Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Das asiatische Problem An das Abtreten der Europäer von der kulturellen, wirtschaftlichen und Es ist der am weitaus reichsten gegliederte Erdteil mit klimatischen Einflüsse des als asiatisch zu betrachtenden Bolschewismus können uns Dem asiatischen Problem besonnen ins Auge schauend, gelangen wir zu dem Das asiatische Problem An das Abtreten der Europäer von der kulturellen, wirtschaftlichen und Es ist der am weitaus reichsten gegliederte Erdteil mit klimatischen Einflüsse des als asiatisch zu betrachtenden Bolschewismus können uns Dem asiatischen Problem besonnen ins Auge schauend, gelangen wir zu dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336943"/> <fw type="header" place="top"> Das asiatische Problem</fw><lb/> <p xml:id="ID_284"> An das Abtreten der Europäer von der kulturellen, wirtschaftlichen und<lb/> politischen Schaubühne vermögen wir auch für den Fall nicht zu glauben, daß<lb/> die bolschewistische Bewegung auf dem Wege über Asien die Welt erobert. Ihre<lb/> weitere Ausbreitung ist nur möglich bei gleichzeitiger starker Verflachung. Schon<lb/> ist in Rußland selbst der strenge Kommunismus praktisch über den Haufen geworfen.<lb/> Die Diktatur im Namen des Proletariats hat den alten Wirtschaftsformen immer<lb/> größere Zugeständnisse machen müssen, und wenn auch theoretisch die alte Flagge<lb/> hochgehalten wird, so verläuft sich schließlich die Bewegung mehr und mehr in<lb/> gegenüber dem Programm der Höchstforderungen vergleichsweise gemäßigte, wenn<lb/> auch gegenüber dem früheren Zustande noch recht radikale Forderungen sozialer<lb/> Hebung der unteren Schichten und weitgehenden Selbst- beziehungsweise Mit¬<lb/> bestimmungsrechtes. Je mehr das überfluten Asiens dnrch die Bewegung bolsche¬<lb/> wistischen Ursprungs zur Steigerung der Unterproduktion und dadurch zur wirt¬<lb/> schaftlichen Bedrängnis der Welt führen sollte, um so mehr wird zum Ausgleich<lb/> im Lebensinteresse aller Völker die höchste Nutzanwendung technischer Fortschritte<lb/> geboten sein. Dieser aber hat nun einmal seinen Ursprung und seinen Hauptsitz<lb/> im mittleren und westlichen Europa, dessen geographische Vorteile sich seit altersher<lb/> in volkspsychologische Vorteile umsetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_285"> Es ist der am weitaus reichsten gegliederte Erdteil mit klimatischen<lb/> Übergängen, wie sie kein anderes Gebiet in ähnlicher Weise zu verzeichnen hat,<lb/> zumal auch die Vorteile des Golfstromes gerade dank dieser Grundlage hier am<lb/> meisten zur Geltung kommt. Auf eben dieser Grundlage kommt auch die arbeit¬<lb/> fördernde Wirkung der langen Lichtzeit gemäßigter Zonen hier am meisten zur<lb/> Geltung. In den Ländern der gemäßigten Zone mit ihrer langen Dämmerung<lb/> ist die praktisch nutzbare Lichtzeit im gesamten Jahresdurchschnitt um ein Beträcht¬<lb/> liches größer als etwa in den Tropen. Dieser Faktor spricht am meisten dort<lb/> mit, wo er mit dem größten Ausgleich der klimatischen Übergänge zusammenfällt.<lb/> Geistige Regsamkeit und Schaffenskraft, Intelligenz und Kultur, Technik und<lb/> Wissenschaft haben sich auf der Grundlage dieser geographisch gegebenen Faktoren<lb/> im westlichen Europa am höchsten zu entwickeln vermocht, während das kompakt<lb/> ungegliederte Rußland in allen diesen Beziehungen dem asiatischen Koloß<lb/> zugeschlagen werden muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_286"> Einflüsse des als asiatisch zu betrachtenden Bolschewismus können uns<lb/> höchstens vorübergehend die uns tief eingewurzelte Religion des Pflichtbewußtseins<lb/> und der Arbeitsfreude vergessen lassen, und die Welt wird unserer technischen Über¬<lb/> legenheit um so dringender bedürfen, je tiefer sie in die Not der Unterproduktion<lb/> gestürzt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_287"> Dem asiatischen Problem besonnen ins Auge schauend, gelangen wir zu dem<lb/> Schluß, daß am letzten Ende gerade im Falle seiner Weiterentwicklung in der<lb/> angedeuteten Richtung unsere kulturelle Vormachtstellung nur einer neuen Festigung<lb/> entgegengeht, und daß dadurch auch die wirtschaftlichen und schließlich die politischen<lb/> Einflüsse wieder dorthin fallen werden, wo Volksbildung und technisches Können.<lb/> Pflichtbewußtsein und moralisches Verantwortlichkeitsgefühl am höchsten ent-<lb/> wickelt sind.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
Das asiatische Problem
An das Abtreten der Europäer von der kulturellen, wirtschaftlichen und
politischen Schaubühne vermögen wir auch für den Fall nicht zu glauben, daß
die bolschewistische Bewegung auf dem Wege über Asien die Welt erobert. Ihre
weitere Ausbreitung ist nur möglich bei gleichzeitiger starker Verflachung. Schon
ist in Rußland selbst der strenge Kommunismus praktisch über den Haufen geworfen.
