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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

Drinnen ud draußen

[Beginn Spaltensatz]
Die deutsche Front im Osten.

Grcnz-
land ist von jeher ein Land der Sorge gewesen.
In ganz besonderem Maße aber trifft das auf
die deutschen Ostgebiete zu, um die sich das
Reich weitaus weniger gekümmert hat, als
um die Landstriche im Süden und Westen.
Nicht daß das Blut des Staatskörpers dort
weniger pulsiert hätte, wohl aber, daß das
Land so rußlandnahe lag und dadurch "dunkel"
war, weil man nichts von ihm wußte und sich
auch nicht recht die Mühe gab, etwas Positives
darüber zu erfahren, das ist der Grund, der
es möglich werden ließ, daß man auch heute
noch im weitaus größeren Teile unseres Vater¬
landes von der Ostmark vollständig falsche
Vorstellungen besitzt. Für den Bürger schlecht¬
weg ist Ost- und Westpreußen, obgleich es ur¬
deutsche Erde ist, ein Land mit sieben Siegeln.
Niemals, und auch nicht im stillen, hat der
Osten für sich geworben, er hat immer nur
gegeben, was seine Erde in so reichem Maße
gebar; er hat mitgeholfen, Deutschland zu er¬
nähren, war beim Ausbruch des Krieges der
Sturmbock, gegen den die russische Flut an¬
brandete, und geriet mit Land und Volk in
bittere Not.

Auf einer Studienreise durch diese Land¬
schaften habe ich mich überzeugen können, wie
es um diese deutsche Front steht, und ich kam
zu dem Eindruck, daß alle Bcvölkerungskreise
heute von einem idealen Schwung erfüllt
sind, der der ganzen Deutschtumsbewegung
etwas Feierlichgehobenes, etwas selbst¬
bewußtes, Starkes gibt. Man ist voll Ver¬
trauen auf den Sieg einer gerechten Sache,
denn als solche fassen alle den Kampf für
die Heimat auf. Käme dieses Land und
seine Menschen durch eine eigenwillige, von
ententepolitischen Interessen diktierte Ent¬
scheidung an Polen, so vollzöge sich damit
eine in der Weltgeschichte beispiellose Ver¬
gewaltigung, die nicht nur den aufgestellten
großen Ideen des Völkerbundes in das
Gesicht schlagen würde, sondern die frag¬
los über diese? Land die Not eines Volks¬
aufstandes verhängte. Nie ist mir ein be¬
wußteres Deutschtum begegnet als in diesen
Gebieten; nie habe ich begeisterter alte deutsche
Volkslieder singen gehört als auf dieser Erde.

[Spaltenumbruch]

In Lyck war es die Stadtbevölkerung, die,
noch S000 Menschen, in einem weit überfüllten
Saal die Frage eines Geistlichen, ob sie sich
als Deutsche fühlten und Deutsche bleiben
wollten, mit einem gewaltig brausenden,
schwurartigen "Ja!" beantworteten; bei
Prosken, in einem Walde, nach einem
Sonntagsgottesdienste, hörte ich das gleiche
im Angesicht der polnischen Grenze. Auf
den Kernsdorfer Höhen war es Landvolk,
tief verwurzelte Bauernschaft, die unter freiem
Himmel ihr Deutschtum bekannte. In Stuhm,
einem der gefährdeten Orte des West-
preußischen Abstimmungsbezirkcs -- einer
Stadt mit nur 3100 Einwohnern -- sah ich
aus Anlaß eines "Deutschen Tages" eine
Volkskundgebung überwältigender Art; denn
in dem Festzuge, der sich über eine Stunde
lang durch die Stadt bewegte, zogen Wohl
rund 15 000 Menschen vorüber, die mit VolkS-
und Vaterlandsliedern, mit deutschen Fahnen
und ihren Willen kündenden Transparenten
sich zum Deutschtum und zum deutschen Vater¬
lande bekannten. Alt und jung war im Zuge,
Krüppel marschierten mit, die Gutshcrrschaften
gingen mit ihren Angestellten zusammen,
städtische Vereine und wieder Landbevölkerung
folgten, ja selbst aus dem dem polnischen
Hauptagitator Grafen Sierakowski gehörigen
Groß-Waplitz zog ein starker Trupp deutsch¬
gesinnter Untergebener des Grafen mit.
Stundenweit waren die Menschen herbei¬
marschiert, und in einem 6 Ku langen Zuge
stand die Menschheit gedrängt auf den Chausseen,
ehe sie den Marsch zur großen Festwiese antreten
konnte. Das war bewußte Deutschheit, wie sie
die Kampffront in diesen Abstimmungsgebieten
erfüllt, das war das gewaltige Bekennertum,
das in dieser Erde verwurzelt ist, das sich
zur heimatlichen Scholle zugehörig fühlt und
nicht von ihr trennen lassen will.

