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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Der Gffizier und die Zukunft

in Deutschland das warme Herz und der kühle Kopf in der Politik zusammen
Die kühlen Köpfe, aber kalten Herzen durften sich über heißblütig-patriotische,
jedoch unklare Offizierspolitik aufhalten. Dabei wird aber die Geschichte niemals
vergessen, daß bei allen Fehlern im einzelnen doch der natürlichere Instinkt
für das dem deutschen Volk Heilsame bei unseren heißen Herzen, nicht bei unseren
kühlen Köpfen lag.

Die innerlich schwerste Umstellung von allen heutige,: Trümmern des
zersprengten Offizierkorps haben vielleicht die zu leisten, die weiter Dienst tun.
Es gibt da zwei Formeln, die für den Charakter gefährlich werden können;
man "stellt fich auf den Boden der Tatsachen" und man "macht mit, um
noch Schlimmeres zu verhüten". Wer sich in der Art eines Major v. Gilsa
auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellt, soll nie vergessen, daß Über¬
lieferungen auch Tatsachen sind:


Denkt der Jahrtausende, die waren,
Jahrtausende, die werden sein!

Wer durch Abschwören dessen, was er einst für wahr erkannt hat, der
Gesamtheit zu dienen glaubt, prüfe sich ernstlich, wieweit nicht Ehrgeiz oder
Familienrücksicht ihn bestimmen.

Die Gefahr der falschen Anpassung an die politische Aktion oder an die
Pfründe ist vorhanden, letztere mit dem Opfer der Überzeugung, erstere mit
dem Verzicht auf die fachmännische spezialistische Gediegenheit der Leistung,
die Grundlage aller deutschen Erfolge, verknüpft. Im übrigen aber muß der
Offizier sich die Anpassungsfähigkeit für die neue Lage erwerben, und nicht mir
privatwirtschaftlich, indem er nach der Vernichtung seiner normalen Lebens¬
bedingungen diejenigen Anlagen aufbaut, welche ihn selbst in der neuen Umwelt
lebensfähig erhalten, sondern auch im Sinne seiner alten Verpflichtung gegen
die Nation und seines köstlichen Vorrechts, der erste Stand zu sein, der Stand,
der vor allen anderen Deutschland geschaffen hat, und der letzte, der es im Stiche
läßt. Wie kann der Offizier ein Kapital für die Zukunft der Nation bleiben?


3.

Wäre das deutsche Volk seit 1870 schon so zusammengewachsen, wie wir
im August 1914 glaubten, so würde ein Ausschießen alten Haders, ein geistiger
Niederbruch wie heute, ein Schmähen der Armee nicht eingetreten sein. Nach
1870 haben die Franzosen mit der Würde und Form, die sie bei allem, was die
Nation anlangt, bewahren, eine tiefe, heilige, geschlossene Bruderstimmung
gefunden: "Nur nichts Böses über die unglückliche Armee, unsere einzige Hoff"
mung." So verabredete sich ein Volt, das etwas auf sich hält und wieder hoch¬
kommen will. An unser Zuhause darf man dabei nicht denken, man schlägt die
Augen nieder, vergleicht man damit die ekelhaften Reden, vom Kurfürstendamm
bis Wedding, mit denen die Leute unsere Armee schänden, die doch mit anderen


Der Gffizier und die Zukunft

in Deutschland das warme Herz und der kühle Kopf in der Politik zusammen
Die kühlen Köpfe, aber kalten Herzen durften sich über heißblütig-patriotische,
jedoch unklare Offizierspolitik aufhalten. Dabei wird aber die Geschichte niemals
vergessen, daß bei allen Fehlern im einzelnen doch der natürlichere Instinkt
für das dem deutschen Volk Heilsame bei unseren heißen Herzen, nicht bei unseren
kühlen Köpfen lag.

Die innerlich schwerste Umstellung von allen heutige,: Trümmern des
zersprengten Offizierkorps haben vielleicht die zu leisten, die weiter Dienst tun.
Es gibt da zwei Formeln, die für den Charakter gefährlich werden können;
man „stellt fich auf den Boden der Tatsachen" und man „macht mit, um
noch Schlimmeres zu verhüten". Wer sich in der Art eines Major v. Gilsa
auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellt, soll nie vergessen, daß Über¬
lieferungen auch Tatsachen sind:


Denkt der Jahrtausende, die waren,
Jahrtausende, die werden sein!

Wer durch Abschwören dessen, was er einst für wahr erkannt hat, der
Gesamtheit zu dienen glaubt, prüfe sich ernstlich, wieweit nicht Ehrgeiz oder
Familienrücksicht ihn bestimmen.