Die Diktatur im Namen des Proletariats hat den alten Wirtschaftsformen immer
größere Zugeständnisse machen müssen, und wenn auch theoretisch die alte Flagge
hochgehalten wird, so verläuft sich schließlich die Bewegung mehr und mehr in
gegenüber dem Programm der Höchstforderungen vergleichsweise gemäßigte, wenn
auch gegenüber dem früheren Zustande noch recht radikale Forderungen sozialer
Hebung der unteren Schichten und weitgehenden Selbst- beziehungsweise Mit¬
bestimmungsrechtes. Je mehr das überfluten Asiens dnrch die Bewegung bolsche¬
wistischen Ursprungs zur Steigerung der Unterproduktion und dadurch zur wirt¬
schaftlichen Bedrängnis der Welt führen sollte, um so mehr wird zum Ausgleich
im Lebensinteresse aller Völker die höchste Nutzanwendung technischer Fortschritte
geboten sein. Dieser aber hat nun einmal seinen Ursprung und seinen Hauptsitz
im mittleren und westlichen Europa, dessen geographische Vorteile sich seit altersher
in volkspsychologische Vorteile umsetzen.
Es ist der am weitaus reichsten gegliederte Erdteil mit klimatischen
Übergängen, wie sie kein anderes Gebiet in ähnlicher Weise zu verzeichnen hat,
zumal auch die Vorteile des Golfstromes gerade dank dieser Grundlage hier am
meisten zur Geltung kommt. Auf eben dieser Grundlage kommt auch die arbeit¬
fördernde Wirkung der langen Lichtzeit gemäßigter Zonen hier am meisten zur
Geltung. In den Ländern der gemäßigten Zone mit ihrer langen Dämmerung
ist die praktisch nutzbare Lichtzeit im gesamten Jahresdurchschnitt um ein Beträcht¬
liches größer als etwa in den Tropen. Dieser Faktor spricht am meisten dort
mit, wo er mit dem größten Ausgleich der klimatischen Übergänge zusammenfällt.
Geistige Regsamkeit und Schaffenskraft, Intelligenz und Kultur, Technik und
Wissenschaft haben sich auf der Grundlage dieser geographisch gegebenen Faktoren
im westlichen Europa am höchsten zu entwickeln vermocht, während das kompakt
ungegliederte Rußland in allen diesen Beziehungen dem asiatischen Koloß
zugeschlagen werden muß.
Einflüsse des als asiatisch zu betrachtenden Bolschewismus können uns
höchstens vorübergehend die uns tief eingewurzelte Religion des Pflichtbewußtseins
und der Arbeitsfreude vergessen lassen, und die Welt wird unserer technischen Über¬
legenheit um so dringender bedürfen, je tiefer sie in die Not der Unterproduktion
gestürzt wird.
Dem asiatischen Problem besonnen ins Auge schauend, gelangen wir zu dem
Schluß, daß am letzten Ende gerade im Falle seiner Weiterentwicklung in der
angedeuteten Richtung unsere kulturelle Vormachtstellung nur einer neuen Festigung
entgegengeht, und daß dadurch auch die wirtschaftlichen und schließlich die politischen
Einflüsse wieder dorthin fallen werden, wo Volksbildung und technisches Können.
Pflichtbewußtsein und moralisches Verantwortlichkeitsgefühl am höchsten ent-
wickelt sind.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |