Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Vereinswosen und nationale Selbsthilfe Noch ist sich die reichsdeutsche Öffentlichkeit, die Presse, noch sind sich die Genug an diesen: einen Beispiel. Unsere Forderung ist: Pflegt das Ver¬ Vereinswosen und nationale Selbsthilfe Noch ist sich die reichsdeutsche Öffentlichkeit, die Presse, noch sind sich die Genug an diesen: einen Beispiel. Unsere Forderung ist: Pflegt das Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337427"/> <fw type="header" place="top"> Vereinswosen und nationale Selbsthilfe</fw><lb/> <p xml:id="ID_659"> Noch ist sich die reichsdeutsche Öffentlichkeit, die Presse, noch sind sich die<lb/> Leiter der zahllosen Vereine und Vereinchen nicht klar über die Aufgaben, die an<lb/> sie gestellt sind. Welche Aufklärungsarbeit, welche Erweiterung des Horizontes<lb/> im Reiche selbst zu leisten ist, zeigt zum Beispiel der Vorschlag der Neuordnung<lb/> der Rechtschreibung. Daß von ernst zu nehmender Seite in den Togen<lb/> des staatlichen Zerfalls ein solch gruudstürzender Vorschlag ausgehen konnte,<lb/> zeigt, wie wenig leitende Staatsmänner sich bewußt sind, verantwortlich zu sein<lb/> für das ganze deutsche Volk. Würde dieser Vorschlag durchgeführt, das Schick¬<lb/> sal der abgesplitterter Deutschen wäre besiegelt, denn die Kultureinheit wäre zer¬<lb/> rissen. Man würde anders schreiben und lesen drinnen und draußen. Die<lb/> Fremdstaaten, die heute Teile des deutschen Volkes an sich gerissen haben, würden<lb/> in ihren deutschen Schulen der neuen Rechtsprechung Berliner Erfindung nicht<lb/> folgen und es würde, aus Torheit und Fahrlässigkeit entstanden, ein neuer,<lb/> vielleicht unheilbarer Riß das deutsche Volk spalten. Denn nicht so sehr die<lb/> sprech- als vielmehr die Schreibsprache ist das Bindende. Nicht die mundart¬<lb/> liche Verschiedenheit, sondern die der Rechtschreibung ist es, die unsere Nieder¬<lb/> deutschen längs der Küste der Ost- und Nordsee von den Holländern trennt. Jeder<lb/> der Plattdeutsch lesen kann, würde auch holländische Bücher und Zeitungen ohne<lb/> Schwierigkeiten verstehen, wenn wir dieselbe Rechtschreibung hätten wie die<lb/> Holländer. Die Einführung der neuvorgeschlagenen „phonetischen" Recht¬<lb/> schreibung könnte der Anlaß werden, Elsaß-Lothringen, die Schweiz und das<lb/> Deutschtum in Ost- und Südeuropa zu hollandisieren; sie würde vielleicht den<lb/> Gebrauch der Mundart als Schrift- und Amtssprache fördern, der der deutschen<lb/> Einheit im kulturellen und völkischen Sinne den Todesstoß versetzen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_660"> Genug an diesen: einen Beispiel. Unsere Forderung ist: Pflegt das Ver¬<lb/> einsleben planmäßig, beseelt es, hebt es auf eine höhere Warte. Weist ihm neue<lb/> Aufgaben zu, die von einem kleinen deutschen Rumpfstaate nicht geleistet werden<lb/> können und dürfen, und ihr werdet dem deutschen Volke in seiner schwersten<lb/> Stunde den Rettungsring zugeworfen haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
Vereinswosen und nationale Selbsthilfe
Noch ist sich die reichsdeutsche Öffentlichkeit, die Presse, noch sind sich die
Leiter der zahllosen Vereine und Vereinchen nicht klar über die Aufgaben, die an
sie gestellt sind. Welche Aufklärungsarbeit, welche Erweiterung des Horizontes
im Reiche selbst zu leisten ist, zeigt zum Beispiel der Vorschlag der Neuordnung
der Rechtschreibung. Daß von ernst zu nehmender Seite in den Togen
des staatlichen Zerfalls ein solch gruudstürzender Vorschlag ausgehen konnte,
zeigt, wie wenig leitende Staatsmänner sich bewußt sind, verantwortlich zu sein
für das ganze deutsche Volk. Würde dieser Vorschlag durchgeführt, das Schick¬
sal der abgesplitterter Deutschen wäre besiegelt, denn die Kultureinheit wäre zer¬
rissen. Man würde anders schreiben und lesen drinnen und draußen. Die
Fremdstaaten, die heute Teile des deutschen Volkes an sich gerissen haben, würden
in ihren deutschen Schulen der neuen Rechtsprechung Berliner Erfindung nicht
folgen und es würde, aus Torheit und Fahrlässigkeit entstanden, ein neuer,
vielleicht unheilbarer Riß das deutsche Volk spalten. Denn nicht so sehr die
sprech- als vielmehr die Schreibsprache ist das Bindende. Nicht die mundart¬
liche Verschiedenheit, sondern die der Rechtschreibung ist es, die unsere Nieder¬
deutschen längs der Küste der Ost- und Nordsee von den Holländern trennt. Jeder
der Plattdeutsch lesen kann, würde auch holländische Bücher und Zeitungen ohne
Schwierigkeiten verstehen, wenn wir dieselbe Rechtschreibung hätten wie die
Holländer. Die Einführung der neuvorgeschlagenen „phonetischen" Recht¬
schreibung könnte der Anlaß werden, Elsaß-Lothringen, die Schweiz und das
Deutschtum in Ost- und Südeuropa zu hollandisieren; sie würde vielleicht den
Gebrauch der Mundart als Schrift- und Amtssprache fördern, der der deutschen
Einheit im kulturellen und völkischen Sinne den Todesstoß versetzen könnte.
Genug an diesen: einen Beispiel. Unsere Forderung ist: Pflegt das Ver¬
einsleben planmäßig, beseelt es, hebt es auf eine höhere Warte. Weist ihm neue
Aufgaben zu, die von einem kleinen deutschen Rumpfstaate nicht geleistet werden
können und dürfen, und ihr werdet dem deutschen Volke in seiner schwersten
Stunde den Rettungsring zugeworfen haben.
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