Die Gefahr der falschen Anpassung an die politische Aktion oder an die
Pfründe ist vorhanden, letztere mit dem Opfer der Überzeugung, erstere mit
dem Verzicht auf die fachmännische spezialistische Gediegenheit der Leistung,
die Grundlage aller deutschen Erfolge, verknüpft. Im übrigen aber muß der
Offizier sich die Anpassungsfähigkeit für die neue Lage erwerben, und nicht mir
privatwirtschaftlich, indem er nach der Vernichtung seiner normalen Lebens¬
bedingungen diejenigen Anlagen aufbaut, welche ihn selbst in der neuen Umwelt
lebensfähig erhalten, sondern auch im Sinne seiner alten Verpflichtung gegen
die Nation und seines köstlichen Vorrechts, der erste Stand zu sein, der Stand,
der vor allen anderen Deutschland geschaffen hat, und der letzte, der es im Stiche
läßt. Wie kann der Offizier ein Kapital für die Zukunft der Nation bleiben?


3.

Wäre das deutsche Volk seit 1870 schon so zusammengewachsen, wie wir
im August 1914 glaubten, so würde ein Ausschießen alten Haders, ein geistiger
Niederbruch wie heute, ein Schmähen der Armee nicht eingetreten sein. Nach
1870 haben die Franzosen mit der Würde und Form, die sie bei allem, was die
Nation anlangt, bewahren, eine tiefe, heilige, geschlossene Bruderstimmung
gefunden: „Nur nichts Böses über die unglückliche Armee, unsere einzige Hoff»
mung." So verabredete sich ein Volt, das etwas auf sich hält und wieder hoch¬
kommen will. An unser Zuhause darf man dabei nicht denken, man schlägt die
Augen nieder, vergleicht man damit die ekelhaften Reden, vom Kurfürstendamm
bis Wedding, mit denen die Leute unsere Armee schänden, die doch mit anderen


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[0338] Der Gffizier und die Zukunft in Deutschland das warme Herz und der kühle Kopf in der Politik zusammen Die kühlen Köpfe, aber kalten Herzen durften sich über heißblütig-patriotische, jedoch unklare Offizierspolitik aufhalten. Dabei wird aber die Geschichte niemals vergessen, daß bei allen Fehlern im einzelnen doch der natürlichere Instinkt für das dem deutschen Volk Heilsame bei unseren heißen Herzen, nicht bei unseren kühlen Köpfen lag. Die innerlich schwerste Umstellung von allen heutige,: Trümmern des zersprengten Offizierkorps haben vielleicht die zu leisten, die weiter Dienst tun. Es gibt da zwei Formeln, die für den Charakter gefährlich werden können; man „stellt fich auf den Boden der Tatsachen" und man „macht mit, um noch Schlimmeres zu verhüten". Wer sich in der Art eines Major v. Gilsa auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellt, soll nie vergessen, daß Über¬ lieferungen auch Tatsachen sind: Denkt der Jahrtausende, die waren, Jahrtausende, die werden sein! Wer durch Abschwören dessen, was er einst für wahr erkannt hat, der Gesamtheit zu dienen glaubt, prüfe sich ernstlich, wieweit nicht Ehrgeiz oder Familienrücksicht ihn bestimmen. Die Gefahr der falschen Anpassung an die politische Aktion oder an die Pfründe ist vorhanden, letztere mit dem Opfer der Überzeugung, erstere mit dem Verzicht auf die fachmännische spezialistische Gediegenheit der Leistung, die Grundlage aller deutschen Erfolge, verknüpft. Im übrigen aber muß der Offizier sich die Anpassungsfähigkeit für die neue Lage erwerben, und nicht mir privatwirtschaftlich, indem er nach der Vernichtung seiner normalen Lebens¬ bedingungen diejenigen Anlagen aufbaut, welche ihn selbst in der neuen Umwelt lebensfähig erhalten, sondern auch im Sinne seiner alten Verpflichtung gegen die Nation und seines köstlichen Vorrechts, der erste Stand zu sein, der Stand, der vor allen anderen Deutschland geschaffen hat, und der letzte, der es im Stiche läßt. Wie kann der Offizier ein Kapital für die Zukunft der Nation bleiben? 3. Wäre das deutsche Volk seit 1870 schon so zusammengewachsen, wie wir im August 1914 glaubten, so würde ein Ausschießen alten Haders, ein geistiger Niederbruch wie heute, ein Schmähen der Armee nicht eingetreten sein. Nach 1870 haben die Franzosen mit der Würde und Form, die sie bei allem, was die Nation anlangt, bewahren, eine tiefe, heilige, geschlossene Bruderstimmung gefunden: „Nur nichts Böses über die unglückliche Armee, unsere einzige Hoff» mung." So verabredete sich ein Volt, das etwas auf sich hält und wieder hoch¬ kommen will. An unser Zuhause darf man dabei nicht denken, man schlägt die Augen nieder, vergleicht man damit die ekelhaften Reden, vom Kurfürstendamm bis Wedding, mit denen die Leute unsere Armee schänden, die doch mit anderen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/338>, abgerufen am 26.06.2024.