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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Meltspiegel

Die Neuwahlen werden voraussichtlich im Mai stattfinden, Ob er dann über
eine Parlamentsmehrheit verfügen wird, hängt davon ab, ob er seine Volks¬
tümlichkeit erhält, mehrt und auch in den neu-in Provinzen Anhänger gewinnt.
General Averescus Lage ist dadurch schwierig, daß er mit den historischen Par¬
teien zusammengehen muß. Gelingt es ihm nicht, einen scharfen Trennungsstrich
gegen die alten Parteien, insbesondere gegen die stark kompromittierte Partei Tale
Jonescus zu ziehen, so kann sich die Volksgunst leicht von ihm ab und Männern
wie Lupu und Jorga, den Feinden der alten Parteien, zuwenden. Wichtig ist
es, welche Erfolge er bis zu den Wahlen mit seiner Politik hat. Die politische
Erbschaft, die er übernommen hat, ist nicht beneidenswert. Er muß scharf durch¬
greifen und energisch seinen Willen durchsetzen. Daß er dazu entschlossen ist. be¬
weist die sofortige Demobilisierung der Armee. Dadurch werden die großen Aus¬
gaben eingeschränkt, Tausende von Bauern werden der Arbeit wieder zugeführt.
Die Macht der Militärpartei, die Van'da Wocvod unendliche Schwierigkeiten ge¬
macht hat. wird vielleicht gebrochen. Doch damit ist erst der erste Schritt getan.
Die endgültige Regelung der Agrarfrage, die Behebung der Korruption, die Sa¬
nierung der Finanzen, Wiederaufbau des Wirtschaftslebens, Amnestie für die
zahlreichen von der Militärdiktatur Verurteilten usni. sind die nächsten dringendsten
Ausgaben der inneren Politik. Hierbei kommt es auf schnelle Lösung an. denn
jeder Tag des Zögerns vermehrt die Schwierigkeiten, vermindert die Möglichkeit,
eine Lösung zu finden.

In der Außenpolitik gilt es, Frieden mit Rußland und Ungarn zu schließen
und die allgemeine außenpolitische Stellung Rumäniens neu zu orientieren. Nu߬
land gegenüber wird er sich beeilen, zum Abschluß des Friedens zu kommen. "Friede
mit Rußland" ist nicht nur sein altes Losungswort, sondern auch die Sehnsucht
der Menge. Rußlands Bedingungen lauten nach unverbürgten Pressenachrichten:
Anerkennung der Sowjetrepublik, Begnadigung aller rumänischen Deserteure, die
sich in Nußland aufhalten, Bezahlung aller russischen Heeresgüter in Beßarabien.
Hierfür will Rußland den rumänischen Goldschatz ausliefern und die Rechts Ru¬
mäniens auf Beßarabien anerkennen. Daß die Verhandlungen gemeinsam mit
Polen geführt werden, wie es ursprünglich geplant war, ist fraglich. Der russisch¬
polnische Gegensatz erscheint tiefer als der russisch-rumänische. Nach einem etwaigen
Abschluß des Friedens ist die bolschewistische Gefahr keineswegs überwunden.
Bolschewistische Gedanken haben über Beßarabien genug Einlaß ins Innere Ru¬
mäniens finden können.

