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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

nicht bestehen: auf dem Gebiet der Auslandspolitik ist Fürst Bülow heute unsere
stärkste Nummer, und wer dazu beiträgt, sie aus dem wahrhaftig schweren
Friedenswerke, das uus erwartet, auszuscheiden, macht sich einer Schädigung
unserer vaterländischen Interessen schuldig, die dadurch geradezu zum Vergehen
wird, daß wohl zum größten Teil Motive persönlicher Kleinlichkeit und Ge¬
hässigkeit das Wort führen.




Zürich, den 26. November 1915.

Euer Exzellenz haben mich gewiß nicht als Pessimisten in Erinnerung.
Ich muß aber immerhin sagen, daß, wenn ich das, was aus den wohlabgewogenen
Darlegungen des Monsignore Marchetti heraustönt, mit den Eindrücken zu¬
sammenhalte, die ich aus einer Reihe anderer vertraulicher Besprechungen gc-
wonnenhabe,diesdazu angetan ist, einen imneutralen Auslandlebenden Deutschen
mit schwerer Sorge zu erfüllen. Wir dürfen uns nach influer aufrichtigen Über¬
zeugung keinem Zweifel darüber hingeben, daß der Krieg, in den wir wider
unseren Willen und noch dazu mit dem Makel des Friedensstörers behaftet ver¬
wickelt worden sind, aller militärischen Erfolge und all der riesenhaften Leistungen
der Nation ungeachtet, vom Vierverband jetzt erst als in der Wendung zum
Besseren befindlich erachtet wird. Was ich aus Bern höre, was ich insbesondere
von einem ebenso klugen wie weitschauenden Mitglied einer Zentralstelle der
römischen Kurie gehört habe, kann mich nur in dem Eindruck bestärken, daß
unsere Gegner die Stunde für gekommen erachten, in der das Rad unseres
Kriegsglückes den toten Punkt erreicht hat und langsam wieder zurückrollt.
Unsere Gegner setzen diese ihre Erwartung auf die mehr und mehr sich steigernden
Entfernungen unserer militärischen Operationen vom Heimatland und auf den
dadurch naturgemäß bedingten Mehrverbranch an Menschenkraft zwecks Auf¬
rechterhaltung der rückwärtigen Verbindungen. Es ist außerordentlich schwierig,
diesen Erwägungen gegenüber, die die Gesetze der Mathematik und damit einer
gewissermaßen unerbittlichen und unabänderlichen Logik für sich haben, die
ruhige Zuversicht zu bewahren. Wenn ich die deutsche Presse ansehe, dann aller¬
dings besteht ja kein Anlaß zu Befürchtungen. Genau dasselbe aber, was für
Deutschland gilt, nämlich, daß die Kriegsmüdigkeit des Volkes durch die Äuße¬
rungen der Presse und die Kundgebungen der Regierung mit Geschick, wenn
auch etwas mühsam, verschleiert wird, trifft für unsere Gegner zu. Herr Y-,
auf dessen klaren, ruhigen und verlässigen Bericht ich Euer Exzellenz nicht genug
aufmerksam machen kann, bemerkt sehr richtig, daß dies die Grundnote der
Stimmung in allen kriegführenden Staaten sei. Überall dasselbe Schauspiel:
An der Front heldenhafter Opfermut (von unseren Gegnern etwas anderes zu
behaupten, wäre freventlicher Leichtsinn), überall daheim zu Hause dieselbe
stille Verdrossenheit, dasselbe wachsende Mißvergnügen über die Eingriffe in
das Leben und die Wirtschaftsgebarung des einzelnen und überall dieselbe
laut tönende, wenn auch vielleicht innerlich nicht fehr gesicherte Sprache derer,,
die diesen Krieg mit ihrer Verantwortlichkeit decken und die dereinst vor dem
Schuldgericht ihrer Nationen als Angeklagte werden bestehen müssen.