In Marienwerder ist es mir ein leichtes
gewesen, bei einem Empfang vor dem Präsidenten
der Jnteralliertcn Kommission, dem ehemaligen
italienischen Minister Exzellenz Angelo Pavia,
in streng sachlich gefaßter politischer Rede all
diese großen und tiefwirkenden Eindrücke
zusammenzufassen. Mit offenem Wort konnte
ich für das deutsche Empfinden des allergrößten

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Drinnen und draußen

Drinnen ud draußen

[Beginn Spaltensatz]
Die deutsche Front im Osten.

Grcnz-
land ist von jeher ein Land der Sorge gewesen.
In ganz besonderem Maße aber trifft das auf
die deutschen Ostgebiete zu, um die sich das
Reich weitaus weniger gekümmert hat, als
um die Landstriche im Süden und Westen.
Nicht daß das Blut des Staatskörpers dort
weniger pulsiert hätte, wohl aber, daß das
Land so rußlandnahe lag und dadurch „dunkel"
war, weil man nichts von ihm wußte und sich
auch nicht recht die Mühe gab, etwas Positives
darüber zu erfahren, das ist der Grund, der
es möglich werden ließ, daß man auch heute
noch im weitaus größeren Teile unseres Vater¬
landes von der Ostmark vollständig falsche
Vorstellungen besitzt. Für den Bürger schlecht¬
weg ist Ost- und Westpreußen, obgleich es ur¬
deutsche Erde ist, ein Land mit sieben Siegeln.
Niemals, und auch nicht im stillen, hat der
Osten für sich geworben, er hat immer nur
gegeben, was seine Erde in so reichem Maße
gebar; er hat mitgeholfen, Deutschland zu er¬
nähren, war beim Ausbruch des Krieges der
Sturmbock, gegen den die russische Flut an¬
brandete, und geriet mit Land und Volk in
bittere Not.

Auf einer Studienreise durch diese Land¬
schaften habe ich mich überzeugen können, wie
es um diese deutsche Front steht, und ich kam
zu dem Eindruck, daß alle Bcvölkerungskreise
heute von einem idealen Schwung erfüllt
sind, der der ganzen Deutschtumsbewegung
etwas Feierlichgehobenes, etwas selbst¬
bewußtes, Starkes gibt. Man ist voll Ver¬
trauen auf den Sieg einer gerechten Sache,
denn als solche fassen alle den Kampf für
die Heimat auf. Käme dieses Land und
seine Menschen durch eine eigenwillige, von
ententepolitischen Interessen diktierte Ent¬
scheidung an Polen, so vollzöge sich damit
eine in der Weltgeschichte beispiellose Ver¬
gewaltigung, die nicht nur den aufgestellten
großen Ideen des Völkerbundes in das
Gesicht schlagen würde, sondern die frag¬
los über diese? Land die Not eines Volks¬
aufstandes verhängte. Nie ist mir ein be¬
wußteres Deutschtum begegnet als in diesen
Gebieten; nie habe ich begeisterter alte deutsche
Volkslieder singen gehört als auf dieser Erde.