Der Friede mit Rußland ist eng verknüpft mit der zukünftigen Stellung
Rumäniens zu den Westmächten. Besonders Frankreich steht den Friedensver-
handlungen entgegen. Es wird sich zeigen, ob die alten Fäden nach Paris noch
halten, ob Frankreich den maurischen "kleinen Bruder" im Osten noch bevor¬
munden kann. Die Ereignisse der letzten Jahre haben in Rumänien das alte
französische Freundschaftsgefühl zum mindesten erheblich abgekühlt. Frankreich
hat allzu oft im Verein mit seinen Verbündeten die rumänischen Wünsche ent¬
täuscht. Selbst Bratianu, der während des Krieges mit der Entente durch dick
und dünn ging, wendet sich jetzt sehr scharf gegen die Westmächte. Er hat den
Vertrag vom 6. August 1916 abgeschlossen, der Rumäniens Geschick fest an das
Kriegsglück der Entente band. Rumänien hat jedoch vergeblich auf die ver¬
sprochene Hilfe der Saloniki-Armee, auf die Unterstützung Rußlands gewartet.
Zum Dank dafür, daß Rumänien 800 000 seiner Soldaten opferte, ist der Ver¬
trag vom 6. August 1916 durch die Friedensverträge von Neuilly und Se. Ger-
main gebrochen. Die früheren Verbündeten ersetzten die versprochene Grenze
gegen Ungarn durch die sogenannte Clemenceau-Linie, die sür Rumänien erheb¬
lich ungünstiger ist. Sie teilten das Banat und schufen einen latenten Gegensatz
zu Jugoslawien. Die versprochene Wirtschaftshilfe ist ausgeblieben. Statt
dessen wurde die wirtschaftliche Lage Rumäniens geschädigt. Der Artikel 14 des
Se. Germainer Friedensvertrages beschränkte die Freiheit Rumäniens, Handels¬
verträge abzuschließen. Die Friedenskonferenz regelte die Donaufrage zurn-


Meltspiegel

Die Neuwahlen werden voraussichtlich im Mai stattfinden, Ob er dann über
eine Parlamentsmehrheit verfügen wird, hängt davon ab, ob er seine Volks¬
tümlichkeit erhält, mehrt und auch in den neu-in Provinzen Anhänger gewinnt.
General Averescus Lage ist dadurch schwierig, daß er mit den historischen Par¬
teien zusammengehen muß. Gelingt es ihm nicht, einen scharfen Trennungsstrich
gegen die alten Parteien, insbesondere gegen die stark kompromittierte Partei Tale
Jonescus zu ziehen, so kann sich die Volksgunst leicht von ihm ab und Männern
wie Lupu und Jorga, den Feinden der alten Parteien, zuwenden. Wichtig ist
es, welche Erfolge er bis zu den Wahlen mit seiner Politik hat. Die politische
Erbschaft, die er übernommen hat, ist nicht beneidenswert. Er muß scharf durch¬
greifen und energisch seinen Willen durchsetzen. Daß er dazu entschlossen ist. be¬
weist die sofortige Demobilisierung der Armee. Dadurch werden die großen Aus¬
gaben eingeschränkt, Tausende von Bauern werden der Arbeit wieder zugeführt.
Die Macht der Militärpartei, die Van'da Wocvod unendliche Schwierigkeiten ge¬
macht hat. wird vielleicht gebrochen. Doch damit ist erst der erste Schritt getan.
Die endgültige Regelung der Agrarfrage, die Behebung der Korruption, die Sa¬
nierung der Finanzen, Wiederaufbau des Wirtschaftslebens, Amnestie für die
zahlreichen von der Militärdiktatur Verurteilten usni. sind die nächsten dringendsten
Ausgaben der inneren Politik. Hierbei kommt es auf schnelle Lösung an. denn
jeder Tag des Zögerns vermehrt die Schwierigkeiten, vermindert die Möglichkeit,
eine Lösung zu finden.