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

nicht bestehen: auf dem Gebiet der Auslandspolitik ist Fürst Bülow heute unsere
stärkste Nummer, und wer dazu beiträgt, sie aus dem wahrhaftig schweren
Friedenswerke, das uus erwartet, auszuscheiden, macht sich einer Schädigung
unserer vaterländischen Interessen schuldig, die dadurch geradezu zum Vergehen
wird, daß wohl zum größten Teil Motive persönlicher Kleinlichkeit und Ge¬
hässigkeit das Wort führen.




Zürich, den 26. November 1915.

Euer Exzellenz haben mich gewiß nicht als Pessimisten in Erinnerung.
Ich muß aber immerhin sagen, daß, wenn ich das, was aus den wohlabgewogenen
Darlegungen des Monsignore Marchetti heraustönt, mit den Eindrücken zu¬
sammenhalte, die ich aus einer Reihe anderer vertraulicher Besprechungen gc-
wonnenhabe,diesdazu angetan ist, einen imneutralen Auslandlebenden Deutschen
mit schwerer Sorge zu erfüllen. Wir dürfen uns nach influer aufrichtigen Über¬
zeugung keinem Zweifel darüber hingeben, daß der Krieg, in den wir wider
unseren Willen und noch dazu mit dem Makel des Friedensstörers behaftet ver¬
wickelt worden sind, aller militärischen Erfolge und all der riesenhaften Leistungen
der Nation ungeachtet, vom Vierverband jetzt erst als in der Wendung zum
Besseren befindlich erachtet wird. Was ich aus Bern höre, was ich insbesondere
von einem ebenso klugen wie weitschauenden Mitglied einer Zentralstelle der
römischen Kurie gehört habe, kann mich nur in dem Eindruck bestärken, daß
unsere Gegner die Stunde für gekommen erachten, in der das Rad unseres
Kriegsglückes den toten Punkt erreicht hat und langsam wieder zurückrollt.
Unsere Gegner setzen diese ihre Erwartung auf die mehr und mehr sich steigernden
Entfernungen unserer militärischen Operationen vom Heimatland und auf den
dadurch naturgemäß bedingten Mehrverbranch an Menschenkraft zwecks Auf¬
rechterhaltung der rückwärtigen Verbindungen. Es ist außerordentlich schwierig,
diesen Erwägungen gegenüber, die die Gesetze der Mathematik und damit einer
gewissermaßen unerbittlichen und unabänderlichen Logik für sich haben, die
ruhige Zuversicht zu bewahren. Wenn ich die deutsche Presse ansehe, dann aller¬
dings besteht ja kein Anlaß zu Befürchtungen. Genau dasselbe aber, was für
Deutschland gilt, nämlich, daß die Kriegsmüdigkeit des Volkes durch die Äuße¬
rungen der Presse und die Kundgebungen der Regierung mit Geschick, wenn
auch etwas mühsam, verschleiert wird, trifft für unsere Gegner zu. Herr Y-,
auf dessen klaren, ruhigen und verlässigen Bericht ich Euer Exzellenz nicht genug
aufmerksam machen kann, bemerkt sehr richtig, daß dies die Grundnote der
Stimmung in allen kriegführenden Staaten sei. Überall dasselbe Schauspiel:
An der Front heldenhafter Opfermut (von unseren Gegnern etwas anderes zu
behaupten, wäre freventlicher Leichtsinn), überall daheim zu Hause dieselbe
stille Verdrossenheit, dasselbe wachsende Mißvergnügen über die Eingriffe in
das Leben und die Wirtschaftsgebarung des einzelnen und überall dieselbe
laut tönende, wenn auch vielleicht innerlich nicht fehr gesicherte Sprache derer,,
die diesen Krieg mit ihrer Verantwortlichkeit decken und die dereinst vor dem
Schuldgericht ihrer Nationen als Angeklagte werden bestehen müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/379>, abgerufen am 22.07.2024.