[Spaltenumbruch]

In Lyck war es die Stadtbevölkerung, die,
noch S000 Menschen, in einem weit überfüllten
Saal die Frage eines Geistlichen, ob sie sich
als Deutsche fühlten und Deutsche bleiben
wollten, mit einem gewaltig brausenden,
schwurartigen „Ja!" beantworteten; bei
Prosken, in einem Walde, nach einem
Sonntagsgottesdienste, hörte ich das gleiche
im Angesicht der polnischen Grenze. Auf
den Kernsdorfer Höhen war es Landvolk,
tief verwurzelte Bauernschaft, die unter freiem
Himmel ihr Deutschtum bekannte. In Stuhm,
einem der gefährdeten Orte des West-
preußischen Abstimmungsbezirkcs — einer
Stadt mit nur 3100 Einwohnern — sah ich
aus Anlaß eines „Deutschen Tages" eine
Volkskundgebung überwältigender Art; denn
in dem Festzuge, der sich über eine Stunde
lang durch die Stadt bewegte, zogen Wohl
rund 15 000 Menschen vorüber, die mit VolkS-
und Vaterlandsliedern, mit deutschen Fahnen
und ihren Willen kündenden Transparenten
sich zum Deutschtum und zum deutschen Vater¬
lande bekannten. Alt und jung war im Zuge,
Krüppel marschierten mit, die Gutshcrrschaften
gingen mit ihren Angestellten zusammen,
städtische Vereine und wieder Landbevölkerung
folgten, ja selbst aus dem dem polnischen
Hauptagitator Grafen Sierakowski gehörigen
Groß-Waplitz zog ein starker Trupp deutsch¬
gesinnter Untergebener des Grafen mit.
Stundenweit waren die Menschen herbei¬
marschiert, und in einem 6 Ku langen Zuge
stand die Menschheit gedrängt auf den Chausseen,
ehe sie den Marsch zur großen Festwiese antreten
konnte. Das war bewußte Deutschheit, wie sie
die Kampffront in diesen Abstimmungsgebieten
erfüllt, das war das gewaltige Bekennertum,
das in dieser Erde verwurzelt ist, das sich
zur heimatlichen Scholle zugehörig fühlt und
nicht von ihr trennen lassen will.

In Marienwerder ist es mir ein leichtes
gewesen, bei einem Empfang vor dem Präsidenten
der Jnteralliertcn Kommission, dem ehemaligen
italienischen Minister Exzellenz Angelo Pavia,
in streng sachlich gefaßter politischer Rede all
diese großen und tiefwirkenden Eindrücke
zusammenzufassen. Mit offenem Wort konnte
ich für das deutsche Empfinden des allergrößten

