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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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antike Uhr. Ohne auf Einzelheiten des außer¬
ordentlich vielseitigen Inhalts eingehen zu
können, will ich nur einiges hervorheben, was
uns zeigt, wie meisterhaft die Techniker des
Altertums ihren Berufsgenossen von heute
auf verschiedenen Gebieten vorgearbeitet haben.

Aus Herodot wissen wir von der um die
Mitte des 6. Jahrhunderts hergestellten Wasser¬
leitung des Eupalinos auf Samos; sie durch¬
bohrte in einem kilometerlangen Tunnel den
Berg Kastro und ist durch deutsche Grabungen
in den achtziger Jahren des vorigen Jahr¬
hunderts wieder aufgefunden worden. Mit
Recht macht Diels darauf aufmerksam, daß
es mit den damaligen Hilfsmitteln wahrhaftig
nichts geringes war, den Berg von beiden
Seiten her anzubohren und die Richtungslinie
des Tunnels geometrisch festzustellen. Zum
Glück hat uns der alerandrinische Mathematiker
Heron in einer seiner Schriften überliefert,
wie man durch eine Reihe von rechtwinkligen
Koordinaten und Dreieckskvnstruktionen solche
Nivellements festzulegen pflegte.

Von einem ebenso vorbildlichen Hand-
inhandgehen der Mechanik und der medizini¬
schen Wissenschaft legen noch heut? die wunder¬
voll gearbeiteten ärztlichen Bestecke, die in
großer Zahl durch die Ausgrabungen wieder
zutage gefördert worden sind, ein glänzendes
Zeugnis ab. Wird uns doch sogar berichtet,
daß es der antiken Feinmechanik gelungen sei,
eine Taschenwasseruhr herzustellen, mit der
Herophilos, einer der bedeutendsten Arzte aller
Zeiten, die Fibcrtemperatur seiner Kranken maß.

Wenn dann aber Diels am Ende des
ersten Vortrags die Frage auswirft, wie es
wohl zu erklären sei, daß das Interesse des
Altertums an den technischen Erfindungen und
an der Persönlichkeit der Erfinder -- vielleicht
mit der einzigen Ausnahme des Archimedes
von Shrakus -- außerhalb der Fachwissen¬
schaft recht gering war, und wenn er dafür
vor allem den aristokratischen Zug der Antike
verantwortlich macht, so wird man sich wohl
hüten müssen, deshalb vom heutigen Stand¬
punkt aus auf die antike Gesellschaft einen
Stein z" werfen oder gar zu folgern, daß
damit die Unbrauchbarkeit des Studiums der
Antike für unsere Zeit erwiesen sei. Wir
sollen uns dessen bewußt bleiben, daß es auch
heute noch oder vielmehr auch heute wieder

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das Ziel aller Pädagogische!? Kunst sein muß,
wcltoffene Anschauung und praktische Fertig¬
keit, verbunden mit Wissen und wissenschaft¬
licher Einsicht, in der Jugend zu wecken und
sie vor banausischem Schabloncnbetrieb zu be¬
wahren.

Danach wird man auch verstehen, daß den
von Diels behandelten technischen Fragen aus
der Antike eine besondere Bedeutung zukommt.
Denn es ist gewiß nicht gleichgültig, ob sich
beispielsweise unsere Gymnasiasten damit be¬
gnügen, bei Homer obenhin zu lesen, Penelope
habe die Tür zur Wohnung ihres Palastes
geöffnet, oder ob ihnen bis ins einzelste klar¬
gemacht wird, wie so eine Tiir gebaut war,
wie der Schlüssel aussah, wie mit ihm ge¬
öffnet und geschlossen wurde, und wie man
allmählich die Schlösser vervollkommnete bis
zum antiken Sicherheitsschloß. Wenn sie dann
bei dieser Gelegenheit noch erfahren, daß
unsere Kriegsteilnehmer im Südosten fast noch
dieselben Einrichtungen wie im Altertum an¬
getroffen haben, so werden sie auch daraus
etwas lernen können.

Von Dampfmaschinen in: Altertum kann
höchstens in dem Sinne gesprochen werden,
daß Heron mit seiner Äolipila oder Dampf¬
kugel tatsächlich den Beweis von der be¬
wegenden Kraft des Dampfes erbracht hat;
zu einer praktischen Verwendung dieser Er¬
kenntnis ist es aber nicht gekommen. Dagegen
sind unsere Verkaufsautomaten ebenso wie die
Taxameterwagcn völlig den Vorbildern aus
dem Altertum: nachgestaltet, und Beschreibungen
sowohl wie Funde lassen uns erkennen, daß
die antike Technik hier auf Bahnen gewandelt
ist, die wir früher als vollkommen ncuzcitlich
anzusehen gewohnt waren.

Bei dem, was Diels als antike Tclcgraphic
bezeichnet, handelt es sich in der Hauptsache
nur um Feuer- und Lichtsignale, die in Ver¬
bindung mit verabredeten Zeichen eine leidliche
Fcrnverständigung ermöglichten. Ebenso kam
auch die "antike Artillerie" mit ihren Kata¬
pulten und Ballisten nicht über die Verwendung
von Sehncnbündeln zur Erzeugung der treiben¬
den Kraft hinaus. Immerhin erfüllt es uns
mit Staunen, im sog. Polyöolon den Vor¬
gänger unserer Mehrlader, im Monankon oder
Onager das Vorbild der modernen Minen¬
werfer wiederzufinden. Eine von Ktesibios im

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antike Uhr. Ohne auf Einzelheiten des außer¬
ordentlich vielseitigen Inhalts eingehen zu
können, will ich nur einiges hervorheben, was
uns zeigt, wie meisterhaft die Techniker des
Altertums ihren Berufsgenossen von heute
auf verschiedenen Gebieten vorgearbeitet haben.

