gefordert, daß der Kauf seiner weltlichen Macht nicht entkleidet werden dürfe, daß er Schirmherr der heiligen Stätten bleiben müsse, ob sie nun wie Mekka und Medina an den von Englands Gnaden geschaffenen König Hussein von Hedschas überwiesen, oder wie Jerusalem und die in Mesopotamien gelegenen heiligen Stätten unter englisches Protektorat gestellt sind. Die arabischen Stämme, denen englische Propaganda seit Jahren Be¬ freiung von der türkischen Herrschaft verheißen hatte, sind nicht gewillt, sich an Stelle des erhofften großarabischen Staatswesens in Mesopotamien und Syrien englischem oder französischem Einfluß zu unterwerfen. Ein Abkommen, das England am 9. August 1919 mit der schwachen Re¬ gierung in Teheran schloß, sollte aus Persien ein zweites Aegypten machen. Unter Kutschuk Khan erhoben sich aber im Bündnis mit dem Bolschewismus die kriegerischen Stämme Nordwestpersiens gegen England und die von England abhängigen persischen Kreise. So bebt es in der ganzen islamischen Welt, gard es in Indien und Aegypten, flammt in Kleinasien unter Mustafa Kemal Pascha offener Krieg gegen Eng¬ länder und Franzosen und die im englischen Sold kümpfenden Griechen auf. Und gleichzeitig verknüpft sich in Indien, den indischen Raubstaaten, Persien, der Türkei die bolschewistische Agitation, die Politik Tschitscherins mit der Be¬ wegung im Islam. England hat die Gefahr erkannt, die ihm aus dein Zusammenarbeiten des Bolschewismus und des Islam in einer asiatisch-imperialistischen Idee erwächst. Darauf vertrauend, daß es der islamischen Bewegung Herr werden wird, sucht es den Bolschewismus von ihr zu trennen. Und so strebte es zunächst danach, den Bolschewismus mit Gewalt zu stürzen und das russische Reich dem System der europäischen Demokratien einzuordnen. Es unterstützte die gegenrevolutionären russischen Generale, suchte selbst durch Truppenlandungen in Archangelsk und Odessa einzugreifen und hat vou dem Vorstoß der Polen gegen Sowjetrußland im April 1920 wohl den Zusammenbruch der bolsche¬ wistischen Herrschaft erhofft. Der Erfolg blieb aus. Die Angriffe von außen stärkten die militärischen Kräfte der russischen Revolution, die sich nicht allein behauptete, souderu siegreich alle ihre Geguer niederschlug, zuletzt in dem größten Kriege, den sie bisher zu führen hatte, den russischen Nationalfeind, den Staat, der Deutschland für immer von Rußland trennen sollte, die Polen. Und so beginnt Englands Politik, in der Erkenntnis, daß das neu erstehende Rußland mit Waffengewalt nicht niederzuwerfen ist, schon seit Monaten um¬ zuschwenken und versucht, wirtschaftliche Beziehungen zu Nußland anzuknüpfen, dnrch sie die von Asien drohende Gefahr zu bannen. Und sie schlägt Rußland jüngst Waffenstillstand und Frieden vor und fordert von ihm das Ende des Krieges gegen Polen. Die Sowjetregierung fordert ihrerseits vor allem Anerkennung durch die westeuropäischen Großmächte. Gleichzeitig aber verhehlt sie nicht, daß sie wirt¬ schaftliche Zusammenarbeit mit anderen Industriestaaten dringend braucht. Denn der Bolschewismus hat Rußlands Wirtschaft, seine Industrie, sein Trans-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/105>, abgerufen am 22.07.2024.