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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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schon im verhängnisvollen Sommer 19 l 7 um den Ausgang unserer Sache
ernstlich besorgt sein.

Die Stellungnahme der Berichte zu den hier angedeuteten Problemen ergibt
sich aus der Lektüre. Die Genugtuung, durch sie die Meinung des Grafen Hertling
im Sinne nachdrücklicher Vorstellungen in Wien und Berlin zugunsten eines
"Schlusses zu rechter Zeit" beeinflußt zu haben, ist dem Verfasser versagt ge¬
blieben. Als ich den Grafen Hertling im Herbst 1917 in Berlin wiedersah, war
er, ein hochbetagter und für das kundige Auge des früheren Mitarbeiters er¬
schreckend gealteter Mann, Kanzler des Deutschen Reiches geworden. Dasz er das
Amt nicht gesucht hatte, wird ihm jedermann bezeugen, der weiß, wie er sich
seinerzeit im Jahre 1912 unter Berufung auf seine Gesundheitsverhältnisse und
sein damals schon geschwächtes Augenlicht geweigert hatte, das Amt des bayerischen
Ministerpräsidenten anzunehmen. Wenn er sich 5 Jahre später entschloß, bei erheblich
geminderten Körperkräften die unvergleichlich größere Bürde des Reichskanzleramtes
zu übernehmen, so geschah dies aus Beweggründen hoher Vaterlandsliebe und in
der durch seine parlamentarische Vergangenheit berechtigten Überzeugung, daß er der
Mann sei, um mit dem Reichstag, in dem man damals die Quelle allen Übels
sah, fertig zu werden. In gewissem Sinne und bis zu einem gewissen Zeitpunkt
gelang dem Grafen Hertling die Lösung dieser Aufgabe, dank der unvergleichlichen
Meisterschaft, mit der er in attischer Form und mit großer Schlagfertigkeit in
kritischen Augenblicken die parlamentarische Situation zu meistern wußte. Es
war dies aber mehr das Aufflackern einer erlöschenden Flamme, als die Be-
tätigung geistiger Spannkraft und wegweisender Energie, deren die Nation in
ihrer furchtbaren Lage bedürfte. Die geistige Isolierung, in der Graf Hertling,
der schon in München auf die Unterstützung fremder Augen angewiesen gewesen
war, sich befand, nahm angesichts des riesenhaften Ausmaßes der Geschäftslast,
die in Berlin auf ihm lag, naturgemäß zu. Und es war eine Tragik des
Schicksals, daß das Physische Erlahmen eines ehrwürdigen Greises mit dem
katastrophalen Zusammenbruch seines Volkes zusammenfiel, dessen Führer
er war.')





Mit d . D. Red. em Abdruck der Geheimberichte beginnen wir in der nächsten Nummer

schon im verhängnisvollen Sommer 19 l 7 um den Ausgang unserer Sache
ernstlich besorgt sein.

Die Stellungnahme der Berichte zu den hier angedeuteten Problemen ergibt
sich aus der Lektüre. Die Genugtuung, durch sie die Meinung des Grafen Hertling
im Sinne nachdrücklicher Vorstellungen in Wien und Berlin zugunsten eines
„Schlusses zu rechter Zeit" beeinflußt zu haben, ist dem Verfasser versagt ge¬
blieben. Als ich den Grafen Hertling im Herbst 1917 in Berlin wiedersah, war
er, ein hochbetagter und für das kundige Auge des früheren Mitarbeiters er¬
schreckend gealteter Mann, Kanzler des Deutschen Reiches geworden. Dasz er das
Amt nicht gesucht hatte, wird ihm jedermann bezeugen, der weiß, wie er sich
seinerzeit im Jahre 1912 unter Berufung auf seine Gesundheitsverhältnisse und
sein damals schon geschwächtes Augenlicht geweigert hatte, das Amt des bayerischen
Ministerpräsidenten anzunehmen. Wenn er sich 5 Jahre später entschloß, bei erheblich
geminderten Körperkräften die unvergleichlich größere Bürde des Reichskanzleramtes
zu übernehmen, so geschah dies aus Beweggründen hoher Vaterlandsliebe und in
der durch seine parlamentarische Vergangenheit berechtigten Überzeugung, daß er der
Mann sei, um mit dem Reichstag, in dem man damals die Quelle allen Übels
sah, fertig zu werden. In gewissem Sinne und bis zu einem gewissen Zeitpunkt
gelang dem Grafen Hertling die Lösung dieser Aufgabe, dank der unvergleichlichen
Meisterschaft, mit der er in attischer Form und mit großer Schlagfertigkeit in
kritischen Augenblicken die parlamentarische Situation zu meistern wußte. Es
war dies aber mehr das Aufflackern einer erlöschenden Flamme, als die Be-
tätigung geistiger Spannkraft und wegweisender Energie, deren die Nation in
ihrer furchtbaren Lage bedürfte. Die geistige Isolierung, in der Graf Hertling,
der schon in München auf die Unterstützung fremder Augen angewiesen gewesen
war, sich befand, nahm angesichts des riesenhaften Ausmaßes der Geschäftslast,
die in Berlin auf ihm lag, naturgemäß zu. Und es war eine Tragik des
Schicksals, daß das Physische Erlahmen eines ehrwürdigen Greises mit dem
katastrophalen Zusammenbruch seines Volkes zusammenfiel, dessen Führer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/300>, abgerufen am 22.07.2024.