[Ende Spaltensatz]
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[0358] Drinnen und draußen Drinnen ud draußen Die deutsche Front im Osten. Grcnz- land ist von jeher ein Land der Sorge gewesen. In ganz besonderem Maße aber trifft das auf die deutschen Ostgebiete zu, um die sich das Reich weitaus weniger gekümmert hat, als um die Landstriche im Süden und Westen. Nicht daß das Blut des Staatskörpers dort weniger pulsiert hätte, wohl aber, daß das Land so rußlandnahe lag und dadurch „dunkel" war, weil man nichts von ihm wußte und sich auch nicht recht die Mühe gab, etwas Positives darüber zu erfahren, das ist der Grund, der es möglich werden ließ, daß man auch heute noch im weitaus größeren Teile unseres Vater¬ landes von der Ostmark vollständig falsche Vorstellungen besitzt. Für den Bürger schlecht¬ weg ist Ost- und Westpreußen, obgleich es ur¬ deutsche Erde ist, ein Land mit sieben Siegeln. Niemals, und auch nicht im stillen, hat der Osten für sich geworben, er hat immer nur gegeben, was seine Erde in so reichem Maße gebar; er hat mitgeholfen, Deutschland zu er¬ nähren, war beim Ausbruch des Krieges der Sturmbock, gegen den die russische Flut an¬ brandete, und geriet mit Land und Volk in bittere Not. Auf einer Studienreise durch diese Land¬ schaften habe ich mich überzeugen können, wie es um diese deutsche Front steht, und ich kam zu dem Eindruck, daß alle Bcvölkerungskreise heute von einem idealen Schwung erfüllt sind, der der ganzen Deutschtumsbewegung etwas Feierlichgehobenes, etwas selbst¬ bewußtes, Starkes gibt. Man ist voll Ver¬ trauen auf den Sieg einer gerechten Sache, denn als solche fassen alle den Kampf für die Heimat auf. Käme dieses Land und seine Menschen durch eine eigenwillige, von ententepolitischen Interessen diktierte Ent¬ scheidung an Polen, so vollzöge sich damit eine in der Weltgeschichte beispiellose Ver¬ gewaltigung, die nicht nur den aufgestellten großen Ideen des Völkerbundes in das Gesicht schlagen würde, sondern die frag¬ los über diese? Land die Not eines Volks¬ aufstandes verhängte. Nie ist mir ein be¬ wußteres Deutschtum begegnet als in diesen Gebieten; nie habe ich begeisterter alte deutsche Volkslieder singen gehört als auf dieser Erde. In Lyck war es die Stadtbevölkerung, die, noch S000 Menschen, in einem weit überfüllten Saal die Frage eines Geistlichen, ob sie sich als Deutsche fühlten und Deutsche bleiben wollten, mit einem gewaltig brausenden, schwurartigen „Ja!" beantworteten; bei Prosken, in einem Walde, nach einem Sonntagsgottesdienste, hörte ich das gleiche im Angesicht der polnischen Grenze. Auf den Kernsdorfer Höhen war es Landvolk, tief verwurzelte Bauernschaft, die unter freiem Himmel ihr Deutschtum bekannte. In Stuhm, einem der gefährdeten Orte des West- preußischen Abstimmungsbezirkcs — einer Stadt mit nur 3100 Einwohnern — sah ich aus Anlaß eines „Deutschen Tages" eine Volkskundgebung überwältigender Art; denn in dem Festzuge, der sich über eine Stunde lang durch die Stadt bewegte, zogen Wohl rund 15 000 Menschen vorüber, die mit VolkS- und Vaterlandsliedern, mit deutschen Fahnen und ihren Willen kündenden Transparenten sich zum Deutschtum und zum deutschen Vater¬ lande bekannten. Alt und jung war im Zuge, Krüppel marschierten mit, die Gutshcrrschaften gingen mit ihren Angestellten zusammen, städtische Vereine und wieder Landbevölkerung folgten, ja selbst aus dem dem polnischen Hauptagitator Grafen Sierakowski gehörigen Groß-Waplitz zog ein starker Trupp deutsch¬ gesinnter Untergebener des Grafen mit. Stundenweit waren die Menschen herbei¬ marschiert, und in einem 6 Ku langen Zuge stand die Menschheit gedrängt auf den Chausseen, ehe sie den Marsch zur großen Festwiese antreten konnte. Das war bewußte Deutschheit, wie sie die Kampffront in diesen Abstimmungsgebieten erfüllt, das war das gewaltige Bekennertum, das in dieser Erde verwurzelt ist, das sich zur heimatlichen Scholle zugehörig fühlt und nicht von ihr trennen lassen will. In Marienwerder ist es mir ein leichtes gewesen, bei einem Empfang vor dem Präsidenten der Jnteralliertcn Kommission, dem ehemaligen italienischen Minister Exzellenz Angelo Pavia, in streng sachlich gefaßter politischer Rede all diese großen und tiefwirkenden Eindrücke zusammenzufassen. Mit offenem Wort konnte ich für das deutsche Empfinden des allergrößten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/358>, abgerufen am 28.09.2024.