Aus Herodot wissen wir von der um die
Mitte des 6. Jahrhunderts hergestellten Wasser¬
leitung des Eupalinos auf Samos; sie durch¬
bohrte in einem kilometerlangen Tunnel den
Berg Kastro und ist durch deutsche Grabungen
in den achtziger Jahren des vorigen Jahr¬
hunderts wieder aufgefunden worden. Mit
Recht macht Diels darauf aufmerksam, daß
es mit den damaligen Hilfsmitteln wahrhaftig
nichts geringes war, den Berg von beiden
Seiten her anzubohren und die Richtungslinie
des Tunnels geometrisch festzustellen. Zum
Glück hat uns der alerandrinische Mathematiker
Heron in einer seiner Schriften überliefert,
wie man durch eine Reihe von rechtwinkligen
Koordinaten und Dreieckskvnstruktionen solche
Nivellements festzulegen pflegte.

Von einem ebenso vorbildlichen Hand-
inhandgehen der Mechanik und der medizini¬
schen Wissenschaft legen noch heut? die wunder¬
voll gearbeiteten ärztlichen Bestecke, die in
großer Zahl durch die Ausgrabungen wieder
zutage gefördert worden sind, ein glänzendes
Zeugnis ab. Wird uns doch sogar berichtet,
daß es der antiken Feinmechanik gelungen sei,
eine Taschenwasseruhr herzustellen, mit der
Herophilos, einer der bedeutendsten Arzte aller
Zeiten, die Fibcrtemperatur seiner Kranken maß.

Wenn dann aber Diels am Ende des
ersten Vortrags die Frage auswirft, wie es
wohl zu erklären sei, daß das Interesse des
Altertums an den technischen Erfindungen und
an der Persönlichkeit der Erfinder — vielleicht
mit der einzigen Ausnahme des Archimedes
von Shrakus — außerhalb der Fachwissen¬
schaft recht gering war, und wenn er dafür
vor allem den aristokratischen Zug der Antike
verantwortlich macht, so wird man sich wohl
hüten müssen, deshalb vom heutigen Stand¬
punkt aus auf die antike Gesellschaft einen
Stein z» werfen oder gar zu folgern, daß
damit die Unbrauchbarkeit des Studiums der
Antike für unsere Zeit erwiesen sei. Wir
sollen uns dessen bewußt bleiben, daß es auch
heute noch oder vielmehr auch heute wieder

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das Ziel aller Pädagogische!? Kunst sein muß,
wcltoffene Anschauung und praktische Fertig¬
keit, verbunden mit Wissen und wissenschaft¬
licher Einsicht, in der Jugend zu wecken und
sie vor banausischem Schabloncnbetrieb zu be¬
wahren.

Danach wird man auch verstehen, daß den
von Diels behandelten technischen Fragen aus
der Antike eine besondere Bedeutung zukommt.
Denn es ist gewiß nicht gleichgültig, ob sich
beispielsweise unsere Gymnasiasten damit be¬
gnügen, bei Homer obenhin zu lesen, Penelope
habe die Tür zur Wohnung ihres Palastes
geöffnet, oder ob ihnen bis ins einzelste klar¬
gemacht wird, wie so eine Tiir gebaut war,
wie der Schlüssel aussah, wie mit ihm ge¬
öffnet und geschlossen wurde, und wie man
allmählich die Schlösser vervollkommnete bis
zum antiken Sicherheitsschloß. Wenn sie dann
bei dieser Gelegenheit noch erfahren, daß
unsere Kriegsteilnehmer im Südosten fast noch
dieselben Einrichtungen wie im Altertum an¬
getroffen haben, so werden sie auch daraus
etwas lernen können.

Von Dampfmaschinen in: Altertum kann
höchstens in dem Sinne gesprochen werden,
daß Heron mit seiner Äolipila oder Dampf¬
kugel tatsächlich den Beweis von der be¬
wegenden Kraft des Dampfes erbracht hat;
zu einer praktischen Verwendung dieser Er¬
kenntnis ist es aber nicht gekommen. Dagegen
sind unsere Verkaufsautomaten ebenso wie die
Taxameterwagcn völlig den Vorbildern aus
dem Altertum: nachgestaltet, und Beschreibungen
sowohl wie Funde lassen uns erkennen, daß
die antike Technik hier auf Bahnen gewandelt
ist, die wir früher als vollkommen ncuzcitlich
anzusehen gewohnt waren.

Bei dem, was Diels als antike Tclcgraphic
bezeichnet, handelt es sich in der Hauptsache
nur um Feuer- und Lichtsignale, die in Ver¬
bindung mit verabredeten Zeichen eine leidliche
Fcrnverständigung ermöglichten. Ebenso kam
auch die „antike Artillerie" mit ihren Kata¬
pulten und Ballisten nicht über die Verwendung
von Sehncnbündeln zur Erzeugung der treiben¬
den Kraft hinaus. Immerhin erfüllt es uns
mit Staunen, im sog. Polyöolon den Vor¬
gänger unserer Mehrlader, im Monankon oder
Onager das Vorbild der modernen Minen¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/394>, abgerufen am 02.07.2024.