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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Grenzdeutschtum

offen, uns sind sie aufs äußerste beschränkt. Um so wichtiger ist es, daß nun
wirklich auch die letzte Stimme, die zur Verfügung steht, für die deutsche Sache
eingesetzt wird. Dazu ist es erforderlich, daß kein Abstimmungsberechtigter
die Reise scheut, mag sie noch so kostspielig und mühselig sein. Die Beschwer¬
lichkeiten kann eine geschickte Organisation vielleicht mildern, aber nicht gänzlich
beheben. Anders liegt es mit den Kosten. Der Deutsche Schutzbund für die
Grenz, und Auslandsdeutschen (Geschäftsstelle Berlin NW 52, Schloß Bellevue)
sammelt unter Mitwirkung einer großen Zahl politischer Organisationen und
Verbände eine Grenzspende, die jedem Bedürftigen die Mittel bereitstellen soll,
um den Abstimmungsort zu erreichen und seine Stimme mit in die Wagschale
zu legen. Durch Unterstätzung dieser Grenzspende ist jedem Deutschen die
Möglichkeit gegeben, tatkräftig und opferfreudig für das gefährdete Grenz¬
deutschtum einzustehen.

Der Ruf an das völkische Gemeingefühl gilt aber nicht im Mutterlande
allein, sondern er richtet sich auch an die Grenzdeutschen. Das elsässische Bei¬
spiel, in dem so viel nationaler Wankelmut offensichtlich ist, zeigt die seelischen
Gefahren, denen gerade unser Volk ausgesetzt ist, wenn es in die Lage eines
abgesprengten Grenzstammes gerät. Wir haben nun einmal nicht die zähe
nationale Widerstandskraft anderer Nationen. Erbitterte fanatische Gegner,
wie der polnische General Haller oder wie der französische General Niessel
tragen deutsche Namen und sind ein warnendes Zeichen für die Gefahren, die
dem Volksganzen aus der Absplitterung Einzelner oder ganzer Stämme er¬
wachsen. Auch zeigen diese Beispiele sonnenklar, daß Preisgabe der Nationalität
keine Überwindung, sondern zumeist eine Steigerung des Nationalismus be¬
deutet. Renegaten pflegen sich eben in engstirnigste Chauvinisten ihres neuen
Wahlvaterlandes zu verwandeln. Haß, der aus dem schlechten Gewissen des
Abtrünnigen stammt, hat moralische und geistige Minderwertigkeit zur Folge.
Verrat am eigenen Blut, Aufgabe der angestammten Kultur bleiben nicht un¬
gestraft. Um seiner besten inneren und äußeren Möglichkeiten willen muß
daher das Grenzdeutschtum der abgetretenen Gebiete jenseits der politischen
Sphäre den Zusammenhang mit dem Mutterlande und seiner Kultur und
Bildung pflegen, das innere Leben der Nation mitleben, auch wo es äußere
Sonderwege gehen muß. Da reichen die aufgespeicherten Reserven nicht hin,
die Kraft zur nationalen Selbstbehauptung versiegt, wenn nicht die fortdauernde
Pflege persönlicher Beziehungen und ein ständiger Austausch der geistigen Güter
mit dem Mutterlande gewährleistet ist. Grenzboten werden gebraucht, die
Kunde von dein Mutterlande über die Reichsgrenzen hinaustragen und Nach¬
richten von draußen drinnen verbreiten. Wie die roten Blutkörperchen muß
der Geist eines lebenerneuernden Deutschtums bis in die letzten Äderchen der
äußersten Gliedmaßen puiser. Setzt die geistige Blutzufuhr aus und wird der
Stoffwechsel unterbrochen, dann sterben die politisch abgeschnürten Glieder auch
geistig ab. Tote Masse fällt dem Ausland als Kulturdünger zu und im ver-


Grenzdeutschtum

offen, uns sind sie aufs äußerste beschränkt. Um so wichtiger ist es, daß nun
wirklich auch die letzte Stimme, die zur Verfügung steht, für die deutsche Sache
eingesetzt wird. Dazu ist es erforderlich, daß kein Abstimmungsberechtigter
die Reise scheut, mag sie noch so kostspielig und mühselig sein. Die Beschwer¬
lichkeiten kann eine geschickte Organisation vielleicht mildern, aber nicht gänzlich
beheben. Anders liegt es mit den Kosten. Der Deutsche Schutzbund für die
Grenz, und Auslandsdeutschen (Geschäftsstelle Berlin NW 52, Schloß Bellevue)
sammelt unter Mitwirkung einer großen Zahl politischer Organisationen und
Verbände eine Grenzspende, die jedem Bedürftigen die Mittel bereitstellen soll,
um den Abstimmungsort zu erreichen und seine Stimme mit in die Wagschale
zu legen. Durch Unterstätzung dieser Grenzspende ist jedem Deutschen die
Möglichkeit gegeben, tatkräftig und opferfreudig für das gefährdete Grenz¬
deutschtum einzustehen.

