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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiege!
Dem nie Schönheit die Pokale
Mit der Liebe Trunk kredenzt,
Dessen Auge von dem Strahle
Hellem Frohsinns nie erglänzt,
Merwärts von kleiner Geister
Leeren Satzungen beschwert,
Hatte doch dein Herz als Meister
Gott verehren dich gelehrt I
Nimmer wirst du sie verstehen
Des Propheten Himmelfahrt,
spürtest nie des Geistes Wehen,
Der die Himmel offenbart.
Dem des Herzens Triebe schliefen
In der Seele Al-QorKn,
Taues, ein Taucher, in die Tiefen,
In der Liebe Ozean!



Reichsspiege!

Die Aufgaben der größeren Rechten. Der Instinkt zum Regieren, der
jeden Augenblick erfaßt, wenn die Machtmittel des Staates eingesetzt werden
müssen, weil sein Bestand bedroht wird, ist, allen demokratischen Prinzipien zum
Trotz, angeboren und ist meist das Erzeugnis einer Vererbung von Generationen.
So ist der Kapp-Pulses nur möglich gewesen, weil den Regierungsmännern der
Instinkt fehlte. Deshalb sollte eine vernünftige Regierung bemüht sein, Per¬
sönlichkeiten, welche diese Fähigkeit besitzen, heranzuziehen und sie nicht mit dem
Mißtrauen des kleinen Mannes fern halten. Man verfällt so in den um¬
gekehrten Fehler wie im vorigen Jahrhundert, als sich eine reaktionäre Negierung
mit der Zeit den Weg zum Verständnis des Volkes verbaute; schließlich, als es
zum Weltkriege kam, schieden sich im vierjährigen Ringen um die Existenz die
Führer von den Geführten, weil sie grundverschiedene Ziele verfolgten und sich
gegenseitig nicht verstanden. Sorge man dafür, daß jetzt nicht eine führerlose
Masse in blindem Fanatismus Wege geht, die uns ins Verderben stürzen. Es
kommt darauf an, das Vertrauen zwischen Volk und den zum Führen Geborenen
und Erzogenen wieder herzustellen, die Voraussetzung des Vertrauens aber ist
die Wahrheit. Es an dieser Aufrichtigkeit bei wichtigen Entscheidungen aber fehlen
zu lassen, ist wohl der schwerste Vorwurf, den man der Koalitionsregierung machen
muß. Ein Beispiel: bei der Abstimmung über Neichsnotopfer und Betriebsräte¬
gesetz enthielt sich ein großer Teil der Demokraten der Stimme, offenbar, weil er
die Gesetze nicht billigte, aber nicht dagegen zu stimmen wagte. Ferner: als
jüngst der Reichsfinanzminister Dr. Wirth die haarsträubende Finanzlage des
Reiches dem Ausschuß auseinandersetzte, meinte der mehrheitssozialistische Redner,
dann müsse eben der Besitz noch mehr herangezogen werden. Daß die Deckung
des Defizits aus dem Besitz nicht mehr herauszuholen ist, wußte er natürlich,
aber das Schlagwort sollte im Hinblick auf die Wahlen seine Wirkung bei den
Massen tun. Hier wäre eine Gelegenheit gewesen, dem Volke zu sagen, daß
weitere Lohnerhöhungen ohne Arbeitssteigerung zur Katastrophe führen müssen
und daß äußerste Sparsamkeit das dringende Gebot der Stunde ist, daß nicht


Reichsspiege!
Dem nie Schönheit die Pokale
Mit der Liebe Trunk kredenzt,
Dessen Auge von dem Strahle
Hellem Frohsinns nie erglänzt,
Merwärts von kleiner Geister
Leeren Satzungen beschwert,
Hatte doch dein Herz als Meister
Gott verehren dich gelehrt I
Nimmer wirst du sie verstehen
Des Propheten Himmelfahrt,
spürtest nie des Geistes Wehen,
Der die Himmel offenbart.
Dem des Herzens Triebe schliefen
In der Seele Al-QorKn,
Taues, ein Taucher, in die Tiefen,
In der Liebe Ozean!



Reichsspiege!

Die Aufgaben der größeren Rechten. Der Instinkt zum Regieren, der
jeden Augenblick erfaßt, wenn die Machtmittel des Staates eingesetzt werden
müssen, weil sein Bestand bedroht wird, ist, allen demokratischen Prinzipien zum
Trotz, angeboren und ist meist das Erzeugnis einer Vererbung von Generationen.
So ist der Kapp-Pulses nur möglich gewesen, weil den Regierungsmännern der
Instinkt fehlte. Deshalb sollte eine vernünftige Regierung bemüht sein, Per¬
sönlichkeiten, welche diese Fähigkeit besitzen, heranzuziehen und sie nicht mit dem
Mißtrauen des kleinen Mannes fern halten. Man verfällt so in den um¬
gekehrten Fehler wie im vorigen Jahrhundert, als sich eine reaktionäre Negierung
mit der Zeit den Weg zum Verständnis des Volkes verbaute; schließlich, als es
zum Weltkriege kam, schieden sich im vierjährigen Ringen um die Existenz die
Führer von den Geführten, weil sie grundverschiedene Ziele verfolgten und sich
gegenseitig nicht verstanden. Sorge man dafür, daß jetzt nicht eine führerlose
Masse in blindem Fanatismus Wege geht, die uns ins Verderben stürzen. Es
kommt darauf an, das Vertrauen zwischen Volk und den zum Führen Geborenen
und Erzogenen wieder herzustellen, die Voraussetzung des Vertrauens aber ist
die Wahrheit. Es an dieser Aufrichtigkeit bei wichtigen Entscheidungen aber fehlen
zu lassen, ist wohl der schwerste Vorwurf, den man der Koalitionsregierung machen
muß. Ein Beispiel: bei der Abstimmung über Neichsnotopfer und Betriebsräte¬
gesetz enthielt sich ein großer Teil der Demokraten der Stimme, offenbar, weil er
die Gesetze nicht billigte, aber nicht dagegen zu stimmen wagte. Ferner: als
jüngst der Reichsfinanzminister Dr. Wirth die haarsträubende Finanzlage des
Reiches dem Ausschuß auseinandersetzte, meinte der mehrheitssozialistische Redner,
dann müsse eben der Besitz noch mehr herangezogen werden. Daß die Deckung
des Defizits aus dem Besitz nicht mehr herauszuholen ist, wußte er natürlich,
aber das Schlagwort sollte im Hinblick auf die Wahlen seine Wirkung bei den
Massen tun. Hier wäre eine Gelegenheit gewesen, dem Volke zu sagen, daß
weitere Lohnerhöhungen ohne Arbeitssteigerung zur Katastrophe führen müssen
und daß äußerste Sparsamkeit das dringende Gebot der Stunde ist, daß nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/174>, abgerufen am 22.07.2024.