Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Deutsche Grcnzpolitik müsse. Diese Dummheit, in der sich Lüge und Demut zusammenfanden, hat Aber Deutschland hat Grenzen. Deutschland ist auch jetzt noch vom Aus¬ 12*
Deutsche Grcnzpolitik müsse. Diese Dummheit, in der sich Lüge und Demut zusammenfanden, hat Aber Deutschland hat Grenzen. Deutschland ist auch jetzt noch vom Aus¬ 12*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337422"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Grcnzpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_643" prev="#ID_642"> müsse. Diese Dummheit, in der sich Lüge und Demut zusammenfanden, hat<lb/> dann zur Schuld am Frieden geführt. Die Außenpolitik, die ihn abschloß, blieb<lb/> auch jetzt noch unbelehrbar. Sie wußte nachgerade, daß sie betrogen worden war.<lb/> Aber sie gestand es nicht zu und verschwieg lieber, daß sie ohne Ergebnisse war,<lb/> als daß sie von ihrer Seite nunmehr aus dem Betrüge an Deutschland eine<lb/> Weltvropaganda gemacht hätte. Im Gegenteil, sie wagte noch nicht einmal, als<lb/> in der Folge das Ansinnen der Auslieferung an sie kam, die Gegenrechnung<lb/> aufzumachen und auch von dem Feinde eine Rechenschaft über seine Kriegführung<lb/> zu fordern. Aber sihr gerne nahm sie, kaum daß der Feind aus Sorge für diese<lb/> ihm so gelegene Negierung zurückwich, für sich als einen Erfolg in Anspruch, was<lb/> die Haltung der Nation bewirkt hatte. Unsers Außenpolitik blieb, was sie war.<lb/> Sie blieb bei den kleinen Mitteln, an die sie sich gewöhnt hatte. Sie blieb bei<lb/> der Anbiederung, die bald hier und bald dort von ihr versucht wurde. Erst<lb/> den Franzosen über die Schweiz frankophil, dann wieder den Engländern in Berlin<lb/> anglvphil zu kommen, schließlich jedem Volke, mit dem wir nunmehr die Grenze<lb/> teilten, und wäre es den Letten, mit Nachgiebigkeiten entgegenzukommen, die<lb/> allmählich zu Selbstverständlichkeiten wurden: das war die Weisheit dieser Außen¬<lb/> politik. Sie bedeutete in der Summe: Verzicht auf Außenpolitik.</p><lb/> <p xml:id="ID_644" next="#ID_645"> Aber Deutschland hat Grenzen. Deutschland ist auch jetzt noch vom Aus¬<lb/> land umgeben. Deutschland braucht eine andere Außenpolitik, als diese geruhsame<lb/> ist, die alle benachbarten Staaten um Entschuldigung zu bitten scheint, daß die<lb/> Deutschen nun einmal als Volk in der Welt sind. Wir sind freilich kein Weltvolk<lb/> mehr, das sich Geltung durch die Mittel seiner Machtpolitik verschaffen könnte.<lb/> Aber es ist sehr auffallend, wie wir auch jetzt noch ein Mittelpunkt geblieben sind,<lb/> um den die Berechnungen unserer Gegner kreisen, durch den die Verbindungslinien<lb/> ihrer Außenpolitik gehen, in dem sich alle ihre Projekte und Kombinationen<lb/> schneiden. Das hat seine äußeren Gründe, die sich irgendwie auf die Ausbeutung<lb/> beziehen, deren Gegenstand wir nach dein Wortlaute und Willensgeiste des Vertrags<lb/> von Versailles werden sollen. Und schon dies fordert eine Außenpolitik zum<lb/> mindesten der Abwehr. Es hat aber auch seine inneren Gründe. Von dem Augen¬<lb/> blicke an. in dem wir die Macht verloren, sind wir der wirtschaftspolitische und<lb/> geistespolitische Sammelpunkt aller Zeitideen geworden. Von Deutschland hängt<lb/> der Verlauf der Revolution ab. In Deutschland entscheidet sich das Schicksal des<lb/> Sozialismus. In Deutschland bereitet sich die Ablösung des Parlamentarismus<lb/> durch gänzlich geänderte Volksveitretnngssormen vor. Hier setzt sich der Kampf<lb/> ^gen ein Westlertum, das den Krieg noch gewann, durch Unterwühlung seiner<lb/> Wwaldcmokratischen Grundlagen fort. Hier findet die Aufklärungsphilosophie<lb/> des achtzehnten Jahrhunderts das Ende ihrer innenpolitischen Mißbräuche, zu<lb/> denen sie der Liberalismus des neunzehnten benutzt hat. Und hier erwartet den<lb/> Kapitalismus, der sich der Wandlungen dieses Liberalismus zum Imperialismus<lb/> bediente, eine Nachprüfung seiner weltpolitischen Daseinsberechtigung im zwanzigsten<lb/> Jahrhundert, die nicht so sehr die Frage nach dem Besitzrechte des Einzelnen als<lb/> "ach dem der Nationen stellen wird. Der Westen weiß von seiner Weltpropaganda<lb/> ^r. bis zu welchen: Grade alle politische Wirkung von der Werbekraft abhängt,<lb/> die Ideen bekommen — er weiß, daß sie unversehens das Gesicht der Welt<lb/> ändern, indem sie die Meinung der Menschen ändern. Der Westen verspürt diese</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 12*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0185]
Deutsche Grcnzpolitik
müsse. Diese Dummheit, in der sich Lüge und Demut zusammenfanden, hat
dann zur Schuld am Frieden geführt. Die Außenpolitik, die ihn abschloß, blieb
auch jetzt noch unbelehrbar. Sie wußte nachgerade, daß sie betrogen worden war.
