Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Weltspiegel gegen Afghanistan nicht weniger als sechs mobilisierte Brigaden eingesetzt waren. Deutschland ist leider so herunter gekommen, daß es sich auch über eine Weltspiegel gegen Afghanistan nicht weniger als sechs mobilisierte Brigaden eingesetzt waren. Deutschland ist leider so herunter gekommen, daß es sich auch über eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337227"/> <fw type="header" place="top"> Weltspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2515" prev="#ID_2514"> gegen Afghanistan nicht weniger als sechs mobilisierte Brigaden eingesetzt waren.<lb/> Daß diese Grenzkämpfe jetzt auf einmal so große Schwierigkeiten machen, wird<lb/> englischerseits darauf zurückgeführt, daß den jetzigen Truppen die nötige Erfahrung<lb/> abgeht. Die alte bewährte indische Armee, und das gilt besonders auch von<lb/> den Offizieren, ist teils im Weltkrieg aufgerieben, teils, durch allerlei Zurück¬<lb/> setzung und Enttäuschung erbittert, aus dem Dienst geschieden, und die während<lb/> des Weltkrieges gemachten Erfahrungen lassen sich in einem ausgesprochenen<lb/> Gebirgsguerillakrieg kaum verwerten. Dazu kommt der auch in Indien fühlbar<lb/> gewordene Mangel an Transportmitteln, ferner daß man fast ausschließlich auf rein<lb/> indische Regimenter angewiesen ist und sich von Anfang an gar zu sehr<lb/> auf Hilfsmittel europäischer Technik, Bomben und Flugzeuge, verlassen<lb/> hat, die gegen in Felshöhlen sich bergende Gruppenkämpfer nur wenig<lb/> wirksam sind. Genug, die Engländer müssen sich schon jetzt mit Besorgnis<lb/> fragen, woher sie bei weiterer Ausbreitung des Aufstandes Truppen nehmen<lb/> sollen, besonders da auch Mesopotamien und vor allein Aegypten starke Bewachung<lb/> erfordern, in Europa aber allgemeine Kriegsmüdigkeit herrscht. Dabei wird das<lb/> Wlrtjchaflslcben des Landes fortwährend durch Streiks erschüttert, in Bombay<lb/> allein waren es im Januar 200 000 Mann, mit denen die Verständigung mangels<lb/> fester Organisation der Arbeiter erschwert war. und natürlich ist die landläufige<lb/> Bürokratie, durch allerlei Schieberwesen verseucht, auch hier der außerordentlichen<lb/> Lage nicht gewachsen. Was unter solchen Umständen das beträchtliche Eindringen<lb/> bolschewistischer Agitation oder auch nur die Möglichkeit eines solchen, gar noch<lb/> unterstützt durch Waffenschmnggel, zu dem in Tibet von jeher Möglichkeiten be¬<lb/> standen haben, bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Bereits im Mai bestanden<lb/> Anzeichen bolschewistischer Umtriebe, die später (Round Table) abgeleugnet wurden,<lb/> un einzelnen aber ist (nach „Jswestija") die Verbindung zwischen Indien und der<lb/> Sowjetregieruug, vermutlich über Afghanistan, hergestellt, und wie dünn und un¬<lb/> sicher diese Verbindung auch sein mag. nach allein Ausgeführten ist es verständlich,<lb/> daß auch nur die Möglichkeit einer Verbreiterung und Festigung die Engländer<lb/> so erschreckt, daß sie zu aller Art von Konzessionen bereit sind und lieber Polen<lb/> preisgeben, als Indien gefährden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2516"> Deutschland ist leider so herunter gekommen, daß es sich auch über eine<lb/> dauernde Festlegung Englands in Indien komm zu freuen Ursache haben würde,<lb/> denn je schwächer England wird, desto energischer und annexionistischer könnte<lb/> und wurde Frankreich, im Orient verstärkte Stellung gewinnend, am Rhein auf¬<lb/> treten, und je mehr sich für England die Kriegs- und Nachkriegskosten erhandelt.<lb/> desto weniger hätten die Forderungen einer Revision des Versailler Vertrages<lb/> Aussichten auf Erfüllung, Aber eine Lehre könnte man auch in Deutschland aus<lb/> dein Studium der indischen Verhältnisse ziehen. Es fehlte — es ist traurig, das<lb/> einräumen zu müssen — im vorigen Sommer bei uns nicht an Stimmen, die<lb/> sagten: wenn's zum Schlimmsten kommt, geben wir eben unsere staatliche Selbst-<lb/> ständigkeit auf und lassen uns zu einer englischen Kolonie machen, die habs-i's<lb/> doch ganz gut. Unter Kolonie verstanden diese Schlauberger Dominions und<lb/> meinten in ihrerAhuungslosigkeit, das sei dasselbe. Deutschlandaber würde von<lb/> den Engländern nun und nimmer zu einem Dominion wie Kanada oder Australien<lb/> gemacht, sondern höchstens zur Kolonie, und wie gut die's haben, sieht, wer's<lb/> noch nicht aus dem Schicksal der ältesten englischen Kolonie, Irlands, entronnenen<lb/> hat. eben an Indien. Und glaube uur ja niemand, daß der Engländer zwischen<lb/> dem orientalisch indolenten Inder und dein Deutschen, der seine nationale Selbst-<lb/> ständigkeit uni materieller Vorteile willen freiwillig aufzugeben entschlossen A<lb/> einen Unterschied machen würde. Da hilft kein Wedeln mit der Kultnrpalme, wer<lb/> weiß nicht, daß die Kultur der Inder der unseren in nichts nachgestanden ha" ><lb/> Wenn's um sein Land geht, schert sich der Engländer den Teufel um fremde<lb/> Kulturen, er hat seine eigene, und Deutsche oder Inder würden ein identischer<lb/><note type="byline"> Menenixs</note> Begriff für ihn sein: rmtivss. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
Weltspiegel
gegen Afghanistan nicht weniger als sechs mobilisierte Brigaden eingesetzt waren.