Der Ruf an das völkische Gemeingefühl gilt aber nicht im Mutterlande
allein, sondern er richtet sich auch an die Grenzdeutschen. Das elsässische Bei¬
spiel, in dem so viel nationaler Wankelmut offensichtlich ist, zeigt die seelischen
Gefahren, denen gerade unser Volk ausgesetzt ist, wenn es in die Lage eines
abgesprengten Grenzstammes gerät. Wir haben nun einmal nicht die zähe
nationale Widerstandskraft anderer Nationen. Erbitterte fanatische Gegner,
wie der polnische General Haller oder wie der französische General Niessel
tragen deutsche Namen und sind ein warnendes Zeichen für die Gefahren, die
dem Volksganzen aus der Absplitterung Einzelner oder ganzer Stämme er¬
wachsen. Auch zeigen diese Beispiele sonnenklar, daß Preisgabe der Nationalität
keine Überwindung, sondern zumeist eine Steigerung des Nationalismus be¬
deutet. Renegaten pflegen sich eben in engstirnigste Chauvinisten ihres neuen
Wahlvaterlandes zu verwandeln. Haß, der aus dem schlechten Gewissen des
Abtrünnigen stammt, hat moralische und geistige Minderwertigkeit zur Folge.
Verrat am eigenen Blut, Aufgabe der angestammten Kultur bleiben nicht un¬
gestraft. Um seiner besten inneren und äußeren Möglichkeiten willen muß
daher das Grenzdeutschtum der abgetretenen Gebiete jenseits der politischen
Sphäre den Zusammenhang mit dem Mutterlande und seiner Kultur und
Bildung pflegen, das innere Leben der Nation mitleben, auch wo es äußere
Sonderwege gehen muß. Da reichen die aufgespeicherten Reserven nicht hin,
die Kraft zur nationalen Selbstbehauptung versiegt, wenn nicht die fortdauernde
Pflege persönlicher Beziehungen und ein ständiger Austausch der geistigen Güter
mit dem Mutterlande gewährleistet ist. Grenzboten werden gebraucht, die
Kunde von dein Mutterlande über die Reichsgrenzen hinaustragen und Nach¬
richten von draußen drinnen verbreiten. Wie die roten Blutkörperchen muß
der Geist eines lebenerneuernden Deutschtums bis in die letzten Äderchen der
äußersten Gliedmaßen puiser. Setzt die geistige Blutzufuhr aus und wird der
Stoffwechsel unterbrochen, dann sterben die politisch abgeschnürten Glieder auch
geistig ab. Tote Masse fällt dem Ausland als Kulturdünger zu und im ver-


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[0035] Grenzdeutschtum offen, uns sind sie aufs äußerste beschränkt. Um so wichtiger ist es, daß nun wirklich auch die letzte Stimme, die zur Verfügung steht, für die deutsche Sache eingesetzt wird. Dazu ist es erforderlich, daß kein Abstimmungsberechtigter die Reise scheut, mag sie noch so kostspielig und mühselig sein. Die Beschwer¬ lichkeiten kann eine geschickte Organisation vielleicht mildern, aber nicht gänzlich beheben. Anders liegt es mit den Kosten. Der Deutsche Schutzbund für die Grenz, und Auslandsdeutschen (Geschäftsstelle Berlin NW 52, Schloß Bellevue) sammelt unter Mitwirkung einer großen Zahl politischer Organisationen und Verbände eine Grenzspende, die jedem Bedürftigen die Mittel bereitstellen soll, um den Abstimmungsort zu erreichen und seine Stimme mit in die Wagschale zu legen. Durch Unterstätzung dieser Grenzspende ist jedem Deutschen die Möglichkeit gegeben, tatkräftig und opferfreudig für das gefährdete Grenz¬ deutschtum einzustehen. Der Ruf an das völkische Gemeingefühl gilt aber nicht im Mutterlande allein, sondern er richtet sich auch an die Grenzdeutschen. Das elsässische Bei¬ spiel, in dem so viel nationaler Wankelmut offensichtlich ist, zeigt die seelischen Gefahren, denen gerade unser Volk ausgesetzt ist, wenn es in die Lage eines abgesprengten Grenzstammes gerät. Wir haben nun einmal nicht die zähe nationale Widerstandskraft anderer Nationen. Erbitterte fanatische Gegner, wie der polnische General Haller oder wie der französische General Niessel tragen deutsche Namen und sind ein warnendes Zeichen für die Gefahren, die dem Volksganzen aus der Absplitterung Einzelner oder ganzer Stämme er¬ wachsen. Auch zeigen diese Beispiele sonnenklar, daß Preisgabe der Nationalität keine Überwindung, sondern zumeist eine Steigerung des Nationalismus be¬ deutet. Renegaten pflegen sich eben in engstirnigste Chauvinisten ihres neuen Wahlvaterlandes zu verwandeln. Haß, der aus dem schlechten Gewissen des Abtrünnigen stammt, hat moralische und geistige Minderwertigkeit zur Folge. Verrat am eigenen Blut, Aufgabe der angestammten Kultur bleiben nicht un¬ gestraft. Um seiner besten inneren und äußeren Möglichkeiten willen muß daher das Grenzdeutschtum der abgetretenen Gebiete jenseits der politischen Sphäre den Zusammenhang mit dem Mutterlande und seiner Kultur und Bildung pflegen, das innere Leben der Nation mitleben, auch wo es äußere Sonderwege gehen muß. Da reichen die aufgespeicherten Reserven nicht hin, die Kraft zur nationalen Selbstbehauptung versiegt, wenn nicht die fortdauernde Pflege persönlicher Beziehungen und ein ständiger Austausch der geistigen Güter mit dem Mutterlande gewährleistet ist. Grenzboten werden gebraucht, die Kunde von dein Mutterlande über die Reichsgrenzen hinaustragen und Nach¬ richten von draußen drinnen verbreiten. Wie die roten Blutkörperchen muß der Geist eines lebenerneuernden Deutschtums bis in die letzten Äderchen der äußersten Gliedmaßen puiser. Setzt die geistige Blutzufuhr aus und wird der Stoffwechsel unterbrochen, dann sterben die politisch abgeschnürten Glieder auch geistig ab. Tote Masse fällt dem Ausland als Kulturdünger zu und im ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/35>, abgerufen am 22.12.2024.