Aber sie gestand es nicht zu und verschwieg lieber, daß sie ohne Ergebnisse war,
als daß sie von ihrer Seite nunmehr aus dem Betrüge an Deutschland eine
Weltvropaganda gemacht hätte. Im Gegenteil, sie wagte noch nicht einmal, als
in der Folge das Ansinnen der Auslieferung an sie kam, die Gegenrechnung
aufzumachen und auch von dem Feinde eine Rechenschaft über seine Kriegführung
zu fordern. Aber sihr gerne nahm sie, kaum daß der Feind aus Sorge für diese
ihm so gelegene Negierung zurückwich, für sich als einen Erfolg in Anspruch, was
die Haltung der Nation bewirkt hatte. Unsers Außenpolitik blieb, was sie war.
Sie blieb bei den kleinen Mitteln, an die sie sich gewöhnt hatte. Sie blieb bei
der Anbiederung, die bald hier und bald dort von ihr versucht wurde. Erst
den Franzosen über die Schweiz frankophil, dann wieder den Engländern in Berlin
anglvphil zu kommen, schließlich jedem Volke, mit dem wir nunmehr die Grenze
teilten, und wäre es den Letten, mit Nachgiebigkeiten entgegenzukommen, die
allmählich zu Selbstverständlichkeiten wurden: das war die Weisheit dieser Außen¬
politik. Sie bedeutete in der Summe: Verzicht auf Außenpolitik.
Aber Deutschland hat Grenzen. Deutschland ist auch jetzt noch vom Aus¬
land umgeben. Deutschland braucht eine andere Außenpolitik, als diese geruhsame
ist, die alle benachbarten Staaten um Entschuldigung zu bitten scheint, daß die
Deutschen nun einmal als Volk in der Welt sind. Wir sind freilich kein Weltvolk
mehr, das sich Geltung durch die Mittel seiner Machtpolitik verschaffen könnte.
Aber es ist sehr auffallend, wie wir auch jetzt noch ein Mittelpunkt geblieben sind,
um den die Berechnungen unserer Gegner kreisen, durch den die Verbindungslinien
ihrer Außenpolitik gehen, in dem sich alle ihre Projekte und Kombinationen
schneiden. Das hat seine äußeren Gründe, die sich irgendwie auf die Ausbeutung
beziehen, deren Gegenstand wir nach dein Wortlaute und Willensgeiste des Vertrags
von Versailles werden sollen. Und schon dies fordert eine Außenpolitik zum
mindesten der Abwehr. Es hat aber auch seine inneren Gründe. Von dem Augen¬
blicke an. in dem wir die Macht verloren, sind wir der wirtschaftspolitische und
geistespolitische Sammelpunkt aller Zeitideen geworden. Von Deutschland hängt
der Verlauf der Revolution ab. In Deutschland entscheidet sich das Schicksal des
Sozialismus. In Deutschland bereitet sich die Ablösung des Parlamentarismus
durch gänzlich geänderte Volksveitretnngssormen vor. Hier setzt sich der Kampf
^gen ein Westlertum, das den Krieg noch gewann, durch Unterwühlung seiner
Wwaldcmokratischen Grundlagen fort. Hier findet die Aufklärungsphilosophie
des achtzehnten Jahrhunderts das Ende ihrer innenpolitischen Mißbräuche, zu
denen sie der Liberalismus des neunzehnten benutzt hat. Und hier erwartet den
Kapitalismus, der sich der Wandlungen dieses Liberalismus zum Imperialismus
bediente, eine Nachprüfung seiner weltpolitischen Daseinsberechtigung im zwanzigsten
Jahrhundert, die nicht so sehr die Frage nach dem Besitzrechte des Einzelnen als
"ach dem der Nationen stellen wird. Der Westen weiß von seiner Weltpropaganda
^r. bis zu welchen: Grade alle politische Wirkung von der Werbekraft abhängt,
die Ideen bekommen — er weiß, daß sie unversehens das Gesicht der Welt
ändern, indem sie die Meinung der Menschen ändern. Der Westen verspürt diese
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