In der Außenpolitik gilt es, Frieden mit Rußland und Ungarn zu schließen
und die allgemeine außenpolitische Stellung Rumäniens neu zu orientieren. Nu߬
land gegenüber wird er sich beeilen, zum Abschluß des Friedens zu kommen. „Friede
mit Rußland" ist nicht nur sein altes Losungswort, sondern auch die Sehnsucht
der Menge. Rußlands Bedingungen lauten nach unverbürgten Pressenachrichten:
Anerkennung der Sowjetrepublik, Begnadigung aller rumänischen Deserteure, die
sich in Nußland aufhalten, Bezahlung aller russischen Heeresgüter in Beßarabien.
Hierfür will Rußland den rumänischen Goldschatz ausliefern und die Rechts Ru¬
mäniens auf Beßarabien anerkennen. Daß die Verhandlungen gemeinsam mit
Polen geführt werden, wie es ursprünglich geplant war, ist fraglich. Der russisch¬
polnische Gegensatz erscheint tiefer als der russisch-rumänische. Nach einem etwaigen
Abschluß des Friedens ist die bolschewistische Gefahr keineswegs überwunden.
Bolschewistische Gedanken haben über Beßarabien genug Einlaß ins Innere Ru¬
mäniens finden können.

Der Friede mit Rußland ist eng verknüpft mit der zukünftigen Stellung
Rumäniens zu den Westmächten. Besonders Frankreich steht den Friedensver-
handlungen entgegen. Es wird sich zeigen, ob die alten Fäden nach Paris noch
halten, ob Frankreich den maurischen „kleinen Bruder" im Osten noch bevor¬
munden kann. Die Ereignisse der letzten Jahre haben in Rumänien das alte
französische Freundschaftsgefühl zum mindesten erheblich abgekühlt. Frankreich
hat allzu oft im Verein mit seinen Verbündeten die rumänischen Wünsche ent¬
täuscht. Selbst Bratianu, der während des Krieges mit der Entente durch dick
und dünn ging, wendet sich jetzt sehr scharf gegen die Westmächte. Er hat den
Vertrag vom 6. August 1916 abgeschlossen, der Rumäniens Geschick fest an das
Kriegsglück der Entente band. Rumänien hat jedoch vergeblich auf die ver¬
sprochene Hilfe der Saloniki-Armee, auf die Unterstützung Rußlands gewartet.
Zum Dank dafür, daß Rumänien 800 000 seiner Soldaten opferte, ist der Ver¬
trag vom 6. August 1916 durch die Friedensverträge von Neuilly und Se. Ger-
main gebrochen. Die früheren Verbündeten ersetzten die versprochene Grenze
gegen Ungarn durch die sogenannte Clemenceau-Linie, die sür Rumänien erheb¬
lich ungünstiger ist. Sie teilten das Banat und schufen einen latenten Gegensatz
zu Jugoslawien. Die versprochene Wirtschaftshilfe ist ausgeblieben. Statt
dessen wurde die wirtschaftliche Lage Rumäniens geschädigt. Der Artikel 14 des
Se. Germainer Friedensvertrages beschränkte die Freiheit Rumäniens, Handels¬
verträge abzuschließen. Die Friedenskonferenz regelte die Donaufrage zurn-