Daß diese Grenzkämpfe jetzt auf einmal so große Schwierigkeiten machen, wird
englischerseits darauf zurückgeführt, daß den jetzigen Truppen die nötige Erfahrung
abgeht. Die alte bewährte indische Armee, und das gilt besonders auch von
den Offizieren, ist teils im Weltkrieg aufgerieben, teils, durch allerlei Zurück¬
setzung und Enttäuschung erbittert, aus dem Dienst geschieden, und die während
des Weltkrieges gemachten Erfahrungen lassen sich in einem ausgesprochenen
Gebirgsguerillakrieg kaum verwerten. Dazu kommt der auch in Indien fühlbar
gewordene Mangel an Transportmitteln, ferner daß man fast ausschließlich auf rein
indische Regimenter angewiesen ist und sich von Anfang an gar zu sehr
auf Hilfsmittel europäischer Technik, Bomben und Flugzeuge, verlassen
hat, die gegen in Felshöhlen sich bergende Gruppenkämpfer nur wenig
wirksam sind. Genug, die Engländer müssen sich schon jetzt mit Besorgnis
fragen, woher sie bei weiterer Ausbreitung des Aufstandes Truppen nehmen
sollen, besonders da auch Mesopotamien und vor allein Aegypten starke Bewachung
erfordern, in Europa aber allgemeine Kriegsmüdigkeit herrscht. Dabei wird das
Wlrtjchaflslcben des Landes fortwährend durch Streiks erschüttert, in Bombay
allein waren es im Januar 200 000 Mann, mit denen die Verständigung mangels
fester Organisation der Arbeiter erschwert war. und natürlich ist die landläufige
Bürokratie, durch allerlei Schieberwesen verseucht, auch hier der außerordentlichen
Lage nicht gewachsen. Was unter solchen Umständen das beträchtliche Eindringen
bolschewistischer Agitation oder auch nur die Möglichkeit eines solchen, gar noch
unterstützt durch Waffenschmnggel, zu dem in Tibet von jeher Möglichkeiten be¬
standen haben, bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Bereits im Mai bestanden
Anzeichen bolschewistischer Umtriebe, die später (Round Table) abgeleugnet wurden,
un einzelnen aber ist (nach „Jswestija") die Verbindung zwischen Indien und der
Sowjetregieruug, vermutlich über Afghanistan, hergestellt, und wie dünn und un¬
sicher diese Verbindung auch sein mag. nach allein Ausgeführten ist es verständlich,
daß auch nur die Möglichkeit einer Verbreiterung und Festigung die Engländer
so erschreckt, daß sie zu aller Art von Konzessionen bereit sind und lieber Polen
preisgeben, als Indien gefährden.
Deutschland ist leider so herunter gekommen, daß es sich auch über eine
dauernde Festlegung Englands in Indien komm zu freuen Ursache haben würde,
denn je schwächer England wird, desto energischer und annexionistischer könnte
und wurde Frankreich, im Orient verstärkte Stellung gewinnend, am Rhein auf¬
treten, und je mehr sich für England die Kriegs- und Nachkriegskosten erhandelt.
desto weniger hätten die Forderungen einer Revision des Versailler Vertrages
Aussichten auf Erfüllung, Aber eine Lehre könnte man auch in Deutschland aus
dein Studium der indischen Verhältnisse ziehen. Es fehlte — es ist traurig, das
einräumen zu müssen — im vorigen Sommer bei uns nicht an Stimmen, die
sagten: wenn's zum Schlimmsten kommt, geben wir eben unsere staatliche Selbst-
ständigkeit auf und lassen uns zu einer englischen Kolonie machen, die habs-i's
doch ganz gut. Unter Kolonie verstanden diese Schlauberger Dominions und
meinten in ihrerAhuungslosigkeit, das sei dasselbe. Deutschlandaber würde von
den Engländern nun und nimmer zu einem Dominion wie Kanada oder Australien
gemacht, sondern höchstens zur Kolonie, und wie gut die's haben, sieht, wer's
noch nicht aus dem Schicksal der ältesten englischen Kolonie, Irlands, entronnenen
hat. eben an Indien. Und glaube uur ja niemand, daß der Engländer zwischen
dem orientalisch indolenten Inder und dein Deutschen, der seine nationale Selbst-
ständigkeit uni materieller Vorteile willen freiwillig aufzugeben entschlossen A
einen Unterschied machen würde. Da hilft kein Wedeln mit der Kultnrpalme, wer
weiß nicht, daß die Kultur der Inder der unseren in nichts nachgestanden ha" >
Wenn's um sein Land geht, schert sich der Engländer den Teufel um fremde
Kulturen, er hat seine eigene, und Deutsche oder Inder würden ein identischer
Menenixs Begriff für ihn sein: rmtivss.
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