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[0114] Meltspiegel Die Neuwahlen werden voraussichtlich im Mai stattfinden, Ob er dann über eine Parlamentsmehrheit verfügen wird, hängt davon ab, ob er seine Volks¬ tümlichkeit erhält, mehrt und auch in den neu-in Provinzen Anhänger gewinnt. General Averescus Lage ist dadurch schwierig, daß er mit den historischen Par¬ teien zusammengehen muß. Gelingt es ihm nicht, einen scharfen Trennungsstrich gegen die alten Parteien, insbesondere gegen die stark kompromittierte Partei Tale Jonescus zu ziehen, so kann sich die Volksgunst leicht von ihm ab und Männern wie Lupu und Jorga, den Feinden der alten Parteien, zuwenden. Wichtig ist es, welche Erfolge er bis zu den Wahlen mit seiner Politik hat. Die politische Erbschaft, die er übernommen hat, ist nicht beneidenswert. Er muß scharf durch¬ greifen und energisch seinen Willen durchsetzen. Daß er dazu entschlossen ist. be¬ weist die sofortige Demobilisierung der Armee. Dadurch werden die großen Aus¬ gaben eingeschränkt, Tausende von Bauern werden der Arbeit wieder zugeführt. Die Macht der Militärpartei, die Van'da Wocvod unendliche Schwierigkeiten ge¬ macht hat. wird vielleicht gebrochen. Doch damit ist erst der erste Schritt getan. Die endgültige Regelung der Agrarfrage, die Behebung der Korruption, die Sa¬ nierung der Finanzen, Wiederaufbau des Wirtschaftslebens, Amnestie für die zahlreichen von der Militärdiktatur Verurteilten usni. sind die nächsten dringendsten Ausgaben der inneren Politik. Hierbei kommt es auf schnelle Lösung an. denn jeder Tag des Zögerns vermehrt die Schwierigkeiten, vermindert die Möglichkeit, eine Lösung zu finden. In der Außenpolitik gilt es, Frieden mit Rußland und Ungarn zu schließen und die allgemeine außenpolitische Stellung Rumäniens neu zu orientieren. Nu߬ land gegenüber wird er sich beeilen, zum Abschluß des Friedens zu kommen. „Friede mit Rußland" ist nicht nur sein altes Losungswort, sondern auch die Sehnsucht der Menge. Rußlands Bedingungen lauten nach unverbürgten Pressenachrichten: Anerkennung der Sowjetrepublik, Begnadigung aller rumänischen Deserteure, die sich in Nußland aufhalten, Bezahlung aller russischen Heeresgüter in Beßarabien. Hierfür will Rußland den rumänischen Goldschatz ausliefern und die Rechts Ru¬ mäniens auf Beßarabien anerkennen. Daß die Verhandlungen gemeinsam mit Polen geführt werden, wie es ursprünglich geplant war, ist fraglich. Der russisch¬ polnische Gegensatz erscheint tiefer als der russisch-rumänische. Nach einem etwaigen Abschluß des Friedens ist die bolschewistische Gefahr keineswegs überwunden. Bolschewistische Gedanken haben über Beßarabien genug Einlaß ins Innere Ru¬ mäniens finden können. Der Friede mit Rußland ist eng verknüpft mit der zukünftigen Stellung Rumäniens zu den Westmächten. Besonders Frankreich steht den Friedensver- handlungen entgegen. Es wird sich zeigen, ob die alten Fäden nach Paris noch halten, ob Frankreich den maurischen „kleinen Bruder" im Osten noch bevor¬ munden kann. Die Ereignisse der letzten Jahre haben in Rumänien das alte französische Freundschaftsgefühl zum mindesten erheblich abgekühlt. Frankreich hat allzu oft im Verein mit seinen Verbündeten die rumänischen Wünsche ent¬ täuscht. Selbst Bratianu, der während des Krieges mit der Entente durch dick und dünn ging, wendet sich jetzt sehr scharf gegen die Westmächte. Er hat den Vertrag vom 6. August 1916 abgeschlossen, der Rumäniens Geschick fest an das Kriegsglück der Entente band. Rumänien hat jedoch vergeblich auf die ver¬ sprochene Hilfe der Saloniki-Armee, auf die Unterstützung Rußlands gewartet. Zum Dank dafür, daß Rumänien 800 000 seiner Soldaten opferte, ist der Ver¬ trag vom 6. August 1916 durch die Friedensverträge von Neuilly und Se. Ger- main gebrochen. Die früheren Verbündeten ersetzten die versprochene Grenze gegen Ungarn durch die sogenannte Clemenceau-Linie, die sür Rumänien erheb¬ lich ungünstiger ist. Sie teilten das Banat und schufen einen latenten Gegensatz zu Jugoslawien. Die versprochene Wirtschaftshilfe ist ausgeblieben. Statt dessen wurde die wirtschaftliche Lage Rumäniens geschädigt. Der Artikel 14 des Se. Germainer Friedensvertrages beschränkte die Freiheit Rumäniens, Handels¬ verträge abzuschließen. Die Friedenskonferenz regelte die Donaufrage zurn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/114>, abgerufen am 24.08.2024.